Italien: Politische Widersprüche
Johann Schögler
Obwohl der Ausgang der Legislaturwahlen für das Mitte-Links-Bündnis unter Romano Prodi nur ein verhaltener Sieg ist, stellt er für das Rechtsbündnis unter Silvio Berlusconi eine nicht zu akzeptieren wollende Niederlage dar. Stimmenunterschied: 25.000 – und das bei 38 Millionen WählerInnen.
24.04.2007
Im Parlament gibt es nun 348 Sitze für links und 281 für rechts. Im Senat hat links 2 Abgeordnete mehr – bei 300.000 Stimmen weniger! (158 links und 156 rechts). Beide Kammern sind gleichwertig notwendig für die Verabschiedung von Gesetzen. Berlusconis Partei, die Forza Italia, verliert zwar 6% im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen, bleibt jedoch mit 23,7% die stärkste Partei. Es kriselt aber bereits auch gegenüber seinen zwei anderen Bündnispartnern, die ihrerseits ehest möglich die Nachfolge Berlusconis antreten möchten.
Das Rechtsbündnis
...hat nicht gewonnen, obwohl Berlusconi eine für ihn günstige Wahlrechtsreform – er hatte mit einem knappen WählerInnenvorsprung für sich gerechnet – verabschieden ließ, obwohl er über einen Großteil der Medienmacht verfügt und über Desinformation die Manipulation großer Teile der Bevölkerung betreibt und obwohl sich der Vatikan klar auf seine Seite gestellt hatte.
Er hatte praktisch zum Bündnis mit einem Spitzenkandidaten gezwungen, da innerhalb des Bündnisses nur 2% der Stimmen für einen Sitz nötig waren, wohingegen für jede Partei, die alleine antrat, 4% nötig sind. Auch die Möglichkeit, dass außerhalb Italiens lebende StaatsbürgerInnen wählen konnten (2,28 Millionen; wobei 10% keine Wahlmöglichkeiten erhielten) kam nicht ihm zugute, da die AuslandsitalienerInnen 7 Abgeordnete für Prodi ins Parlament, (4 für Berlusconi) und im Senat 4 für Prodi (und 1 für Berlusconi) wählten. Somit gaben die außerhalb Italiens Wählenden den Ausschlag für den Sieg Prodis.
Der mit der Wahlrechtsreform verbundene Bonus zur besseren Regierbarkeit, dass die Mehrheitspartei unabhängig von der Anzahl der Stimmenunterschiede mindestens 50 Abgeordnete mehr bekommt, kam nun dem Mitte-Links-Bündnis zugute.
Die Wahlbeteiligung mit 83,6% war höher als 2001 bzw. 1996. Die von Berlusconi geforderte Überprüfung von 80.000 ungültigen Stimmen erwiesen sich laut Meldung des Innenministeriums vom 14. April als 2.131 zu überprüfende Parlamentsstimmen (ursprünglich 43.000) und 3.135 ( anstatt 29.822) für den Senat. Diese Stimmen können am Wahlergebnis nichts mehr verändern.
Die zweite Forderung Berlusconis, die 1,1 Millionen ungültigen Proteststimmen zu überprüfen, wurde von Staatspräsident Ciampi zurückgewiesen. Diese Proteststimmen bringen auch zum Ausdruck, dass das Programm des Mitte-Links-Bündnisses keine echte Alternative darstellt.
Die Frage stellt sich trotzdem: Warum hat das Mitte-Links-Bündnis unter Führung Prodis nicht eindeutiger gewonnen? Zumal die italienische Wirtschaft seit einigen Jahren stagniert, die Staatsverschuldung trotz Privatisierungen ansteigt und die Umstrukturierungen nicht die Anpassungen an die europäische Produktivitätsnorm brachten. Hatten vor fünf Jahren 50% der italienischen Haushalte finanzielle Schwierigkeiten gegen Ende des Monats, so sind es heute bereits 75%.
Die politischen Unterschiede vom Zentrum bis zur radikalen Linken unter einen Hut bringen zu wollen, ist unmöglich. Für ein taktisches Wahlbündnis reichte es, aber sobald es um die Umsetzung der konkreten (anti-)neoliberalen Politik gehen wird, werden die Widersprüche zu Tage treten, zumal die Linken innerhalb des Bündnisses am meisten dazu gewonnen haben.
Zugewinne der „Alternativen Linken“
Die Rifondazione comunista (PRC) unter Fausto Bertinotti erhielt 41 Parlamentsabgeordnete und 27 im Senat (vorher 12 und 4; das bedeutet einen Zuwachs von 5% auf 5,84, im Senat von 5,1% auf 7,32%). Mit 2,2 Millionen Stimmen fürs Parlament hat die PRC 350.000 Stimmen gegenüber 2001 dazu gewonnen.
Die Partei der italienischen Kommunisten unter Armando Cossuta, die 1998 gegründet worden war, als Bertinotti die Prodi-Koalition verließ und die Regierung zu Fall brachte, konnte 200.000 Stimmen dazu gewinnen: ihr WählerInnenanteil stieg von 600.000 auf 800.000. Sie haben somit um 0,5% auf 2,32% dazugelegt. Die Grünen blieben annähernd gleich bei 2%.
Die übrigen zwei großen Gruppierungen des Mitte-Links-Bündnisses, die Linksdemokraten (LD) und die Zentristen haben immer nur zur Mäßigung aufgerufen. Der Vorsitzende der LD Massimo D’Alema hat die PCR und die Partei der italienischen Kommunisten bereits aufgerufen, ihren „Sinn für Verantwortung“ zu schärfen. Der Vorsitzende der Zentristen Francesco Rutelli hat zur Schaffung einer demokratischen Partei, die alle gemäßigten Kräfte umfassen soll aufgerufen, um die Linke im Mitte-Links-Bündnis zu isolieren.
Für Gennaro Migliore von der PCR kommt den sozialen Bewegungen in dieser widersprüchlichen Lage eine entscheidende Rolle zu, indem über massive Mobilisierungen
(bonjour la France!) die Regierenden zu einer anti-neoliberalen Politik gezwungen werden sollen.
Gegenüber „Le monde“ (13.4.) erklärt Prodi seine internationale (widersprüchliche) Politik: Ein starkes Italien in einem vereinten starken Europa mit Bindung an die USA – und: den Abzug der 3.000 italienischen Soldaten aus dem Irak vor Ende 2006.
Andererseits will er eine solide Allianz mit den USA, und hier kommt er gleich mit der Entscheidung über den Truppenabzug in Widerspruch zu US-Präsident Bush. Prodi warnt die Linken in seinem Bündnis vor der Isolierung Italiens gegenüber den USA, und er schwingt sich auf zum Schlichter der Differenzen, die zwischen EU-Ländern und den USA vor allem in Bezug auf die Irakpolitik entstanden sind.
Ein starkes und vereintes Europa ohne Bruch mit dem Neoliberalismus schwebt ihm vor. Außerhalb Europas setzt Prodi auf multilaterale Abkommen und internationale Kooperationen, ohne dabei vom Internationalen Währungsfonds noch von der Weltbank eine Änderung des neoliberalen Dogmas zu verlangen.
Die innenpolitischen Schritte – Anhebung der Kapitalertragssteuer auf 20%; ein Drittel der Steuerflucht zu verhindern; kapitalistische Betrügereien und Bilanzfälschungen mit 3 Jahren Haft zu bestrafen – gehen sicher in die richtige Richtung; sie können jedoch nicht das Budgetloch stopfen, die Staatsverschuldung abbauen und die Arbeitslosigkeit senken.
Prodi will die italienische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig machen, indem die Arbeitskosten gesenkt werden. Dies geht jedoch im Neoliberalismus nur über den Weg einer weiteren Prekarisierung, erhöhte Arbeitszeiten, niedrigere Löhne und Rationalisieren der Betriebe.
Bei den Reaktionen auf die „Gürtel enger schnallen-Politik“ wird sich zeigen, ob ab Herbst auch ein französischer Wind über Italien weht. Ein Lüftchen scheint sogar bis Moskau vorgedrungen zu sein, da in einer politischen Diskussion unter Jugendlichen die 22 jährige Ilia Jachine meinte: „Wir wollen, dass bei uns die Bürger die Regierung kontrollieren und nicht umgekehrt.Wenn nötig werden wir dafür auf die Straße gehen“ wie in Frankreich.
Johann Schögler
(14.4.2006)
15-04-2006, 08:36:00 |Johann Schögler