"Keine Frage ob, sondern wann"
Die iranische Initiative zum Aufbau einer eigenen Urananreicherungsanlage nehmen USA und EU derzeit zum Anlass, ihre Pläne zur Kontrolle über den Nahen Osten auszubauen — trotz dem Desaster im Irak. Dem Iran werden Technologien verweigert, die anderen Ländern, auch der Dritten Welt, zugestanden werden. Über den drohenden Krieg und mögliche Antworten der Antikriegsbewegung sprach Angela Klein mit Mohssen Massarat, dem Iran stammender Professor für Politik und Wirtschaft an der Universität Osnabrück.
24.04.2007
Wie akut ist deiner Meinung nach die Gefahr eines Krieges gegen den Iran?
Die militärischen Vorbereitungen werden nicht mehr allzu lange Zeit benötigen. Die möglichen Angriffspläne liegen nach Informationen aller Experten und Insider fertig in den Schubladen. Was die politischen Entscheidungen betrifft: Wenn man Insidern der US-Regierung wie Seymour Hersh Glauben schenken kann, ist die Entscheidung auch hier schon längst gefallen. Die Frage ist also nicht mehr ob, sondern wann der Zeitpunkt für militärische Luftangriffe gegen iranische Atom- und Militäranlagen kommt. Dieser Zeitpunkt hängt davon ab, wie weit die Weltöffentlichkeit, vor allem die westliche und europäische, zweifelsfrei davon überzeugt werden kann, dass alle diplomatischen Mittel ausgereizt wurden und auf diesem Weg keine Lösung mehr möglich ist, dass jedoch andererseits auf jeden Fall verhindert werden müsse, dass der Iran ein Atomwaffenstaat wird. Dann wird das Argument von der militärischen Intervention als letztem Mittel wirksam. Wenn die Weltöffentlichkeit sich diese Meinung zu eigen macht — und wir sind ziemlich nah an diesem Punkt angelangt — dann wird zugeschlagen.
Im Vorfeld des Irakkriegs gab es eine lange Periode, in der versucht wurde, das Regime im Irak zu isolieren — durch den Aufbau einer Koalition der Willigen und das Aufbrechen einer Solidarität unter den Regierung im Nahen Osten. Hast du den Eindruck, dass eine solche Koalition der Willigen heute schon steht?
Die Koalition der Willigen für den Irakkrieg hatte vor allem die Funktion, die Staaten dafür zu gewinnen, dass sie am Bodenkrieg mitwirken. Dazu mussten die USA die Türkei und Saudi- Arabien als Länder gewinnen, von denen aus operiert werden sollte. Dies alles ist im Fall Iran nicht nötig, denn da wollen die USA unter keinen Bedingungen mit Bodentruppen intervenieren, sondern ausschließlich aus der Luft.
Dafür haben sie die militärischen Möglichkeiten bereits ausgenutzt. Sie haben einen Luftwaffenstützpunkt im Indischen Ozean, die Insel Diego Garcia; sie haben eine Flotte im Persischen Golf stationiert, von der aus Flugzeuge abgeschickt werden können; und sie haben, sofern dies nötig ist, die wahrscheinliche Unterstützung Israels, sodass sie die Nachbarstaaten nicht brauchen.
Eine offene Frage ist, ob die Türkei mitmacht. Vor zwei, drei Wochen gab es hastige Konferenzen in Ankara, auf der israelische Offiziere, NATO- Offiziere und US-Generäle gemeinsame Gespräche geführt haben. Die türkischen Zeitungen berichteten, dass es dabei um den Iran ging.
Es wird immer behauptet, der Iran verstoße gegen das Völkerrecht, weil es sein Programm zur Urananreicherung wieder aufgenommen hat. Stimmt das?
In der Sache stimmt das — aber nur bis 2002. Um das zu verstehen, muss man den Hintergrund kennen.
Bis 2002 hat der Iran auf dem Schwarzmarkt Zentrifugen gekauft, die angemeldet hätten werden müssen. Das hat der Iran nicht gemacht. Der Iran wiederum sagt, sie hätten öffentlich angekündigt, dass sie Zentrifugen in Russland kaufen wollen. Das war Anfang der 90er Jahre. Unter den Druck der USA hat Russland damals die Verhandlungen abgebrochen. Danach, sagt die iranische Regierung, habe sie versucht, die Zentrifugen legal in China zu kaufen, aber auch das wurde unterbunden. Die Regierung hat also gemerkt, dass sie auf legalem Weg an die Zentrifugen nicht herankommt. Dann hat sie sich auf den Schwarzmarkt begeben und auch sehr viel höhere Preise dafür bezahlt. Soweit wir wissen, hat sie sie vor allem über Pakistan erhalten.
Das zeigt, dass man bei der Diskussion differenzieren muss, warum der Iran den illegalen Weg gegangen ist und die Zentrifugen nicht gemeldet hat. So oder so ist das ein Verstoß gegen das Völkerrecht, das ist klar. Nach Bekanntwerden dieses Vorgangs, also seit 2002, ist Iran dasjenige Land der Welt, das der IAEO am uneingeschränktesten Zugang zu allen Anlagen verschafft hat, nicht nur zu solchen, die eindeutig als Atomanlagen definiert werden. Iran gestattet der IAEO heute jeden Zugang, den diese Behörde fordert. Das ist natürlich ein Stück Souveränitätsverzicht, aber es sollte eine vertrauensbildende Maßnahme sein — das wird in der ganzen Debatte derzeit unterschlagen. In den Medien dominiert die Behauptung, der Iran verstoße gegen das Völkerrecht, aber es ist so, dass der Iran nur bis 2002 dagegen verstoßen hat. Seitdem kooperiert er — das sind zwei völlig unterschiedliche Verhaltensweisen.
Richtet sich die militärische Aggression überhaupt gegen die Tatsache, dass der Iran über Nukleartechnologie verfügt?
Nein, nicht dagegen, dass der Iran Nukleartechnologie hat, sondern gegen die Anreicherung. Die Anreicherung kann sowohl militärisch wie auch zivil genutzt werden, sowohl für Atomkraftwerke wie auch zur Herstellung von Atomwaffen. Der Iran möchte das Uran bis zu 3% Konzentration anreichern können für den Einsatz in Atomkraftwerken auf eigenem Boden und ist auch bereit, diesen Prozess kontrollieren zu lassen, damit die Konzentration auf 100% ausgeschlossen ist. Dafür ist er bereit, mit Firmen zu kooperieren und sich der Kontrolle der IAEO zu unterstellen. Das akzeptieren die westlichen Mächte nicht, vor allem nicht die USA und die IAEO, auch die EU nicht, sie sagen: Wir wissen nicht, ob es bei der Anreicherung auf 3% bleibt. Es kann durchaus sein, dass der Iran eine parallele Anreicherungsanlage aufbaut, die relativ rasch zur Herstellung von Plutonium in der Lage wäre.
Für die Antikriegsbewegung ist das eine schwierige Frage. Natürlich muss der Iran gegen eine militärische Aggression verteidigt werden. Gleichzeitig ist man grundsätzlich gegen den Besitz von Atomwaffen.
Ich glaube nicht, dass irgendjemand gut beraten wäre, dafür einzutreten, dass der Iran eine Atommacht wird. Es gibt da aber verschiedene Aspekte.
Erstens kann man natürlich sagen: Solange das Völkerrecht gilt, hat jedes Land das Recht, Atomwaffen zu besitzen, ohne Diskriminierung — es sei denn, dieser Besitz wird allen Staaten verboten und es wird dafür gesorgt, dass das gegenüber allen Staaten durchgesetzt wird. Es kann in der Tat nicht zugelassen werden, dass nach Belieben die USA oder die IAEO Dinge, die im Atomwaffensperrvertrag nicht einwandfrei geregelt sind, dem einen Land (in der Dritten Welt oder im Westen) erlauben, dem anderen aber nicht. Das ist unakzeptabel, auch für die Friedensbewegung, das gilt nicht nur für den Iran, auch für Brasilien und andere potenzielle Urananreicherungsländer.
Der zweite Aspekt ist: Hinter dem Vorwand der Verhinderung der Weiterverbreitung von Atomwaffen beabsichtigen die USA, den Iran als regionale Mittelmacht zu schwächen. Sie wollen verhindern, dass der Iran durch eigene Atomwaffen bekommt, was Israel schon hat, und damit das israelische Atomwaffenmonopol in der Region in Frage gestellt wird. Israel und die USA wollen auf keinen Fall, dass ihre bestehende Dominanz in der Region beseitigt wird. Vielmehr soll der Iran, evtl. auch durch Regimewechsel, mit seinen Öl- und Gasreserven gefügig gemacht und den strategischen Interessen der USA unterworfen werden. Das sind die wahren Ziele, die sich hinter dem Vorwand verbergen, dem Iran die Herstellung von Atomwaffen unmöglich zu machen. Diese wahren Ziele müssen auf jeden Fall von der Friedensbewegung bekämpft werden, deshalb müsste sie allmählich auch mobilisieren, um den Krieg noch zu verhindern. Denn wir wissen nicht, was aus einem solchen Krieg erwächst, unabhängig von der Möglichkeit, dass der Iran zu einem Atomwaffenstaat wird, und was daraus für die Region und für den Weltfrieden folgt.
Der dritte Aspekt ist: Natürlich kann die Friedensbewegung zusammen mit der Antiatomkraftbewegung und mit allen Kräften, die für erneuerbare Energien eintreten, die EU auffordern, Energiealternativen mit erneuerbaren Energien anzubieten, um mit dafür zu sorgen, dass der Iran seine energiepolitischen Ziele erreicht. Das hat die EU bisher systematisch nicht gemacht und das wäre ein Punkt, wo eine breite Basis gegen den Krieg und für Alternativen geschaffen werden kann.
Der iranische Staatspräsident vermittelt den Eindruck, als wollte er mit seinen antiisraelischen Ausfällen sein Volk auf einen Krieg vorbereiten.
Den Eindruck habe ich auch. Ich gehe davon aus, dass er inzwischen die Möglichkeit eines Krieges als sehr hoch einschätzt und mit seinen antiisraelischen Angriffen dabei ist, die islamische Welt und die Araber für den Fall des Falles zu mobilisieren, um eine gemeinsame Front mit Hamas in Palästina, mit Hizbollah im Libanon, mit den Schiiten im Irak aufzubauen.
Unter den arabischen Regierungen der Region hat der Iran keine Verbündeten?
Syrien schon, aber ob Syrien dann mit dem Iran in den Krieg zieht, ist eine ganz andere Sache. Sonst sehe ich keinen Staat als Verbündeten.
Gibt es eine konkrete Mobilisierungsperspektive, die du vermitteln kannst?
Ja. Am 4./5.Februar findet in München der Gegengipfel zur NATO-Sicherheitskonferenz statt [siehe Seite 11]. Dort werden wir das Thema diskutieren. Ich habe zusammen mit dem Netzwerk Friedenskooperative den Vorschlag für eine Vermittlungspause ausgearbeitet. Wir schlagen vor, dass Kofi Annan eine Vermittlungskommission unter seinem Vorsitz einsetzt, in der exponierte Vertreter beider Seiten an Vorschlägen mitwirken, wie der Konflikt ohne Krieg bewältigt werden kann. Ich dachte an ehemalige Staatspräsidenten wie Bill Clinton, Gerhard Schröder, den ehemaligen iranischen Staatspräsidenten Mohammad Khatami, den früheren finnischen Präsidenten Martti Athissari und an zwei religiöse Persönlichkeiten, eine islamische und einen Vertreter vom Papst. Wir müssen Zeit gewinnen und die Eskalation, die derzeit im vollen Gang ist, durchbrechen.
Aus: SOZ, www.soz-plus.de
18-02-2006, 18:13:00 |