Honduras nach dem Putsch: Unternehmer rufen Paramilitärs
Am 28. Juni wurde der gewählte Staatspräsident Honduras, Manuel Zelaya, durch einen Staatsstreich der bewaffneten Kräfte abgesetzt und außer Landes nach Costa Rica abgeschoben. Es ist der erste Putsch dieser Art seit der Rückkehr der lateinamerikanischen Länder zur Demokratie.
26.09.2009
Ein Putsch, der von der US-Regierung nicht nur nicht anerkannt, sondern auch aktiv bekämpft wird; eine Liberale Partei, die ihn vom Zaun gebrochen hat, und ein oligarchischer Großgrundbesitzer, der zur Galionsfigur der neuen Linken Lateinamerikas geworden ist – die Welt könnte nicht widersprüchlicher sein. In Honduras, dem in vieler Hinsicht zurückgebliebensten Land Zentralamerikas, ist jedoch alles möglich.
Als der US-amerikanische Botschafter Hugo Llorens, ein in Miami aufgewachsener Exilkubaner, den Namen seines Vorgängers John Negroponte hört, verdreht er die Augen. John Negroponte war lange Jahre Botschafter in Tegucigalpa und hat von dort aus während der 80er Jahre den "schmutzigen Krieg" gegen die zentralamerikanischen Revolutionäre organisiert, bevor er unter George W. Bush zum Sicherheitschef im Irak und dann zum Chef des Nationaler Sicherheitsrats avancierte, wo er – zumindest der Hierarchie nach – für die grausamen Folterungen von Hunderten politischer Gefangener zuständig war.
Jetzt aber sei alles anders geworden, sagt Llorens und fügt mit einem breiten Grinsen hinzu: "Ich freue mich über die Proteste da draußen, denn es kommt nicht oft vor, dass wir dieselben Ziele haben wie die Demonstranten." Tatsächlich haben die USA unter Präsident Barack Obama nicht nur die Militärhilfe, sondern inzwischen auch sämtliche Nettozahlungen für das Putschregime eingestellt und versichert, dass sie die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen nicht anerkennen werden, wenn Präsident Zelaya nicht zurückkehrt. Gegen die im Rahmen des G20-Prozesses vereinbarte Ausschüttung von 150 Millionen US-Dollar an Honduras haben die USA dennoch kein Veto eingelegt – übrigens ebenso wenig wie Deutschland, wo Angela Merkel im Schlepptau der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung dafür sorgt, dass die Bestrafung der De-facto-Regierung Roberto Micheletti nicht allzu streng ausfällt.
Michelettis lange Schatten
Dass der 61-jährige De-facto-Präsident trotz des massiven Protests der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der UNO und der internationalen Öffentlichkeit bisher keinen Zentimeter von seiner Haltung abgewichen ist, ist nicht nur auf dessen Starrsinnigkeit zurückzuführen, sondern vor allem auf jene Drahtzieher hinter den Kulissen, die sich in seinem Halbschatten bewegen. Dazu gehört der unter Negroponte groß gewordene Verbindungsmann der CIA, Billy Joya, der gleich nach dem Putsch zum Obersten Sicherheitsberater des De-facto-Präsidenten ernannt wurde: Joya war in den 80er Jahren laut Aussagen des langjährigen Generalsekretärs der internationalen Bauernorganisation Via Campesina, Rafael Alegría, für das Verschwinden von 184 Menschen verantwortlich.
Ihm zuvorgekommen war nur das Vierergespann von Salomon de Jesús Escoto (Chef der Nationalen Polizei), René Maradiaga (Chef der Staatspolizei), Ventura Flores Maradiaga (Polizeichef von Tegucigalpa) und Napoleon Nazar Herrera (Chef der Verkehrspolizei); sie hatten schon drei Wochen vor dem Putsch unter Umgehung des zuständigen Nationalen Rats für Innere Sicherheit die Macht an sich gerissen. Auch sie haben (ebenso wie Joya) dem berüchtigten Bataillon 3-16 angehört, das unter dem gewalttätigen Militärdiktator Gustavo Alvarez Martínez ins Leben gerufen wurde. 2003 und 2004 standen sie an der Spitze der Kampagne "Null-Toleranz" zur Verbrechensbekämpfung und waren für zwei Massaker (in La Ceiba und in San Pedro Sula) verantwortlich, bei denen insgesamt 169 Jugendliche verbrannt wurden.
Diese brutalen Methoden gehören keineswegs der Vergangenheit an, das zeigt der Fall des Aktivisten Pedro Magdiel Múñoz, der am 24. Juli von der Polizei nach einer Straßenschlacht verhaftet und dann, laut Aussagen von Andrés Pavón, dem Präsidenten des Honduranischen Komitees für Menschenrechte (CODEH), an paramilitärische Strukturen übergeben wurde. Am nächsten Morgen wurde sein Körper von elf Messerstichen durchbohrt tot aufgefunden. "Soweit wir wissen, haben israelische Kommandos ähnlich wie in Kolumbien private Spezialeinheiten ausgebildet, die dann bei Demonstrationen selektiv Verbrechen verüben, um Terror zu verbreiten und damit den Widerstand zu schwächen", erklärt Pavón.
Tatsächlich sind bei den Demonstrationen bisher mindestens acht Menschen getötet und 120 zum Großteil schwer verletzt worden, unter ihnen auch der ursprünglich als Präsidentschaftskandidat des Movimiento de Resistencias vorgesehene Gewerkschafter Carlos H. Reyes und sein Kollege Juan Barahona, der aber inzwischen wieder wohlauf ist. Außerdem gibt es auch zahlreiche Verschwundene, deren Schicksal aufgrund der seit dem Putsch herrschenden Nachrichtensperre bisher nicht aufgeklärt werden konnte.
JournalistInnen als Zielscheibe
Überhaupt haben es die Putschisten vor allem auf kritische Medien und unabhängige ZeugInnen der Menschenrechtsverbrechen des Repressionsapparats abgesehen. Nachdem in den ersten 14 Tagen nach dem Putsch die relativ wenigen Medien, die nicht auf der Seite der Putschisten standen, militärisch angegriffen wurden, vergnügten sich die Hintermänner Michelettis in der Folge mit telefonischen Todesdrohungen und SMS wie: "Hör auf, die Leute aufzuwiegeln, sonst kriegen wir dich und du wachst nicht mehr auf!" Einige Journalisten glauben sogar, die Stimme des von den Putschisten eingesetzten Generalstaatsanwalts persönlich erkannt zu haben.
"Wir sind ganz allein – wie ein David gegen viele Goliaths", entfährt es José Luís Galdames von Radio Globo. Dieser unabhängigen Station ist es gelungen, die Schallmauer dadurch zu durchbrechen, dass viele Menschen ihrem Aufruf Folge geleistet und sich um das Funkhaus versammelt haben. Heute ist Radio Globo die wichtigste Informationsquelle von Honduras, die auch im Internet fast zu jeder Tag- und Nachtzeit abrufbar ist (www.radioglobohonduras.com).
"Was sich in Honduras derzeit abspielt, ist nicht nur ein politisches Problem und nicht nur ein Problem der Menschenrechte im klassischen Sinn. Es ist ein Klassenkampf", analysiert François Houtart, ein international bekannter Religionssoziologe und Mitglied des Internationalen Rats des Weltsozialforums. Er hat an einer internationalen Menschenrechtsmission namhafter Organisationen wie FIAN-International, CIDCA (ein renommiertes argentinisches Institut zur Lebensmittelforschung), die Internationale Liga für Menschenrechte u.a. teilgenommen, die inzwischen durch ihre Forderung aufhorchen ließ, die Putschisten vor den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen.
Tatsächlich bestätigt ein Blick auf die Straßen von Honduras Houtarts Hypothese. Während es sich bei den Mobilisierungen der weiß behemdeten Anhänger von Roberto Micheletti zum überwiegenden Teil um Privatunternehmer und ihre Privatangestellten handelt, die sich nicht genieren, die honduranischen Streitkräfte hochleben zu lassen, geben die Anhänger des von den Militärs verschleppten Präsidenten Manuel Zelaya ein wesentlich bunteres Bild ab: Männer mit Stoppelbart und Frauen mit ausgelaugten Jeans schreien oft wild durcheinander, manche schwingen auch die rot-weiss-rote Fahne der Liberalen Partei, der sowohl Zelaya als auch Micheletti angehören.
Viele der DemonstrantInnen sind LehrerInnen und Studierende, andere wieder Kleinbauern, die oft stundenlang, manchmal sogar tagelang zu Fuß marschieren müssen, weil die Soldaten den Autobussen die Reifen aufgeschlitzt haben. So etwas wie Ordnung kommt erst dann in ihre Reihen, wenn sie gemeinsam den Schlachtruf des honduranischen Widerstands skandieren: "¡Queremos a Mel!", was soviel heißt wie: Wir wollen unseren Manuel (Zelaya) zurückhaben.
Zelaya: Wer hat die Macht?
Wie bekannt, konnte Mel diesen immer massiver gewordenen Lockrufen nicht widerstehen und tauchte in periodischen Abständen an der nicaraguanisch-honduranischen Grenze in Las Manos auf. Mit seinem gemütlichen Schnauzbart und dem breitkrempigen, weißen Sombrero ähnelt er eher einer mexikanischen Version von John Wayne als einem Staatspräsidenten. Meist ist er von einem Schwarm von Journalisten umgeben, die ihm immer wieder dieselben Fragen stellen: "Wann werden Sie nach Honduras zurückkehren? Was hat Ihnen Hillary Clinton gesagt?"
Dabei scheint Zelaya eine durchaus praktikable Strategie zu verfolgen: Einerseits will er durch seine Anwesenheit an der Grenze erreichen, dass sich die Proteste im Landesinneren ausbreiten, andererseits versucht er, mit den lokalen Militärkommandanten per Mobiltelefon Kontakt aufzunehmen. Ob es ihm allerdings gelingen wird, diese noch vor den für Ende Oktober angesetzten Wahlen umzustimmen, ist zweifelhaft.
Als ich Zelaya fragte, warum er denn nicht auch mit seinen ehemaligen Parteigenossen rede, gab er mir zur Antwort: "Drehen Sie sich doch um und sagen Sie selbst: Wer hat denn da auf der anderen Seite die Macht: die Zivilen oder die Militärs?" Gleichsam als Antwort auf diese Frage wurde ich kurz darauf von Militärs festgehalten und etwas unsanft über die Grenze nach Nicaragua befördert; ich hatte dem bekannten honduranischen Bauernführer Rafael Alegría mit meinem Auto geholfen, die zahlreichen Militärsperren zu passieren, die ganz Honduras derzeit in einen kriegsähnlich Zustand versetzen.
Leo Gabriel
(Der Autor ist Journalist und Anthropologe und nahm Ende Juli als Vertreter des Weltsozialforums an einer 17-köpfigen Menschenrechtsmission in Honduras teil. Seine 20-minütige Videodokumentation "Mörderisches Honduras" kann beim Südwind bestellt werden.)