Konflikt zwischen Oligarchien
Witali Atanassow
Die Ukraine wird derzeit von einer politischen Krise gebeutelt, in der die Vertreter der Regierungsparteien denen der "orange Revolution" gegenüberstehen. Letztere werden vom Präsidenten der Republik unterstützt. Dabei handelt es sich vor allem um einen Konflikt zwischen Oligarchien, die in einem wesentlichen Punkt übereinstimmen: der Liberalisierung der Wirtschaft.
11.05.2007
Die Ukraine wird derzeit von einer politischen Krise gebeutelt, in der
die Vertreter der Regierungsparteien denen der "orange Revolution"
gegenüberstehen. Letztere werden vom Präsidenten der Republik
unterstützt. Dabei handelt es sich vor allem um einen Konflikt zwischen
Oligarchien, die in einem wesentlichen Punkt übereinstimmen: der
Liberalisierung der Wirtschaft.
Die neue politische Krise in der Ukraine begann am 23.März, nachdem elf
Abgeordnete der Opposition sich wieder der Mehrheitskoalition
anschlossen. Diese wird von den Parteien der Regionen geführt und von
Premierminister Viktor Janukowitsch unterstützt. Der Präsident der
Republik, Viktor Juschtschenko, der im Parlament in der Minderheit ist,
hält dies nicht für verfassungsgemäß und hat das Parlament am 2.April
aufgelöst. Die Mehrheitskoalition beschloss, die Entscheidung des
Präsidenten nicht umzusetzen, indem sie sie ebenso als
nichtverfassungsmäßig einstufte. Der Konflikt zwischen dem Präsidenten
und dem Parlament soll nun vom Verfassungsgerichtshof geprüft werden.
Im Vorfeld der Entscheidung fanden in Kiew und den großen Städten
Treffen und Demonstrationen statt. Die beiden Gruppen verbreiteten über
Fernsehen und Presse Gerüchte über ein mögliches Eingreifen der Armee
oder der Spezialtruppen, die vom Präsidenten kontrolliert werden, oder
von Truppen des Innenministeriums, die wiederum der Regierung
unterstehen.
Die Kommunistische Partei (KPU) und die Sozialistische Partei (SPU) der
Ukraine haben sich in das Lager der Regierungskoalition eingereiht. Der
Parteichef der KPU, Pjotr Simonenko, rief zu einem Präventivstreik mit
Arbeitsniederlegungen in den Industrie- und Transportunternehmen zur
Unterstützung des Parlaments und der Regierung auf. Aber der Einfluss
der KPU und ihrer führenden Persönlichkeiten auf die Arbeiterklasse ist
nur gering. Die Partei hat sich in den letzten Jahren durch ihre Abkehr
vom Kampf für die sozialen Rechte, Korruption und ihre ausschließliche
Orientierung auf das Parlament diskreditiert.
Dieser Konflikt ist nichts anderes als eine Verschärfung des
Gegensatzes zwischen den bürgerlichen Eliten. Präsident Juschtschenko
und seine "orange Opposition" haben es nicht ertragen, bei den Wahlen
im Sommer 2006 die Macht zu verlieren. Der Partei der Regionen und
ihrem Vorsitzenden, Viktor Janukowitsch, ist es gelungen, die SPU und
die KPU zu überzeugen, in die Regierungskoalition einzutreten. Zudem
musste der Präsident nach der Verfassungsreform 2005 den Verlust der
Mehrzahl seiner Vorrechte mit ansehen.
Die gegnerischen Gruppen sind nichts als die politische Ausprägung der
politischen Interessen des Finanzkapitals und der Industrie, die
einander Konkurrenz machen. Wenn die traditionellen Parteien der
Regierungskoalition als prorussisch und die der Opposition als
prowestlich angesehen werden, handelt es sich vor allem um Rhetorik.
Die Beteiligung der Massen an diesem Konflikt ist unbedeutend. 2004,
während der "orange Revolution" demonstrierten Tausende in den Straßen.
Heute werden politische Versammlungen wenig beachtet und oftmals werden
Leute für die Teilnahme bezahlt.
Beide Parteien unterstützen die Privatisierung der staatlichen und
kommunalen Wirtschaftsbetriebe, die Liberalisierung der Erziehung und
des Gesundheitswesens sowie die Einschränkung der gewerkschaftlichen
Rechte. Der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital hat seit der
Unabhängigkeit der Ukraine einen Schub erfahren; in diesem Konflikt
befinden sich die beiden Parteien auf derselben Seite. Trotz des
Wirtschaftswachstums lebt die Mehrheit der Bevölkerung des Landes mit
weniger als 80 Euro im Monat. In der Ukraine gibt es keine unabhängige
politische Massenorganisation der Lohnabhängigen, lediglich eine kleine
Anzahl unabhängiger Gewerkschaften, die sich den gelben Gewerkschaften
entgegenstellen, deren Struktur sich seit den Zeiten der UdSSR nicht
verändert hat. Trotz allem wächst die Anzahl der Streiks und sozialen
Konflikte langsam aber stetig.
aus: SOZ, Mai 2007
26-04-2007, 20:13:00 |Witali Atanassow, Kiew