Israel: Prinzip des permanenten Krieges
Interview mit dem Gilbert Achcar, libanesischer Dozent der Politischen Wissenschaften in Paris und Berlin.
11.05.2007
Israel führt
bereits seit einigen Monaten – und derzeit verstärkt – einen brutalen
Feldzug, vor allem in Gaza, gegen die Hamas und die gesamte dortige
Bevölkerung. Warum gerade jetzt?
Seit sich die israelische Armee 2000 aus dem Libanon zurückziehen
musste, ohne daran irgendwelche Bedingungen knüpfen zu können, und erst
recht seit der Niederlage im letzten Libanon-Feldzug ist diese Armee
von Wut und Rache beseelt. Israel sucht seither, seine Stärke, die es
militärisch tatsächlich nicht unter Beweis stellen konnte, äußerst
gewalttätig zu demonstrieren.
Außerdem zielt die Politik Israels und der USA darauf ab, in den
besetzten Gebieten einen Bürgerkrieg anzuzetteln. Das war schon so, als
die Militäroffensive "Sommerregen" gegen den Gazastreifen begann,
angeblich, um den israelischen Soldaten freizubekommen, den
palästinensische Kämpfer am 25. Juni gefangen genommen hatten. Am 27.
Juni hatten sich Hamas und Fatah auf eine Regierung der nationalen
Einheit geeinigt. Am 28. Juni schlug Israel militärisch los — es ging
darum, eine Einigung der Palästinenser zu vereiteln. Eine ähnliche
Strategie verfolgte Israel (unterstützt von den USA und Europa), als es
im Sommer den Libanon überfiel. Auch im Libanon ging es darum, eine
innerlibanesische Einigung zu unterminieren, um die Kräfte, die
Widerstand gegen die israelische bzw. US-Hegemonie leisten,
entscheidend zu treffen und die Partner des Westens — repräsentiert
durch Abbas oder Siniora — gegen sie aufzubringen.
Israel
geht im Libanon und in den besetzten Gebieten so vor, als gäbe es weder
ein Internationales Recht noch Genfer Konventionen, Menschenrechte, die
UNO.
Das ist nicht neu. Israel hat sich noch nie viel um die Bevölkerung
geschert. Ich möchte nur an Israels ersten Libanon-Feldzug erinnern,
dem zehntausende Zivilisten zum Opfer gefallen sind, darunter auch die
Bewohner der palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Shatila. Sie
waren schutzlos zurückgeblieben, nachdem die palästinensischen Kämpfer
das Land verlassen hatten.
Neu ist, dass sich – seit dem 11. September 2001 – auch die USA wie
Israel verhalten. Das Prinzip des permanenten Krieges ist seit Beginn
seiner Existenz einer der Grundpfeiler der israelischen Identität.
Israel ist eine Kriegsmaschine, die Gesellschaft ist durch und durch
militarisiert. Internationales Recht hat Israel in diesem permanenten
Krieg noch nie respektiert. Die USA unter Bush imitieren Israel in
dieser Hinsicht. In beiden Ländern hat seit 2001, als Bush bzw. Sharon
an die Macht kamen, eine parallele Radikalisierung ihrer Politik
stattgefunden. Wenn jetzt bei den Kongresswahlen in den USA die
Demokraten gesiegt haben, gibt das Anlass zur Hoffnung. Nicht, dass ich
mir von den Demokraten etwas versprechen würde, aber zumindest drückt
die Wahl eine wachsende Ablehnung des radikalen Kriegskurses in den USA
aus.
Sind
im Widerstand gegen den permanenten globalen Krieg der USA
Organisationen des politischen Islam wie Hamas oder Hizbollah Partner
für Linke?
Der "politische Islam" – das ist ein vager Begriff. Darunter sind
Kräfte zu fassen wie die gegenwärtige türkische Regierung einerseits
und Bin Laden andererseits, das (antiamerikanische) iranische Regime
ebenso wie das (proamerikanische) saudische. Doch wenn wir von der
Hisbollah und der Hamas sprechen, fundamentalistisch-islamische
Organisationen, die heute wesentliche Kräfte im Widerstand gegen die
Besatzung und die amerikanische Politik im Nahen Osten sind, dann gibt
es da schon lange Allianzen zwischen Linken, z.B. der PFLP in Palästina
oder der Kommunistischen Partei des Libanon einerseits, und diesen
islamischen Kräften.
Es kommt dabei darauf an, wie man solche Allianzen auffasst und
gestaltet, und zwar im Sinne des: getrennt marschieren und vereint
schlagen. Die libanesische KP hat als Prinzip verlautbart, dass sie mit
der Hisbollah zusammenarbeitet, doch ohne sich zu unterwerfen. Sie
besteht auf den Unterschieden, ohne deshalb in eine Konfrontation zu
gehen.
Beide, Hamas wie Hisbollah, sind ihrerseits Einflüssen ausgesetzt, die
sie vom religiösen Fanatismus abrücken lassen. Die libanesische
Gesellschaft ist nun einmal multireligiös, weshalb die Hisbollah von
der ursprünglichen Vorstellung, dort eine Islamische Republik nach
iranischem Muster zu errichten, abgekommen ist und sich darauf
beschränkt, vor allem innerhalb der Schiiten Einfluss zu nehmen. Auch
der Diskurs von Scheich Nasrallah ist im Laufe der Jahre viel
pragmatischer geworden, allein schon aus taktischen Gründen angesichts
eines sehr mächtigen Feindes. Aber es ist auch davon auszugehen, dass
die Hisbollah, bei aller Aufgeschlossenheit, im Kern bei ihrer
Ideologie bleibt.
Danke für das Gespräch.
07-12-2006, 20:15:00 |