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Lateinamerika: Der gespaltene Kontinent

Zwischen dem 17. und dem 19. April fand in Trinidad und Tobago das fünfte panamerikanische Treffen statt. Oberflächlich betrachtet hatte es im Vergleich zu dem letzten Treffen 2005 in Mar del Plata in Argentinien einen eher versöhnlichen Charakter. Aber auf der anderen Seite zeigte es auch die Spaltung des südamerikanischen Kontinents.

21.05.2009

Die in allen Medien präsentierte „Sensation“ war der Händedruck zwischen dem venezolanischen Präsidenten Chavez und dem amerikanischen Präsidenten Obama. Wie der brasilianische Präsident Lula da Silva in einem Interview verlautete, hatte er Chavez dazu geraten. Letzterer bewies auch seinen guten Willen, indem er die diplomatischen Beziehungen zu den USA, die seit der Ausweisung des US-Botschafters im Jahr 2008 eingefroren waren, wieder aufnahm. Obama seinerseits suchte das Gespräch mit den Präsidenten der Länder, mit denen die Beziehungen der USA derzeit gespannt sind, so mit denen von Bolivien und Nicaragua.
Neue Umarmungsstrategie?
Obama beteuerte in mehreren Interviews, dass er an besseren Beziehungen mit den südamerikanischen Staaten interessiert sei, und dass auch „Überlegungen“ angestellt würden, wie die Beziehungen zu Kuba normalisiert werden könnten. An letzterem Punkt schieden sich dann allerdings die Geister: Weil die amerikanische Administration unter Rücksicht auf die Republikaner im Parlament, so jedenfalls die offiziöse Begründung, keinerlei Anstalten macht, das seit fast 50 Jahren bestehende Embargo gegen Kuba aufzuheben, verweigerten insgesamt fünf Präsidenten ihre Unterschrift unter die geplante Abschlusserklärung: die Staaten des ALBA und der Präsident von Ecuador. Der Gastgeber, Präsident Manning von Trinidad und Tobago, löste das Problem kurzerhand dadurch, dass er die Erklärung alleine unterschrieb.
Verschiedene Analyst­Innen sind deshalb auch skeptisch, ob das Auftreten Obamas tatsächlich eine grundsätzliche Änderung der US-Politik gegenüber Lateinamerika bedeutet oder ob es sich um eine taktische Reaktion angesichts der wirtschaftlichen Probleme handelt. Der nordamerikanische Kuba-Spezialist und ehemalige Diplomat Wayne Smith, der sowohl für John F. Kennedy wie für Jimmy Carter arbeitete, äußerte sich jedenfalls in einem Interview mit der argentinischen Zeitung Pagina 12 skeptisch. Er sagte wörtlich: „Obama hat in seiner Wahlkampagne sehr viele Änderungen versprochen. Aber ich glaube nicht, dass wir sie sehen werden, auch wenn die Opposition gegen die Blockade gegen Kuba in den USA selber größer wird“.
Das ALBA-Treffen
Wenn man sich die Äußerungen von Venezuelas Präsident Hugo Chavez ansieht, dann muss man allerdings auch sagen, dass ein Kompromiss mit der amerikanischen Administration, was die Wirtschaftspolitik betrifft, wohl kaum möglich erscheint.  Direkt vor dem panamerikanischen Treffen fand nämlich das Treffen der Bolivarianischen Initiative für unser Amerika (ALBA) statt. Die Erklärung, die Venezuelas Präsident Hugo Chavez vor den anwesenden Vertretern aus Kuba, Nicaragua, Honduras, Bolivien und Dominica sowie Paraguay und Ecuador verlas, und die sich direkt an den danach stattfindenden Gipfel in Trinidad richtete, hatte es in sich: Zuerst einmal wurde in ihr festgestellt, dass der Entwurf der Abschlussresolution für Trinidad weder irgendwelche Antworten auf die Wirtschaftskrise enthalte, noch den in Lateinamerika vorherrschenden Konsens betreffend die notwendige Aufhebung der US-amerikanischen Blockade gegenüber Kuba beinhalte. Im Anschluss daran werden eine Reihe von Thesen formuliert, die als Alternative zur Abschlusserklärung von Trinidad gedacht sind. Unter anderem heißt es: „Der Kapitalismus zerstört die Menschheit und den Planeten. Was wir erleben, ist eine globale ökonomische Krise von systemischem und strukturellem Charakter und nicht eine weitere zyklische Krise“. Diese Krise sei „grundlegender Bestandteil des kapitalistischen Systems, das mit allen Gütern spekuliert, um den größtmöglichen Profit zu generieren“. Und was die Umweltkrise betrifft, so formuliert die Erklärung, dass diese ebenfalls durch das kapitalistische System provoziert worden sei, da es die Lebensbedingungen auf dem Planeten der Vorherrschaft des Marktes und des Profits unterworfen habe.

Weiter steht in der Erklärung zu lesen: „Die grundlegenden Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wasser, Energie und Telekommunikation müssen zu Menschenrechten erklärt werden und dürfen nicht Gegenstand privater Geschäfte sein oder von der Welthandelsorganisation gehandelt werden“.

Als Fazit wird festgestellt: „Die weltweite Wirtschaftskrise, die durch den Klimawandel hervorgerufene Krise, die Lebensmittel- und die Energiekrise sind Produkte des niedergehenden Kapitalismus, der droht, die Existenz des Lebens und des Planeten zu vernichten. Um das zu verhindern, ist es nötig, ein alternatives Modell zum kapitalistischen System zu entwickeln. Ein System der Solidarität und nicht der Konkurrenz“. Kritisiert wurden von den Mitgliedsstaaten auf dem Treffen auch die Entscheidungen des G 20-Gipfels, insbesondere die Aufstockung der Mittel für den Internationalen Währungsfonds. Institutionen wie IWF, Weltbank und WTO müssten grundlegend umgestaltet werden, da es unter anderem ihre Politik gewesen sei, die in diese Krise geführt habe
Zwei Lager?
Oberflächlich betrachtet, so wie es auch die bürgerlichen Journalist­Innen darstellen, haben wir es in Lateinamerika mit zwei Lagern zu tun: zum einen die Gruppe um Venezuela, repräsentiert durch den ALBA, zum anderen die Gruppe von Ländern, die weiterhin auf eine kapitalistische Wachstumspolitik setzt, repräsentiert durch Brasilien. Aber so einfach ist die Lage nicht. In keinem der Länder, in den in den letzten Jahren progressive Regierungen an die Macht kamen, sind die Machtverhältnisse eindeutig. Boliviens Präsident Morales musste soeben zu dem eher ungewöhnlichen Mittel eines Hungerstreiks greifen, um das neue Wahlgesetz durchzubringen, und sein Land steht am Rande einer Sezession. Andererseits gibt es auch in konservativ regierten Ländern wie Peru und Argentinien breiten Widerstand gegen die Politik der herrschenden Rechten. In Kolumbien wiederum geht die von den USA gestützte Politik der offenen Gewalt gegen die Linke ungebremst weiter.

Brasiliens Präsident Lula setzt weiter auf den Agroexport, denkt nicht daran, eine echte Landreform durchzuführen und angesichts seiner Wirtschaftspolitik gewinnt die bereits in den sechziger Jahren aufgestellte These von einem innerlateinamerikanischen brasilianischen Subimperialismus neue Aktualität. Es sei nur an die Politik der brasilianischen Ölgesellschaft Petrobras gegenüber Bolivien und auch Ecuador erinnert oder an die Auseinandersetzung über das Wasserkraftwerk von Itaipu mit Paraguay.

Die Spaltung geht quer durch alle Länder des Subkontinents, aber die Kräfteverhältnisse sind höchst unterschiedlich. Entschieden werden wird die Auseinandersetzung zwischen den Kräften in Lateinamerika, die auf eine Alternative zum Kapitalismus setzen und den Anhänger­Innen einer mit den USA (oder der Europäischen Union) verbundenen kapitalistischen Regionalwirtschaft nicht auf Treffen wie in Trinidad und Tobago. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die von der auch Lateinamerika hart treffenden Wirtschaftskrise gebeutelte Masse der armen Bevölkerung für eine Alternative zu mobilisieren. Und das Potenzial dafür existiert – nicht nur in den ALBA-Ländern.

Thadeus Pato, 1.5.2009
(Quelle: avanti)