Italien: "Die Linke gibt es noch"
Eine Million Menschen protestierten in Rom gegen die Sozialpolitik der Regierung Prodi.
23.11.2007
Die Initiative für die Mobilisierung am 20.10. ging von den Tageszeitungen Il Manifesto und Liberazione sowie von der Wochenzeitung Carta aus. Sie fand breite Unterstützung, u.a. bei den beiden Regierungsparteien PdCI und PRC (Rifondazione Comunista).
"Die Linke gibt es noch", schrieb tags darauf Il Manifesto. Die Zeitungen der gemäßigten Linken einigten sich auf die Schlagzeile: "Eine Million, aber nicht gegen Prodi". Zwischen 700.000 und einer Million Teilnehmende waren aus ganz Italien angereist. Aus Sardinien war eine in rote Fahnen getauchte Fähre im römischen Hafen Ostia eingelaufen, über zwölf Sonderzüge brachten vor allem unzufriedene Italiener aus dem Süden des Landes. Unter den vielen, die extra nach Rom angereist waren, war auch Pietro Ingrao, 92 Jahre alt, eine historische Figur der italienischen Linken.
Der Fraktionsvorsitzende der PRC, Gennaro Migliore, bemühte sich zu betonen, die Kundgebung richte sich nicht gegen die Regierung Prodi, wolle dieser jedoch "die Kraft geben, gegen die prekären wirtschaftlichen Verhältnisse vorzugehen". Ein wichtiger Faktor bei der Bestimmung dieser Verhältnisse, der Gewerkschaftsbund CGIL, hatte seinen Mitgliedern untersagt, an der Demonstration teilzunehmen. Ohne große Wirkung. Hunderte CGIL-Fahnen waren weithin sichtbar. "Jeden Tag stehe ich um 3 Uhr morgens auf, um zur Arbeit zu gehen", erklärte ein 25-jähriger Fiat-Arbeiter aus der Region Kampanien, "ich bin die CGIL". "Epifani [Vorsitzender der CGIL] sollte sich besser daran erinnern, dass es die Mitglieder sind, die eine Gewerkschaft tragen und ausmachen", sagte ein anderer Teilnehmer, der die Anstecknadeln "Io, CGIL" ("Ich bin die CGIL") trug.
Die Stimmung war trotz vier Stunden Demonstration ausnehmend fröhlich. Viele Wagen spielten laute Musik, keineswegs nur die Internationale oder "Bandiera rossa", sondern Twist, "La Bamba", alte Schlager. In Rom wehte an diesem Tag ein eisiger Wind, vielleicht wurde auch deshalb am Ende des Zuges, vor der Reihe der Carabinieri, ausgiebig getanzt.
Unter den Teilnehmern waren viele junge Leute, ihr Anliegen war u.a. die Freigabe von Marihuana. Vodafone-Beschäftigte, die tags zuvor gestreikt hatten, wandten sich gegen die Auslagerung von 914 Beschäftigten in die Firma "Comdata", sie alle trugen das Schild "Vendesi" (Zu verkaufen) um den Hals. Neben den Eisenbahnern demonstrierten die Flugbegleiter, die Bauern, die sich in "Altragricoltura" ("Andere Landwirtschaft", eine aus dem Sozialforum hervorgegangene Initiative von Landwirten, die für faire Preise und bessere Bedingungen kämpfen) zusammengeschlossen haben, die Arbeitslosen aus Scampia bei Neapel, die Aktiven gegen die Militärbasis in Vicenza und die gegen den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke im Val di Susa bei Turin. Die Frauen waren stark vertreten, ebenso wie eine Sammelbewegung von Schwulen, Lesben und Transsexuellen. Migranten forderten Bürgerrechte und die rasche Verabschiedung eines neuen Einwanderungsgesetzes, das das Bossi-Fini-Gesetz aus der vorhergehenden Regierung Berlusconi ablösen soll. Neben dem "Nein zur Schwarzarbeit" bezogen sich die meisten Spruchbänder auf die prekären Beschäftigungsverhältnisse, gegen die sich wenige Tage zuvor sogar der Papst ausgesprochen hatte.
Neben den Gewerkschaftsvertretern sprachen sich die anderen in der Regierung vertretenen Parteien gegen die Demonstration aus. Der frühere PRC- Vorsitzende Fausto Bertinotti warnte die Minister seiner Partei vor einer Teilnahme, eine Warnung, die seine eigene Frau, Lella Bertinotti, freudig missachtete.
Angela Huemer