Frankreich nach den Regionalwahlen: Enttäuschung für die antikapitalistische Linke
Bei den Regionalwahlen in Frankreich am 14. und 21. März hat die UMP, die regierende Partei von Staatspräsident Sarkozy, eine dramatische Niederlage erlitten, während die Parteien der gemäßigten Linken die Hälfte der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnten. Die im vergangenen Jahr gegründete Neue Antikapitalistische Partei (NPA), die links von der Sozialdemokratie (PS) einen breiten antikapitalistischen Pol aufbauen will, musste mit einem Wahlergebnis von nur 2,5% eine herbe Niederlage einstecken. dielinke-online dokumentiert zwei Erklärungsversuche.
30.04.2010
Bei den Regionalwahlen in Frankreich am 14. und 21. März hat die UMP, die regierende Partei von Staatspräsident Sarkozy, eine dramatische Niederlage erlitten, während die Parteien der gemäßigten Linken die Hälfte der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnten. Die im vergangenen Jahr gegründete Neue Antikapitalistische Partei (NPA), die links von der Sozialdemokratie (PS) einen breiten antikapitalistischen Pol aufbauen will, musste mit einem Wahlergebnis von nur 2,5% eine herbe Niederlage einstecken.
Im Juni 2009 war die NPA erstmals bei den Europawahlen zu einer Wahl angetreten und hatte damals die 5%-Marke ganz knapp verfehlt. In einigen Regionen hat die NPA auf gemeinsamen Listen mit der Linksfront (FG) kandidiert, der auch die Linkspartei von Jean-Luc Mélenchon (PG) und die Französische Kommunistische Partei (PCF) angehören; dort lagen die Ergebnisse höher. Eine solche gemeinsame Liste im Limousin erreicht 13,1% im ersten und 19% im zweiten Wahlgang.
Die größten Verluste hatte die NPA in radikalen Wählerschichten und unter Frauen zu verzeichnen. Der Rückgang des Anteils der Frauen an der Wählerschaft auf jetzt nur noch 35% wird der heftigen Debatte zugeschrieben, die es um die NPA-Kandidatin in der Region Vaucluse gab: Sie ist Muslimin und trägt ein Kopftuch.
Die NPA zählt heute 8.000 Mitglieder, hat also seit ihrem Gründungskongress am 30.Januar 2009 1000 Mitglieder verloren.
Die Ergebnisse haben auch Auseinandersetzungen in die NPS gebracht: 18 von 191 Mitglieder des Nationalen Leitungsgremiums sind nach den Regionalwahlen aus der Leitung ausgetreten, die Hälfte davon hat auch die Partei verlassen. Drei bis vier von ihnen sind zur Gauche Unitaire übergetreten - einer Gruppe um Christian Piquet, den ehemaligen Chefredakteur der Wochenzeitung Rouge der mit der Gründung der NPA aufgelösten LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire). Piquets Gruppe hatte sich vor der Gründung der NPA von der LCR abgespalten und der Linksfront angeschlossen.
Die Auseinandersetzung um das Verhältnis zur PCF und zur Sozialdemokratie stand Pate bei der Gründung der NPA und hat sie nun mit neuer Wucht überrollt. Nicht weniger als sechs Positionen meldeten sich auf Leitungsebene zu Wort, vier davon gehören der Mehrheit an.
Das Urteil über die bei den Wahlen eingeschlagene Linie geht weit auseinander. Nachstehend veröffentlichen wir Auszüge aus der Position 1 und der Position 3:
Position 1 (Ingrid Hayes u.a.)
Nicht das Ergebnis, der Ansatz war falsch. Die NPA ist ein Instrument für die Sammlung der antikapitalistischen Kräfte und den Aufbau einer gesellschaftlichen Kraft. Wenn die Grundbedingungen für die Entstehung der NPA auch immer noch gegeben sind, haben sich die politischen Bedingungen unseres Handelns doch stark geändert:
Die Kämpfe und Bewegungen haben Schwierigkeiten sich auszuweiten, einen wenn auch nur partiellen Verallgemeinerungsgrad zu erreichen, die politische Debatte zu beeinflussen und die Zwangsjacke des von Regierung und Gewerkschaften aufgezwungenen reinen Verhandlungsmodus zu durchbrechen.
Die Regierungslinke hat sich aus ihrer Krise nach den Präsidentschaftswahlen 2007 herausgearbeitet. Die etwas künstliche Phase, in der wir mit Olivier Besancenot fast die einzige oppositionelle Kraft zu sein schienen, ist vorbei. Der Parteivorsitzenden Martine Aubry ist es gelungen, ohne großen Widerstand die PS wieder ins Zentrum des politischen Spiels zu bringen; die Grünen haben mit Europe Ecologie (EE) einen Ausweg aus ihrer Sackgasse gefunden; Mélenchon hat mit der Linksfront vorübergehend ein Mittel gegen die Krise der PCF gefunden, wenngleich es noch etwas früh ist, über den Erfolg der Therapie zu urteilen.
Alle diese Entwicklungen sind instabil. Aber in der Wahlsituation konnte sich die Regierungslinke damit wieder als mögliche Alternative zu Sarkozy aufbauen: die Vorstellung, dass Sarkozy geschlagen werden könnte, war noch vor einem Jahr undenkbar. Das schafft ohne Zweifel eine Wahldynamik, die die elektorale Hegemonie der PS bestätigt.
Nicht nützlich
Warum aber, wenn diese Wahlen Ausdruck des allgemeinen Protests gegen Sarkozy waren, sind wir nicht zu einem der Hebel dieses Protests geworden? Warum haben alle Wahllisten der linken Opposition gegen Sarkozy zugelegt, nicht aber die Listen, auf denen die NPA allein oder in dominierender Position kandidierte?
Die Bilanz der Listen, auf denen wir (faktisch) allein kandidiert haben, ist nicht homogen; andererseits haben die Einheitslisten (solche, wo die NPA mit der Linksfront kandidiert hat) durchweg ein höheres, aber ebenfalls ungleiches, Ergebnis erzielt.
Unser grundlegendes Problem war dies: In einer Situation der Krise, in der die Mehrheit der Bevölkerung Schutz sucht und zusammenrücken will, haben wir, gegen unseren Willen, eine «spalterische» Botschaft ausgesendet. Von Anbeginn an haben wir die Frage der Einheit unterschätzt: unser Verhältnis zur Linksfront und in dieser das zur Linkspartei (PG). Bei unserem Gründungskongress war sich die große Mehrheit einig, dass eine neue Partei bei der ersten Wahl, die sie zu bestehen hatte, eines ihrer Hauptmerkmale herausstreichen musste: ihre politische Unabhängigkeit von der PS.
Wir hätten aber auch eine Perspektive für eine breitere Einheit bieten müssen. Wir hätten das bei den Europawahlen ausloten sollen. Die PCF hätte den Vorschlag sicher abgelehnt, aber die Verteidiger der Einheit hätten dann in unserm Lager gestanden. Paradoxerweise haben wir die Möglichkeit von Einheitslisten bei einer Wahl gesucht, wo dies viel schwieriger ist, bei den Regionalwahlen.
Wir waren in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich aufgestellt, weil wir auf landesweiter Ebene keinen Konsens hinbekommen haben. Wir haben das Pferd vom Schwanz aufgezäumt, nämlich von der berühmten Regierungsfrage her. Die Öffentlichkeit konnte uns nur so verstehen: «Die wollen da nicht rein, warum soll man sie dann wählen?» Die Weigerung, Regierungsverantwortung zu tragen, muss durch die Umsetzung eines Programms, durch bestimmte Maßnahmen, erklärt werden. Sonst ist in den Augen der großen Masse der Bevölkerung - vor allem für die, die sich nicht bewegen - die Stimmabgabe für uns sinnlos. Bei einer Wahl muss man auf die dabei gestellte Frage antworten oder man erreicht nur ein randständiges Ergebnis.
Das heißt nicht, dass man sich anpassen soll. Man kann dabei dennoch ein Programm vertreten, das mit dem bestehenden System bricht, darauf besteht, dass die Umverteilung des Reichtums nicht auf parlamentarischer Ebene erreicht werden kann und ohne die Mobilisierung der Arbeiter und der breiten Bevölkerung nichts geht. Um aber gehört zu werden, muss man an die Macht wollen. Und nicht den Eindruck erwecken, man lehne jede Verantwortung a priori ab. In diese Falle sind wir reingetappt.
Die Partei und die Macht
Man kann eine Partei nicht ohne eine, und sei es hypothetische, Machtperspektive aufbauen: eine strategische, programmatische und eine Bündnisperspektive. Eine Partei ist keine rote Gewerkschaft, sie wird nicht spontan auf den industriellen Brachen Räte hervorbringen, und wir werden es selbst bei scharfen sozialen Krisen mit Wahlen zu tun haben. Die Kämpfe, der Generalstreik, sind in sich noch keine politische Perspektive: Sie sagen nicht, wie die Arbeiter, die breite Bevölkerung, die Macht für sich erobern sollen.
Wahlen sind für uns nicht nur eine Tribüne, es gibt eine dialektische Beziehung zwischen Wahlen und Kämpfen. Wahlen sind ein Terrain des Klassenkampfs; wir trennen aber nicht die Felder unserer Politik voneinander, wir schlagen ein Programm für die Kämpfe und für die Wahlen vor.
Ein Anstieg der Radikalisierung und des Klassenbewusstsein muss der antikapitalistischen Linken erlauben, Positionen in den Institutionen zu besetzen und hier einen Stützpunkt aufzubauen. Genossen, die das unterschätzen, werden schnell merken, dass unser Lautsprecher ausgehend von einem guten Wahlergebnis weiter reicht als ausgehend von einem schlechten. War es nicht das gute Wahlergebnis für Olivier Besancenot 2007, das die Stimmung geschaffen hat für die Gründung der NPA? Es gibt also in der Partei zwei Sichtweisen über die Teilnahme an Wahlen. Das ist eine bedeutende Differenz, und darüber muss der Kongress entscheiden.
Position 3 (Yvan Lemaître u.a.):
Die Abstrafung Sarkozys und seiner Regierung verstärkt das Gefühl der Illegitimität [der parlamentarischen Institutionen und der Wahlen]. Trotz Programm- und Perspektivlosigkeit hat ihre Opposition zu Sarkozy der PS einen Wahlerfolg beschert. Die Parteivorsitzende Martine Aubry hat es geschafft, im Wahlkampf die PS hinter sich zu scharen in der Perspektive, die Machtpositionen in den Regionen zu halten oder auszubauen.
Unter dem Druck der Rechtsentwicklung der PS und der Grünen ist das bürgerliche Zentrum, der MoDem, untergegangen. Seinen Platz nimmt jetzt Europe Ecologie ein. Damit schält sie eine neue, liberale, Union de la Gauche heraus, eine rosa-grüne sozialliberale Allianz. Das ist die Linke, die zum EU-Verfassungsvertrag Ja gesagt hat. Die Linksfront kapituliert vor ihr und zeigt damit, dass sie nur eine Allianz für Posten und Pfründe ist.
Die Linksfront hat ihren relativen Erfolg bei der Europawahl bestätigt. Das Bündnis der PCF mit der PG und der Gauche unitaire hat dem alten PCF-Apparat einen neuen Vitalitätsschub gegeben. Sein Erfolg stützt sich auf zwei voneinander unabhängige Tatsachen:
1. die Schwierigkeit breiter Bevölkerungsschichten, mit antiliberalen Reflexen und Illusionen - was man früher Reformismus nannte - zu brechen und sich eine andere Politik vorzustellen, die sich außerhalb der Institutionen abspielt; 2. die Schwierigkeit der Antikapitalisten, der extremen Linken, eine solche [nichtinstitutionelle] Politik kohärent und bevölkerungsnah umzusetzen.
Doch die politischen Entscheidungen, die die Linksfront im zweiten Wahlgang getroffen hat, bestätigen, dass wir in der Ablehnung von Regierungsmehrheiten zusammen mit der PS und den Grünen Recht hatten. Und dass die Politik der Linksfront in eine Sackgasse führt, in neues Scheitern und neue Enttäuschungen.
Zwei Linien
Aber wir haben Fehler gemacht. Wir hatten es abgelehnt, mit unterschiedlichen Optionen anzutreten. Tatsächlich aber hatten wir zwei Linien: eine Kampagne, die mit der der Antiliberalen kompatibel war und unser Programm häufig auf das Feld der Institutionen einschränkte, und eine andere, die Bruchstellen auch auf der Ebene der Regionen suchte und die Brücke zu den Kämpfen schlug. In der Disparatheit unserer Listen ist die Nützlichkeit der Stimmabgabe für die NPA verschwunden. Unterm Strich war unser Auftreten inkohärent. Es war schwer zu sagen, warum man NPA wählen sollte.
Wir hatten Recht, den Kampf um gemeinsame Listen aufzunehmen, aber das Kräfteverhältnis gegenüber der Linksfront war zu ungünstig für uns. Wir sind manchmal bis in die Formulierungen hinein ihrem Druck erlegen. Wir dachten, wir könnten ein Wahlbündnis aufbauen, das die Forderungen der Masse der Bevölkerung transportiert, weil die PS sich nach rechts - auf ein Bündnis mit dem bürgerlichen Zentrum orientierte, das die PCF in Schwierigkeiten bringen und einen Teil ihrer Mitglieder deshalb empfänglich für den Einfluss der antikapitalistischen Linken machen würde. Das war eine richtige Überlegung, und es war richtig, diesen Kurs einzuschlagen, aber wir haben damit kein für uns günstigeres Kräfteverhältnis aufbauen können.
Unter diesen schwierigen Umständen haben einige Genossen gemeint, sie müssten um jeden Preis an der gemeinsamen Liste festhalten. Wir sind an den Kampf um die Einheit weniger vom Standpunkt der Frage des Kräfteverhältnisses als vielmehr vom Standpunkt der Verhandlungen auf Spitzenebene herangegangen. Wir haben die Debatten nicht öffentlich gemacht, nicht die öffentliche Auseinandersetzung gesucht. Wir haben nicht klar genug gemacht, dass wir unser Programm nicht auf die Fragen beschränken lassen wollten, für die die Regionen zuständig sind. Das hat Verwirrung über unsere Linie geschaffen.
Eine liberale Union de la Gauche
Die Frage der Einheit stellt sich heute nicht mehr in derselben Weise. Die Linksfront ist jetzt in den Regionen im Bündnis mit der liberalen Linken, mit der Linken des «Ja», und orientiert aus dieser Perspektive auf eine Rückkehr an die Macht 2012 (bei den kommenden Präsidentschaftswahlen). Wir wollen den Bruch mit dieser Politik, und es wird für unsere Genossen, die auf einer von der Linksfront dominierten Bündnisliste in den Regionalrat gewählt wurden, nicht einfach werden, wenn die politischen Entscheidungen der Linksfront andere Bündnisse als Aktionsbündnisse mit ihr verbieten.
Der Enthusiasmus beim Gründungskongress und die Illusion, es gäbe da einen freien Platz zu besetzen, sind einer nüchterneren Betrachtung gewichen. Die Wende, die die griechische Krise im Verlauf der globalen Krise eingeleitet hat, fordert von allen Parteien, die an die Regierung kommen, die Geschäfte der Bourgeoisie zu erledigen und eine harte Sparpolitik durchzusetzen, um den Staatshaushalt zu sanieren und den Euro vor der Spekulation zu schützen - so wie es die Pasok jetzt in Griechenland tut.
Die neue, liberale Union de la Gauche, die sich jetzt bildet, kann dem nicht entgehen. Und angesichts des Zerfalls der Rechten um Sarkozy liebäugelt ein Teil der Bourgeoisie durchaus mit der Rückkehr der Linken an die Macht. Für uns kommt es aber darauf an, unsere Unabhängigkeit zu bewahren, denn diese Option wird nur dazu führen, die Revolte der abhängig Beschäftigten zu kanalisieren und die radikale Linke daran zu hindern, eine wirkliche Massenopposition zu werden.
Quelle: SOZ
Mehr Infos unter: www.npa2009.org/