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Iran: "Es geht um das gesamte Regime" - von Babak Kia

Seit Donnerstag, den 28. Dezember, wird die Islamische Republik Iran von einer Welle sozialer Proteste erschüttert, wie sie seit der Bewegung gegen die Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad [zum Präsidenten im Juni] 2009 nicht mehr dagewesen ist. Die gegenwärtigen Demonstrationen haben in Maschhad begonnen, der zweitgrößten Stadt des Landes im Westen, und sich dann auf zahlreiche iranische Städte und Gebiete ausgedehnt. Seit Donnerstag finden jeden Tag Demonstrationen statt, sie wurden größer und haben inzwischen 40 Städte erfasst ‒ kleine, mittlere und große. Im Gegensatz zu der Mobilisierung 2009, die sich zunächst auf demokratische Fragen bezog, stehen nun soziale Fragen im Zentrum der Protestwelle, und Teheran ist nicht das Epizentrum des Protests. Ein weiterer großer Unterschied liegt darin, dass die jetzige Mobilisierung überhaupt nichts mit den „Debatten“ zu tun hat, bei denen die verschiedenen Fraktionen der Machthabenden gegeneinander stehen. Die Proteste haben das gesamte Regime aufs Korn genommen.

17.01.2018

Diese Demonstrationen sind zunächst einmal Ausdruck eines „wir haben die Schnauze total voll“ ‒ wegen der kontinuierlichen Verschlechterung der Lebensbedingungen, der Inflation, der Korruption des Regimes und seiner Würdenträger, die sich ganz beträchtlich bereichert haben. Wegen der Repres-sionsmaschinerie des Mullah-Regimes und der Revolutionswächter hat sich die Mobilisierung radikalisiert, sie richtet sich nun gegen die Institutionen und gegen die Symbole der Islamischen Republik. Die Slogans voller Feindseligkeit gegen den Obersten Religionsführer [und damit Staatsoberhaupt, Ali Chamene’i] und den Präsidenten der Republik werden massenhaft aufgegriffen und zwar in sämtlichen Städten, in denen die Bevölkerung auf die Straßen geht. Die Tatenlosigkeit der Behörden nach dem Erdbeben in Kermanschah (im Westen, 80 km von der Grenze zum Irak entfernt), das Mitte November 2017 etwa 500 Menschenleben gefordert hat, die Diebstähle und die Korruption haben die Feindschaft der Bevölkerung gegenüber den Machthabern nicht nur in dieser, sondern verschiedenen Regionen verstärkt, wo die Menschen sich mit den Tausenden identifiziert haben, die von der Katastrophe getroffen worden waren.Die Demonstrant*innen scheuen sich nicht, die Porträts des Präsidenten der Republik Hassan Ro-hani, des gegenwärtigen Religionsführers Chamene’i oder von Chomeini anzugehen. Sie scheuen sich nicht, öffentliche Gebäude oder Fahrzeuge der Sicherheitskräfte anzugreifen, sobald das möglich ist.

Die Staatsmacht hat schnell begriffen, dass diese Mobilisierung besonders gefährlich ist. Das Mullah-Regime hat allerdings mit seiner klientelistischen Politik der Verteilung der Erdölrente stets die Unterstützung durch bestimmte Teile der Bevölkerung „eingekauft“. Doch sind die Mittelschichten und die Armen einschließlich eines Teils der sozialen Basis des theokratischen Regimes von der Ver-schlechterung der Lebensbedingungen, der galoppierenden Inflation, den Versorgungslücken, der Massenarbeitslosigkeit, dem Elend und dem Fehlen von Hoffnung betroffen. Die „Geographie“ der Mobilisierungen zeigt an, dass sich diese Teile der Ärmeren abgelöst haben, hieraus erklären sich vor allem die Demonstrationen in den Kleinstädten in der Provinz.

Die Staatsmacht versucht den Brand dadurch zu löschen, dass die Demonstrationen massiv unterdrückt und den Kommunikationsmitteln Zügel angelegt werden, vor allem den sozialen Netzwerken, die bei der Ausweitung der Proteste eine bedeutende Rolle spielen. Von den Sicherheitskräften, vor allem den Revolutionswächtern gehen zahlreiche Provokationen aus, sie infiltrieren die Demonstrant*innen, um es der Repression leichter zu machen. Es sind bereits zahlreiche Tote zu beklagen und in Teheran wie in der Provinz nehmen die Verhaftungen zu.

Während die Machthaber „die Feinde im Ausland“ beschuldigen, sie seien für die Lage verantwortlich, und behaupten, die Demonstrant*innen ließen sich manipulieren, tun sie so, als räumten sie die Legitimität der Diskussionen ein, die von der Straße ausgehen; es werden „Räume des Dialogs“ in Aussicht gestellt, damit die Forderungen der Bevölkerung geäußert werden können. Rohani hat verkündet, Kritik sei „ein Recht der Bevölkerung“. Das ist eindeutig ein Zeichen der Schwäche seitens der Staatsmacht, im Iran vermag niemand an solche Versprechen zu glauben.

Die iranische Jugend, die Frauen, die Arbeitenden haben seit 1979 untereinem reaktionären theokratischen Regime zu leiden, das seine Gegner*innen unterdrückt, foltert, physisch und systematisch eliminiert.

Die Proteste der Bevölkerung stehen im Einklang mit dem hartnäckigen Kampf der iranischen Ge-werkschafter*innen, die für die elementaren Arbeiterrechte und für das Recht kämpfen, sich zu organisieren. 67 Gewerkschaftsverbände und internationale Gewerkschaftsnetzwerke betreiben eine Kam-pagne für die Freilassung von Resa Schahabi, den Vorsitzenden der Gewerkschaft Vahed (der Ge-werkschaft der Beschäftigten der Busgesellschaft für Teheran und die Vororte). Sein Leben ist in Ge-fahr.1 Es ist äußerst wichtig, dass die radikale und internationalistische Linke sich für die Unterstüt-zung der gegenwärtigen Protestwelle im Iran mobilisiert. Die Solidarität muss breiter werden, damit das Mullah-Regime zurückgedrängt wird und damit all die, die im Iran für die Erfüllung der sozialen und demokratischen Forderungen und für den Sturz der Islamischen Republik kämpfen, Unterstützung bekommen.


Aus dem Französischen übersetzt von Wilfried Dubois

 

https://npa2009.org/actualite/international/iran-la-mollahrchie-face-une-vague-de-contestation (2. Januar 2018)
http://alencontre.org/moyenorient/iran/iran-lensemble-du-regime-en-point-de-mire.html (3. Januar 2018)
Siehe auch:
Foad Asabani, „The greatest radicalisation since 1979 as Iran explodes“, in: Red Flag, Sydney, hrsg. von Socia-list Alternative (Australien), https://redflag.org.au/node/6153 https://socialistworker.org/2018/01/04/irans-exploding-radicalization http://internationalviewpoint.org/spip.php?article5320
Nick Clark: „Protestwelle im Iran: Zwischen Wut und der Sehnsucht nach Freiheit“ (aus dem Englischen über-setzt von David Paenson), https://www.marx21.de/protestwelle-im-iran-zwischen-wut-und-der-sehnsucht-nach-freiheit/ (3. Januar 2018)
Lee Sustar, „The roots of Iran’s revolt“, in: Socialist Worker, Chicago, hrsg. von ISO (USA), Nr. 700, 1. Juli 2009, https://socialistworker.org/2009/07/01/roots-of-irans-revolt
„Iran’s Past and Present“ (Interview von Eskandar Sadeghi-Bouroujerdi mit Ervand Abrahamian), https://www.jacobinmag.com/2017/04/iran-left-tudeh-khomeini-nationalization-orientalism-oil-imperialism (20.4.2017)
1 Vgl. Erklärung des „International trade union network of solidarity and struggle“ vom 25. Dezember 2017, http://www.iran-echo.com/26122017_fr.html; http://www.laboursolidarity.org/Iran-Reza-Shahabi-must-be.