Deutschland - Wiederkehr der Führungsrolle
Johannes Plotzki , Tobias Pflüger
Die seit den 90er Jahren um sich greifende Gewöhnung der Bevölkerung an militärische Einsätze gipfelte 1999 in der Entscheidung der rot-grünen Bundesregierung, sich am NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien zu beteiligen. Dies war ein offener Bruch des Völkerrechts, bei dem erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg durch Angriffsaktionen einer deutschen Armee Menschen getötet wurden.
25.04.2007
Heute stehen über 7700 Bundeswehrsoldaten in elf Militäreinsätzen in
aller Welt: Vom sog. "Kampf gegen den Terror" an der Seite der USA in
Afghanistan und mit der Marine am Horn von Afrika bis hin zum
EU-Militäreinsatz im Kongo. Ab Oktober kommt nun noch der
Militäreinsatz im Nahen Osten hinzu.
Militärminister Franz-Josef Jung (CDU) spricht von einem deutschen
"Kampfeinsatz". Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck will gar eine deutsche
"Führungsrolle". Diesem Ziel erhoffen sich Militärs und
Militärpolitiker mit dem nun zu erwartenden Endloseinsatz vor der Küste
Libanons zu nähern. Doch dies wird keine "Kaffeefahrt" werden, wie es
selbst der Sprecher des Bundeswehrverbands, Wilfried Stolze,
vorhersieht.
Das letzte Tabu
Viele "Spitzenkräfte" verstehen offenbar, wenn sie das Wort
Verantwortung hören, immer nur Militäreinsatz. Als es wirklich darauf
angekommen wäre, weigerte sich die Bundesregierung auch innerhalb der
EU, sich für einen sofortigen Waffenstillstand zwischen der
israelischen Armee und der Hizbollah einzusetzen, der möglicherweise
Hunderte von Menschen das Leben gerettet hätte. Eine solche Forderung
der EU hätte durchaus Gewicht gehabt. Stattdessen wurde auch von der
deutschen Regierung der israelischen Regierung weitere Zeit gegeben,
die diese zu weiteren Angriffen nutzte.
Nach langem Warten traf nun am 11.September die "Anfrage" der
libanesischen Regierung nach einem deutschen Marineeinsatz vor der
libanesischen Küste ein. Die Bundesregierung ist seitdem zufrieden: sie
hat ein richtig "robustes Mandat" durchgesetzt.
Mit diesem sind mittlerweile die insgesamt 2400 zugesagten deutschen
Soldaten ausgestattet. 1500 Marinesoldaten kommen als maritime Task
Force auf zwei Fregatten inklusive Bordhubschraubern, einem
Einsatzgruppenversorger, einem Tender sowie vier Schnellbooten zum
Einsatz. Sie werden von rund zusätzlichen 400 Soldaten geführt und
logistisch unterstützt. Weitere 100 Bundeswehrsoldaten sind im
Lufttransport eingesetzt. Ferner sollen 100 Soldaten zur Beratung und
Ausbildung der libanesischen Sicherheitskräfte abgestellt werden.
Der Einsatz ist zunächst bis zum 31.August 2007 befristet, die deutsche
Regierung schätzt die Kosten für den Einsatz auf 46 Millionen Euro im
Jahr 2006 und 147 Millionen im Jahr 2007, also auf insgesamt eine Summe
von knapp 200 Millionen Euro. Beim Vergleich mit der (als ein
unerwarteter Erfolg gewerteten) zivilen Aufbauhilfe von 940 Millionen
Euro seitens der Geberkonferenz wird deutlich, dass diese Summe einzig
schon von zwei am Libanon- Einsatz beteiligten EU-Staaten übertroffen
wird, nimmt man zu den deutschen, die veranschlagten italienischen
Einsatzkosten von knapp 800 Millionen Euro hinzu. Und das allein bei
der Annahme, es bleibt bei dem einen Jahr, was bereits angezweifelt
wird.
In Wirklichkeit stand nie ernsthaft zur Debatte, dass Deutschland etwa
nicht an dem Militäreinsatz im Nahen Osten teilnimmt. In vorauseilendem
Gehorsam waren auch vor der offiziellen Anfrage Libanons deutsche
Grenzschutzbeamte am Flughafen Beirut im Einsatz, um deutlich zu
machen, dass die deutsche Regierung "trotz der Hängepartie um den
Marineeinsatz weiter zu einem Engagement in Libanon bereit ist", wie
die Neue Zürcher Zeitung am 7.9. schrieb.
Die große Koalition will und muss auch das letzte Tabu schleifen:
Deutsche Soldaten in Nahost sind der vorläufige Höhepunkt des lang
erarbeiteten Aufstiegs Deutschlands zu einer militärisch agierenden
Weltmacht. Gelernt wurde dabei, wie dieses Land nach Weltkrieg und
Auschwitz wieder Weltmacht sein kann: Heute tritt Deutschland nicht
mehr allein, sondern im Verbund mit anderen Staaten — vornehmlich der
EU — auf.
Das zweideutige Mandat
Im EU-Parlament stimmten die Abgeordneten bereits am 7.9. der
Libanon-Resolution zu. Obwohl es positiv zu werten ist, dass sich dabei
das Europäische Parlament für die Einberufung einer Friedenskonferenz
für den Nahen Osten aussprach, stimmten die Abgeordneten für eine
Truppenentsendung in den Libanon auf Grundlage eines völlig unklaren
Mandats. Eine Vorlage oder eine Information über die Einsatzregeln der
UNIFIL erfolgte dabei nicht.
In der Resolution des Europäischen Parlaments ist davon die Rede, dass
ein "starkes Mandat" der Libanon-Truppe begrüßt werde. Eine Entwaffnung
der Hizbollah als eine mögliche Aufgabe der UNIFIL-Soldaten und damit
auch der Soldaten aus den EU-Mitgliedstaaten wird in der
Parlamentsresolution nicht explizit ausgeschlossen. Die Befürwortung
dieses Militäreinsatzes ist abenteuerlich. Damit wurde einem
Kampfeinsatz europäischer Truppen im Libanon de facto grünes Licht
erteilt.
Die vorliegende UN-Resolution 1701 ist in Bezug auf den Auftrag der
internationalen Truppen mit UN-Mandat höchst zweideutig. Obwohl auf
Grundlage von Kapitel VI der UN-Charta gehandelt werden soll, enthält
die Resolution einen Kampfauftrag der südlich des Litaniflusses
stationierten Truppen. Allein dies ist ein Verstoß gegen geltendes
Völkerrecht. Eine militärische Entwaffnung der Hizbollahtruppen ist
zudem nicht nur illusorisch, sondern auch höchst gefährlich und würde
die Region in einen neuen Krieg mit noch mehr Beteiligten stürzen.
Mit der Entsendung französischer Truppen wird der ehemaligen
Kolonialmacht Frankreich wieder eine entscheidende Rolle im Libanon
zugewiesen. In eklatanter Weise wird damit gegen den bei
Truppenstellungen für UN-Blauhelmeinsätze geltenden Grundsatz einer
Nichtbeteiligung von Großmächten und von Staaten mit strategischen
Interessen in der Region verstoßen. Die Beteiligung der Bundeswehr an
dieser Truppe mit Seestreitkräften ist nur ein weiterer Schritt in
Richtung eines unbegrenzten weltweiten Einsatzes deutscher Truppen.
Weltweit führen und handeln
Im Kongo sind die EUFOR-Soldaten knapp an einem Desaster
vorbeigeschlittert. In Afghanistan kämpfen inzwischen
NATO-ISAF-Soldaten entgegen des erteilten Mandats einen offensiven
Angriffskrieg gegen einen "Aufstand". Derzeit ist auch das Kommando
Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr im Osten Afghanistan unterwegs, wie
erst jüngst wieder vermeldet wurde. An der Seite der US Special Forces
nehmen die KSK-Soldaten aus dem schwäbischen Calw an Operationen teil.
Bezüglich der parlamentarischen Kontrolle des KSK sagte dessen
Kommandeur, Brigadegeneral Hartbrod, im direkten Gespräch in Calw, dass
er nicht wisse, wie die parlamentarische Kontrolle genau ablaufe, er
sich aber sicher sei, dass sie gesichert sei. Die Frage, was das KSK
bei seinen Kampfeinsätzen mit Gefangenen macht, konnte Brigadegeneral
Hartbrod auch nicht schlüssig beantworten. Dass Gefangene örtlichen
Gerichtsbarkeiten oder Sicherheitsleuten übergeben würden, ist im Falle
von Afghanistan wenig glaubwürdig. Somit gibt es einen
völkerrechtlichen Graubereich, in dem das KSK operiert. Selbst
Brigadegeneral Hartbrod schloss nicht aus, dass es in kriegerischen
Auseinandersetzungen zu Dingen kommt, die nicht sein sollten.
Absolut fatal ist es, in eine Spannungsregion wie die des Nahen Ostens
noch mehr Soldaten hinein zu verfrachten. Einer der Slogans der Marine
lautet: "Weltweit führen und handeln." Die EU ist dabei das Vehikel,
mit dem Deutschland zunehmend seine Führungsrolle ausbauen kann.
Eine derartige Auslegung der deutschen Außenpolitik wird jedoch nicht
von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung geteilt. Wie das
Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr feststellte, werden
"friedenserzwingende Einsätze von Kampftruppen der Bundeswehr nur noch
von einer Minderheit unterstützt ... Lediglich jeder Zehnte stimmt
solchen Einsätzen voll zu und nur jeder Dritte befürwortet sie eher."
Diese Stimmungslage in der Bevölkerung aufzugreifen, ist die Chance zur
Formierung einer breiten Opposition gegen die Auslandseinsätze der
Bundeswehr. Die Forderung muss dabei lauten: Holt die
Bundeswehrsoldaten nach Hause, Rückzug der Truppen aus Afghanistan,
Bosnien, Kosovo und dem Kongo. Die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg
sind: "Nie wieder Krieg!" Militär löst keine Probleme, Militärs sind
das Problem.
Tobias Pflüger und Johannes Plotzki
arbeiten in und außerhalb des Europäischen Parlaments, der eine als
Abgeordneter, der andere als sein Mitarbeiter
(Quelle: SOZ, Oktober 2006 www.soz-plus.de)
11-10-2006, 20:10:00 |Tobias Pflüger/Johannes Plotzki