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Kopenhagen: Die Zerstörung des Ungdomshuset

Alfred Lang

Das autonome Ungdomshuset in Kopenhagen wurde am Montag, den 5. März 2007 von gewerkschaftlich unorganisierten, maskierten Arbeitern abgerissen. Damit verlor das grosse alternative Jugendmilieu das zur Zeit einzige selbstverwaltete Kulturzentrum in Dänemark.

11.05.2007

Diese Entwicklung zeichnete sich bereits vor Monaten ab, als es klar wurde, dass die Mehrheit des Kopenhagener Stadtrates unter Führung der Sozialdemokraten, im Falle einer konfrontativen Räumung des Ungdomshuset, die Gunst ihrer StammwählerInnen nicht verlieren würden.
Es ist nicht das erste mal innerhalb der letzten 20 Jahre, dass sich die Sozialdemokraten in Konkurrenz zur politischen Rechten als autoritäre Ordnungsmacht profilieren. Die rücksichtslose Sanierungs - und Kommerzialisierungspolitik der drei sozialdemokratischen Kopenhagener Oberbürgermeistern in dieser Zeit, führte immer wieder zu heftigen Protesten von Seiten der  betroffenen Teile der Bevölkerung. Meistens sorgten dann polizeiliche Unterdrückungsmassnahmen für die Durchsetzung der sozialdemokratischen Stadtpolitik.
Für viele ältere Kopenhagener hat sich ein regulärer Volksaufstand anfangs der 80er Jahre im Stadtteil Nørrebro ins Gedächtnis  gebrannt. Der Grund dafür waren sozialdemokratischen Abrisspläne eines im Kiez gelegenen riesengrossen Abenteuerspielplatzes, der die einzige Entfaltungsmöglichkeit von hunderten, meist  mittellosen Kinder darstellte. Die heftigen Proteste von zehntausend DemonstrantInnen konnte nur durch einen dreitägigen polizeilichen Ausnahmezustand im Zentrum Nörrebros eingedämmt werden. Zweihundert Protestierende aller sozialen Schichten, wurden dabei verhaftet. Rund 40 DemonstrantInnen - darunter der Verfasser dieses Artikels - wurden anschliessend zu monatenlangen Knastaufenthalt verurteilt.
Im Laufe der 80`Jahre folgten zahlreiche paramilitärische Operationen gegen die umsichgreifende, grosse Kopenhagener Jugendszene rund um die Häuserinstandbesetzerbewegung und deren politisch autonomen Ausläufer. Die Sozialdemokraten versuchten damals vergebens die Bewegung bereits in den Anfängen zu spalten und einzudämmen. Der frühere Kopenhagener Oberbürgermeister Egon Weidekamp versuchte dies mit einer formalen, permanenten Übergabe des damaligen besetzten Ungsdomshuset, an die Häuserbewegung im Oktober 1982. Die Bewegung weitete sich trotzdem rasant aus und wurde unter Regieführung der sozialdemokratischen Rathausmehrheit regulär von paramilitären Polizeieinsatzkräften im Laufe der 80`er Jahre buchstäblich aus jeden einzelnen Häuser herausgekämpft.

Weltweit bekannt wurde eine Protestdemonstration der autonomen, linksradikalen Szene gegen die Aberkennung eines Volksentscheids der sich gegen ein EU-Traktat aussprach, durch die damalige sozialdemokratische Regierung. Hier attackierte eine rabiaten Polizeieinheit die DemonstrantInnen mit scharfer Munition.Die Polizei gab 200 Schüsse in die sich auf den Rückzug befindliche Demonstration ab und verletzte dabei neun DemonstrantInnen.Einige erheblich.
Die Bilanz einer verfehlten sozialdemokratischer Kommunalpolitik in der dänischen Haupstadt ist verheerend. So werden die politischen Entscheidungen regelmässig mit Hilfe der Polizei gegen die Proteste der Betroffenen und deren Symphatisanten gewaltsam durchgedrückt.

Die jetzige Oberbürgermeisterin Kopenhagens, Ritt Bjerregaard - eine Frau des sozialdemokratischen Parteiestablishment, befindet sich gut verankert in dieser autoritären politischen Tradition. Problemlos hätte sie den Betrug ihrer Partei, die das Ungdomshuset vor sechs Jahren klammheimlich und korruptionsverdächtig billig, an eine Strohfirma der fundamentalistischen "Vaterhaus"- Sekte vekaufte, wieder ausgleichen können. Sie hätte nur eines der zahlreichen leerstehenden kommunalen Gebäude in der Hauptstadt an die JugenhausaktivistInnen bedingungslos übergeben brauchen. Dafür hätte die Stadt  von einem Gewerkschaftsfond, unabhängig von den UngdomshusaktivistInnen, 12 Millionen DKr (1,5 Millionen euro) einkassieren können.... Anstellte dessen, ignorierte sie diese Lösung und stellte  provokative Kaufansprüche und verschiedene entmündigende  Kontrollbedingungen an die JugenhausaktivistInnen.

Aus "prinzipiellen Gründen"

Dieses "Angebot"  wurde dann erwartungsgemäss von den AktivistInnen abgelehnt. Eine offensichtlich kalkulierte Reaktion von Seiten der Sozialdemokraten, die auf Grund dieser schwer durchschaubaren Verwirrungstaktik für die Ôffentlichkeit, laut Meinungsforschungsinstituten stimmenmässig dafür zulegten.Während sich die Mehrheit der Kopenhagener Bevölkerung vor der Räumung für ein Jugendhaus eintrat, war die Stimmung nach der Räumung und den darauffolgenden tagelangen Konfontationen mit dem verselbstständigten Repressionsapparat, umgeschwenkt. Die Rolle der Medien als durchgehend verlängerter Arm der Polizeisprechstelle spielte dabei eine zentrale Rolle in diesem Meinungsumschwung.
Allerdings könnte sich dieses äusserst labile Stimmungsbild  nach Bekanntwerden der neuesten Tiraden der christlich-fundamentalistischen "Vaterhaus"- Sektenführerin Ruth Evensen,  die laut eigener Aussage, einen "direkten Draht" zu einem gewissen Jesus hat, durchaus wieder in entgegegesetzte Richtung drehen. Ruth Evensen proklamierte unmittelbar nach dem Abriss des Ungdomshuset auf  einem internen Freudenfest der Sektengemeinde mit christlichen Gesang und verkrampften kollektiven Tanzzuckungen, den "christlichen Sieg" über das "satanische Nörrebro". Sie annoncierte in dieser Festrede bereits das nächste christliche Kampfgebiet: eine Kampagne gegen Lesben und Schwule und gegen das freie Recht auf  Abtreibung und das Selbstbestimmungsrecht der Frau.

Zur Zeit finden in Kopenhagen , aber auch in zahlreichen anderen Städten Dänemarks täglich Demonstrationen und Happenings mit bis zu sechtausend TeilnehmerInnen statt. Von "Reclaim Ungdomshuset" und Verkehrsdämpfende Fahrradkonvois, über Blockaden, Gefangenensolidarität,  bis zu den mehr traditionellen Demos. Die daran Beteiligten sind hauptsächlich aktive Jugendliche - SchülerInnen, GymnasiastInnen und StudentInnen. Flankiert von empörten Eltern von verhafteten Jugendlichen, sowie früheren AktivistInnen der autonomen und Besetzerszene, MusikerInnen, KünstlerInnen,etc.
Der Polizeiapparat agierte traditionell brutal. Sämtliche verfügbaren Einsatzkräfte wurden am selben Tag, als die geheimgehaltenen Räumungsaktion durch eine Antiterroreinheit, der sogenannten "Aktionsgruppe" begann, aus dem ganzen Land nach Kopenhagen zusammengezogen. In den ersten dreitägigen Konfrontationen in Nörrebro und den südlichen Stadtteil Cristianshavn, in dem der ebenfalls sanierungsbedrohte Freistaat Christiania liegt, pumpte die Polizei diese Stadtteile voll mit Tränengas.
Sie verhafteten 765 Jugendliche (Stand: 13.März 07) ab 13 Jahren. Einige dagegen protestierenden Eltern wurden gleich mitverhaftet und in Handschellen gelegt. Nach 24 Stunden Haft  wurden bis jetzt 222 dem Haftrichter vorgeführt, während die übrigen nach spätestens 24 Stunden entlassen wurden. Von diesen 222 wurden dann 197 Jugendliche für bis zu 4 Wochen in Untersuchungshaft gesteckt. Die Anwälte der Verhafteten klagen die zuständigen Richter an, sich nicht die notwendige Zeit für die einzelnen Fälle genommen zu haben und stattdessen den Polizeiforderungen automatisch gefolgt zu sein. Als sogenannte Beweisgrundlage präsentierte die Polizei diffuse, spektakuläre TV-Aufnahmen von brennenden Autos, Barrikaden und vermummten steinewerfenden AktivistInnen, jedoch keinerlei konkrete Beweise im juristischen Sinne. Seit den Konfrontationen hat die Polizei willkürliche Passkontrolle für Passanten in Nörrebro eingeführt.

Viele sehen in den grossen Demonstrationen und wütenden Protesten, die für viele Aussenstehende ein unerwartetes Ausmaß annahm, eine Vorbotin einer neuen gesellschaftskritischen Revolte. Die aktive Teilnahme von feministischen und genderpolitischen Initiativen, Künstlern, Musikern, jungen EmigrantInnen, etc. an den Protesten, deuten in diese Richtung. Die aktive und umfassende globale Unterstützung für das Ungdomshuset (2), ist ein weiterer deutlicher Indikator für das verbreitete Bedürfnis von selbstverwalteten Freiräumen in Zeiten des allgemeinen Kontroll - und Verwertungswahnsinns.  
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1) Die Geschichte des Ungdomshuset von 1897 bis 2007: Radio FREI: http://de.indymedia.org/2007/03/170150.shtml
2) siehe dazu indymedia.de: http://germany.indymedia.org/2007/03/169487.shtml und indymedia.dk: http://indymedia.dk/openwire  Website von Ungdomshuset: http://www.ungdomshuset.dk/en.php3?id_rubrique=4
Fotos: http://de.indymedia.org/2007/03/170199.shtml
Fotos von der großen Solidemo fürs Ungsdomshuset in Kopenhagen, am 10. März 2007 : http://indymedia.dk/article/1007

21-03-2007, 23:05:00 |