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Iran: Wohin treibt die islamische Republik?

Im Iran ereignete sich eine spontane, erfinderische und unabhängige Revolte eines von dreißig Jahren Tyrannei eines obskurantistischen religiösen Regimes frustrierten Volkes, die durch den Wahlbetrug ausgelöst wurde. Die gegenwärtige Situation stellt nur das Ende eines langen und komplexen Weges dar, der sich im Innern des Regimes entwickelte, eine tiefe Krise in der Spitze des Staates und innerhalb der herrschenden Klasse einerseits, in der iranischen Gesellschaft andererseits. Diese Konjunktur hat einen Raum für eine wirkliche Massenbewegung eröffnet, um die islamische Republik durch eine laizistische, demokratische, soziale und moderne Republik zu ersetzen.

15.02.2010

Im Iran ereignete sich eine spontane, erfinderische und unabhängige Revolte eines von dreißig Jahren Tyrannei eines obskurantistischen religiösen Regimes frustrierten Volkes, die durch den Wahlbetrug ausgelöst wurde. Die gegenwärtige Situation stellt nur das Ende eines langen und komplexen Weges dar, der sich im Innern des Regimes entwickelte, eine tiefe Krise in der Spitze des Staates und innerhalb der herrschenden Klasse einerseits, in der iranischen Gesellschaft andererseits. Diese Konjunktur hat einen Raum für eine wirkliche Massenbewegung eröffnet, um die islamische Republik durch eine laizistische, demokratische, soziale und moderne Republik zu ersetzen.

Der Charakter der Bewegung

Abgesehen von einem Teil der Fraktion, die sich an der Macht befindet, von einigen Zynikern und Verschwörungstheoretikern, zu denen sich leider auch einige Gruppen und Personen einer verwirrten radikalen Linken gesellten, zweifelt niemand daran, dass die überwiegende Mehrheit der iranischen Völker klar und eindeutig ihre Sehnsucht bekundet hat, mit dem gegenwärtigen politischen System Schluss zu machen. Weil die sogenannte „reformistische“ Fraktion wertvolle Zeit vergeudet und ihre einzigartige Gelegenheit verpasst hat, ist es das ganze islamistische System und nicht nur die Konservativen, das nun in Frage gestellt wird.

Im Iran glaubt niemand der Regierungspropaganda, die behauptet, dass die auf die Bekanntgabe der Wahlergebnisse folgenden Protestmärsche das Werk ausländischer Organisatoren gewesen seien, auch nur ein Wort. Diese Krise hat alle Anzeichen eines totalen Scheiterns der islamischen Republik. Im Verlauf der letzten dreißig Jahre hat das Regime, um seine Krisen zu überleben und seinen Niedergang zu verhüllen, fortwährend von den äußeren Gefahren – den realen und eingebildeten – geredet.

Im Westen haben einige Analysten der „Linken“ erklärt, die DemonstrantInnen auf den Straßen von Teheran und in den anderen Großstädten entstammten den begütertsten Schichten der städtischen Mittelklasse, und Mussawi sei ihr politischer Repräsentant. Ihnen zufolge habe Ahmadinedschad weiterhin eine starke Unterstützung bei der überwiegenden Bevölkerung in den städtischen und ländlichen Regionen der Armen. Diese angeblichen Analysten kennen sich weder in der Klassenstruktur der iranischen Gesellschaft noch der der islamischen Republik einigermaßen aus, weder kennen sie den Hintergrund der Wahlen noch die Konsequenzen für die Zukunft des Landes und nicht einmal der genauen Wahlergebnisse.

Bevor wir zu den Einzelheiten des Wahlkampfes, zur Wahl des Präsidenten und den Massenprotesten kommen, scheint es uns nötig, einen Überblick über die iranische Gesellschaft und das herrschende Regime zu geben.
Strukturelles Paradox des politischen Systems

Soziologisch betrachtet ist der Iran eine der gebildetsten Gesellschaften der Region: Die Analphabetenrate liegt bei unter 10 Prozent, es gibt 2,5 Mio. Studierende (von denen 51 % Studentinnen sind) bei einer Gesamtbevölkerung von 70 Mio., die insgesamt sehr jung ist (über 60 % sind unter 30 Jahre alt). Das Land wird von einem mittelalterlichen, diktatorischen politischen und juristischen System beherrscht. Bei ihrem Ziel, das private und öffentliche Leben der BürgerInnen zu reglementieren, werden die Verfassung und diverse Gesetze von einer rigiden Interpretation des Islams geleitet, die nicht den geringsten Platz für Demokratie im Allgemeinen lässt und besonders Frauen und Jugendlichen gegenüber kaum zu Zugeständnissen bereit ist.

Auf politischer Ebene handelt es sich um einen Doppelstaat ohne Vergleich, um ein theokratisches Regime unter der Maske einer Republik. Der Autor dieses Artikels hat im Übrigen eine detaillierte Beschreibung des politischen Systems der islamischen Republik abgeliefert.
Kurz erklärt gibt es auf der einen Seite eine Theokratie, die ohne Wahlen regiert und in allen Bereichen die Macht hält, bestehend aus:

  • dem obersten Führer (der Vertreter Gottes auf Erden, der von der Expertenversammlung, einer Versammlung von Würdenträgern bestimmt wird, die selbst wiederum ausgewählt und in einer komplexen Prozedur ernannt werden, in der das Volk wenig zu sagen hat);
  • dem Wächterrat der Verfassung (12 vom obersten Führer ausgesuchte Kleriker): Sie sind der Wachhund des Regimes, der überwacht, ob die Gesetze des Parlamentes und die Auswahl von Kandidaten für das Parlament und die Präsidentschaft auch mit dem Islam konform gehen;
  • der Expertenversammlung, die den obersten Führer wählt;
  • dem Entscheidungsrat, der bei Streitigkeiten zwischen dem islamischen Parlament und dem Wächterrat zu vermitteln hat;
  • dem Justizsystem, das darüber wacht, dass die islamischen Gesetze angewandt werden; es wird von ultrakonservativen Klerikern kontrolliert. Der Vorsitzende wird vom obersten Führer ernannt und ist ihm persönlich rechenschaftspflichtig;
  • den Streitkräften. Sie umfassen die Wächter der islamischen Revolution (WIR oder Pasdaran, die ideologische Armee des Regimes), sowie die klassischen Armeen. Die wichtigsten Befehlshaber der Armeen und der Revolutionswächter werden vom obersten Führer ernannt und sind nur diesem rechenschaftspflichtig. Die Aufgabe der Revolutionswächter ist es, die Gegner der islamischen Revolution zu bekämpfen. Sie kontrollieren die paramilitärischen Milizen (Bassidschi) und operieren in allen Städten.


Auf der anderen Seite gibt es durch Wahlen bestimmte Funktionen: Die des Präsidenten der Republik und der Mitglieder des islamischen Parlamentes (Majles). Alle vom Parlament angenommenen Gesetze müssen durch den sehr konservativen Wächterrat auf ihre Vereinbarkeit sowohl im Hinblick auf die Verfassung wie den Islam beurteilt werden. Die Mitglieder der Regierung werden vom Präsidenten ernannt. Der oberste Führer hat erhebliche Befugnisse in der Durchführung aller Handlungen, die mit der Verteidigung, der Sicherheit und der Außenpolitik zu tun haben.
Es ist offensichtlich, dass dieses System keiner Republik ähnelt. Wir möchten es als Kalifat (zu 90 %) bezeichnen, das sich als Republik (zu 10 %) verkleidet.

Seit Beginn der islamischen Revolution lagen diese beiden offensichtlich widersprüchlichen Aspekte (der theokratische und der auf Wahlen beruhende) des Systems miteinander in Spannung. Der erste Präsident der Republik, Bani-Sadr, wurde 1981 von Ayatollah Khomeini abgesetzt, weil es zwischen beiden große Meinungsverschiedenheiten gab. 1997 wurde der „islamische Reformist“ Khatami, der die Zivilgesellschaft öffnen und eine gut kontrollierte Beteiligung einiger Schichten der Gesellschaft an zweitrangigen politischen Entscheidungen des Landes durchsetzen wollte, ins Präsidentenamt gewählt. Der oberste Führer wie auch die Hierarchie der Pasdaran sahen darin eine Bedrohung ihrer Interessen. Die auf Wahlen beruhende Dimension des Systems kam während der achtjährigen Präsidentschaft von Khatami in Konflikt mit der theokratischen Dimension. Die Mehrzahl der vom Parlament, in dem die „islamischen Reformisten“ in der Mehrheit waren, angenommenen Gesetze wurde vom von den Konservativen dominierten Wächterrat abgelehnt.

Seit der Übernahme des Präsidentenamtes durch Ahmadinedschad 2005 war es die wesentliche Aufgabe des vom obersten Führer und der Armee der Pasdaran (die von Ahmadinedschad vertreten wurde) gebildeten Tandems, die Wahldimension zu neutralisieren, indem sie gleichzeitig an drei Fronten angriff. Zunächst manipulierte sie einige wichtige Teile des Staatsapparates, um ihre Autonomie zugunsten der Macht des Präsidenten zu reduzieren. Unter anderem ging es dabei um die Auflösung der Planbehörde (die für die Verteilung des staatlichen Budgets zuständig war), um den Abbau der Zentralbank (die die Geldpolitik bestimmte) und den Umbau der Exekutive und der Staatsverwaltung, um so die Autonomie der Ministerien abzubauen. Eine andere keineswegs weniger wichtige Maßnahme bestand in der Sicherung und Konsolidierung der absoluten Hegemonie der Armee der Pasdaran in politischen und wirtschaftlichen Bereichen. Heute stammen 30 % der Mitglieder des Parlaments, ein Drittel der Minister, die Chefs in den Schlüsselorganisationen des Staates wie auch bei Radio oder Fernsehen, der Mehrzahl der Bürgermeister, der Präfekten der Gouverneure der Regionen usw. aus der Armee der Pasdaran.

Das dritte Ziel bestand darin, nach und nach die Überreste des auf Wahlen beruhenden Teils des Systems zu zerstören, damit aus dem islamischen Regime eine totale Theokratie würde, ein „islamischer Staat“ ohne jede republikanische Dimension.
Im Verlauf seiner ersten Amtszeit ist es Ahmadinedschad teilweise gelungen, dieses dreifache Vorhaben in die Tat umzusetzen, indem er die sozialen Bewegungen unterdrückte (besonders die der Frauen, der Arbeitenden, der nicht-persischen Völker, aber auch die der StudentInnnen, die bereits unter Khatami geschwächt worden waren).

Zu Ende seiner ersten Amtszeit gelang es Ahmadinedschad, den Staatsapparat zu bändigen und die Grundlagen für eine völlige Hegemonie des Blocks an der Macht zu legen, der aus dem obersten Führer und einer Fraktion der Pasdaran-Armee gebildet wurde. Die Präsidentschaftswahlen von 2009 sollten das Werk des neuerlich kandidierenden Präsidenten krönen und das Gespenst einer hinsichtlich der Theokratie, die vom obersten Führer vertreten wird, autonomen Präsidentschaft endgültig bannen. Doch gab es im Rahmen der neuen Wahlen massive Differenzen, die die Pläne des Duos an der Macht durchkreuzt haben, Pläne die eigentlich nicht mehr und nichts weniger waren als ein schleichender Staatsstreich. [2] Die Pläne bestanden darin, dem neuerlich für das Präsidentenamt kandidieren Ahmadinedschad einen triumphalen Wahlsieg zu besorgen, um angesichts des neuen US-amerikanischen Präsidenten eine internationale Legitimität zu sichern und Ahmadinedschad mit einer Statur zu versehen, die die Unzufriedenheit im Innern der Machtelite (das Lager des Pragmatikers Rafsandschani und die Minderheit der Reformkräfte) im Zaum halten sollte. Und dies umso mehr, als in den Augen der herrschenden Fraktion des Regimes ein Sieg des „Reformkandidaten“ Mussawi mit der neuen Präsidentschaft in den USA einhergehen würde, was zumindest zeitweilig die Spannungen im Verhältnis zu den USA zurückgefahren hätte und damit das islamische Regime seines bequemen äußeren Sündenbocks beraubt hätte. Dies war inakzeptabel.

Ahmadinedschad ist nicht Chávez!

Ahmadinedschad ist ein Führer der extremen Rechten, der nach dem Vorbild des Klerus in der Revolution von 1979 versucht, die Unterstützung der Massen zu bekommen, indem er zu einer nationalistisch-populistischen und auf die Dritte Welt bezogenen Demagogie Zuflucht nimmt. Einige Teile der Linken im Westen verwechseln das in ihrer Naivität und Dummheit mit Antiimperialismus und einer Politik zugunsten der Habenichtse.

Die Unterstützung durch den Präsidenten Venezuelas, Chávez, ist in ihren Augen der Beweis; sie vergessen aber diejenige von Moskau, von Peking oder von Nordkorea für Ahmadinedschad. Doch die diplomatische Unterstützung durch Chávez kann für uns kein Kriterium unserer Analyse der Regierung Ahmadinedschad sein. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern als Öl exportierenden Staaten sind von der Suche nach einem Bündnis in der OPEC geprägt. Ein kurzer Vergleich der Lage von Venezuela mit den realen Lebensbedingungen des Volkes im Iran unter Ahmadinedschad zeigt die grundverschiedene Natur der beiden Regierungen. Unter der Regierung Chávez in Venezuela entwickeln sich die Gewerkschaften und die militanten Kämpfe der Arbeitenden, die Lohnabhängigen können aufgegebene Fabriken besetzen und sie unter Arbeiterkontrolle verwalten. Ganz im Gegensatz zum Iran, wo die Arbeitenden keinerlei Recht auf gewerkschaftliche Organisierung oder Streiks haben – und wenn sie sich über diese antidemokratischen Gesetze hinwegsetzen, riskieren sie eine äußerst brutale Repression.

Während der ersten Amtszeit von Ahmadinedschad wurden die Arbeitenden aus allen Richtungen von den Kapitalisten und der Regierung angegriffen. Unter diesen Angriffen befand sich das neue Arbeitsrecht von Ahmadinedschad, das ganz und gar gegen die Arbeitenden gerichtet ist. Es vergeht keine Woche ohne Protestaktionen wie Streiks, Demonstrationen, Versammlungen und sit-ins von Arbeitenden, LehrerInnen, Krankenschwestern usw. So haben 2006 in Teheran 3000 Busfahrer die Initiative ergriffen und eine Gewerkschaft gegründet; darauf hat die Regierung mit brutaler Repression und massiven Entlassungen geantwortet. Die Gewerkschaftsführer wurden ebenfalls von der Polizei angegriffen – sogar der Generalsekretär der Gewerkschaft, M Ossalu. Zunächst haben sie ihn brutal gefoltert und dann zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Er sitzt seit 2007 im Gefängnis.

Nach dem Spektakel der Fernsehdebatten in der letzten Phase des Wahlkampfes hat das Regime ab dem 2. August ein ganz anderes Schauspiel geboten: Es war dies der Beginn der Prozesse gegen diejenigen, die das Regime als „Krawallmacher und Beteiligte an einer samtenen Revolution“ bezeichnete, die angeblich die Sicherheit des Staates in Gefahr bringen usw. Unter den Beschuldigten befand sich neuerlich M Ossalu in der Rolle eines Agenten des Imperialismus, der angeklagt wurde, die Absicht zu haben, eine Revolution zum Vorteil ausländischer Mächte organisieren zu wollen – und dies aus dem Gefängnis heraus!

Als am 1. Mai 2007 Gewerkschafter in Sanandadsch eine Demonstration zu organisieren versuchten, wurden sie von der Polizei brutal niedergeschlagen. Elf Gewerkschafter wurden zu unzähligen Peitschenhieben und Strafzahlungen verurteilt. Als 2000 ArbeiterInnen am 1. Mai jenes Jahres in Teheran eine Demonstration zu organisieren versuchten, wurden sie von der Polizei brutal unterdrückt. Hundertfünfzig AktivistInnen wurden verhaftet (einige sitzen noch immer im Gefängnis). Millionen iranischer ArbeiterInnen haben seit Monaten keinen Lohn gesehen. Wenn sie sich zu organisieren versuchen, kommt es zu polizeilichen Übergriffen.

Einschüchterung, Entlassungen, Verhaftungen, Gefängnis und Folter von kämpferischen ArbeiterInnen und Gewerkschaftern sind übliche Praxis in der islamischen Republik. Doch seit der Präsidentschaft von Ahmadinedschad haben solche Praktiken zugenommen. Sein Regime und der Präsident sind nicht nur Gegner der Frauen und der Jugendlichen, sie sind vor allem Gegner der Arbeitenden. In den Jahren 2008 und 2009 gab es in vielen Ländern Solidaritätstage mit den Arbeitenden im Iran, die von vielen Gewerkschaften auf internationaler Ebene organisiert wurden.

In Venezuela hat die Regierung Chávez den Prozess der Privatisierung von öffentlichen Betrieben gestoppt und eine Reihe von Privatunternehmen verstaatlicht. Im Gegensatz dazu hat Ahmadinedschad im Iran die Privatisierung von staatlichen Unternehmen beschleunigt. Seit 2007 hat er in weniger als zwei Jahren 400 wichtige Unternehmen privatisiert, darunter die Telekommunikation, das Stahlwerk Mobarakeh in Isfahan, das Kurdistan-Zementwerk usw. Dazu gehören auch die meisten Banken, die Versicherungen, die Öl- und Gasunternehmen usw. Ahmadinedschad wurde vom Internationalen Währungsfond, der Organisation, die die Geschäfte des weltweiten Kapitalismus führt, belobigt, weil sich seine Regierung so gut aufgeführt habe. Es handelt sich um etwas Unerhörtes, was man weder unter dem bisherigen Regime noch unter dem des Schahs erlebt hat.
Die Bilanz von Ahmadinedschad

Der programmierte Zusammenbruch der landwirtschaftlichen Produktion hat den Iran gezwungen, zwischen 2008 und 2009 in den USA 1,18 Mio. Tonnen Weizen zu kaufen und große Mengen Zucker zu importieren, die dem Verbrauch des Landes von zehn Jahren entsprechen. Und dies, obwohl der Iran bis vor kurzem der drittgrößte Exporteur von Zucker war und das Land sich selbst mit Weizen versorgen konnte. Doch dies hat der Steigerung der Einfuhren gedient, was den mit dem Import verbundenen Mullahs genützt hat.

Der Iran ist der zweitgrößte Ölproduzent und hält 10 Prozent der weltweit bestätigten Reserven an Erdöl. Das Land verfügt auch über die weltweit zweitgrößten Erdgasreserven. Nachdem der Iran die erste und die größte Raffinerie gebaut hatte, konnte er Benzin exportieren. Heute zwingt der Mangel an Raffinerien das Land, 40 % seines Verbrauchs zu importieren, was das Land jährlich 4 Mrd. Dollar kostet.

Die ausländischen Direktinvestitionen im Iran haben 2007 mit 10,2 Mrd. Dollar einen Rekord erreicht – verglichen mit den 4,2 Mrd. 2005 und 2 Mrd. 1994. Zwischen 2000 und 2007 beliefen sich die ausländischen Transaktionen mit dem Iran auf 150 Mrd. Dollar.

Zwanzig europäische Länder, besonders Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande und Spanien, haben über 10,9 Mrd. Dollar im Iran investiert. Die kanadischen und US-Unternehmen haben sich ebenfalls an Wirtschaftsprojekten im Iran mit einem Wert von 1,4 Mrd. Dollar beteiligt. Unter den US-Unternehmen findet man Haliburton (einer der wichtigsten Aktionäre ist der frühere Vizepräsident der USA, Dick Cheney, der den Iran angreifen wollte!). Trotz des Handelsembargos gegen den Iran hat Haliburton dieses Jahr für über 40 Mio. Dollar Ausrüstungsgegenstände für die Ölförderung geliefert. Ein weiteres Beispiel: 2008 betrug der Wert der Ausfuhren aus den USA in den Iran das Doppelte im Vergleich zum Vorjahr. All dies geschah während der ersten Amtszeit von Ahmadinedschad.

Unter seiner Präsidentschaft haben die Pasdaran auf wirtschaftlichem Gebiet ihr immenses Finanzimperium, das von der Regierung unabhängig ist, ausgebaut. Sie haben die Hand auch in den Produktionsbereich, die Verteilung und den Handel ausgestreckt. Mittels diverser Stiftungen – wirtschaftliche Hände, die juristisch nicht von der Regierung kontrolliert werden können und nur dem obersten Führer rechenschaftspflichtig sind, ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Prozeduren zu durchlaufen, etwa Angebote einholen zu müssen – erhalten sie Konzessionen in Höhe mehrerer Milliarden Dollar, etwa für den Bau von Ölleitungen, aber auch, um über Petro-Pars einen Teil der Einkünfte aus dem iranischen Öl einsacken zu können. Kein finanziell interessanter Bereich entgeht ihnen, weder der Drogenhandel (2006 ein Markt von 10 Mrd. Dollar) noch der Sexhandel und die Prostitutionsnetze zugunsten der Ölmonarchien am Golf.

Zweites Beispiel: Vor einigen Monaten, in der großen Krise des weltweiten kapitalistischen Systems, hat der Saipa-Komplex, der zweite Autobauer des Iran, dessen Mehrheitsaktionär eben die Pasdaran-Armee ist, bei Chrysler 55 000 Autos bestellt, die im Iran zusammengebaut werden sollen. Der Leiter dieses riesigen Industriekomplexes ist erst 25 Jahre alt und von Ahmadinedschad höchstpersönlich ernannt worden. Das Ziel der Operation war es, an der von George Bush gestarteten Rettungsaktion für Chrysler teilzunehmen und vor allem ein Zeichen des Wohlwollens von Seiten des Irans auszusenden.

Nach offiziellen Angaben liegt die Armutsrate im Iran bei 21 %, also bei etwa 16,5 Millionen Menschen, die unter der Armutsschwelle leben müssen. Aber laut einem Bericht der UNO müssen 550 000 Kinder von weniger als einem Dollar pro Tag leben und 35,5 % der Bevölkerung verdienen zwei Dollar am Tag, während die Armutsgrenze auf 650 Dollar im Monat festgelegt ist. Somit kommen wir auf 40 und nicht 21 Prozent Arme. Und diese Statistiken stammen auch noch aus der Zeit, als sich der Ölpreis verdreifacht hatte.

Die Wirtschaftspolitik von Ahmadinedschad während seiner ersten Amtszeit war eine Katastrophe: Die Inflation lag bei über 25 % im Jahr, die Arbeitslosigkeit bei etwa 40 % der aktiven Bevölkerung, es kam zu einem Abbau des Produktionssystems, und die Armut suchte die gebrechlichen Schichten der Bevölkerung vermehrt heim. Eine offizielle Studie von 2006 zeigte, dass es im Iran 3,2 Millionen Drogenabhängige gibt, von denen 40 % zwischen 14 und 16 Jahre alt sind.

Auch wenn die Regierung Ahmadinedschad den amerikanischen Imperialismus und das zionistische Regime in Israel kritisiert, mit der Absicht, die Aufmerksamkeit der Massen von den inneren Problemen abzulenken, dann ist es noch nicht einmal im Kampf gegen diesen Feind konsequent. Die Abkommen über die Zusammenarbeit der iranischen Regierung mit der US-Besatzungsmacht im Irak und in Afghanistan sind inzwischen wohlbekannte Tatsachen. Im Irak spielte das iranische Regime, statt einen vereinigten nationalen Befreiungskampf zu befördern, eine Schlüsselrolle bei den Spaltungen der irakischen Bevölkerung.

Sicherlich handelt es sich bei Rafsandschani und Khatami um Vertreter eines prowestlichen und pro-imperialistischen liberalen Kapitalismus. Doch auf diesem Pfad haben Ahmadinedschad und die Fraktion des Regimes, die er vertritt, sie längst hinter sich gelassen. Der Unterschied zwischen den beiden Mafiabanden ist, dass die einen in ihrer Position der Schwäche sich an die Sprache der „Demokratie“ halten, während die anderen die des „Antiimperialismus“ benutzen.
Der iranische Frџhling mitten im Winter des Mittelalters

In diesem gespannten politischen und wirtschaftlich verheerenden Kontext war das iranische Volk aufgerufen, sich an jener Farce zu beteiligen, die das islamische Regime als „Präsidentschaftswahl“ bezeichnet hat. Der Begriff „Wahlen“ scheint uns unangebracht, weil die Kandidaten durch einen Rat im Voraus ausgewählt wurden, der seine Meinung über ihre Kompetenz und religiösen Tugenden abgab.

Die wichtigste Rolle dieser Wahlen besteht in der Legitimierung der nicht gewählten Strukturen, die die Staatsmacht halten. Daher unternimmt das Regime bei jeder Wahl größte Anstrengungen, möglichst viele Stimmzettel in die Urnen zu bekommen. Hierin liegt ein Schlüssel zum Verständnis des durch die Wahlen unternommenen Staatsstreichs, wie er von Ahmadinedschad und dem obersten Führer inszeniert worden ist.

Die Wahlen haben den verschiedenen Fraktionen des Klerus und des Serail des Regimes ermöglicht, die Legitimität ihrer Lösungsvorschläge zu überprüfen, indem sie dank der Wahlergebnisse ihr Gewicht in der Hierarchie verstärken. Während die Wahlen für das Volk ganz und gar undemokratisch waren, haben sie dem gesamten Klerus an der Macht aus diesem Grund eine große Freiheit ermöglicht. Es handelt sich eigentlich um eine Form innerer Demokratie innerhalb der herrschenden Klasse. [3]

Aufgrund der Heftigkeit der Repression haben die Völker des Irans, die der Meinungsfreiheit beraubt sind, die Rivalität zwischen den Fraktionen genützt, um zu manövrieren und einen gewissen Freiraum zu erhalten. Sie haben dies sowohl mittels ihrer Stimmen als auch des Wahlboykotts getan: Die massive Beteiligung bei der Wahl von Khatami 1997 (sein Gegenkandidat war der offizielle Vertreter des Regimes, womit die Sache eigentlich ein Referendum gegen das Regime war) und der massive Boykott der Wahlen zur Madschlis (Parlament) 2004 (fast alle Reformkandidaten wurden nicht gewählt) sind dafür Beispiele.

Während dieser Wahlen hat Ahmadinedschad im Bündnis mit einem Teil der iranischen Revolutionsgarden und einer Handvoll Mullahs vor allem versucht, den Klerus seiner Fähigkeit zu berauben, die Wahlen als Instrument zu verwenden, um die Machtbasis seiner besonderen Fraktionen im Innern des Regimes zu vergrößern. Das war keineswegs ein Blitz aus heiterem Himmel. Im Verlauf der vergangenen 15 Jahre, nach dem Ende des Krieges gegen den Irak, wurden die Wahlen immer sorgfältig inszeniert, um alle Organe – ob wählbar oder auch nicht – unter Kontrolle zu bekommen. Parallel dazu wurde der militärische und Sicherheitsapparat zu einer wichtigen wirtschaftlichen Kraft im Land.

Von den 475 Leuten, die sich um die Präsidentschaft bewarben, wurden vom Wächterrat nur vier ausgesucht: Mussawi, der frühere Ministerpräsident (zwischen 1981 und 1988) und Kandidat der Reformer; Ahmadinedschad, der amtierende Präsident, der ein zweites Mandat anstrebte; Karrubi, der frühere Präsident des islamischen Parlamentes und Resa’i, ein früherer Kommandant der Pasdaran. Ahmadinedschad und Mussawi repräsentierten jeweils eine Fraktion des Regimes und waren die Hauptdarsteller im großen Spektakel.

Der „reformerische“ Kandidat Mussawi ist keineswegs besser als seine Gegenspieler. Er war in den 1980er Jahren Ministerpräsident, in einer Zeit, als 30 000 AktivistInnen der Linken umgebracht wurden. Plötzlich hatte er entdeckt, dass die islamische Republik – gegen die er eigentlich nichts hat – „reformiert“ werden muss, dass also einige kleinere Veränderungen vorgenommen werden müssen, damit alles so bleiben kann wie zuvor. Die Gegnerschaft zwischen Mussawi und Ahmadinedschad ist eine Gegnerschaft zwischen zwei Fraktionen eines reaktionären Staates, die unterschiedliche Strategien verfolgen, um das gegenwärtige Regime zu retten: Der eine möchte von oben Reformen durchführen, um eine Revolution von unten zu verhindern; der andere fürchtet, dass die Reformen von oben zu einer Revolution von unten führen könnten.

Um die Strategie des Regimes während der Wahlen 2009 besser verstehen zu können, muss man betonen, dass die Wahlen von 2005 die Massen keineswegs angezogen haben, weil das iranische Volk von den acht Jahren der Präsidentschaft von Khatami, dem „Reformer“ (1997-2005) stark enttäuscht war. In einem sehr populistischen und demagogischen Diskurs versprach der Kandidat Ahmadinedschad das Blaue vom Himmel herunter, um WählerInnen auf sich zu ziehen. Durch mäßigen Wahlbetrug (ein paar Millionen Stimmen!) gelang es ihm, die Wahlen zu gewinnen, und zwar ebenfalls gegen vier Kandidaten, die unter über Tausend ausgesucht worden waren.

Die Maskerade der Wahlen

Die Maskerade der Präsidentschaftswahlen 2009 war von ganz anderem Charakter. Man setzte alles daran, um den Anschein einer demokratischen Wahl zwischen den vier Kandidaten des Serail zu wahren, die das Sieb des Wächterrates passiert hatten. Um Vertrauen wiederzugewinnen oder vielmehr die bereits verlorenen Stimmen, veränderte die Fraktion oberster Führer-Ahmadinedschad die Taktik und änderte einfach die Spielregeln. In der Zeit des Wahlkampfes wurden relativ freie Debatten im Fernsehen organisiert und neuen Zeitungen wurde das Erscheinen erlaubt.

Während des Konfliktes um das Atomprogramm musste das Regime der „internationalen Gemeinschaft“ seine Legitimität zeigen. Weil es das Niveau der Unzufriedenheit und der Gegnerschaft im Land nicht kannte, wurde zwei Wochen vor den Wahlen eine spektakuläre Show von Fernsehauftritten gesendet, was es in den dreißig Jahren des Bestehens des Regimes noch nie gegeben hatte. Die Presse und die Medien der reformerischen Fraktion profitierten von dieser kurzzeitigen relativen Freiheit. Im Rahmen der bestehenden Ordnung erlaubte man es jedem der vier Kandidaten, auf die Schwachpunkte der jeweiligen Gegner einzugehen.

Korruption, Inkompetenz, Lügen und Täuschungen waren noch die vorsichtigsten Anschuldigungen und sogar Ahmadinedschad, der sich der Unterstützung von Khameini sicher war, überschritt die üblichen roten Linien. Sein Angriff ging gegen Rafsandschani, der frühere Präsident und Rivale des obersten Führers, der über ein riesiges Vermögen verfügt. Aber die Elite des Regimes in beiden Fraktionen unterschätzte den Umfang des Hasses und Zornes unter den jungen Leuten, den Frauen, den Arbeitenden, die über 80 % der Bevölkerung ausmachen. Diese Debatten der Kandidaten waren der Tropfen, der das Fass des Zornes des Volkes zum überlaufen brachte, der sich in den vergangenen 30 Jahren aufgestaut hatte.

Die Fernsehdebatten haben eine wesentliche Rolle bei der Unterstützung von Mussawi gegen den Präsidenten gespielt. Während Ahmadinedschad ganz einfach das Ausmaß der Inflation, der Arbeitslosigkeit, des Niedergangs der Wirtschaft und der Korruption bestritt, betonte Mussawi das Ausmaß der Desaster, die sich im Verlauf der ersten Amtszeit des wieder kandidierenden Präsidenten ereignet hatte. Von der übergroßen Mehrheit der FernsehzuschauerInnen wurde Ahmadinedschad als zynisch, arrogant und verlogen angesehen, während sein Gegner, der in den vergangenen zwanzig Jahren keine politische Funktion im Regime bekleidet hat, als der am wenigsten schlechte der vier erschien. Ahmadinedschad ging sogar so weit, die Frau von Mussawi anzugreifen, was bei den FernsehzuschauerInnen auf breite Ablehnung stieß. Er klagte auch wichtige Vertreter der politischen Elite, darunter Rafsandschani, der Korruption an, wobei er während seiner ganzen Amtszeit der Justiz nicht einen ernstzunehmenden Hinweis gegen die beschuldigten Personen geliefert hatte.

Die Maskerade der Präsidentschaftswahlen von 2009 ist von ganz anderer Natur. Alles wurde getan, damit der Anschein einer demokratischen Wahl unter den vier Kandidaten des engeren Machtzirkels, die vom Wächterrat ausgesiebt worden waren, aufrechterhalten wurde. Um das Vertrauen oder vielmehr die von vornherein verlorenen Stimmen wiederzugewinnen, hat die Fraktion Oberster Führer/Ahmadinedschad die Taktik geändert und die Spielregeln modifiziert. Während des Wahlkampfs wurden relativ freie Debatten im Fernsehen organisiert, das Erscheinen neuer Zeitungen wurde genehmigt.

Während des Konflikts um das Nuklearprogramm musste das Regime gegenüber der „internationalen Gemeinschaft“ seine Legitimität demonstrieren. Während der Grad der Unzufriedenheit und das Ausmaß der im Land existierenden Opposition ignoriert wurde, brachte das Fernsehen zwei Wochen vor dem Urnengang eine spektakuläre Debatte, etwas, was es während der dreißigjährigen Existenz des Regimes nicht gegeben hatte. Die Presse und die Medien der Reformerfraktion wahren Nutznießer einer relativen Freiheit von kurzer Dauer. Im Rahmen der bestehenden Ordnung war es jedem der vier Kandidaten erlaubt, die Schwachpunkte ihrer Kontrahenten bloßzustellen. Korruption, Inkompetenz, Lügen und Betrug waren die nobelsten Beschuldigungen, und selbst Ahmadinedschad, der Unterstützung durch Khamenei gewiss, hat die üblichen roten Linien überschritten. Seine Zielscheibe war Rafsandschani, Ex-Präsident und Rivale des Obersten Führers, dessen Vermögen kolossal ist. Aber die Elite des Regimes, die zu beiden Fraktionen gehört, hat den Grad des Hasses und der Wut unter der Jugend, den Frauen und den Lohnabhängigen, die mehr als 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen, unterschätzt. Diese Debatte der Kandidaten war der Tropfen, der das Fass des in den letzten dreißig Jahren angesammelten Volkszorns überlaufen ließ.

Die Fernsehdebatten haben eine entscheidende Rolle in der Stärkung Mussawis gegen den scheidenden Präsidenten gespielt. Während Ahmadinedschad das Ausmaß der Inflation, der Arbeitslosigkeit, der Korruption und des Niedergangs der Wirtschaft einfach leugnete, unterstrich Mussawi den Umfang der Katastrophen während der ersten Amtszeit des scheidenden Präsidenten. Letzterer wurde von der großen Mehrheit der Fernsehzuschauer als arroganter Zyniker und Lügner wahrgenommen, während sein Kontrahent, der in den letzten zwanzig Jahren keine politische Verantwortung innerhalb des Regimes übernommen hatte, als der am wenigsten schlechte der vier Kandidaten erschien. Ahmadinedschad ging sogar so weit, die Frau Mussawis anzugreifen, für die Zuschauer ein intolerabler Akt. Er beschuldigte einige prominente Mitglieder der politischen Elite, darunter Rafsandschani, der Korruption, während er während seiner gesamten Präsidentschaft gegen die beschuldigten Personen keinerlei für die Justiz brauchbare Indizien geliefert hatte.

In Wirklichkeit war die Mehrheit der iranischen Bevölkerung bereits über den durch Korruption angehäuften enormen Reichtum Rafsandschanis und seiner Familie auf dem Laufenden. Es waren die Auslandskonten von Mitgliedern der Familie Khamenei (darunter sein Sohn, dessen persönliches Konto von 1,6 Milliarden Pfund Sterling in London blockiert wurde) und Diagramme, die Schlüsselstellen im Finanzwesen zeigen, die von Ahmadinedschads Entourage besetzt werden, die die Glaubwürdigkeit dieses konservativen Kandidaten, Demagogen, Lügners und Favoriten der herrschenden Fraktion des Regimes zerstörten.

Die Fernsehdebatten haben somit eine grundlegende Rolle gespielt, nicht nur für die massive Beteiligung der Bevölkerung, vor allem der Jugend und der Frauen, die gegen Ahmadinedschad zur Wahl gegangen sind, sondern auch für das Zerbrechen der Mauer der Angst, die in der iranischen Gesellschaft in den vorangegangenen Jahren geherrscht hat. Dieser sekundäre Effekt war viel wichtiger als die Debatten selbst.

Diese neue Situation von kapitaler Bedeutung kam zu den außerordentlichen Bedingungen dieser Vorwahlperiode hinzu. Einige Wochen lang fand auf den Straßen ein intensives gesellschaftliches Ereignis von festlichem, überschwänglichem, gefühlsbetontem, in einem Wort revolutionärem Charakter statt. Es ist interessant, dass seit diesen Tagen eine Tageszeitung namens „Die Straße“ im Untergrund von jungen revolutionären Marxisten herausgegeben wird. Gruppen von jungen Menschen haben angefangen, durstig nach Freiheit, auf die Straße zu gehen und ihre Stimmen vernehmen lassen. Sie blieben dort bis spät in der Nacht, um untereinander zu diskutieren. Gruppen von Ökonomen, Soziologen, Künstlern, Universitätsdozenten und bekannten Intellektuellen sowie auch Arbeiter wurden in dieser Vorwahlperiode aktiv und denunzierten die populistische Demagogie Ahmadinedschads. Ohne eine andere Wahl zu haben, war die große Mehrheit der Bevölkerung gezwungen, Mussawi zu wählen, in dem sie die Negation des ganzen Regimes sah.

Am 12. Juni, dem Tag der Wahlen, kam es zu einer massiven Beteiligung, die die Erwartungen der Vertreter des Regimes überstieg (mehr als 39 Millionen, bei 46 Millionen Wahlberechtigten). Aber am Tag nach den Wahlen war der Schock enorm: der scheidende Präsident soll von mehr als 63 Prozent der Bevölkerung gewählt worden sein, während Mussawi nur halb soviel Stimmen bekommen haben soll. Alles deutete in den Augen eines großen Teils der öffentlichen Meinung auf einen massiven und plumpen Betrug hin, der auf die Spitze des Staates zurückgeht, die nicht einmal die elementaren Regeln der Überprüfung respektierte (zehn Tage für die Einreichung einer Beschwerde).

Drei Stunden nach Schließung der Wahllokale hat das iranische Innenministerium das Hauptquartier Mussawis angerufen, um ihm zu gratulieren und ihn aufzufordern, eine Erklärung zum Wahlsieg vorzubereiten. Dann, plötzlich, war alles anders. Mehrere Kommandanten der Revolutionswächter besetzen und konfiszieren das Wahlkampfbüro Mussawis. Anschließend werden die gefälschten Wahlresultate verkündet, was eine Welle von Demonstrationen auslöst.

Es ist offensichtlich, dass Khamenei, umgeben von seinen subalternen Beratern, den Volkszorn unterschätzt hat, den das gefälschte Wahlergebnis ausgelöst hatte. Andernfalls hätte er einen maßvolleren Prozentsatz für den „Sieg“ Ahmadinedschads gewählt. Aber um Ahmadinedschad als wirklich legitimes Oberhaupt des Iran zu etablieren, brauchte Khamenei eine höhere Stimmenzahl als die von Khatami 1997 erzielten 20 Millionen. Mit dem Rückgang kann man vielleicht denken, dass es vielleicht möglich war, dass das islamische System gerettet sei, wenn das Regime sich mit einem Sieg Ahmadinedschads mit einem geringeren Vorstoß oder gar einem zweiten Wahlgang begnügt hätte. Alternativ hätte eine Präsidentschaft Mussawis – trotz der Probleme infolge seiner übertriebenen Versprechen bezüglich der individuellen Freiheit im Rahmen eines religiösen Staates – gewiss das Leben des islamischen Regimes für mehrere Jahre verlängert, bis eine andere Generation der iranischen Jugend sich von den vagen Reformversprechen abwendet und gegen die Feigheit und das Zögern der „islamistischen Modernisierer“ rebelliert.

Die drei Wochen, die den Wahlen vorangingen, werden von einigen als „iranischer Frühling“ bezeichnet. Die Menschen – vor allem die Jugend und die Frauen – haben eine Periode des Bruchs mit der Repression, mit der islamistischen Ideologie, der theokratischen Phraseologie und der Scharia durchlebt. In einem Wort, ein Bruch mit allem, was Ahmadinedschad verkörpert. Sie konnten die Ausdrucksfreiheit genießen und die demokratischen Demonstrationen entdecken. In diesen Tagen sind die symbolischen Fundamente der islamistischen Macht erschüttert worden, die Angst wurde ersetzt durch Kühnheit, die Trauer durch den Festtag und der Individualismus durch die Solidarität. Die Macht hat die Büchse der Pandora geöffnet, das vom Regime organisierte Spiel wandte sich gegen es selbst. Diese Wahlinszenierung wurde dem Volk gewährt, und die Macht glaubte zu Unrecht, dass es sich um eine provisorische Periode handeln werde. In Wirklichkeit war die Bevölkerung, nachdem sie einmal mit dem Segen des Regimes von der verbotenen Frucht genascht hatte, bereit dafür zu kämpfen, um dies dauerhaft einzufordern. Dies ist dem islamistischen Staat vollständig entgangen, und zwar all seinen Fraktionen, einschließlich der „Reformer“, die glaubten, dass die neuen Generationen passiv und gefügig wären. Es zeigte sich jedoch das Gegenteil.

Nach der Verkündigung der Wahlresultate ist sehr schnell klar geworden, dass Mussawi ein schwacher Charakter ist, und seine Popularität hat nicht aufgehört zu sinken, denn er versuchte sich an die Massenbewegung anzuhängen, um sie zu kontrollieren, damit sie den legalen Rahmen des Systems nicht überschreitet. Mussawi (tatsächlich die Fraktion des Regimes, die er repräsentiert) findet sich, ohne es zu wollen, im Auge eines Zyklons von historischer Dimension wieder. Und wenn diese Fraktion ihre Privilegien nicht verlieren will, hat sie keine andere Wahl als von nun an dieser menschlichen Flut zu folgen. Diese weist darauf hin, dass der Oberste Führer illegitim ist. Seine Glaubwürdigkeit als religiöse Autorität ist schwach gewesen und bleibt schwach. Von nun an ist auch seine Glaubwürdigkeit als Oberster Führer zerbrechlich geworden. Mussawi ist zweifellos nicht Khomeini. Aber Khamenei erinnert zunehmend an den Schah oder vielmehr an einen Kalifen. Aber was ist die reale Macht hinter dieser gefälschten Präsidentschaftswahl, die vom Lager Mussawis als „Staatsstreich per Wahlen“ eingeschätzt wird? Allgemein besteht die Ansicht, dass der Oberste Führer, der Ayatollah Khamenei, als Oberkommandierender der Streitkräfte der Chef dieses Staatsstreichs ist. Aber die Wirklichkeit ist komplexer.

Seit dem Machtantritt Ahmadinedschads 2005 versäumen die Chefs der Islamischen Revolutionsgarden (IRG) keine Gelegenheit, von der „internen Bedrohung“ gegen sie zu sprechen. Darüber hinaus hat der Chef der politischen Abteilung der IRG einige Tage vor den Wahlen vom 12. Juni Mussawi und andere Reformer beschuldigt, eine „farbige“ Revolution zu versuchen (Mussawi hat Grün, die Farbe des schiitischen Islam, als Symbol für seinen Wahlkampf verwendet), und angekündigt, dass die Pasdaran „sie ersticken würden, bevor sie das Licht der Welt erblickt“. Die Urheber dieses „Staatsstreichs“ sind tatsächlich die Mitglieder des Oberkommandos der IRG.

Wer sind die Pasdaran?

Die gegenwärtigen Mitglieder der Pasdaran waren in der Epoche der iranischen Revolution von 1978/1979 etwa 20 Jahre alt. Sie traten den IRG nahezu unmittelbar nach der Revolution bei und führten in den 80er Jahren zwei schreckliche Kriege: gegen die Armee Saddam Husseins, die im September 1980 den Iran überfallen hatte, und gegen Oppositionelle – wie linke Gruppen und die Volksmudschahedin – im Innern des Landes. Im Juni 1981 führten die IRG einen blutigen Kampf gegen sie, bei dem sie Zehntausende töteten und weitere Zehntausende Oppositionelle zwangen, ins Exil zu gehen.

Während des Krieges mit dem Irak (1981–1988) wurden die IRG auch vom Regime als Schlüsselelement für die Durchsetzung einer harten politischen Repression benutzt, deren Resultat die physische Beseitigung aller laizistischen politischen Gruppen von der iranischen Bühne war. Dies erlaubte die Errichtung einer religiös-kapitalistischen Diktatur. Sogleich nach dem Ende des Krieges mit dem Irak wurden mit Zustimmung der Pasdaran Tausende politische Gefangene hingerichtet. Ayatollah Khomeini starb im Juni 1989 und diese jungen Pasdaran haben sich darauf in zwei Lager gespalten.

Im Lager der sog. „islamischen Linken“ war man der Auffassung, dass das Regime zur Vermeidung einer Revolution eine politische Öffnung benötigte und die grausame Repression der 80er Jahre beendigen sollte. Zahlreiche Mitglieder dieser Gruppe waren aus dem Apparat des Nachrichtendienstes hervorgegangen; sie waren entsprechend perfekt über das auf dem Laufenden, was in der Gesellschaft geschah, und spürten die Gefahr einer Revolution und einer sozialen Explosion. Ihre Vision war die Reform des Systems im Rahmen des Islams, um das Regime zu retten. Sie wurden zu „islamistischen Reformern“. Auf diese Weise entstand die Fraktion der Reformer, und Khatami, der Sprecher ihres gemäßigten Flügels, wurde 1995 Präsident der Republik. Die Pasdaran des entgegengesetzten Lagers waren sehr konservativ und sind nach dem Krieg in den IRG geblieben. Ahmadinedschad und sein Regierungsteam gehören zu diesem Lager.

Parallel dazu entwickelte sich ein anderes Phänomen. Nach Khomeinis Tod tauchte ein anderes Konzept des „islamischen Staates“ auf, das noch reaktionärer als das von Khomeini begonnene war, und zwar mit dem Auftauchen einer ultrareaktionären islamistischen Gruppe namens „Hodschatiyeh-Gesellschaft“. Sie war in den 1950er Jahren gegründet worden und war eine erbitterte Gegnerin des sunnitischen Islam und der Bahai-Religion. Sie hatte sogar mit dem Geheimdienst des Schahs zusammengearbeitet, um die Propagierung des Kommunismus zu bekämpfen. Sie war auch gegen die Revolution von 1979 und das Konzept des von Khomeini entwickelten „Welayat-e Faqih“ (der Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten), das die Grundlage der Verfassung der Islamischen Republik Iran und seines politischen Systems bildet. Khomeini hatte die „Hodschatiyeh-Gesellschaft“ 1983 verboten. Ihr aktueller Führer ist der Ayatollah Mesbah, ein ultrareaktionärer Kleriker der harten Linie, die sich offen der Abhaltung von Wahlen widersetzt. Dies ist das geistige Vorbild für Ahmadinedschad. Unter den Jüngern des Ayatollah Mesbah findet sich die Mehrheit der Minister der aktuellen Regierung, eine große Zahl von hohen Kommandanten der IRG und ihres paramilitärischen Arms, der Bassidschi-Milizen, sowie des juristischen Apparats.

Seit seiner Wahl zum Präsidenten im Jahr 2005 hat Ahmadinedschad mehrfach die Worte des Ayatollah Mesbah gebraucht, wenn er vom „islamischen Staat Iran“ sprach statt von der „Islamischen Republik Iran“. Zwei Wochen vor den Wahlen hatte Mesbah eine Fatwa ausgegeben – ihr Inhalt wurde von einigen Mitgliedern des Innenministeriums enthüllt –, die den Gebrauch aller Mittel für die Wiederwahl Ahmadinedschads erlaubte und somit für die Fälschung der Wahlen grünes Licht gab. Die von der Hodschatiyeh-Gesellschaft propagierte theokratische Vision des „islamischen Staates“ entspricht den politischen Ambitionen der IRG. Heute stützt sich die konservative und herrschende Fraktion des Regimes auf die Allianz einer Handvoll Mullahs der Hodschatiyeh-Gesellschaft mit Mitgliedern des Oberkommandos der IRG. Es trifft zu, dass die politische Rolle der Islamischen Revolutionsgarden bei weitem nicht so bedeutend ist, wie das bei der Armee in der Türkei oder in Pakistan der Fall ist. Aber die Entwicklungen auf der politischen Bühne und das zunehmend größere Gewicht der IRG zeugen von ihrem beschleunigten Aufstieg zulasten des Klerus. Ein kapitalistisches Regime, das extrem nationalistische, populistische Losungen verwendet, über das Land durch den Terror von als Miliz organisierten Banden herrscht, den Applaus einer Öffentlichkeit erheischt, der nicht erlaubt wird, sich in einer anderen Form als der von oben angeordneten zu organisieren, und obendrein noch militärische Ambitionen hat – wo haben wir dies vorher gesehen?

Wer sind die Millionen, die demonstriert haben?

Unmittelbar nach der Wahl, am 13. Juni, als das Lager Mussawis mit der Reaktion auf die Wahlresultate zögerte, waren Studierende und AktivistInnen der Linken die ersten, die in Teheran auf die Straße gingen. Ihnen schlossen sich Demonstranten aus den Arbeitervierteln der Teheraner Vororte an, die Ahmadinedschad verabscheuen.

Tatsächlich standen von Beginn dieses Sommers an die Lohnabhängigen (deren Lebensstandard in den letzten drei Jahren beträchtlich gesunken ist), die erwerbslose Jugend und die Studierenden (die seit vier Jahren die Anwesenheit der Polizei in den Unis ertragen mussten) an der Spitze der Proteste. Besonders die jungen Frauen verabscheuen das Regime wegen seiner ständigen Einmischung in ihr alltägliches Leben. Sie haben durch ihre frühzeitige Präsenz auf den Straßen Teherans am 15. Juni Hunderttausende Teheraner (darunter Personen aus den Mittelschichten) ermutigt, sich den Demonstrationen anzuschließen. Dies alles hat Mussawi dazu gebracht, am späten Nachmittag selbst an der Demonstration teilzunehmen. Sie haben sogar weiter demonstriert, nachdem die Repression intensiver geworden war. Mangels klarer Direktiven seitens Mussawis oder des anderen sog. Reformkandidaten, Mehdi Karrubi, waren sie es, die einen Aufruf für die Demonstrationen des 9. Juli, des Jahrestags der blutigen Repression gegen die Studentenbewegung von 1999, lanciert haben.

Niemand kann an der Bedeutung des 15. Juni zweifeln. Jahrelang waren die IranerInnen gegenüber dem Regime isoliert, demoralisiert und voller Furcht. An diesem Montag befanden sich nach Angaben des Teheraner Bürgermeisters etwa 3 Millionen Menschen auf den Straßen der Hauptstadt. In Isfahan war der historische Schah-Dschehan-Platz (einer der größten Plätze der Welt) schwarz von protestierenden Menschen. Die Städte Schiras und Täbris erlebten Demonstrationen nie gesehenen Ausmaßes. Die Iraner haben endlich gesprochen und die Solidarität, die sie auf diesen Protestaktionen gefunden haben, hat ihnen ein beispielloses Vertrauen und das Gefühl des Sieges verliehen.

Wie 1979 ist es dieses Vertrauen, das ihnen Mut macht, sich den brutalsten Formen der Repression kühn und entschlossen entgegenzustellen. Die waffenlosen Protestierer standen den Bassidschi gegenüber und hatten dabei augenscheinlich keine Angst um ihr Leben. Bei einem Protest in einem Elendsviertel eines Vororts von Teheran, wo infolge regelmäßiger Zusammenstöße zwischen Bewohnern und Behörden Bassidschi-Einheiten stationiert worden waren, rief die Menge „Tod dem Diktator!“, griff die Bassidschi an und konnte sie aus dem Ort jagen. Dasselbe geschah auch in Teheraner Arbeitervierteln. Wenn die Viertel der Teheraner Bourgeoisie tagsüber ruhig blieben (in der Nacht stiegen die Leute in der ganzen Stadt auf die Dächer und skandierten Parolen gegen das Regime), so waren dagegen die Viertel der Arbeiterklasse, die Fabriken, die Bergwerke und die Elendsquartiere Schauplatz improvisierter und bedeutender Aktionen.

An der Spitze derjenigen, die der Furcht und der Repression trotzten und auf die Straßen Teherans strömten, finden wir Frauen (ein guter Teil von ihnen jünger als 30 Jahre), die niemals vergessen werden, wie die Pasdaran sie festgenommen und ausgepeitscht haben (vielfach mit 60-80 Schlägen), weil sie eine Haarsträhne gezeigt haben, sowie junge Menschen beiderlei Geschlechts, die in den letzten Jahren festgenommen, gedemütigt und eingesperrt wurden – nicht bloß weil sie eine politische Meinung geäußert haben, sondern in Hunderttausenden von Fällen, weil sie sich nicht an die strengen Auslegungen der islamischen Kleidungsvorschriften oder Verhaltensregeln gehalten haben. Sie werden nie die Brigaden der Sittenwächter vergessen.

Dann sind da noch die Studentinnen und Studenten, die genug haben von der Einmischung des Staates in jeden Aspekt ihres privaten und öffentlichen Lebens; die Werktätigen, die mit Armut, unbezahlten Löhnen, Arbeitslosigkeit konfrontiert sind; die Bewohner der Elendsviertel, die mit den Behörden im Dauerstreit liegen wegen Mangels an Wasser oder Elektrizität; die Eltern derjenigen, die vom Regime getötet wurden – nicht bloß während der jüngsten Proteste, bei denen mindestens 350 Personen ihr Leben verloren, sondern es geht um die Familien der über 30 000 AktivistInnen, die wegen ihrer politischen Ideen in den 80er und 90er Jahren hingerichtet wurden (und vergessen wir nicht, dass die Henker der über 6000 in den Gefängnissen ermordeten politischen Gefangenen sowohl im Lager der Reformer wie auch im Lager der Konservativen zu finden sind). Die Spaltungen an der Spitze haben einen Raum für eine authentische Massenbewegung eröffnet.

Schauen wir uns, um unsere antiimperialistischen Skeptiker aufzuklären, an, welche Haltung die iranische Arbeitervorhut einnimmt. Während des Wahlkampfs hat die Mehrheit der gewerkschaftlichen und Arbeiterorganisationen (die illegal sind) dazu aufgerufen, keinen der zur Wahl stehenden Kandidaten zu wählen, denn, erklären sie, keiner der Kandidaten repräsentiert die Interessen der Werktätigen. Diese Haltung ist vollkommen korrekt. Jedoch als die Massenbewegung auf den Plan trat, drückte die Gewerkschaft der Teheraner Busfahrer (Vahed) ihre entschiedene Unterstützung für diese Bewegung aus. Und die Beschäftigten von Iran Khodro organisierten einen halbstündigen Streik zur Unterstützung der Bewegung.

Am 18. Juni veröffentlichte die Gewerkschaft der Teheraner Busfahrer ein Kommuniqué. Dabei handelt es sich um einen der kämpferischsten Teile der iranischen Arbeiterklasse, der vor zwei Jahren zur Verteidigung seiner gewerkschaftlichen Rechte einer brutalen Repression getrotzt hat. Vor den Wahlen hatte die Gewerkschaft zu Recht erklärt, dass kein Kandidat die Interessen der iranischen Werktätigen verteidigt. Aber gleichermaßen zu Recht begrüßt sie heute „die großartige Bewegung von Millionen Menschen jeden Alters, Geschlechts, religiösen Bekenntnisses und aller Nationalitäten“. Das Kommuniqué fährt fort: „Wir unterstützen diese Bewegung des iranischen Volkes für den Aufbau einer freien und unabhängigen zivilen Gesellschaft – und wir verurteilen jede Gewalt und jede Repression.“ Was für ein Unterschied zwischen dieser Erklärung und dem Diskurs von Mussawi und seinen Reformern, selbst der radikalsten! Noch bezeichnender ist die Mobilisierung der Beschäftigten der Fabrik Iran Khodro, des größten Betriebs des Automobilsektors im gesamten Nahen Osten (100 000 Beschäftigte, davon 30 000 in einem einzigen Werk). Am Donnerstag, dem 18. Juni, organisierten sie eine Streikaktion zur Unterstützung der Volksbewegung. Hier das vollständige Kommuniqué, das den Streik ankündigte:
„Wir erklären unsere Solidarität mit der Bewegung des iranischen Volkes. Was wir heute erleben, ist eine Beleidigung der Intelligenz des Volkes und seiner Stimmabgabe. Die Regierung verhöhnt die Prinzipien der Verfassung. Wir sind verpflichtet, uns der Volksbewegung anzuschließen. Heute, am 18. Juni, werden wir, die Arbeiter von Iran Khodro, die Arbeit für eine halbe Stunde niederlegen, um gegen die Repression gegen die StudentInnen, die ArbeiterInnen und die Frauen zu protestieren. Wir erklären unsere Solidarität mit der Bewegung des iranischen Volkes. Am Tag: von 10 Uhr bis 10.30 Uhr; in der Nacht: von 3 Uhr bis 3.30 Uhr. Die Arbeiter von Iran Khodro.“

Diese beiden Erklärungen und die Streikaktion der Beschäftigten von Iran Khodro sind sehr bedeutend. Es handelt sich um die beiden kämpferischsten Sektoren der iranischen Arbeiterklasse und um die Vorhut der Gewerkschaftsbewegung, die anfängt, sich wieder zu erheben. Die Idee eines Generalstreiks ist aufgeworfen, aber noch nicht angewandt worden. Das ist die entscheidende Frage. Im Jahr 1979 war es der Streik der Erdölarbeiter, der beim Sturz des Schah-Regimes, diesem den endgültigen, tödlichen Schlag versetzte.
Am 1. Juli 2009 begannen Tausende Arbeiter eines Bergwerks in der Provinz Chusistan einen Streik, und als die Sicherheitskräfte anrückten, um sie auseinanderzujagen, riefen die Arbeiter: „Tod dem Diktator!“
Am 5. Juli 2009 sind die Beschäftigten der Zuckerrohrfabrik von Haft Tapeh erneut in den Streik getreten; sie beschuldigen die Behörden, ihre früher schon vorgebrachten Forderungen nicht zu erfüllen.

Die Diskussionen zum Thema Streik gehen weiter, und drei Wochen nach dem Beginn der Proteste hat eine Organisation namens „Arbeiterkomitee zur Verteidigung der Proteste des Volkes“ eine Anzahl von Kommuniqués veröffentlicht, deren Themen die Organisation der Demonstrationen, die Sicherheitsmaßnahmen, die Ratschläge zur Selbstverteidigung gegen die Angriffe der Bassidschi und detaillierte Anregungen zum zivilen Ungehorsam sind.

Jeden weiteren Tag, der vergeht, verlieren die beiden Reformkandidaten stets mehr die Unterstützung des Volkes. Nachdem sie zwei Wochen gewartet hatten – in der Hoffnung auf einen Durchbruch beim Wächterrat –, veröffentlichten Karrubi, Mussawi und der frühere Präsident Khatami eine gemeinsame Erklärung, die das gefälschte Wahlergebnis anprangert. Sie weigern sich, die neue Regierung anzuerkennen. Doch die gewöhnlichen IranerInnen sind sehr wütend in Bezug auf Mussawi, der einen „gewöhnlichen Streit innerhalb der Mitglieder einer islamischen Familie“ führt. Währenddessen versuchte Rafsandschani, der Verbündete der Reformer innerhalb einer Expertenversammlung, ein Maximum an Stimmen zu bekommen, um den Obersten Führer abzusetzen oder wenigstens Druck auf ihn auszuüben.

Wie immer sind sich die „Reformer“ klar darüber, dass ihr Schicksal mit der Existenz des Regimes verbunden ist. Dennoch schaufeln sie sich ihr eigenes Grab, indem sie Lösungen im Zirkel der Macht suchen und dabei den Massen auf der Straße das Unmögliche versprechen. Sie wissen nur, dass sie im Juni 2009 die Unterstützung vieler IranerInnen erhalten haben, weil die Bevölkerung für das kleinere Übel optiert hat. Hatte sich das Regime erst einmal entschlossen, diese begrenzte Gelegenheit aus- und die Tür zuzuschlagen, waren die Tage der Unterstützung Mussawis und Karrubis gezählt. Doch sollte niemand die Auswirkungen unterschätzen, die dieses beispiellose Schisma an der Spitze des islamischen Regimes haben wird.

Wie bereits oben erwähnt hat die Islamische Republik eine einzigartige, sehr komplizierte Machtstruktur. Die Macht ist in den Händen komplizierter Netzwerke klerikaler, exekutiver, juristischer, militärischer und paramilitärischer Kreise. Bislang haben all diese Kräfte, trotz ihrer Differenzen und fraktionellen Loyalitäten, dem Obersten Führer gehorcht. Tatsächlich war die Rolle des allmächtigen Schiedsrichters zwischen den verschiedenen Fraktionen des Regimes die wichtigste Rolle, die Khomeini und sein Nachfolger Khamenei in ihrer Funktion als Oberste Führer in den letzten dreißig Jahren gespielt haben. Am 19. Juni dieses Jahres endete dies, als Khamenei eindeutig die Gültigkeit des Resultats der Präsidentschaftswahl erklärte und Partei für Ahmadinedschad ergriff. Es ist somit gerechtfertigt, den Obersten Führer als Hauptverlierer in der aktuellen Situation auszumachen.

Die Reformer sind gleichfalls Verlierer. Von Tag zu Tag geht ihre Unterstützung in der Bevölkerung zurück. Beim Versuch, eine islamische Ordnung zu retten, sind sie in die Klemme geraten.

Aber es gibt auch Gewinner: die Völker des Iran, die DemonstrantInnen, diejenigen, die jeden Tag gegen das Regime und seine militärischen und paramilitärischen Kräfte ihr Leben riskieren. Die Repression ist grausam. Doch so zeigt das Regime seine Verzweiflung. Die innovative Weise, in der die IranerInnen bei jeder Gelegenheit ihren Hass auf das Regime ausdrücken, hat ihnen Hoffnung und Vertrauen verliehen, was ihnen im Verlauf des Konflikts die Versicherung gibt, dass er mit dem Sturz des Regimes enden wird. Das Regime hat sich zu viele Feinde geschaffen, besonders unter der Jugend, den Frauen, den Werktätigen und den Armen, sodass es keine Rolle spielt, wer sein Überleben akzeptieren kann.

Die Eltern der bei den jüngsten Demonstrationen Verhafteten versammeln sich jeden Mittag vor den Gefängnissen und fordern die Freilassung ihrer Kinder und der anderen Gefangenen sowie Gerechtigkeit für die von den Bassidschi auf den Straßen und im Gefängnis unter der Folter Getöteten. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt nicht nur weitere vier Jahre mit Ahmadinedschad ab, sondern das Regime in seiner Gesamtheit, das in ihren Augen unerträglich geworden ist. Sie werden mit ihren Protestaktionen nicht aufhören, ob nun mit oder ohne Mussawi und Karrubi.
SolidaritÄt

Die Bilder der brutalen Repression gegen die Jugend, die Werktätigen und die Frauen des Iran haben in der ganzen Welt eine Welle der Empörung hervorgerufen.

Das Regime hat seine letzte Chance gehabt, das iranische Volk, unter dem Deckmantel einer Präsidentschaft Mussawis, mit Versprechungen einer geringfügig weniger repressiven Ordnung zu ködern. Diese Gelegenheit hat es versäumt. Konfrontiert mit einer brutalen Repression im Innern und einer permanenten Drohung eines militärischen Angriffs ist diejenige Art der Solidarität, derer das iranische Volk gewiss nicht bedarf, der von den imperialistischen Staaten und ihren Verbündeten angebotene „Regimewechsel“ im Innern. Die Feinde der Werktätigen – im Lager Mussawis, unter den Monarchisten oder der konfusen Linken – werden bestrebt sein, die Unterstützung der europäischen Staaten oder der US-Regierung zu erhalten, während die Verteidiger der iranischen Arbeiterklasse bei der Wahl ihrer Verbündeten wachsam bleiben werden.

Für den Augenblick hat die religiös-militärische Oligarchie, die ihre Macht und ihre Privilegien gefestigt hat, sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie eine islamische Regierung wünscht, unter der die Volkssouveränität auf ein Nichts reduziert ist. Die aus der göttlichen Allmacht gezogene Legitimität genügt ihr. Das ist der Sinn von Khameneis Rede am 19. Juni 2009. Diese Oligarchie wird sich ihre Macht nicht einfach wegnehmen lassen.

Aber inmitten all dieser Ereignisse, die den Iran erschüttern, ist eines sicher: Von nun an ist es zu spät für eine Umkehr. Alle Elemente zeigen, dass die Volksbewegung sich langfristig etabliert, welche Gewalt die Milizen der Bassidschi, die aus der Arbeiterklasse stammen und von den gebildeten Mittel- und Oberschichten verachtet werden, auch anwenden mögen. Und an der Spitze werden Risse auftreten.

Früher oder später wird sich die brutale Militärdiktatur einer gespaltenen „Mullahrchie“ versuchen zu etablieren, dabei unterstützt von den Bassidschi-Milizen. Aber diese Lösung kann nicht lange dauern.

Dieser Staatsstreich per Wahlen hat zwei irreversible Folgen für das iranische Volk. Erstens das Ende der Angst des von der Brutalität des Regimes terrorisierten Volkes, die jahrelang im Iran herrschte. Zweitens die endgültige Befreiung der iranischen Bevölkerung von allen Illusionen bezüglich der Reformierbarkeit des Regimes. Wenn Mussawi die Leute auffordert, in ihren Häusern zu bleiben, und stattdessen die Bevölkerung zu Millionen demonstrieren geht, ist das für die Reformer eine schallende Ohrfeige. Tatsächlich haben wir ein Schauspiel erlebt, bei dem die „Reformer“ dem Volk hinterherlaufen, um nicht beiseite gedrängt zu werden, und das ist nicht das erste Mal! Anschließend sahen sich Mussawi und Karrubi gezwungen, auf den folgenden Demonstrationen aufzutauchen, klar bestrebt, die Initiative wiederzuerlangen und die Protestbewegung zu kontrollieren, damit sie nicht die grüne Linie überschreitet. Und bei jeder Etappe haben sie sich bemüht, dem Volkszorn hinterherzulaufen.

Die blutige Repression gegen die Demonstrierenden, die Feigheit der reformerischen Bourgeoisie werden die Führer der Reformer weiter von den Massen entfernen und sie marginalisieren. Der Weg ist jetzt frei, das System in seiner Gesamtheit von unten in Frage zu stellen. Der Weg wird lang und beschwerlich sein. Es ist nicht schwer, die Gründe dafür auszumachen. Das Regime hat bewiesen, dass es keine Schwierigkeit damit hat, eine wütende Repression zu entfesseln. Es ist ein ideologisches Regime, organisiert auf faschistischen Linien, und es wird um sein Überleben kämpfen. Es verfügt über eine militärische Streitmacht und eine sehr gut organisierte paramilitärische Miliz mit sehr bedeutenden finanziellen Interessen.

Es ist schwierig vorauszusehen, was geschehen wird. Doch können wir uns sicher sein, dass nichts mehr so sein wird wie zuvor. Niemand wird die Tatsache vergessen, dass die beiden Fraktionen viele „rote Linien“ überschritten haben, indem sie die Korruption, den Betrug und den Bankrott der jeweils anderen bloßgestellt haben. Es handelt sich somit um eine sehr wichtige, heikle und langwierige Konfrontation. Wesentlich ist, dass diejenigen, die im Iran kämpfen, die breite und wirksame Unterstützung der Linken und der fortschrittlichen Kräfte erhalten, damit sie nicht in die falsche Vorstellung derjenigen Linken verfallen, die sich nicht um die Demokratie und die bürgerlichen Freiheiten scheren.

Unsere Vereinigung „Sozialistische Solidarität mit den Werktätigen im Iran“ ist, indem sie die Interessen der Arbeitenden im Iran verteidigt und dabei gleichzeitig eine entschiedene und konsequente antiimperialistische Position und Opposition gegen das Regime aufrechterhält, in einer guten Lage, eine große Kampagne zur Unterstützung der Kämpfe des iranischen Volkes zu verbreiten. Auf diese Weise sind wir bereit zur Zusammenarbeit mit allen iranischen und internationalen Kräften, die diese Prinzipien teilen. Wir können uns nicht mit den Verteidigern Mussawis zusammentun oder mit denjenigen, die den Krieg oder Sanktionen wollen, um eine Änderung von unten zu verhindern. Wir werden nicht aufhören, diejenigen zu kritisieren, die den imperialistischen Krieg oder Wirtschaftssanktionen tolerieren – Maßnahmen, die in erster Linie den iranischen Werktätigen schaden.

Houshang Sepehr (August 2009)


Quelle: INPREKORR Jänner/Feb. 2010. Der Autor ist ein iranischer revolutionär-marxistischer Aktivist im Exil, Mitbegründer von „Solidarité avec les travailleurs en Iran“ (STI, Paris) und Mitglied der 4. Internationale. Übersetzung: Paul B. Kleiser und HGM