Palästina vor einem Bürgerkrieg?
Michel Warschawski
Die USA und Israel versuchen, den Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas (Fatah), gegen den Ministerpräsidenten, Ismael Haniyah (Hamas), zu stärken. Infolgedessen werden die innerpalästinensischen Zusammenstöße zahlreicher, die Gefahr eines Bürgerkrieges wächst.
11.05.2007
"Man muss Abu Mazen [Mahmud Abbas] stärken!" So lautet die neue Losung,
die in der israelischen Politik an die Stelle einer Strategie tritt.
Von Condoleezza Rice während des Besuchs von Israels Ministerpräsident
Olmert in Washington vor zwei Monaten geprägt, wurde die Parole von den
israelischen Politikern einhellig akzeptiert, wie es sich gehört, wenn
das Empire spricht. Eine Sache ist allerdings zu sagen: "Jawohl,
Chef!", eine andere, diese Losung mit Inhalt zu füllen.
Bislang wurde die "Stärkung Abu Mazens" mit einem kräftigen Kuss
abgeschlossen, gefolgt von einem Abendessen in der Residenz Olmerts und
einem Scheck von mehreren hundert Millionen US-Dollar. Der Kuss hat den
palästinensischen Präsidenten in eine schwierige Lage gebracht, die
Mahlzeit war nicht toll und die Dollars... gehören sowieso den
PalästinenserInnen und wurden illegal in der israelischen Staatskasse
einbehalten.
Nicht einmal die Freilassung einiger hundert palästinensischer
Gefangener gestand der israelische Ministerpräsident zu — die einzige
Maßnahme, die von den PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten
geschätzt würde. Dadurch verwandelte er den in den Medien verbreiteten
Kuss in eine für den palästinensischen Präsidenten kompromittierende
Umarmung. Dessen Image ist schon genug diskreditiert und bedarf nicht
auch noch heuchlerischer Freundschaftsbezeugungen; gar mancher Aktivist
in seiner Partei beschuldigt ihn, wenn nicht ein Kollaborateur, so doch
zumindest eine Marionette in den Händen der US-Amerikaner zu sein.
Abu Mazen soll gestärkt werden, um die Hamas-Regierung zu schwächen,
die von der Mehrheit der PalästinenserInnen gewählt wurde und von ihr
immer noch unterstützt wird. Dazu müsste man dem palästinensischen Volk
zeigen, dass Abu Mazen im Gegensatz zur Hamas erreichen kann, dass der
Siedlungsbau eingefroren wird und rasche und effektive Verhandlungen
mit Israel das Ende einer 40-jährigen Besatzung einläuten. Aber das ist
offensichtlich nicht Teil des Programms von Ehud Olmert und Amir Peretz
und ihrer Regierung der nationalen Einheit.
Wie kann man hoffen, Abu Mazen zu stärken, wenn der Siedlungsbau
beschleunigt fortgesetzt und, anders als in der Ära Sharon, der
Ministerpräsident und sein Verteidigungsminister von der Arbeitspartei
sich gerade damit brüsten, dass eine Siedlung im Jordantal wieder
aufgebaut werden soll? Diese Ankündigung hat sogar den Zorn des
US-Außenministeriums geweckt, das um jeden Preis den Eindruck erwecken
will, dass die israelisch- palästinensischen Beziehungen, wenn sie sich
schon nicht verbessern, sich wenigstens auch nicht verschlechtern.
Wie kann man Abu Mazen stärken, wenn man ihm einige hundert Millionen
US-Dollar bewilligt, während man den Ministerpräsidenten Ismael Haniyah
daran hindert, mehrere Milliarden US -Dollar einzunehmen, die der Iran
der palästinensischen Autonomiebehörde kürzlich gespendet hat? Nur wenn
man will, dass Mahmud Abbas in den Augen seines eigenen Volkes als
Kollaborateur betrachtet wird, verhält man sich so. Aber das Schlimmste
ist, dass die Israelis das gar nicht wollen und nur aus kolonialer
Blindheit einem den Todeskuss geben, den sie stärken wollen, ohne dass
es sie etwas kosten soll.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist es unmöglich, Abu Mazen zu
stärken und dadurch die Hamas zu schwächen. Deshalb bevorzugen einige,
die dem US-Präsidenten und der CIA bzw. dem israelischen Geheimdienst
nahestehen, die algerische Methode von 1992. Diese bestand darin,
gewaltsam eine legitime Regierung zu stürzen, selbst auf die Gefahr
hin, damit einen Bürgerkrieg zu entfachen. Das bildet den Hintergrund
für die blutigen Zusammenstöße der letzten Wochen in Gaza zwischen
Aktivisten der Fatah und der Hamas. Die Fatah trägt dafür die ganze
Verantwortung. Die Fatah oder vielmehr der Flügel der Fatah, den man
die "algerische Strömung" nennt, wird von Washington und Tel Aviv
angestachelt und ist bereit, sich mit der Hamas zu schlagen, um wieder
an Macht und Pfründe zu gelangen.
Wie der Fall Algerien gezeigt hat, können solche Manöver nur die
Popularität der Hamas stärken, zumal die angeblichen Verfechter der
Demokratie und des Laizismus, die wie Muhammad Dahlan, der frühere
Sicherheitschef von Gaza, davon träumen, sich mit der legitimen
Regierung ein Gefecht zu liefern, eher ein anrüchiges Image haben,
während die Hamas neben ihnen in einem günstigeren Licht erscheint, da
niemand ihr Untreue oder Korruption vorwerfen kann.
Yasser Arafat wird in die Geschichte als derjenige eingehen, der bereit
war, seine Freiheit zu opfern, um einen Bruderkrieg unter den
Palästinensern zu verhindern und sich dem gemeinsam von Tel Aviv und
Washington ausgeübten Druck zu widersetzen. Mahmud Abbas hat weder das
Format noch das Prestige des PLO-Gründers. Und selbst wenn es ungerecht
wäre ihm vorzuwerfen, den Bürgerkrieg zu schüren, so versucht er doch
das Weiße Haus zufriedenzustellen, indem er die rechtmäßige Regierung
destabilisiert und ihr ein Regiment aufzwingt, das genau denen ein
Vetorecht einräumen würde, die die WählerInnen mit ihrer Wahl abstrafen
wollten.
Die verfassungsmäßige Lage schafft faktisch eine Doppelmacht — die der
Gesetzgebenden Versammlung und die des Präsidenten, beide sind in
allgemeiner Wahl gewählt. Das verleiht den Manövern von Präsident Abbas
einen legalen Anstrich. Aber in den Augen der Mehrheit der
PalästinenserInnen haben sie den schlechten Geruch von Zugeständnissen
an Bush und Olmert.
(Übersetzung aus dem Französischen: Hans-Günter Mull)
23-02-2007, 20:34:00 |Michrel Warshawsky (Jerusalem)