Naher Osten: Israelische Krokodilstränen
Die Verwandlung des Gazastreifens in ein "Hamastan" hat eine Situation geschaffen, auf die unsere Führer nicht vorbereitet waren. Was muss jetzt getan werden? Den Gazastreifen völlig abschneiden und die Menschen dort verhungern lassen? Mit der Hamas Kontakt aufnehmen? Den Gazastreifen noch einmal besetzen - nun, wo es zu einer großen Panzerfalle geworden ist? Die UN zu bitten, dort eine internationale Truppe zu stationieren und wenn ja, welches Land wäre so wahnsinnig, seine Soldaten in diese Hölle zu senden? Uri Avnery zur Situation im Gaza.
25.06.2007
Unsere Regierung hat jahrelang daran gearbeitet, die Fatah zu zerstören, um über kein Abkommen verhandeln zu müssen, das zum Rückzug aus den besetzten Gebieten und zur Auflösung der Siedlungen dort führen würde. Jetzt, wo genau dieses Ziel scheinbar erreicht worden ist, haben sie keine Idee, wie man sich gegenüber dem Hamassieg verhalten soll. Sie beruhigen sich mit dem Gedanken, dass dies in der Westbank nicht geschehen würde. Dort herrscht die Fatah. Dort hat die Hamas keinen Rückhalt. Dort hat unsere Armee schon die meisten politischen Hamasführer verhaftet. Dort ist Abbas noch an der Macht.
So reden Generäle mit der Logik der Generäle. Aber auch in der Westbank hat die Hamas bei den letzten Wahlen die Mehrheit der Stimmen erhalten. Auch dort ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Bevölkerung ihre Geduld verliert. Sie sieht die Expansion der Siedlungen, die Mauer, erlebt die Überfälle unserer Armee, die gezielten Tötungen, die täglichen Verhaftungen. Sie wird explodieren. Die auf einander folgenden israelischen Regierungen haben die Fatah systematisch zerstört, ständig Abbas’ Autorität beschnitten und für die Hamas den Weg gepflastert. Nun vergießen sie Krokodilstränen.
WAS SOLLTE nun getan werden? Soll Abbas boykottiert werden oder soll man ihn mit Waffen ausrüsten, um ihn in die Lage zu versetzen für uns gegen die Hamas zu kämpfen? Soll man ihn auch weiterhin daran hindern, irgendein politisches Ziel zu erreichen oder ihm wenigstens ein paar Brosamen hinwerfen? Und wenn ja ist es nicht viel zu spät? (Und an der syrischen Front: weiter Lippenbekenntnisse abgeben und alle Bemühungen Bashar Assads, mit Verhandlungen zu beginnen, sabotieren? Im Geheimen verhandeln, trotz amerikanischer Einwände? Oder weiterhin einfach gar nichts tun?) Im Augenblick gibt es keine Politik und keine Regierung, die politische Entscheidungen trifft. Wer wird uns also retten? Ehud Barak?
Baraks Sieg bei den Vorwahlen der Laborpartei hat ihn fast automatisch zum nächsten Verteidigungsminister gemacht. Seine starke Persönlichkeit und seine Erfahrung als Generalsstabschef und Ministerpräsident sichert ihm eine beherrschende Position in der neu aufgestellten Regierung. Olmert wird sich mit Angelegenheiten befassen, in denen er unübertrefflich ist in Parteiintrigen. Aber Barak wird einen entscheidenden Einfluss auf die Politik haben.
In den Regierungen der beiden Ehuds, wird Ehud Barak über Krieg und Frieden entscheiden. Bis jetzt hatten praktisch all seine Entscheidungen negative Ergebnisse. Er hatte mit Assad dem Älteren schon fast ein Abkommen erreicht und im letzten Augenblick wieder aufgegeben. Er hat die israelische Armee aus dem Südlibanon herausgezogen, ohne mit der Hisbollah zu reden, die dann den Südlibanon übernahm. Er zwang Arafat nach Camp David zu kommen, beleidigte ihn dort in schlimmster Manier und erklärte schließlich, wir hätten keinen Partner für den Frieden. Dies bedeutete den Todesschlag für jegliche Friedensaussichten ein Schlag von dem die israelische Gesellschaft noch immer wie gelähmt ist. Er rühmte sich, seine wirkliche Absicht sei die gewesen, Arafat zu entlarven. Er war eher ein gescheiterter Napoleon als ein israelischer de Gaulle. Wird ein Äthiopier seine Haut, ein Leopard seine Flecken ändern? Wohl kaum.
IN WILLIAM Shakespeares Dramen gibt es häufig in spannenden Momenten ein komisches Zwischenspiel. Und nicht nur dort. Shimon Peres, der Person, die in 55 Jahren politischer Tätigkeit bei keiner Wahl gewonnen hat, gelang in dieser Woche Unmögliches: Er wurde zum Präsidenten Israels gewählt.
Vor vielen Jahren schrieb ich einen Artikel mit der Überschrift: “Herr Sisyphus”, weil er immer wieder fast die Schwelle des Erfolgs erreicht hatte doch der Erfolg blieb aus. Nun hat er das Urteil der Götter durchbrochen und den Gipfel erreicht - aber leider ohne den Felsblock. Das Amt des Präsidenten ist ohne Inhalt und ohne Zuständigkeit. Ein nichts sagender Politiker hat eine nichts sagende Position gewonnen.
Nun erwartet jeder im Präsidentenpalast einen Wirbel von Aktivitäten. Da wird es sicher Friedenskonferenzen, Treffen von hoch stehenden Persönlichkeiten, hochtönende Erklärungen und erhabene Pläne geben. Kurz viel Lärm um nichts. Das tatsächliche Ergebnis ist, dass Olmerts Position gestärkt worden ist. Ihm gelang es, Peres ins Amt des Präsidenten zu hieven und Barak ins Verteidigungsministerium. Für die nächste Zukunft ist Olmerts Position gesichert. Und in der Zwischenzeit läuft das Experiment im Gazastreifen weiter, Hamas übernimmt die Macht, und das Trio Ehud 1 und Ehud 2 und Shimon Peres vergießt Krokodilstränen.
Uri Avnery
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)
http://www.uri-avnery.de
erstellt am 16.06.2007