Die G8 delegitimieren – aber wie? Plädoyer für das Nachholen einer politischen Debatte.
Angela Klein
450 Menschen kamen am 11./12. November zum 2. bundesweiten Vorbereitungstreffen für die Proteste gegen den G8-Gipfel in Rostock zusammen – darunter zahlreiche Gäste überwiegend aus dem europäischen Ausland, von denen viele ein Wochenende zuvor in Frankfurt/M am Vorbereitungstreffen für das nächste Europäische Sozialforum (ESF) teilgenommen hatten. Das war viel – und doch noch zu wenig.
11.05.2007
Zu wenig war es vor allem gemessen an den Erwartungen, die die
OrganisatorInnen selber pflegen: Nach eigenem Bekunden wollen sie
mindestens 100 000 Menschen zur Großdemonstration am Samstag nach
Rostock bewegen; in den Tagen danach ist ein Camp für 10 000 Menschen
"zur Übernachtung und als Rückzugsmöglichkeit" geplant, auf die man
auch hofft, um die "rote Zone" um Heiligendamm einzukreisen und die
Verkehrswege zu blockieren. Die rote Zone besteht aus einem 13 km
langen und 2,50 m hohen Zaun um Heiligendamm, der noch gebaut wird. Der
Willkür sind allerdings keine Grenzen gesetzt: Auf den 22 Kilometern,
die Heiligendamm von Rostock trennen, lassen sich noch viele
No-Go-Areas einrichten.
Zusammensetzung und Beschaffenheit des Bündnisses, das bislang zur
Organisierung der Gegenaktivitäten zusammen gekommen ist, steht in
krassem Gegensatz zu den hoch gespannten Erwartungen. Zwar reicht es
von Erlassjahr, örtlichen Pastoren, der DGB- und der IGM-Jugend über
Attac, die verschiedenen Zweige der Friedensbewegung, die Initiative
Freie Heide bis hin zu den Euromärschen, Euromayday, der
Interventionistischen Linke und verschiedenen Schattierungen des
autonomen Spektrums, die sich zum Bündnis Dissent! zusammengetan haben.
Aber erstens fehlen noch wichtige gesellschaftliche Bereiche: die
Gewerkschaften, die Umweltbewegung, die Dritt-Welt-Bewegung,
MigrantInnenverbände, ein nennenswerter Teil der Kirchen… Breiter
gesellschaftlicher Protest sieht anders aus; zweifelsohne ist der
Anteil derer, die ob der Politik der G8 Wut im Bauch haben, bedeutend
größer, als dies bisher in der Bandbreite des Bündnisses zum Ausdruck
kommt. Wird es gelingen, den großen Teil von ihnen zum Protest gegen
die G8 zu mobilisieren? Dann würde die G8 tatsächlich "delegitimiert",
wie das erklärte politische Ziel der Aktionen lautet.
Zweitens aber ist das Hauptproblem, dass es im vorbereitenden Bündnis
über Ziel und Schwerpunkt der Mobilisierung keine politische Debatte
gibt. Die gab es auch in Rostock nicht, die Anwesenheit der
PartnerInnen aus dem Ausland wurde nicht genutzt herauszuarbeiten, was
die gemeinsame Botschaft des europäischen Protestes sein soll. Rostock
II war angekündigt als "internationale Aktionskonferenz" zur
Vorbereitung einer Mobilisierung, die die Versammlung sozialer
Bewegungen auf dem ESF in Athen beschlossen hat. Der Austausch über die
gemeinsamen Ziele fand jedoch nicht statt. Der bundesdeutsche
Vorbereitungskreis präsentierte die bisherigen Planungen zu
Einzelvorhaben, die Gäste aus dem Ausland konnten sich dazu verhalten.
Sie blieben Gäste – und sind bisher nicht gleichberechtigt in die
Planungen einbezogen.
Die Planungen verraten eine alte Krankheit der Linken: Man weiß, dass
man zusammenarbeiten muss, soll die Mobilisierung halbwegs erfolgreich
sein. Aber zwischen dem Dissent-Spektrum und den NGOs klaffen tiefe
Unterschiede hinsichtlich der Vorstellungen über die Mobilisierung. Wo
die einen mit Massenblockaden am Zaun den G8 real in seinem Ablauf
mindestens stören wollen und hoffen, den Effekt von Seattle zu
wiederholen, konzentrieren die anderen sich auf einen Alternativgipfel
in der Mitte der Woche, lange nach der für den 2.6. geplanten
Großdemonstration und exakt parallel zum offiziellen Gipfel, in der
Hoffnung, etwas von der Medienaufmerksamkeit, die der erstere genießt,
auf sich lenken zu können. Die Blockierer sind darauf angewiesen,
möglichst massiv aufzutreten. Da aber der Rückhalt für die
Anti-G8-Proteste in der Region bisher – vorsichtig formuliert – sehr
zurückhaltend ist, und da die meisten, die zur Großdemonstration am
Samstag kommen, wahrscheinlich nicht bis Mittwoch bleiben können, um an
einer Blockade teilzunehmen, sehen sich die Blockierer gedrängt zu
verlangen, dass der Alternativgipfel nicht zeitgleich mit den Blockaden
stattfindet – ein Ding der Unmöglichkeit, wenn beides parallel zum
offiziellen Gipfel stattfinden soll. Aus dem Trägerkreis des
Alternativgipfels wiederum waren wesentliche Organisationen gar nicht
in Rostock anwesend: die IG Metall z.B. oder der BUND… Deren Zeitplan,
den Gegengipfel auf die Tage Mittwoch und Donnerstag zu legen, verriet
wiederum, dass bisher nicht daran gedacht ist, den Alternativgipfel als
Teil eines Mobilisierungskonzepts zu verstehen, das wesentlich von
Straßenprotesten getragen wird.
Die Situation war bereits verfahren, als die Konferenz begann, der
Streit zwischen Blockierern und NGOs (um es vereinfacht auszudrücken)
schien unüberbrückbar. Etwas Bewegung kam in die Sache, als die Partner
aus dem Ausland forderten, der Gegengipfel müsse bereits am Sonntag
beginnen, denn sie kämen nicht nur zum Demonstrieren, sie wollten auch
mit uns diskutieren. Dem wurde dann nachgegeben (siehe gemeinsame
Abschlusserklärung), der jetzt gefundene Kompromiss löst aber das
Problem nicht. Denn nach wie vor werden in der Mitte der Woche nicht
die benötigten Menschenmassen für Blockadeaktionen bereit stehen, und
die Mobilisierungsbasis ist insgesamt zu schwach.
Es bleibt also kein anderer Weg, als die politische Debatte
nachzuholen. Der bisher von allen Seiten gepflegte Opportunismus: "Wir
haben sehr unterschiedliche, zum Teil auch sich ausschließende
Vorstellungen, aber wir tun uns gegenseitig nicht weh. Jeder macht
seins" funktioniert nicht. Am Ende muss doch ein gemeinsamer Ablauf
verabredet werden, und da greift das eine ins andere.
Die Kunst besteht darin, die politischen Differenzen auszutragen, nicht
um die Aktionen der anderen schlecht zu machen, sondern über die
Einzelaktion hinaus einen gemeinsamen Nenner zu finden. Dazu müsste man
sich zumindest auf folgende Aspekte einigen können:
- Erfolg kann es nur geben, wenn die Mobilisierung so breit wie möglich ist;
- die
Parole "die G8 delegitimieren" taugt nicht als gemeinsamer Nenner, weil
damit viele ausgegrenzt sind, die nicht von vornherein eine
Anti-G8-Haltung haben (und das ist der größte Teil der Bevölkerung im
Westen wie im Osten);
- das bedeutet, wir müssen
einen inhaltlichen Schwerpunkt suchen, der zentral mit den G8
identifiziert wird und so umfassend ist, dass viele Aspekte darunter
subsumiert werden können. Die Infragestellung des "Kriegs gegen den
Terror" könnte so ein Schwerpunkt sein. Darunter lässt sich die Kritik
an der Kriegspolitik der USA ebenso subsumieren wie die
Auseinandersetzung mit der Umwandlung der EU in eine neue Militärmacht
(Neuauflage der Verfassung!) und die Forderung nach sofortigem Rückzug
der deutschen Truppen von Auslandseinsätzen – bis hin zum Kampf gegen
das Bombodrom und den Ausbau des Rostocker Flughafens zu einem
militärischen Stützpunkt. Von der lokalen bis zur internationalen Ebene
lassen sich so die verschiedenen Aspekte des "Kampfs um eine neue
Weltordnung" sehr gut integrieren. Die Aktualität steht eh außer Frage.
Und "weichere" Themen wie Energiesicherheit, Migration, globale soziale
Rechte, Patentrechte, Entschuldung etc. lassen sich problemlos
zuordnen. Wenn es uns gelingt, hierzu eine breite europäische
Mobilisierung zustande zu kriegen und damit unsere Sichtweise der Dinge
öffentlich zum Thema zu machen, sind wir in der Delegitimierung der G8
ein Stück weiter;
- wir tun gut daran, uns in den
Aktionen des zivilen Ungehorsams nicht zu verzetteln – je mehr es sind,
desto kleiner werden sie. Die Blockade von Rostock-Laage scheint bisher
diejenige, die inhaltlich am besten ausgewiesen ist und den größten
Rückhalt in der Region hat;
- zwischen dem Alternativgipfel und den direkten Aktionen muss es eine Verzahnung geben: was bei den einen geschieht, muss bei den anderen diskutiert werden können. Einen reinen NGO-Gipfel wird es nicht geben können.
Angela Klein, 15. November 2006
07-12-2006, 19:59:00 |Angela Klein