Frankreich: Vor entscheidender Kraftprobe
Johann Schögler
Die größte Auseinandersetzung zwischen der französischen Rechtsregierung unter Staatschef Jacques Chirac und Premierminister Dominique de Villepin und den UnternehmerInnen einerseits und der gesamten Linken – der StudentInnen- u. ArbeiterInnen - von Sozialdemokatie bis zur radikalen Linken auf der anderen Seite braut sich unausweichlich zusammen.
24.04.2007
Die größte Auseinandersetzung zwischen der französischen Rechtsregierung unter Staatschef Jacques Chirac und Premierminister Dominique de Villepin und der Unternehmerschaft einerseits und der gesamten Linken – der StudentInnen- u. ArbeiterInnen - von Sozialdemokatie bis zur radikalen Linken auf der anderen Seite braut sich unausweichlich zusammen.
Worum geht es?
Seit 7. Februar wächst Woche um Woche mit zunehmender Intensität der Widerstand gegen die von Premierminister Villepin im Februar im Parlament im Schnellverfahren ohne parlamentarische Diskussion und ohne die Sozialpartner kontaktiert zu haben (durch die Anwendung eines Paragraphen 49-3 möglich gemacht) durchgepeitsche Gesetzesvorlage für einen „Erstanstellungsvertrag“ , den so genannten CPE (contrat première embauche).
Mit diesem Gesetz, das Ende April in Kraft treten soll, sollen alle Jugendlichen bis 26 Jahren in den ersten zwei Jahren von den Arbeitgebern zu jederzeit entlassen werden können, ohne dass sie dafür einen Entlassungsgrund angeben müssten. Heuern und feuern ist die Devise der neoliberalen Unternehmerpolitik.
Der “Aufstand der Ausgegrenzten“ im November vorigen Jahres in den Banlieus (40% bis 50% der Jugendlichen in diesen Ghettos sind arbeitslos und haben immer weniger Aussicht eine zu bekommen) hat Villepin bewogen diesen CPE zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – wie er vorgibt - aufzulegen.
Die Betroffenen, nicht nur die Jugendlichen aus der breiten Mittelschicht, sondern auch jene aus der Oberschicht, die gezwungen sind ihr Leben durch eine Erwerbsarbeit zu fristen, wollen die Auswirkungen dieses Vertrages auf keinen Fall akzeptieren und inzwischen fordern nahezu alle Gewerkschaftsfraktionen (CFDT; FO;CGT; FSU; CFTC … )sowie die Studenten- und Mittelschüler-Organisationen ( UNEF, FIDL; UNL …) einschließlich aller Linksparteien beginnend von SPF( Sozialdemokratie) über die KPF( Kommunisten) und LCR (Trotzkisten) die bedingungslose Rücknahme dieses Erstanstellungsvertrages.
Die seit einigen Tagen von der Regierung wiederholten Lockrufe endlich an den grünen Verhandlungstisch zu kommen beantwortet die immer stärker werdende Anti-CPE-Bewegung unaufhörlich mit: „zuerst muss Villepin oder Chirac das CPE-Gesetz zurücknehmen, dann soll über Arbeitsbedingungen verhandelt werden.“ Villepin antwortet ebenso hart, dass er das Gesetz auf keinen Fall zurücknimmt aber bereit ist Abänderungen im Sinne der Demonstranten zu akzeptieren. Er will diese Auseinandersetzung auch vor allem hinsichtlich der 2007 stattfindenden Präsidentschaftswahl gewinnen, da er dann als harter Kandidat der Rechten seinem Rivalen Sarkozy (Innenminister) vorgezogen würde. Das Patt ist perfekt und die Regierung hofft in der Kraftprobe auf dem längeren Ast zu sitzen – indem sie die Mobilisierungen an die Wand laufen lässt bis eine Steigerung nicht mehr möglich ist. Sie glaubt dies mit Beginn der Osterferien erreichen zu können.
Mai 68 ist der Rechten diesbezüglich noch gut in Erinnerung als die Bewegung nicht mehr zunehmen konnte, da „Frankreich“ im Juli in Urlaub fuhr.
Kein/e namhafte/r GewerkschaftsvertreterIn könnte sich erlauben jetzt im Rücken der Anti-CPE-Bewegung mit der Regierung zu verhandeln. Er würde ausgebuht und könnte sich in keiner Demonstration mehr sehen lassen. Daher erscheinen die Aufrufe Villepins und Chiracs zum Dialog wie Rufer in der Wüste, die bereits zu einer anderen Gesellschaft gehören. Frankreich ist in zwei Teile gespalten. Die Ausgebeuteten sind nicht mehr bereit mit den Ausbeutern über die Höhe der Ausbeutung zu reden.
Was steht auf dem Spiel?
Der Ausgang dieses Konfliktes wird entscheidend sein für ganz Europa. Ebenso wie es die mehrheitliche Ablehnung der Franzosen gegen die neoliberale EU-Verfassung darstellte. In Italien und in Spanien sind die Jugendlichen schon derartigen prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen ausgeliefert, da sie trotz 4-6 jähriger Universitätsausbildung meist weit unter € 1000 im Monat verdienen und 80% nur mehr befristete Verträge haben. Auch in Frankreich müssen fast alle Jugendlichen im Schnitt 10 Jahre warten, bis sie einen fixen Vertrag bekommen. (22% der Jugendlichen sind arbeitslos; mehr als doppelt so viele wie der allgemeine Durchschnitt). Die deutsche Bundesregierung beabsichtigt im April dem französischen CPE Beispiel zu folgen. Und die übrigen Länder fielen dann wie Dominosteine.
Das ganze noch vor dem Hintergrund der neoliberalen Globalisierung mit GATS; Bolkesteinrichtlinie, EU-Verfassung, die alle in die gleiche Richtung zielen. Gegenseitige Konkurrenzierung, Lohn-Sozialdumping; Schaffung prekärster Arbeitsverhältnisse; die Zerstörung der Privatsphäre ….
Was macht die Anti-CPE-Bewegung so stark?
Es ist dies seit langem die nicht mehr da gewesene Einheit der Bewegung, die immer fester zu werden scheint. Begonnen hat die Bewegung an einigen Universitäten und inzwischen sind über 60 der 84 Universitäten von den StudentInnen blockiert und besetzt. Wenn der Beginn dieser Blockaden zuerst auch das Werk kleiner radikaler Gruppierungen war, so haben sich inzwischen auf diesen Unis die Vollversammlungen durchgesetzt, in denen die weitere Besetzung immer wieder abgestimmt und Delegierte gewählt werden. Es hat bereits das 5. landesweite Koordinationstreffen der Delegierten ( derzeit bereits bei über 400 Delegierten) der einzelnen mobilisierten Unis gegeben, in denen die weiteren Mobilisierungsschritte aber auch die Inhalte koordiniert und abgestimmt werden.( diskutiert wurde über:„ Die Bewegung soll nicht nur den Rückzug des CPE verlangen, sondern ist eine Bewegung gegen die Prekarität im breiteren Sinne“, „ die Abdankung der Regierung und die Auflösung der Nationalversammlung“; …) Aus anti-hierarchischen Gründen soll es auch keine offiziellen Sprecher der Bewegung geben. Die partizipative gegen die repräsentative Demokratie hat derzeit die Oberhand. Dass jene, die lieber studieren als demonstrieren möchten, da sie den Verlust des Studienjahres befürchten, sich auch Gehör verschaffen können ist eher ein Zeichen der Demokratie als eine Gefahr der Spaltung.
Inzwischen mobilisieren sich auch immer mehr Mittelschulen im ganzen Land. In einzelnen Regionen haben sowohl öffentliche als auch private Betriebe während der Mobilisierungstage gestreikt.
Ein Koordinationstreffen der Anti-CPE-Bewegung von 12 Gruppierungen (8 ArbeitnehmerInnengewerkschaften, 2 StudentInnen- und 2 MittelschülerInnenorganisationen) haben am 20.März beschlossen am Dienstag den 28.März den nächst grösseren Protesttag durchzuführen. Zusätzlich zu den Demonstrationen und Blockaden soll es im ganzen Land Streiks geben, die den Druck auf die Regierung erheblich erhöhen sollen.
Parallel dazu gibt es fast täglich Demonstrationen und neue Schichten, die sich der Protestbewegung anschließen.
Die meisten Demonstrationen, 7. Februar ; 7. März; 13.März 16.März. 18.März als bisheriger Höhepunkt mit 1,5 Millionen Menschen auf der Straße, vorwiegend Jugendliche aber auch 1/3 ältere Berufstätige, die solidarisch mit den Betroffenen sind, da sie die verschlossene Zukunft der Jugendlichen erkennen, verliefen mit der gleichen Stoßrichtung – die Rücknahme des CPE; das Aufzeigen der Auswirkungen dieses Vertrages und endeten ohne Zwischenfälle. Die Jugendlichen wollen nicht auf einem „Schleudersitz- Arbeitsplatz“ arbeiten; sie wollen nicht „ ausgepresst und weggeworfen“ werden wie eine Zitrone oder einmal benützt und entsorgt wie ein „Papiertaschentuch“; mit einem CPE ist keine Zukunftsplanung möglich; wohl auch kaum eine gewerkschaftliche Organisierung; usf. sind die häufigst auftauchenden Kritikpunkte bei den Demos.
Andererseits gibt es immer mehr Sponti-Aktionen wie Bahnhofsbesetzungen, oder die Besetzung der Handelskammern, Auseinandersetzungen mit der Polizei nach Auflösung der Demonstrationen, die oft zu einem brutalen Einschreiten der Bereitschaftspolizei führen. Die Bilanz sind zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten. Zahlreiche Jugendliche wurden bereits im Schnellverfahren zu längeren Haftstrafen verurteilt.
Am 20.März wurde der 39 jährige Syril Ferez , ein Gewerkschaftsaktivist der Postgewerkschaft SUD-PTT , am Place de la NATION so schwer verletzt, dass er seither im tiefen Koma liegt.
Die polizeiliche Evakuierung der von einigen hundert StudentInnen besetzten Sorbonne-Universität in Paris im Morgengrauen, bezeugt von der Angst der Regierung, diese historische Stätte nicht als Hauptquartier der Bewegung – wie im Mai 68 – entstehen zu lassen.
Daniel Cohn-Bendit – ein bekannt gebliebener 68 er – meinte vor einigen Tagen, diese Bewegung sei rückwärts gerichtet und nicht utopisch gesellschaftsverändernd wie Mai 68.
Vieles hat sich seit 40 Jahren geändert und die 68er konnten mit meist guten Jobs in der doch nicht grundlegend veränderten Gesellschaft rechnen. Dies ist unter heutigen Bedingungen für die Jugend nicht mehr der Fall und gerade diese Aussichtslosigkeit im neoliberal globalisierten Kapitalismus könnte mehr Sprengstoff für Gesellschaftsveränderung in sich bergen als dies im Mai 68 der Fall war.
23-03-2006, 21:47:00 |Johann Schögler