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Griechenland: Erinnerungen an die Militärdiktatur

Die Lage im krisengeschüttelten Griechenland verschärft sich weiter. Ein Drittel aller Griechinnen und Griechen, fast 3,5 Millionen Menschen, haben kein Geld für vernünftige Ernährung, Arzneimittel, zum Heizen oder zum Bezahlen von Rechnungen. Die im Auftrag der großen Troika aus EU, EZB und IWF regierende kleine Troika aus Nea Dimokratia (ND), PASOK und Dimar tut nichts, um die Not zu lindern. Zur Durchsetzung ihrer brutalen Enteignungspolitik greift die griechische Regierung nun immer stärker auf Methoden zurück, die viele GriechInnen an die Zeit der Militärjunta von 1967 bis 1974 erinnern.

30.04.2013

Die Lage im krisengeschüttelten Griechenland verschärft sich weiter. Ein Drittel aller Griechinnen und Griechen, fast 3,5 Millionen Menschen, haben kein Geld für vernünftige Ernährung, Arzneimittel, zum Heizen oder zum Bezahlen von Rechnungen. Die im Auftrag der großen Troika aus EU, EZB und IWF regierende kleine Troika aus Nea Dimokratia (ND), PASOK und Dimar tut nichts, um die Not zu lindern. Dafür durfte sich die reiche Elite zu Weihnachten über ein Geschenk von Finanzminister Giannis Stournaras (ND) freuen: Die Luxussteuer auf Pools, Privatflugzeuge, Luxuslimousinen, Yachten und luxuriöse Villen wurde abgeschafft.
 Zur Durchsetzung ihrer brutalen Enteignungspolitik greift die griechische Regierung nun immer stärker auf Methoden zurück, die viele GriechInnen an die Zeit der Militärjunta von 1967 bis 1974 erinnern.

Offensive für «Recht und Ordnung»


Mitte vergangenen Jahres hatte der bullige Minister für Bürgerschutz, Nikos Dendias, erklärt, er werde in dem von einer brutalen Sparpolitik geplagten Land «Recht und Ordnung» wiederherstellen. Was folgte war ein rabiates Vorgehen gegen Gruppen, die als Störer der autoritären Ordnung identifiziert wurden.
Als erstes entfesselte Dendias die Aktion «Gastfreundlicher Zeus», eine gigantische Razzia gegen Flüchtlinge. Im Rahmen dieser Menschenjagd, die als Maßnahme zum Zwecke der öffentlichen Sicherheit verkauft wurde, wurden 73100 Flüchtlinge von der Polizei festgenommen. Wie viele der festgenommen Flüchtlinge anschließend abgeschoben wurden, ist unklar. Klar ist jedoch, dass mit der Aktion die Pogromstimmung gegen Flüchtlinge weiter angeheizt wurde, deren Nutznießer die Faschisten von Chrysi Avgi sind.
Ende des Jahres 2012 brach der Polizeiminister eine Offensive gegen die anarchistische Bewegung vom Zaun. Ministerpräsident Antonis Samaras hatte im Herbst ca. 50 besetzte Parks, Räume und Häuser als «Zentren der Gesetzlosigkeit» ausgemacht und ihre Räumung bis zum Jahresbeginn 2013 angekündigt. Die Infrastruktur der anarchistischen Bewegung soll damit zerschlagen werden: soziale Zentren, besetzte Treffpunkte und Häuser, freie Radiostationen, Druckereien, Indymedia Athen usw.
Am Morgen des 20. Dezember 2012 überfielen Polizeitruppen aufgrund einer angeblichen «anonymen Anzeige» wegen Drogenhandels das seit knapp 23 Jahren besetzte Haus Villa Amalia in Athen. Obwohl weder Drogen noch große Mengen Bargeld gefunden wurden, wurde das Haus geräumt und wird seitdem von starken Polizeikräften rund um die Uhr bewacht.
Eine Woche später drang die Polizei in die Athener Hochschule für Ökonomie ein und demontierte die von dort sendende alternative Radiostation «98fm». Das Hochschulasyl, das in Griechenland aufgrund des Massakers der Militärjunta am Athener Polytechnikum im November 1973 galt, war passenderweise bereits 2011 abgeschafft worden.
Am Mittag des 9.J anuar beendeten schwerbewaffnete Sondereinheiten unter Einsatz von Hubschraubern den von knapp 1000 AktivistInnen, die Villa Amalia erneut zu besetzen. Unmittelbar danach ließ Dendias auch das besetzte Haus Skaramanga in derselben Straße in der Nähe des Nationalmuseums räumen. Am 15. Januar stürmte sie das Haus von Lelas Kargiannis, das älteste der besetzten Häuser in Griechenland.
Mit der Räumung der Villa Amalia und des Skaramanga gehen die einzigen Flucht- und Schutzräume für Flüchtlinge verloren, die es in diesem an die Nazihochburg Agios Panteleimonas grenzenden Stadtteil gibt. Rund um die Häuser war es bei rassistischen Pogromen immer wieder zu Auseinandersetzungen von Antirassisten mit Nazihorden und der Polizei gekommen.

Folter

Sozusagen als ideologische Begleitmusik zu den Räumungen startete die Regierungskoalition gemeinsam mit den Faschisten von Chrysi Avgi in «Junta-Rhetorik» eine Kampagne gegen SYRIZA, die angeblich «mit Terroristen zusammenarbeiten» würde.
Unterdessen dringen Details über Verhörmethoden der Polizei an die Öffentlichkeit, die an die Zeit der Militärjunta erinnern. Polizeieinheiten nahmen in Nordgriechenland vier junge Männer nach einem gescheiterten Banküberfall fest. Zwei von ihnen wurden bereits steckbrieflich gesucht wegen Mitgliedschaft in der militanten anarchistischen Gruppe «Conspiracy of the cells of fire». Als der Mutter eines des Festgenommen erlaubt wurde, ihren Sohn zu sehen, konnte sie diesen kaum wiedererkennen, sosehr war sein Gesicht durch Misshandlungen entstellt worden. Es zeigte sich, dass die von der Polizei nach der Festnahme veröffentlichten Aufnahmen manipuliert und die Spuren der Misshandlung retouchiert worden waren. Der junge Mann erklärte gegenüber seiner Mutter, nach ihrer Festnahme habe man ihnen Kapuzen über den Kopf gezogen, sie gefesselt und stundenlang geschlagen. In der Öffentlichkeit gab es einen Aufschrei. Amnesty International forderte eine regierungsunabhängige Untersuchung über die Vorwürfe von Folter und Misshandlungen im Polizeigewahrsam.

Streiks und Kriegsrecht

Gleichzeitig geht die griechische Regierung geht immer brutaler gegen streikende Arbeiterinnen und Arbeiter vor. Zwischen Mitte Januar und Anfang Februar 2013 machte sie drei Mal von einem Gesetz Gebrauch, das noch aus der Spätphase der griechischen Militärdiktatur stammt. Es erlaubt der Regierung, Streiks als illegal zu erklären und über die betreffenden Arbeiter die «Generalmobilisierung» zu verhängen, was sonst nur im Kriegsfall getan wird. Für die Arbeiter bedeutet das, dass sie zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeiten gezwungen oder andernfalls entlassen werden können. Auch Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren sind möglich.
Die ersten, gegen die sich diese Maßnahme richtete, waren die Athener U-Bahn-Fahrer: Am 17.Januar waren die 2500 Beschäftigten der Metro in einen 24-stündigen Streik getreten, weil die von der Regierung Samaras verfügte «Reform» der Löhne im öffentlichen Dienst für sie Lohneinbußen von etwa 25% bedeutete. Da die Regierung nicht nachgab, verlängerten sie ihren Streik mehrmals um weitere 24 Stunden. Ein Gericht erklärte ihren Streik am 22.Januar für illegal, doch die Arbeitenden setzten ihren Streik fort.
Am 24. Januar eskalierte Samaras den Konflikt. Er erließ eine Verfügung, die die Beschäftigten zur Wiederaufnahme der Arbeit verpflichtete. Damit unterstellte er sie praktisch dem Kriegsrecht. Für den Fall der Nichtbefolgung drohten er den Streikenden mit sofortiger Entlassung und einer Haftstrafe bis zu fünf Jahren. Am Morgen des 25.Januar stürmten Hunderte von Polizisten der Sondereinheiten MAT das zentrale U-Bahn-Depot und verhafteten mindestens zehn Arbeiter; damit war der Streik gebrochen. Am Nachmittag beendete die Gewerkschaft der griechischen U-Bahn-Fahrer, SELMA, den Ausstand.
In den darauffolgenden Tagen kam es zu zahlreichen Protesten und Arbeitsniederlegungen: Ärzte und Pfleger, Busfahrer, Hafenarbeiter und die Beschäftigten der Elektrizitätswerke traten in den Ausstand. Insbesondere die Busfahrer führte bis zum 31.Januar wiederholt verlängerte 24-Stunden-Streiks durch. Daraufhin drohte die Regierung auch ihnen mit der Anwendung des Kriegsrechts – worauf am 29.Januar eine Mehrheit der Beschäftigten für die Einstellung der Streiks votierte.
Am 31.Januar traten für 48 Stunden die Seeleute in den Ausstand und verlängerten zwei Mal ihren Streik um je 48 Stunden. Sie verstanden dies als Solidaritätsaktion mit den U-Bahn-Fahrern, der Streik richtete sich aber auch gegen Lohnkürzungen sowie Personalmangel bei ihnen selbst. Zudem forderten sie die Zahlung ausstehender Löhne und Kollektivverträge. Die Seeleute wenden sich auch gegen eine geplante Reform der Küstenschifffahrt, von der sie Massenentlassungen befürchten.
Am 5. Februar verhängte die Regierung auch über streikende Fährleute das Kriegsrecht und hinderte sie mit Polizeigewalt daran, ihre Streikposten zu beziehen. Sie wurden «offiziell» zum zivilen Militärdienst eingezogen und auf diese Weise zu Zwangsarbeit verpflichtet, bei Arbeitsverweigerung drohte ihnen bis zu fünf Jahren Haft. Am Morgen des darauffolgenden Tages besetzten Polizisten den zentralen Hafen in Piräus, um protestierende Arbeiter daran zu hindern, Streikbrecher aufzuhalten. Die Gewerkschaft der Seeleute (PNO) reagierte auf die Verhängung des Kriegsrechts, indem sie den Streik bedingungslos abbrach und die Arbeiter aufrief, an die Arbeit zurückzukehren. Die beiden großen Gewerkschaftsverbände ADEDY und GSEE riefen am Mittwoch zu Solidaritätsstreiks in der Region Attika auf, in der neben Athen auch Piräus liegt.

«Demokratische Diktatur»


Innerhalb von nur zwei Wochen wurden somit zweimal Sondergesetze aus der Junta-Zeit gegen Streikende (Metrobeschäftigte und Seeleute) eingesetzt und einmal angedroht (Busfahrer). Streikaktionen von kurzer Dauer, die keine ökonomische Wirkung entfalten können, duldet die Samaras-Regierung noch. Sobald Arbeiter jedoch das Gleis symbolischer Protestaktionen verlassen und in einen ernsthaften Ausstand treten, der wirtschaftliche Folgen zeigt, werden sie mit Polizeigewalt zurück an die Arbeit gezwungen.
Jede Form eines effektiven kollektiven Widerstands gegen die Sparmaßnahmen wird damit unter Strafe gestellt, und das von einer Regierung, in der neben den Konservativen und den Sozialdemokraten auch die SYRIZA-Abspaltung Demokratische Linke (Dimar) sitzt.
«Die Demokratie ist in Gefahr», sagt Panayiotis Lafazanis, Mitglied von SYRIZA. «Die Regierung hält sich nicht an die Regeln der Demokratie. Sie betreibt eine perverse Form einer demokratischen Diktatur.» Noch ist die griechische Arbeiterbewegung nicht stark genug, um solche Gewaltmaßnahmen abzuwehren. Erforderlich wäre wohl gewesen, die Verhängung des Kriegsrechts gegen die U-Bahn-Fahrer mit flächendeckenden Solidaritätsstreiks zu beantworten. Das ist leider nicht in der erforderlichen Breite geschehen.
Zweifellos erfolgt der Rückgriff der «kleinen Troika» auf Herrschaftsmethoden aus der Zeit der Militärdiktatur mit Billigung der «großen Troika». Die europäischen Regierungen und die EU-Institutionen sind darüber sehr wohl im Bilde. Dennoch hat Merkel Samaras bei seinem Besuch in Berlin deutlich zu verstehen gegeben, dass der verordnete Sparkurs unter allen Umständen durchgesetzt werden muss. Unausgesprochen bedeutet das auch: Mit allen Mitteln! Und so wird ist es kein Zufall sein, dass die veröffentlichte Meinung hierzulande dazu schweigt. Skandalös aber ist, dass auch die deutschen Gewerkschaften dazu schweigen – ein Zustand, den die Solidaritätsbewegung mit Griechenland zum Thema machen sollte.

Paul Michel

Quelle: SoZ