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Frankreich: Martine Aubry an der Spitze der krisengeschüttelten Sozialdemokratie

Mit knapper Mehrheit wurde Martine Aubry zur Parteivorsitzenden der SP Frankreichs gewählt. Auch wenn es nun Ségolène Royal gewesen wäre: Die Mitglieder der krisengeschüttelten französischen SozialdemokratInnen vertrauen einer Frau die Aufgabe an, die Partei aus dem tiefsten Schlamassel in dem sie je steckte, herauszuführen.

26.11.2008

Drei Präsidentenwahlen hintereinander hatte die SP gegenüber der Rechten den Kürzeren gezogen. In den letzten eineinhalb Jahren hat sie ein Drittel ihrer Mitglieder verloren (von 330.000 auf 230.000). Seit der letzten Wahlschlappe von Ségolène Royal gegenüber Sarkozy geriet die Partei immer tiefer in die Krise. Dem agilen Alleinregieren Sarkozys hatte sie bis zum heutigen Tag nichts entgegenzusetzen. Nachdem die SozialistInnen schon während des Wahlkampfes kein Alternativprogramm hatten, wollten sie beim notwendig gewordenen Parteikongress (der wegen Zwistigkeiten erst verspätet stattfinden konnte)  nicht nur die Nachfolge des seit 11 Jahren amtierenden Parteivorsitzenden Francois Hollande lösen, sondern auch eine programmatische Weichenstellung als Oppositionspartei vornehmen.
Dieser Kongress, der vom 14. bis 16. November 2008 mit 1.300 Delegierten in Reims stattfand, konnte keine der beiden Aufgaben lösen. Die zwei Tage und eine Nacht andauerenden Auseinandersetzungen, die eigentlich nichts anderes als ein Ringen um das ego der zahlreichen AnwärterInnen auf den Parteivorsitz waren, führten nur dazu, dass am Ende 4 Strömungen übrig blieben (Royal -  Aubry - Hamon - nur der Pariser Bürgermeister Delanoe hatte sich als Anwärter zurückgezogen).

Unter dem Motto „ jede/r andere, nur nicht Royal“ – vorgeworfen wird ihr eine Amerikanisierung der Parteistruktur -  hatten die anderen Strömungen eine Einigung versucht. Aubry hatte vorgeschlagen, den links agierenden Benoit Hamon zum Vorsitzenden zu wählen. Dieser Vorschlag scheiterte jedoch am "Nein" des Pariser Bürgermeisters Bertrand Delanoe. Da sich am Kongress keine Strömung mehrheitlich durchsetzen konnte, blieb nur mehr der rettende Anker, die Parteibasis darüber abstimmen zu lassen. Das Ganze entstand aus dieser Notlage heraus; es war keine vorgesehene basisdemokratische Bestrebung, einen Vorsitzenden durch die Parteimitglieder direkt zu wählen. Beim ersten Durchgang am 20. November erreichte keine/r der drei die absolute Mehrheit. (Ségolène Royal mit 42,9%; Martine Aubry 34,5%; Benoit Hamon 22,6%; Wahlbeteiligung 60%; 137.000 abgegebene Stimmen).

Die Stichwahl zwischen Ségolène Royal und Martine Aubry vom 21. November brachte für letztere einen hauchdünnen umstrittenen Vorsprung von 102 Stimmen. Die Wahlbeteiligung war gleich geblieben. Die Strömung um Benoit Hamon hatte aufgerufen, für Aubry zu stimmen und zumindest der größere Teil hat dies auch getan.

Spaltung unvermeidlich?

Tatsache ist, dass die Partei in zwei gleich große oppositionelle Lager gespalten bleibt - eines um Aubry/Delanoe/Hamon, die ein Zurück zu einer linkeren AktivistInnenpartei anstreben und das andere um Royal, die eine offenere, lose Verbindung zu ParteisympathisantInnen nach amerikanischem Showmodell anstrebt. Es wird nicht einfach möglich sein, zur Tagesordnung überzugehen, um endlich – nach 6-monatiger Prozedur einer Beschäftigung mit sich selbst – eine Oppositionspolitik gegenüber Sarkozy aufzunehmen.
Schon am 6. November war die Parteibasis zu den vorbereiteten Anträgen befragt worden und das damalige Ergebnis kündigte bereits eine Zersplitterung an: Royal 29%; Delanoe 25%; Aubry 24% und Benoit 18,5%.

Austritt Mélenchons

Der Partei-Linke Jean-Luc Mélenchon, dessen Antrag immerhin 19% erreicht hatte, ist für viele überraschend noch vor Ende des Kongresses aus der SP ausgetreten und hat bereits eine Links-Partei nach deutschem Vorbild gegründet. Am 29. November wird ihm Oskar Lafontaine dabei in Paris bei einem ersten Parteimeeting internationale Schützenhilfe liefern.
In Richtung EU-Wahl im Juni 2009 will er versuchen, eine breite antikapitalistische Front aufzustellen. Die KPF hat bereits abgewunken und mit der Nachfolgeorganisation der LCR, die Ende Januar 2009 gegründet wird, ist er in Diskussion getreten. Angesprochen darauf, was ihn hindere, mit dieser Organisation zu fusionieren, meinte er, dass Olivier Besancenot ein Revolutionär sei, der außerparlamentarisch den Bruch mit dem Kapitalismus anstrebe, wohingegen er sein antikapitalistisches Programm über den institutionellen, parlamentarischen Weg umzusetzen versuche.

Schon vor 3 Jahren ist die Partei knapp an einer Spaltung vorbeigeschrammt, als die Quadratur des Kreises zwischen jenen versucht worden war, die eine Kampagne für den EU-Vertrag führten und jenen, die dagegen waren.
Den neoliberalen Kurs, den die SP seit 2 Jahrzehnten mitträgt (unter keiner rechten Regierung waren so viele Staatsbetriebe privatisiert worden als unter der SP) Das Bekenntnis zur "sozialen Marktwirtschaft" wollten sie mit diesem Parteikongress auch programmatisch mit ihren Taten in Einklang bringen. Gerade deshalb waren sie von der Finanz-Banken-Wirtschaftskrise derart überrascht worden. Noch in diesem Sommer hatte die gesamte Führungsriege eine Plattform mit Bekenntnis zur Marktwirtschaft unterzeichnet – in der aktuellen kapitalistischen Krise verschlug es ihnen daher die Sprache. Die Krise der Sozialdemokratie in allen anderen Ländern Europas hat – wenn auch in Nuancen unteschiedlich – den gleichen Hintergrund. Als die besseren Verwalter /Zähmer des ungezügelten kapitalmarktgetriebenen Kapitalismus haben sie ihre Glaubwürdigkeit verloren. Laut einer Umfrage vertraut nur mehr ein Drittel der WählerInnenschaft der SP eine effektive Oppositionsrolle hinsichtlich Arbeitslosigkeit und Kaufkraftverlust zu.

Wer profitiert von dieser ideologischen Krise?

Sarkozys UMP ist der größte Nutznießer dieser Krise der Sozialdemokratie. Ihm ist es schon fast zu viel, denn er meldete beunruhigt, dass eine Demokratie eine funktionierende Opposition brauche, die SP dazu jedoch nicht mehr in der Lage sei. Er freut sich trotzdem in Richtung Präsidentschaftswahl 2012 darüber, dass die SP keine klare politische Linie, keine Strategie und keine unumstrittene Vorsitzende hat.
Der zweite ist Bayrou mit seiner zentristischen Modem-Partei, der durch die angestrebte Zusammenarbeit der SP mit seiner Partei (vor allem Ségolène Royal) auf dem Kongress der abwesende Gegenwärtige war.
Dies eröffnet nicht zuletzt Olivier Besancenot und der neuen antikapitalistischen Partei neue Möglichkeiten. Besancenot symbolisiert für viele zunehmend die „einzige wirkliche Opposition zu Sarkozy“, was sich in einem ständigen Wachstum seiner Popularität niederschlägt.

Johann Schögler, 23.11.08