Israel spielt mit dem Krieg
Israel versucht, die Unsicherheit der internationalen Gemeinschaft über den Mitte November veröffentlichten Bericht der UN-Atomenergiebehörde (IAEA) über das nukleare Programm des Iran zu nutzen, um einen möglichen Militärschlag gegen den Iran zu rechtfertigen.
04.12.2011
Laut IAEA-Bericht hat der Iran über Jahre heimlich an der Entwicklung eines nuklearen Sprengkopfs gearbeitet und tut dies unter Umständen immer noch. Ziemlich sicher werden diesem Bericht Forderungen der USA und Europas nach härteren Sanktionen gegen das iranische Regime folgen, während Russland und China auf Dialog und Kooperation drängen.
Inmitten dieser Gemengelage erklärten Vertreter der britischen Regierung Mitte November, Israel sei dabei, innerhalb der nächsten zwei Monate einen militärischen Angriff auf die vermuteten atomaren Anlagen des Iran vorzubereiten, möglicherweise mit logistischer Unterstützung der USA. Ein nicht genannter hoher Beamter des Außenministeriums sagte der Zeitung Daily Mail: «Wir erwarten das schon an Weihnachten oder sehr bald Anfang nächsten Jahres.»
Vertreter des US-Militärs, die ebenfalls anonym blieben, haben in US-amerikanischen Medien Alarm geschlagen, Israel könnte einen Angriff durchführen. CNN berichtete, das Pentagon verfolge «zunehmend wachsam» die militärischen Aktivitäten zwischen Israel und dem Iran.
Militärberater gegen Netanyahu
Diesen Warnungen folgten israelische Medienberichte über heftige Auseinandersetzungen innerhalb der israelischen Regierung und zwischen den Sicherheitschefs über Pläne für einen solchen Militärschlag. Premierminister Binyamin Netanyahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak sind wohl entschieden für einen Angriff. Das Gleichgewicht innerhalb des engeren Kabinetts hat sich zu ihren Gunsten verschoben, seitdem sie Außenminister Avigdor Lieberman auf ihre Seite gezogen haben. In anderen Berichten heißt es, Netanyahu und Barak seien vor kurzem von der Diskussion eines solchen Militärschlags zum Stadium seiner «Umsetzung» übergegangen. In einer weiteren, offenbar als Einschüchterungsmaßnahme gedachten Aktion, testete Israel die Jericho-III-Rakete, eine Langstreckenrakete, die in der Lage ist, den Iran zu erreichen.
Glaubt man den israelischen Medien, so haben sich sowohl die derzeitigen wie auch die vor kurzem pensionierten Leiter aller wichtigen militärischen und Geheimdienstbehörden gegen die Pläne von Netanyahu und Barak ausgesprochen. Der einzige von ihnen, der bisher an die Öffentlichkeit gegangen ist, war Meir Dagan, bis vor einem Jahr Leiter des israelischen Geheimdienstes Mossad. Anfang dieses Jahres zog er sich Netanyahus Zorn zu mit der Aussage, ein Angriff auf den Iran sei «das Dümmste, was ich je gehört habe.» Letzten Monat untergrub er erneut Netanyahus öffentliche Stellung, als er sagte, der Iran könne mindestens drei weitere Jahre keine Atombombe entwickeln, und – offenbar im Widerspruch zum Bericht der IAEA – erklärte, es gebe keine Beweise, dass der Iran bereits über eine militärische Verwendung entschieden habe.
Nukleares Schwellenland
Diese Position deckt sich mit der Einschätzung von 16 US-amerikanischen Geheimdiensten aus dem Jahr 2007, die keinen Beweis dafür gefunden haben, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm verfolgt. Das Weiße Haus hält eine aktuelle überarbeitete Bewertung unter Verschluss, vermutlich, weil sie die frühere Einschätzung bestätigt. Der Iran hat lange Zeit behauptet, er versuche lediglich, ein ziviles Atomenergieprogramm zu entwickeln, was ihm als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags erlaubt ist. Hilfe hat der Iran im Wesentlichen von Russland erhalten.Trotzdem glauben einige Experten, dass der Iran heimlich versucht, ein «nukleares Schwellenland» zu werden, d.h. in die Nähe der Produktion eines atomaren Sprengkopfs zu gelangen, um im Fall einer Bedrohung – etwa durch eine US-Invasion, wie es im Nachbarland Irak geschehen ist – schnell eine Bombe zur Abschreckung herstellen zu können.
Israelischen Sicherheitsbeamten zufolge wäre ein israelischer Angriff auf den Iran sinnlos und gefährlich. Der Großteil der atomaren Produktionsanlagen, die unterirdisch verstreut und versteckt sind, würde dadurch nicht außer Gefecht gesetzt, ein Angriff würde nur den Druck auf Teheran verstärken, die Technologie zu entwickeln. Israels Sicherheitsestablishment befürchtet auch, ein israelischer Militärschlag könnte zu harten Vergeltungsmaßnahmen nicht nur durch den Iran, sondern möglicherweise auch durch Syrien, die Hisbollah und die Hamas führen und die Iraner hinter ihrem Regime zusammen schließen, den USA könnten im Irak mit Vergeltungsschläge und Israel eine internationale Verurteilung drohen. Hassan Nasrallah, der Führer der Hisbollah, unterstrich diesen Punkt vor kurzem, als er sagte, jeder Angriff durch Israel oder die USA werde einen «regionalen Krieg» provozieren. Der iranische Stabschef Hassan Firouzabadi warnte in ähnlicher Weise im November: «Wir würden dafür sorgen, dass sie diesen Fehler bereuen, und sie hart bestrafen.»
Die Stimmung in Israel
Trotzdem scheint die israelische Öffentlichkeit einen Angriff zu unterstützen. Im Mai befürworteten 71% der Israelis einen US-Militärschlag gegen den Iran. Eine Umfrage im November zeigte, dass 41% hinter einem israelischen Alleingang stehen und weitere 20% unentschieden sind.
Es wird vermutet, dass Israel zweimal militärische Angriffe gegen arabische Staaten durchgeführt hat, um, wie Israel behauptet, die heimliche Entwicklung von Atomsprengköpfen zu verhindern. Im Jahr 1981 bombardierte Israel den im Bau befindlichen irakischen Forschungsreaktor in Osirak. Zudem war Israel wohl für einen Anschlag gegen eine vermutete Atomanlage in Syrien im Jahr 2007 verantwortlich. Beide Angriffe wurden ohne Vorwarnung durchgeführt.
Israels tatsächliche Absichten sind schwer zu entziffern. Israel warnt seit beinahe zwei Jahrzehnten vor den Gefahren einer iranischen Bombe, wobei regelmäßig behauptet wird, der Iran sei nur Jahre oder Monate vom Bau eines Atomsprengkopfs entfernt. Trotzdem hat Israel in den letzten Jahren Unterstützung in Form einer Reihe von zunehmend härteren Sanktionen des UN-Sicherheitsrates gegen den Iran erhalten, um die Entwicklung eines Atomenergieprogramms im Iran zu verhindern. Die meisten Mitglieder der israelischen Regierung sind skeptisch, ob Sanktionen allein Atomwaffen im Iran verhindern können. Insbesondere Netanyahu beschwor diese Bedrohung, als er den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad den «neuen Hitler» nannte und davor warnte, Israel stehe vor einem «Holocaust durch die Ayatollahs».
Israels Ängste
Eigentlich ist Israel aufgrund der innen- und geopolitischen Implikationen iranischer Atomwaffen besorgt, sein Status als regionale Supermacht wie auch sein enges Bündnis mit Washington könnte geschwächt werden. Israel hat selbst ein Atomwaffenarsenal – schätzungsweise zwischen 200 bis 400 Sprengköpfe – welches heimlich mit britischer und französischer Unterstützung und gegen US-amerikanischen Wunsch in den späten 1960er Jahren aufgebaut wurde. Israels wesentliche Absicht war wohl, damit die USA zu erpressen und sie dazu zu bringen, ein militärisches Bündnis mit Israel einzugehen.
Dieses Kalkül ging dann auch auf. Im Jahr 2006 machte Ephraim Sneh, damals stellvertretender Verteidigungsminister unter Barak, deutlich, Israel sei nicht primär darüber besorgt, dass der Iran eine Atomrakete abfeuern könnte. Die Gefahr der iranischen Bombe, so warnte er, liege darin, «dass die meisten Israelis es vorziehen würden, nicht hier zu leben, die meisten Juden würden es vorziehen, nicht mit ihren Familien hier zu leben, und Israelis, die im Ausland leben können, werden das tun». Er fügte hinzu: «Ich befürchte, Ahmadinejad wird es gelingen, den zionistischen Traum zu töten, ohne einen Knopf zu drücken. Darum müssen wir um jeden Preis verhindern, dass dieses Regime nukleare Fähigkeiten erlangt.»
Gefährliche Rhetorik
Die Frage, warum israelische Beamte mit ihrer abweichenden Meinung an die Öffentlichkeit gegangen sind, hat fieberhafte Spekulationen ausgelöst. Denn dadurch wirkt Israel schwach und unentschieden, und es werden Ängste geschürt, Netanyahu und Barak könne es mit einem Militärschlag ernst sein, auch wenn sie sich damit gegen Wünsche der USA stellen.
Wahrscheinlicher ist, dass man in Geheimdienstkreisen besorgt ist, damit könne eine gefährliche Konfrontation losgetreten werden, obwohl Netanyahus kriegerisches Getue gegenüber dem Iran ein Bluff sei. Laut Amos Harel, Militärkorrespondent von Haaretz, birgt Netanyahus Verhalten die Gefahr einer «sich selbst erfüllenden Prophezeiung». Russland teilt diese Sorge: Präsident Dmitri Medwedew erklärte, Israels Rhetorik sei gefährlich und könnte zu einem «großen Krieg» führen. Vermutlich werden Netanyahus Drohungen Teheran nicht davon abhalten, eine Atomwaffe zu entwickeln, wenn Ahmadinejads Regime dies denn tun will. Im Gegenteil: Sie könnten Irans Entschlossenheit stärken, sich selbst durch den Bau eines Sprengkopfs zu schützen. Der wirkliche Adressat von Netanyahus Drohung mit einer militärischen Aktion, so scheint es, sind das Weiße Haus und die internationale Gemeinschaft.
Das Ziel können auch verstärkte Sanktionen sein, um den Iran in die Knie zu zwingen, wie es im Irak geschehen ist. Das ist Russlands Angst. Der stellvertretende russische Verteidigungsminister Gennadi Gatilow warnte davor, weitere Sanktionen würden als «ein Instrument des Regimewechsels in Teheran» angesehen.
Die Frage ist, wie Obama auf diesen Druck reagiert. Nächstes Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an und er wird wohl mit starkem Druck ausgesetzt sein, nicht nur von Seiten Israels, sondern auch von seinen Unterstützern im Kongress und den Lobbygruppen in Washington. Die Glaubhaftigkeit des IAEA-Bericht wird bereits angezweifelt. Yaakov Katz, ein Analyst der Jerusalem Post, berichtete, israelische Geheimdienste hätten «entscheidende Informationen, die in dem Bericht verwendet werden» beigesteuert. Darunter könnte sich auch die Information befunden haben, dass der Iran Wjatscheslaw Danilenko, einen russischen Wissenschaftler, angeworben habe, um bei der Entwicklung des Atomprogramms zu helfen. Beinahe umgehend kamen Beweise ans Licht, die darauf hinwiesen, dass Danilenko kein nukleares Expertenwissen habe. Das Weiße Haus will Israel davon abhalten, die USA zu einer militärischen Aktion zu zwingen. Ein Zeichen dafür ist die Warnung des US-Verteidigungsministers Leon Panetta Mitte November, ein solcher Angriff müsse ein «letztes Mittel» sein. Er habe geringe Auswirkungen auf ein iranisches Atomprogramm, jedoch ungewollte Konsequenzen, einschließlich solcher für die US-Streitkräfte in der Region.
Jonathan Cook
(Übersetzung: Harald Etzbach - SOZ; gekürzt aus: Al Akhbar (englische Ausgabe), eine in Beirut erscheinende linke arabische Tageszeitung, 11.11.2011)