Linke in schweren Wassern – Rifondazione und das Regierungsprogramm
Salvatore Cannavò
Italien wird von einem Mitte-Links-Bündnis unter der Führung Romano Prodis regiert, dem auch Rifondazione Comunista angehört. Unter dem gemeinsamen Dach leben jetzt Seelen, die nicht zueinander passen.
25.04.2007
Das Mitte-Links-Bündnis namens Unione fußt auf einem politischen
Abkommen, das die Grundlage für das Regierungsprogramm abgibt. Seine
Hauptorientierung ist wirtschaftsliberal zu nennen – Rifondazione
konnte nur an wenigen Stellen mäßigend wirken, die Gesamtrichtung aber
nicht umkehren. Die sozialliberalen und bürgerlichen Kräfte
(Linksdemokraten und Margerite) geben in der Koalition den Ton an.
Das Regierungsprogramm unterstützt den Stabilitätspakt und die
Strategie von Lissabon – seine europapolitische Dimension steht in
Kontinuität zu den Grundzügen der Politik, die die Kommission Prodi von
1999 bis 2004 vertreten hat. Ausdrücklich sind weitere Maßnahmen zur
Privatisierung und Deregulierung der Wirtschaft vorgesehen. Die
schlimmsten Gesetze der Regierung Berlusconi – Aushebelung des
Kündigungsschutzes, Schulreform u.ä. – werden nicht zurückgenommen –
weder auf diesem noch auf anderen Gebieten.
Prodi hat angekündigt, die Lohnnebenkosten weiter senken zu wollen. Der
Druck in diese Richtung wird dadurch verschärft, dass die Regierung
Berlusconi ihrer Nachfolgerin eine hohe Schuldenlast hinterlassen hat.
2005 betrug das Haushaltsdefizit 4,3% (3% sind zulässig nach dem
Stabilitätspakt), in 2006 sollte es auf 3,5% zurückgefahren werden. In
einem Kommentar zu dem Haushalt 2006, der noch von der
Vorgängerregierung vorgelegt wurde, mahnte die EU-Kommission Mitte Juni
jedoch an, mit dem vorgelegten Haushalt werde das Ziel nicht erreicht
werden können – das Defizit werde erneut auf 4,1% steigen, das
entspricht einem zusätzlichen Haushaltsloch von 10 Milliarden Euro.
Jeder Prozentpunkt Defizit wiegt 13 Milliarden Euro. Der neue
Finanzminister, Paolo Schioppa, hat deshalb einen Nachtragshaushalt
angekündigt, der den Hebel zur Haushaltssanierung vor allem bei den
öffentlichen Gesundheitsausgaben ansetzen will. Ganz wie bei Hans
Eichel bilden Sparpolitik und Einhaltung der Maastricht-Kriterien die
obersten Leitlinien der Wirtschaftspolitik der neuen Regierung.
In der Außenpolitik fordert sie – nach Absprache mit der irakischen
Regierung – den Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak – besser
gesagt: die Ersetzung der militärischen durch eine zivile Mission. Sie
spricht sich zugleich deutlich für das atlantische Bündnis mit den USA
aus und für den Aufbau einer EU- Armee als Gegengewicht zur
militärischen Kraft Washingtons. Um die Zuverlässigkeit Italiens als
außenpolitischer Bündnispartner zu unterstreichen, hat Außenminister
D‘Alema vorgeschlagen, den Rückzug aus dem Irak durch ein verstärktes
militärisches Engagement in Afghanistan zu kompensieren.
Nachdem der italienische Bankensektor seit den 90er Jahren tiefgehend
umstrukturiert und für ausländisches Kapital geöffnet worden ist, soll
dasselbe nun auch mit dem Industriesektor geschehen, um ihn
international konkurrenzfähig zu machen. Der Unternehmerverband
Confindustria fordert mehr Hilfen für die Unternehmen, eine noch
stärkere Senkung der Lohnkosten, noch mehr Flexibilität in den
Betrieben, mehr Konkurrenz. Die Regierung unterstützt diese Forderungen
und will die Gewerkschaften über eine Art "Bündnis für Arbeit" in
diesen Prozess einbinden. Dafür stellt sie in Aussicht, Gewinne, die
nicht investiert werden, stärker zu besteuern. Sie unterstützt auch die
Bolkesteinrichtlinie.
Wadelbeißer
Dass Rifondazione ein so eindeutig wirtschaftsliberales Programm
unterschreibt, ist Ausdruck einer politischen Kehrtwende. Die Jahre, in
denen die Parteiführung den Schulterschluss mit den sozialen Bewegungen
gesucht hat, sind vorbei, nun sucht sie das Bündnis mit der europäisch
gesinnten Fraktion des italienischen Unternehmertums. Allerdings geht
dieser Prozess unter vielen Windungen und Verrenkungen vor sich und
sein Ausgang ist durchaus offen. Denn Rifondazione steht auch massiv
unter Beschuss – von seiten der Rechten (Parteien, italienische
Bischofskonferenz, Confindustria) wie auch innerhalb der Unione selbst.
Die bürgerliche Mehrheit in der Unione hat Rifondazione scharf wegen
ihrer Unterstützung für die Bewegung gegen den Hochgeschwindigkeitszug
durch das piemontesische Tal Val di Susa, aber auch der Friedens- und
der globalisierungskritischen Bewegung angegriffen. Äußerungen
führender Vertreter der Unione zur Homoehe und zur Abtreibung haben
noch vor der Wahl fast die gesamte Homosexuellenbewegung und die
Frauenbewegung gegen sie aufgebracht. Die Organisation Arcilesbica hat
deshalb einen Wahlaufruf für die Unione abgelehnt. In dieselbe
Schublade gehört, dass Rifondazione auf Druck der bürgerlichen
Bündnispartner Marco Ferrando von der Kandidatenliste gestrichen hat
(er gehört zur Strömung Progetto Comunista in Rifondazione).
Nach den Wahlen konzentriert sich das Sperrfeuer der Medien vor allem
gegen herausragende Vertreter von Rifondazione wie Fausto Bertinotti
(Parlamentspräsident) oder Gennaro Migliore (Fraktionschef von
Rifondazione in der Kammer). Stein des Anstoßes: die Teilnahme an einer
Friedensdemo am 2.Juni, die Ablehnung von Sondergefängnissen für
Flüchtlinge usw. Hier ist eine regelrechte Hetzkampagne im Gang, die
sich nicht allein gegen Rifondazione richtet, sondern auch gegen
soziale Bewegungen, vorrangig gegen die Gewerkschaft CGIL (siehe
Kommentar auf dieser Seite).
Was macht die Linke?
Mit der Regierungsbeteiligung von Rifondazione eröffnet sich für die
antikapitalistische Linke in Italien eine neue Phase. Anders als
Bertinotti selbst noch zu Beginn der Verhandlungen um ein Wahlbündnis
gefordert hatte, ist mit dem Wechsel zur Regierung Prodi nicht auch ein
Politikwechsel verbunden – sie bleibt im Rahmen des neoliberalen
Grundkonsenses, den sie nur anders ausgestaltet. Die wesentliche
Aufgabe, die sich einer linken Partei heute stellt, wird in einem
solchen Rahmen verfehlt: nämlich die Wiederbelebung und Stärkung der
Rolle der lohnabhängigen Klasse (im breiten Wortsinn) als
eigenständiger und unabhängiger Akteur einer gesellschaftlichen
Alternative – auf dem Weg einer umfassenden Demokratisierung der
Gesellschaft und der Politik. Diese Aufgabe kann nicht in Gemeinschaft
mit denen gelöst werden, die durch eine neoliberale Politik alles dafür
tun, eben dieses Subjekt zu zerstören.
Die linken Strömungen innerhalb von Rifondazione fordern deshalb
weiterhin, dass die Partei aus der Regierung austritt und sie dort, wo
es möglich ist, von außen unterstützt. Eine von ihnen, Sinistra
Critica, schreibt in einem Antrag an den Parteivorstand von
Rifondazione vom 22.April dieses Jahres (er erhielt 13 Stimmen): "Wir
denken, dass die Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung der PRC
heute nicht gegeben sind, weder inhaltlich noch vom Charakter der
Regierungskoalition her."
Die Strömung fordert als erste Maßnahmen einer neuen Regierung den
sofortigen Truppenabzug aus dem Irak und aus Afghanistan und die
Aufhebung verschiedener Berlusconi-Gesetze: namentlich das zum
Kündigungsschutz, zur Schulreform, zur Ausländerpolitik, die Ablehnung
weiterer Privatisierungen und Deregulierungen und eine Anhebung der
Löhne. Sinistra critica fordert eine Autonomie der Partei gegenüber der
Regierung und eine Hinwendung zum gesellschaftlichen Widerstand, den es
aus einer Position gestärkter parlamentarischer Präsenz heraus zu
unterstützen gilt.
Sinistra Critica hat begonnen, ein eigenes "Programmatisches Manifest
für eine antikapitalistische Linke" auszuarbeiten. Sein Ziel ist der
Kampf um die Partei. Es wurde Mitte Mai auf einer nationalen Konferenz
der Linken in Rifondazione diskutiert. Sie fordert auch eine
Parteireform, in deren Mittelpunkt eine kollektive Parteiführung sowie
die Trennung von Amt und Mandat stehen soll.
Salvatore
Cannavò ist stellvertretender Chefredakteur von Liberazione, der
Tageszeitung der PRC, und Mitglied der Nationalen Leitung von
Rifondazione. Er wurde bei den letzten Parlamentswahlen in die Kammer
gewählt. (Übersetzung: Angela Klein)
03-07-2006, 18:55:00 |Salvatore Cannavò