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Frankreich: Die Gründung der Neuen Antikapitalistischen Partei

Am 5. Februar 2009 war es soweit: Im Rahmen eines Delegiertenkongresses wurde in einem Pariser Vorort die Neue Antikapitalistische Partei (NAP) gegründet. Gleichzeitig wurde die LCR, französische Sektion der 4. Internationale aufgelöst - die GenossInnen beteiligen sich aktiv am Aufbau und den Aktionen der NAP. Die NAP hat bei ihrer Gründung 9.000 Mitglieder.

14.02.2009

Am 5. Februar fand in La Plaine St. Denis (nordöstlicher Vorort von Paris) der offizielle Akt der Auflösung der LCR (Ligue Communiste Revolutionnaire, französische Sektion der 4. Internationale; sie war vor 40 Jahren in Folge der Mobilisierungen des Mai 1968 aus der Fusion von JCR und PCI im April 1969 gegründet worden) beim 18. und zugleich deren letzten Kongress in Anwesenheit von 150 Delegierten (für 3.200 Mitglieder) - mehrheitlich AktivistInnen mit jahrzehntelanger Erfahrung - statt. Für die Auflösung stimmten 87,1% der Delegierten; dagegen 11,5% und 1,4% enthielten sich.
Anschließend fand am gleichen Ort vom 6.-8. Februar der Gründungskongress der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) statt. Mit 700 mehrheitlich jüngeren AktivistInnen, die von den über 9.000 Parteimitgliedern delegiert worden waren. Man kann durchaus behaupten, dass die Ablöse der „Alten Garde“ durch die „Junge Garde“ in Frankreich eine gelungene Sache ohne Bruch darstellt - im Vergleich zu anderen Ländern, in denen dieser Übergang missglückt. Begünstigt wurde dies auch durch die seit 1995 in Frankreich wieder zunehmenden sozialen Kämpfe, die eine Mobilisierung und Politisierung der jungen Generationen bewirkten.

Wie sehen drei Gründungsmitglieder der LCR diese Veränderung?


Alain Krivine, Mitbegründer der LCR - der französischen Sektion der 4. Internationale: Zwei Mal in ihrer 40 jährigen Geschichte war sie aufgelöst worden (einmal im Juni 1968, als die Strömung noch als JCR und PCI existierte; nach den Maiereignissen von 1968 und ein zweites Mal im Jahre 1973 als es bei der Verhinderung eines Meetings der Rechtsextremen zu Auseinandersetzungen kam). Krivine meinte lakonisch: „Diesmal lösen wir uns auf, aber wir lösen uns nicht im üblichen Sinne auf, sondern, um den revolutionären Kampf mit einem neuen, viel adäquateren Instrument als dies die LCR war, fortzusetzen“ und: „eine Partei, im Vergleich zu einer Sekte ist nicht ein Ziel zum Selbstzweck“, und er fügte hinzu, dass „die Gründung einer antikapitalistischen Partei zu einem Zeitpunkt, "in dem sich die Niederlage des Kapitalismus abzeichnet, eine wichtige Angelegenheit“ ist.

Die NPA „wird eine antikapitalistische Kraft darstellen, die die anderen Parteien herausfordert“; es ist kein Bruch zwischen der LCR und der NPA, sondern „eine Fortsetzung und wir machen alle zusammen weiter“ meinte er entschieden, an die Delegierten gewandt. Weil so manche ältere AktivistIn die Zusammenarbeit mit den nicht so politisierten neuen Mitgliedern nicht so einfach sehen, appellierte er in diese Richtung: “Die erfahrenen AktivistInnen der Ligue werden eine enorm wichtige Rolle zu spielen haben, besonders in der politischen Bildung“ der neu Dazugekommenen. Nicht paternalistisch und von oben herab als die Wissenden, sondern auf gleicher Ebene aber mit einer neuen Art des Diskurses und einer neuen Situation konfrontiert.“

Christian Piquet als Sprecher der Minorität bedauerte, dass die Auflösung der LCR „ein abgekartetes Spiel war“ …und „dass sie auf die Schnelle in einigen Stunden über die Bühne ging“ und der Kongress auf „das Auflösungsvotum reduziert“ worden sei.

Daniel Bensaid (ebenfalls Mitbegründer der LCR) sieht den Übergang zur neuen Struktur historisch bedingt durch die theoretische Aufarbeitung der wichtigen Ereignisse des 20. Jahrhunderts, zu der die LCR fähig war. „Was wir heute machen ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass wir die letzten 40 Jahre so durchgehalten haben. Seit dem Fall der Berliner Mauer haben gewisse Strömungen, wie die KP, ihre Orientierung und ihre Weltsicht verloren. Auch wir gehen nicht unbeschadet aus dem 20. Jahrhundert hervor, aber wir haben gewisse Erklärungsmuster für die Ereignisse finden können und so haben wir nicht ganz die Orientierung verloren, was uns jetzt ermöglicht, das beginnende 21. Jahrhundert mit all seinen Unsicherheiten mit mehr Voraussicht zu beginnen.“

Henri Weber (ein Mitbegründer der LCR, der 1986 in die SP eintrat und zum engen Führungskreis dieser Partei gehörte; er ist heute EU-Abgeordneter der SP) meinte: „Die LCR hatte in der politischen Landschaft Frankreichs ein gewisses Gewicht. Ich freue mich für meine alten Freunde Krivine und Bensaid, dass die Vorstellung, die wir vor 40 Jahren hatten, nämlich eine kleine nicht-stalinistische kommunistische Partei zu gründen, Realität geworden ist.
Ob die NPA eine Gefahr für die SP darstelle?
Die radikale linke Wählerschaft liegt zwischen 5% und 12%. Der Reformismus wird in Frankreich aus historischen Gründen nie alle überzeugen. Wenn die SP es schafft, die Spaltungen zu überwinden und sich auf die Seite der Lohnabhängigen stellt, wird die NPA eher bei 5% bleiben, anderenfalls könnte sie konjunkturell sogar die 12% übersteigen.

DER SUBJEKTIVE FAKTOR OLIVIER BESANCENOT


• Seit der Präsidentschaftswahl 2002 kam es immer stärker zur medialen Personalisierung der Politik der LCR um den jugendlichen Olivier Besancenot, der in der Öffentlichkeit immer mehr Glaubwürdigkeit erlangt. Er reagiert schlagfertig, immer in sachlicher Art, und er spricht in einer für ein breites Publikum verständlichen Sprache. Er antwortet stets frei und konkret (gecoacht wie ein Spitzensportler von Francois Sabado und Jean-Francois Grond) auf die Fragen der JournalistInnen, und ihm gelingt es als erstem Linken, die radikalen Ideen via Fernsehen einem Millionenpublikum zugänglich zu machen. Die Menschen finden ihn „sympathisch, volksnahe, mutig und aufrichtig.“ Zwischen seinen Beliebtheitswerten und jener der Partei herrscht jedoch eine gigantische Kluft. Die Krise der Sozialdemokratie und der KP – als institutionelle Parteien, die keine Antworten auf die kapitalistische Krise geben - ist ein weiterer Pluspunkt, den Besancenot geschickt auszunutzen versteht.

"Gedopt" von den guten Wahlerfolgen der letzten beiden Präsidentschaftswahlen 2002 (1,2 Millionen Stimmen) und 2007 (1,5 Millionen Stimmen - die KP hatte nur die Hälfte der Stimmen erreicht) und einer Verdoppelung der Parteimitglieder von 1.500 auf 3.000 (auch der Frauenanteil stieg von 25% auf 38%) machten eine neue Struktur mit neuem Namen, neuem Programm und neuem Aktivitätsniveau der AktivistInnen notwendig, zumal jene, die nur für kurze Zeit der LCR beigetreten waren, wieder weggingen, weil ihnen der Rahmen zu eng war. Begünstigt wurde alles durch die Krise der institutionellen Parteien, der SP und KP.

Die über 9.000 Mitglieder finden sich in 460 Komitees in ganz Frankreich und hatten bereits in Regionalkongressen neben dem Delegationsprinzip natürlich auch die Inhalte, Parteistruktur, Parteiprogramm etc. weitgehend diskutiert. Nachdem es über Jahrzehnte nicht möglich war, die linksextremen Gruppen von der Spitze her zusammenzuführen, hatten sie beschlossen, dies von der Basis aus zu versuchen.
Der Außenstehende Henri Weber charakterisiert ihn folgend: „Olivier Besancenot ist die wesentliche Ressource der NPA. In unserer Medien- und Umfrage-Gesellschaft ist der Leader ganz entscheidend.“

Medial gesehen fand der Übergang von der LCR zur NPA ein breites Echo in Frankreich. So veröffentlichte die Tageszeitung „Le Monde“ schon am 2. Februar eine zweiseitige Reportage darüber. Über die große Diskrepanz zwischen den hohen Popularitätswerten Besancenots (er liegt als Oppositionspolitiker gegenüber Präsident Sarkozy ganz vorne) und der Partei meinte der Politikwissenschaftler Vincent Tiberj: “Laut Umfragen könnte Besancenot durch seinen Bekanntheitsgrad 15% bis 18% der WählerInnenstimmen erhalten; wenn jedoch nach der ideologischen Nähe zu seiner Partei gefragt wird, fällt der Prozentsatz auf 3%.

In der Rede auf dem Gründungskongress meinte Olivier Besancenot unter anderem: „Die zahlreichen sozialen Bewegungen für Lohnerhöhungen und Bewegungen gegen Entlassungen verlangen nach weiteren Aktionen. Wir bräuchten einen neuen Mai 68, um die aktuelle Regierungspolitik zu stoppen.“
„Wir wollen aus der ArbeiterInnenbewegung, der trotzkistischen-, guevaristischen-, ökologischen-, feministischen Bewegung das Beste herausholen und in einem antikapitalistischen Pol vereinen.“ Und weiter: „Die drei Pfeiler unseres antikapitalistischen Programms sind, dass die Mehrheit der Bevölkerung in baldiger Zukunft eine Neuaufteilung des Reichtums vornehmen kann; dass sie dies auf eine ausgleichende Art macht; dass sie sie kontrollieren kann und dass sie sich die Reichtümer aneignen kann“

Wer wird den Ton in der neuen Partei angeben? Es gibt sicherlich mehrere Strömungen: Einmal die Erfahrenen der LCR; dann die zwei aus der LO (Lutte ouvrière), dazu gestoßene Gruppierungen (Arbeiterstimme; Fraktion-Funke) und schließlich die neu Dazugekommenen. Im Führungsteam (150 Personen) werden die ehemaligen LCR-Kader nicht mehr die Mehrheit darstellen.

Die neue Partei wird bereits in den kommenden Monaten bei den sozialen Mobilisierungen in Frankreich eine verstärkte Rolle spielen und bei der EU-Wahlphase einen internationalen antikapitalistischen Wahlkampf führen. Die NPA ist nicht mehr Mitglied der Vierten Internationale; lediglich die Mitglieder der LCR sind dies als Einzelpersonen. In den Parteiprinzipien heißt es „für einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts“.

Hinsichtlich der EU-Wahlen


Nicht nur der Name der Partei und die Statuten waren Gegenstand ambitionierter Diskussionen auf dem Gründungskongress, sondern auch die Bündnisbildung hinsichtlich der aufsteigenden sozialen Mobilisierungen gegen die Krise und natürlich auch die Frage der EU-Wahlen. Um ein gemeinsames Wahlbündnis mit der KP und der PG (Parti de Gauche von Jean-Luc Melenchon, der beim SP-Kongress im November 2008 ausgetreten war und der eine ähnliche Wahl-Partei wie in Deutschland DIE LINKE gegründet hat – 4.000 Mitglieder) einzugehen, stellt die NPA folgende Bedingungen: es müsste sich um ein dauerhafteres Bündnis handeln als nur für die EU-Wahl mit einer klaren 100% gen Abgrenzung zur SP und es darf keine Regierungsteilnahme mit dieser reformistischen Partei mit einem sozial-liberalen Programm angestrebt werden. Die 2010 stattfindenden Regionalwahlen müssten also ebenso unabhängig von der reformistischen SP gemeinsam stattfinden. Olivier Besancenot im französischen Fernsehkanal TF1: „Wenn es darum geht, bei den EU-Wahlen einen guten Erfolg einzufahren, um einige Monate später bei den Regionalwahlen wieder ein Bündnis mit der SP einzugehen, so haben wir falsche Hoffnungen unter den Leuten erweckt, und ich glaube, es gibt nichts Schlimmeres als eine enttäuschte Hoffnung. Wir schlagen die Konstitution einer dauerhaften antikapitalistischen Front vor, die vorher, während und nach den Wahlen“ hält. Das allgemeine Motto der AktivistInnen lautet auch: Die Einheit wird vor Ort bei den Kämpfen entstehen müssen.

Wie sieht es der Delegierte Julien Sergere, 28 Jahre alt, Professor für Französisch und Geschichte in einer Berufsmittelschule im Interview mit der Zeitsachirft Libération vom 6.2.? Er weiß, welchen Weg er eingeschlagen hat. Gewerkschaftlich organisiert bei SUD–Studenten auf der Uni, Mitglied der LCR von 2004 bis 2006, und so kommt er ganz natürlich zur NPA heute: „Wir sind auf dem Weg von der LCR – einer kleinen, avantgardistischen Partei, zur NPA, einer großen Massenpartei“ meint er begeistert: „Die Frage, die ansteht ist, wie die Macht ergreifen.“ Julien gibt eine Antwort in Ansätzen: „Das geht zweifelsohne über den Weg einer breiten sozialen Mobilisierung“. Aber nicht dass dadurch aus der NPA „eine Jedermann/jederfrau–Partei“ wird. Er bekräftigt, dass man „in Zukunft weniger Besancenot in den Medien sehen wird müssen: „Wir sind in die Falle eines medialen Personenkults getappt. Um die Ideen in den Vordergrund stellen zu können, werden wir andere SprecherInnen in die Öffentlichkeit bringen.“

Die NPA (Nouveau parti anticapitaliste) - „eine Linke die Widerstand leistet“


48 Stunden nach der Auflösung der LCR stand endgültig der Name der Neuen Partei fest. Die bereits im Vorfeld seit einem Jahr verwendete Bezeichnung erhielt bei der Abstimmung die knappe Mehrheit mit 53% der 595 Delegiertenstimmen; die PAR (Parti anticapitaliste révolutionnaire) erhielt 44% der Stimmen. Nachdem beim ersten Wahlgang 5 Namen zur Auswahl standen, war aufgrund der knappen ersten beiden Plätze (219 NPA, 213 PAR) ein zweiter Wahlgang notwendig gewesen.

Die Parteigründungsprinzipien (das Programm) waren nach 3-stündiger Debatte und zahlreichen Abänderungsanträgen mit 91% angenommen worden. Die Parteistatuten nach eineinhalbstündiger Diskussion ebenfalls mit überwiegender Mehrheit.

website der NAP: www.NAP2009.org