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Petersburger G-8-Gipfel: Ein Schlag ins Wasser

Boris Kargilizki

Der G8-Gipfel in St.Petersburg ist gescheitert. In den wichtigen Fragen auf der Tagesordnung – Aufnahme Russlands in die WTO, Energiesicherheit, Klimaschutz, Nahost – konnte keine Einigkeit erzielt werden. Parallel zu ihm fanden drei Gegengipfel statt: die Konferenz "Das andere Russland" (Drugaja Rossija) der extremen Rechten und Ultraliberalen, zu der auch Washington und Berlin hochrangige Beamte des Außenministeriums entsandten; ein libertäres Forum und das Russische Sozialforum.

25.04.2007

Wie nicht anders zu erwarten priesen die Organisatoren des G8-Gipfels seine "herausragenden Ergebnisse". Doch abgesehen von diplomatischem Floskeln und hohlen Erklärungen hat er keine berichtenswerten Ergebnisse gebracht. Moskau und Washington sollten ein Protokoll über Russlands Aufnahme in die WTO unterzeichnen, taten es aber nicht. Die im Vorfeld vorbereiteten Vereinbarungen wurden in letzter Minute verworfen – vielleicht hatten aber auch nur russische Regierungsbeamte falsche Informationen verbreitet, als sie behaupteten, bei der Mehrzahl der strittigen Punkte seien die Meinungsverschiedenheiten beigelegt worden.

Keine handfesten Beschlüsse

Russlands Aufnahme in die WTO ist in unbestimmte Ferne gerückt; da Georgien zudem von einem früher von Moskau unterzeichneten Abkommen abgerückt ist, steckt sie in einer Sackgasse. Georgien wird ihr solange nicht zustimmen, wie Russland georgischen Wein boykottiert (was für Georgien praktisch einer Wirtschaftsblockade gleich kommt). Aber auch Moldawien leidet unter einem Weinboykott – und kann deshalb in ähnlicher Weise Russland den Weg in die WTO verlegen. Genau besehen kann man sich über diese Entwicklung freuen, sie verschafft eine Atempause.
In der Energiefrage, die als Schlüsselfrage galt, ist ebenfalls nichts Handfestes beschlossen worden. Russland hat die von der EU entworfene Energiecharta unterschrieben, hat aber nicht die Absicht, sie zu ratifizieren. Denn dies würde bedeuten, dass Gazprom nicht mehr drohen darf, der Ukraine und Weißrussland den Ölhahn abzudrehen. Die Versuche, die globale Korruption einzudämmen, waren eh nur ein schlechter Scherz.
So konnten die Vertreter der G8 nicht verbergen, dass sie in fast jedem Punkt schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten haben – angefangen vom Nahen Osten bis zur Frage der demokratischen Rechte in Russland.
Einzig die sog. "Alternativgipfel" fielen noch finsterer aus als der G8-Gipfel selbst. Das Forum Drugaja Rossija wurde von einer "Vereinigten Opposition" ausgerichtet. Der Name des Forums war nicht zufällig gewählt – er griff den Titel eines Buchs von Eduard Limonow auf, welcher Vorsitzender der rechtsradikalen Nationalbolschewistischen Partei (NBP) ist. Diese war auf dem Forum sehr präsent: sie überprüfte die Akkreditierung der Journalisten, sorgte für Ordnung und bemühte sich allüberall, ihre verantwortliche Rolle hervorzuheben.
Doch ideologisch gaben andere den Ton an – nämlich Ultra-Liberale wie Andrej Illarionow, der Wirtschaftskapitän, der Jegor Gaidar oder Jeffrey Sachs schon für Kommunisten hält. Die größte Geißel Russlands, erklärte er, seien die Überbleibsel des sozialen Sicherungssystems, an denen das Land noch klebe, oder die Bereiche, die noch nicht der Herrschaft der Marktgesetze unterworfen seien, die immer noch ausufernde staatliche Beteiligung an der Wirtschaft... Alles müsse privatisiert werden, veräußert werden, in Stücke gehauen und zerstört werden. Dies durchzusetzen – auch die Zerschlagung von Protestaktionen – überlässt man gern den Jungs der NBP.
Limonow hat etwas andere Vorstellungen als Illarionow. Er möchte gern die Städte und die Zivilisation vernichten und der Geschichte eine "neue Chronologie" aufdrücken, die uns geradewegs zurück ins finsterste Mittelalter führen würde. Für die Zusammenarbeit beider Strömungen bedeuten diese Vorstellungen aber kein Hindernis. Warum sollte die Zerstörung der Städte die Expansion des Marktes beeinträchtigen? Warum sollten nicht wilde Horden sengend und plündernd durch die Lande ziehen wie in einem Hollywoodfilm?
Tatsächlich sind die Verhältnisse so, dass die extreme Rechte wie auch die "extreme Linke" [die KPRF hat mit einigen Vertretern an dieser Konferenz teilgenommen] nur Werkzeuge in der Hand der russischen Rechtsliberalen sind, die sie zynisch für ihre Zwecke benutzen im Bewusstsein, dass keine von beiden Aussichten hat, an die Macht zu kommen. Keine verfügt über ein strukturiertes Programm – höchstens über ein paar Utopien und hölzerne Losungen. Der Ideologe der "Vereinigten Opposition", Stanislaw Belkowski, verkündete klipp und klar auf dem Forum Drugaja Rossija: das Ziel ihrer Aktivität sei die Bewahrung des Status quo. Die Gesellschaft soll bleiben wie sie ist. Mit Putin ist man eher deshalb unzufrieden, weil er manchmal unverantwortlich und leichtsinnig agiert und damit unnötig Krisen heraufbeschwört. Sein unprofessioneller Kampf um Stabilisierung störe nur.
In den Augen der Ultra-Liberalen sind die extreme Rechte und die "extreme Linke" nicht mehr als Landsknechte, auf eigene Faust agierende Söldner, deren Aufgabe es ist, vor laufenden Kameras die Sicherheitskräfte herauszufordern und Opfer eines blutigen Regimes zu werden – je mehr Verhaftungen und Anarchie sie provozieren, desto besser. Sie sind Katalysatoren vorgetäuschter Krisen, die wie Raketen abgeschossen werden müssen, bis in der Gesellschaft eine wahre Opposition herangereift ist.

Genuine Opposition

Daran gemessen stellte die Linke, die auf dem Russischen Sozialforum versammelt war, eine genuine Opposition dar: demokratisch, zukunftsorientiert und dem Schutz der sozialen Rechte verpflichtet. Doch das Forum war überraschend schwach besucht. Sein größter Erfolg war die Medienaufmerksamkeit, die es auf sich ziehen konnte.
Die liberale Presse ließ keine Gelegenheit aus, die Verhaftungen und die Wortführer des Forums hervorzuheben, unterließ dabei aber peinlich jeden Bezug auf ihre tatsächliche Aktivität. Die hilflosen und nutzlosen Versuche, am 15.Juli eine Polizeiblockade zu durchbrechen, konnte nur den Sinn haben, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf einen weiteren Krawall zu richten. Die Vertreter der sozialen Bewegungen, die sich bis nach St.Petersburg durchschlagen konnten, waren empört: Sie sollten – ohne ihr Wissen und Zutun – der "Vereinigten Opposition" zugeschlagen werden!
Dennoch hatte das Russische Sozialforum auch ein positives Ergebnis. Drei Tage lang sprach das ganze Land davon. Bis vor kurzem glaubte ein großer Teil der Bevölkerung, die KPRF wäre die einzige Opposition im Land. Jetzt haben die Leute entdeckt, dass es auch eine linke Opposition gibt. Einige waren von ihren Ideen sogar angetan.
Der sonstige Misserfolg des Forums wird Anstoß sein für eine politische und organisatorische Restrukturierung auf der Linken. Jetzt versteht jeder, dass die Linke eine reale Chance hat, zu einer funktionierenden politischen Kraft zu werden. Noch errichtet die Linke eigenhändig Hindernisse auf diesem Weg: sie agiert kindisch, desorganisiert, ist scharf auf den billigen Erfolg und auf Selbstdarstellung. Das mag für Leute des Schlages von Limonow taugen, aber nicht für Menschen, die reale gesellschaftliche Veränderungen und dafür die Unterstützung der Massen wollen.
Es gibt eine Massenbewegung in Russland, ohne Zweifel, die findet man aber nicht auf kleinen Versammlungen und Minidemonstrationen. Zum selben Zeitpunkt als der Gegengipfel organisiert wurde, hat die Allrussische Konföderation der Arbeit die freien Gewerkschaften im Automobilsektor zu einer einzigen Organisation zusammengebunden. In der Nahrungsmittelindustrie sind ähnliche Bestrebungen im Gange, in anderen Bereichen ebenso. Dies sind die ersten Anzeichen einer wirklichen linken Bewegung. Viele Teilnehmer des Sozialforums, auch solche, die in St.Petersburg leben, haben von ihrer Existenz nicht einmal Notiz genommen.
Große Ereignisse werfen ihre Schatten nicht immer voraus.

(Boris Kagarlitzki ist Direktor des Instituts für Globalisierungsstudien)


16-09-2006, 15:14:00 |Boris Kagarlitzki