Deutschland: Chancen verpasst und trotzdem noch sinnvoll - die neue Linkspartei. Erklärung der isl (internationale sozialistische linke)
Die neue Linkspartei in Deutschland befindet sich in der Schlussetappe ihrer Gründungszeremonie. Das Projekt von alter Linkspartei.PDS (L.PDS) und Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) ist nicht mehr zu stoppen - trotz massiv vorhandene Kritik und die fast flächendeckend verbreiteter Unzufriedenheit bei allen Beteiligten. So wird es also im Juni 2007 eine neue Partei in Deutschland geben, die sich – nebulös wie anmaßend – "Die Linke" nennt.
11.05.2007
1. Die neue Partei kommt
Die neue Linkspartei in Deutschland befindet sich in der Schlussetappe
ihrer Gründungszeremonie. Das Projekt von alter Linkspartei.PDS (L.PDS)
und Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) ist nur
noch durch sie selbst zu stoppen. Aber unter dem autosuggestiven Druck
"Die Linke wird gegründet, weil sie gegründet werden muss" ist es
unwahrscheinlich, dass die durchaus massiv vorhandene Kritik und die
fast flächendeckend verbreitete Unzufriedenheit bei allen Beteiligten
noch zu einer Kurskorrektur in dem Parteibildungsprozess führen werden.
So wird es also im Juni 2007 eine neue Partei in Deutschland geben, die
sich – nebulös wie anmaßend – "Die Linke" nennt.
Diese neue Partei hat ihre Ursprünge in einer tiefen Krise der
Sozialdemokratie, einem Aufschwung der "alten sozialen Bewegung", der
ArbeiterInnen- und Erwerbslosenbewegung, sowie einer heftigen
Erschütterung des politischen Systems in Deutschland mit seiner lang
anhaltenden Politik der Klassenkollaboration, mitgliederstarken und
klientelistischen bürgerlichen Parteien und einer komplett
bürokratisierten und mit der Gewerkschaftsbürokratie verwobenen
Sozialdemokratie als klassischer Partei der "kleinen Leute". Völlig
unabhängig von den konkreten Vorgängen in der neuen Linkspartei – ob
nun der sich selbst als "realpolitisch" nennende Flügel, der in
Wirklichkeit aber komplett unrealistisch agierenden Gruppe von
GewerkschaftsfunktionärInnen, PDS-Apparatschiks, ehemaligen
SozialdemokratInnen oder der radikalere Flügel um alte 68er,
TrotzkistInnen, AltmarxistInnen aus der DDR und Aktive aus den neuen
sozialen Bewegungen sich durch- oder medienwirksam in Szene setzt – hat
die neue Linkspartei einen konstanten Zuspruch von ungefähr einem
Zehntel der politisch aktiven Bevölkerung. Das ist einerseits wenig,
viel zu wenig, um auch nur irgendeine Phantasie, die wirklichen
Kräfteverhältnisse in dieser Gesellschaft bereits heute und nachhaltig
verändern zu können, damit ernsthaft in eine Praxis umzusetzen,
andererseits jedoch bedeutet diese politische Größenordnung für eine
neue linke Partei, so ambivalent und wackelig sie auch immer sein mag,
eine absolute Zäsur im politischen Koordinatensystem Deutschlands. Alle
sozialen Bewegungen, jede Opposition gegen die herrschende Politik und
alle sozialistischen politischen Organisationen werden sich angesichts
dieser neuen linken Partei neu aufstellen und ihre jeweilige Politik,
ob gewollt oder ungewollt (gewollt wäre natürlich immer besser) zur
Politik der neuen Linkspartei in Beziehung setzen müssen. Insbesondere
der ArbeiterInnenbewegung im engeren, gewerkschaftlichen Sinne wird
durch diese neue Linkspartei eine Option präsentiert, anders und
möglicherweise erfolgreicher als bisher ihre Anliegen auf der
politischen Bühne einzubringen.
2. Zuspruch beim Wahlvolk, sonst noch nicht viel
Zehn Prozent Unterstützung bei der Wahlbevölkerung, also eine minimale
politische Unterstützung von sechs Millionen Menschen, sind eine schöne
Sache. Sie bedeutet eine große Chance und entsprechende Verantwortung
für Die Linke. Wird der Parteibildungsprozess jedoch einer genaueren
Betrachtung unterzogen, dann wird klar, dass diese unspezifische
Unterstützung beim Wahlvolk das einzige ist, was der neuen Partei von
den vielen politischen und organisatorischen Möglichkeiten in den
letzten zwei Jahren geblieben ist. Alle anderen Chancen wurden von den
Verantwortlichen im Parteibildungsprozess versiebt. Zunächst hatten
WASG und L.PDS die Chance, einen wesentlich größeren Teil der
politischen Unterstützung tatsächlich zu organisieren. Der Zustrom
neuer Mitglieder, bei der WASG bis zu mehreren hundert Menschen pro
Woche, wurde buchstäblich wegorganisiert. Es setzte sich an der Spitze
der WASG – bei der L.PDS gab es sie schon viel länger – eine Angst vor
"falschen Mitgliedern" fest. Statt ein offenes Projekt zu verfolgen,
wie es ursprünglich von fast allen gewollt wurde, mit einem im Alltag
praktizierten pluralen Organisationsverständnis, das die gesamte Linke
ansprach und im positiven Sinne auch unter Druck setzte, sich an diesem
"Einheitsfrontprojekt" gegen die Politik des Kapitals zu beteiligen,
begann eine Politik der Ausgrenzung, die weder vor einer offenen
Spaltung zurückschreckte – wie vor dem Parteitag der WASG in
Ludwigshafen unverhohlen vorbereitet – noch vor hanebüchenen
Disziplinierungsversuchen gegenüber ganzen Landesverbänden. Die Bilanz
dieser, zum Teil mit äußerst knappen Mehrheiten gegen konkrete
Alternativvorschläge durchgesetzten Politik ist für die WASG
verheerend. Das Klima in der Partei wurde unsolidarisch und vergiftet.
Der Mitgliederzustrom wurde gebremst, und die Bindung der Mitglieder an
die Partei wurde immer geringer, was in mangelnder Beitragsmoral und
stetig sinkendem Durchschnittsbeitrag seinen Ausdruck findet. Die
Mitgliedschaft wurde wegen fehlender offener Debatte und Integration
aller politischen Strömungen in sich bis heute immer mehr
verfestigenden Fraktionismus gedrängt, der gleichzeitig immer weniger
zur Meinungsfindung, aber fast nur noch zur Mehrheitsfindung und
Postenabsicherung benutzt wurde. Gegenüber diesem Fraktionismus in
informellen Strömungsstrukturen verloren und verlieren die formellen
Parteistrukturen, allen voran der Bundesvorstand und der Länderrat,
fast völlig ihre Funktion als politische Führung der Partei. Die WASG
hat heute einen Aktivitätsgrad ihrer Mitglieder – bei der
Linkspartei.PDS sieht es nicht viel besser aus – der eigentlich typisch
ist für eine Partei im Niedergang, nicht aber für eine Neugründung. Zu
den Mitgliederversammlungen in vielen großen Kreisverbänden und zu
Veranstaltungen und sonstigen Aktivitäten kommen oftmals nicht mehr als
10 bis 20 Prozent der Mitglieder. Die eigentliche Mehrheit in der
Partei sind die Karteileichen. Das wiederum verfestigt die objektiv
immer sehr bedenkliche Übermacht der Parlamentsfraktion und ihres
Apparates an hauptamtlich Politik machenden Menschen. Schon in der
Gründungsphase wird die neue Partei deshalb als eine Wiederholung des
aus SPD, Grünen und auch der PDS erlebten Rituals erlebt, dass die
Fraktionen alles, die Vorstände wenig und die Mitglieder gar nichts zu
sagen haben.
12 000 Mitglieder in der WASG und selbst die Summe von 70 000
Mitgliedern in der vereinigten Partei sind auf dem Papier eine
schlagkräftige Truppe; angesichts der politischen Unterstützung bei
ungefähr einem Zehntel der Wahlbevölkerung und angesichts des
tatsächlichen organisatorischen Zustands der Partei verbirgt sich
dahinter jedoch die zentrale Schwäche: Die Linke hat ein ähnlich
ungünstiges Wähler-Mitgliederverhältnis wie die Grünen. Für eine System
bejahende Partei (wie zum Beispiel die FDP, die ähnlich
Strukturmerkmale hat, es immer war oder die Grünen von heute) ist das
verkraftbar, oft sogar positiv ausnutzbar, um schnell neue Ideen und
Konzepte umzusetzen. Für eine systemkritische, wenn nicht gar die
Verhältnisse grundlegend ablehnende Partei, was für eine linke Partei
natürlich selbstverständlich sein sollte, ist es in der Regel tödlich.
Einer solchen Partei ist in einer von Massenmedien dominierten
Gesellschaft, die mittels Internettechniken gleichzeitig sehr
individuell und subtil Wirkung erzielen können, fast beliebig jede
Debatte aufzuzwingen: "Gewaltfrage", "Kriegsunterstützung",
"Patriotismusfrage", "Regierungsfrage", ständig neu aufgelegte
"Kleinere Übel-Sachzwänge" – und was die bürgerliche Ideologie einer
linken Opposition sonst noch abverlangt. Dazu bedarf es gar nicht der
Hilfe der vielen kleinen Riesenstaatsmänner und eitlen Gockel, die sich
von jeder Parteigründung angezogen fühlen und gerade bei Linken, die
jahrelang in sozialdemokratischen oder gewerkschaftlichen Verliesen
geschmachtet haben, viel zu häufig vorkommen, die in jedes vorgehaltene
Mikrofon krähen und mindestens acht Stunden am Tag Regierung spielen
wollen. Da es diese bei WASG und Linkspartei aber auch gibt, fällt es
umso leichter, die linke Herausforderung der kapitalistischen Politik
und Herrschaft zu zähmen und zu desorientieren.
Um einem solchen Schicksal zu entrinnen, hat die neue Linke – wie jede
alte vor ihr im Grunde auch – nur die Möglichkeit, einen möglichst
großen und wachsenden Teil ihrer Anhängerschaft tatsächlich in den
Parteibildungsprozess einzubeziehen. Nur so wären den feindlich
gesinnten, aber auch den wenigen sympathisierenden Medien wirklich
vorwärts weisende Debatten aufzuzwingen, wie es eben nur einer
wirklichen Bewegung gelingt. Die Chance dazu war vorhanden und ist mit
Einschränkungen auch noch heute greifbar. Dazu müsste der
Parteibildungsprozess aber erstens als ein wirklicher
Neugründungsprozess und zweitens als ein weitest gehend offener Prozess
organisiert werden, der viele Dinge zunächst laufen lässt, der sich zu
Widersprüchlichkeiten, zu Ungleichzeitigkeiten auf den verschiedenen
Ebenen und zu einer mutigen, provokativen Konfrontationshaltung und
Radikalität bekennt. Das heißt aber das genaue Gegenteil zu dem
teilweise grotesken beamtenmäßigen Zentralismus, mit dem die
verantwortlichen Führungskräfte aus WASG und Linkspartei.PDS den
Parteibildungsprozess betreiben.
3. Gesellschaftliches Potenzial nicht ausgeschöpft
Versuchen wir die vielfach zitierten zehn Prozent Unterstützung bei der
Wahlbevölkerung nach materialistischen Kriterien zu untersuchen, um zu
präzisieren, wer heute eine neue linke Partei benötigt und zum Teil
fordert. Es gibt zunächst einen seit Jahren stetig wachsenden Anteil
der Wahlbevölkerung, der konkrete Erfahrungen mit sozialem Abstieg oder
auch nur Ängste davor hat und dies mit politischer Verweigerung,
Wahlenthaltung und Flucht oder auch nur Träume einer Flucht in die
Individualisierung beantwortet. Das sind Opfer der neoliberalen Politik
und in der Mehrzahl das soziale "Klientel", für das eine linke Partei
Politik entwickeln sollte. Dazu zählen viele junge Menschen, Personen
mit "Migrationshintergrund" und Erwerbslose. Die Zahlen der
Wahlbeteiligung in Deutschland nähern sich US-amerikanischen
Verhältnissen an. Ein Teil dieser sozialen "AbweichlerInnen" wäre für
eine aktive Unterstützung der neuen Linken zu gewinnen. Dennoch haben
WASG und Linkspartei.PDS keine Fortschritte gemacht, dieses Milieu
anzusprechen und zu organisieren. Bei allen Wahlen nach dem Erfolg bei
der Bundestagswahl (und auch der ließ bezüglich dieses
Nicht-Wählerbereiches zu wünschen übrig) ist die Linkspartei.PDS und
auf regionaler Ebene die WASG oder beide gemeinsam in den Strudel der
politischen Totalverweigerung hineingezogen worden. Von dieser Tatsache
sollte sich niemand durch Jonglieren mit imponierenden Prozentzahlen
davonstehlen. SozialistInnen sollten generell eine Wahlbilanz mit
absoluten Stimmenzahlen ziehen. Insbesondere bei ErstwählerInnen trifft
die neue Linke auf Verachtung. Das sind für sich genommen für eine neue
Partei fast schon aussichtslose Diagnosen. Um dieses gesellschaftliche
Potenzial anzusprechen, ist ein komplett anderes Kampagnenmodell als
das von der Linkspartei.PDS seit Jahren verfolgte und heute von der
WASG widerspruchslos geschluckte notwendig. Und dort, wo Wahlergebnisse
realisiert wurden, die von der skizzierten allgemeinen Diagnose
abweichen, wurde auch durchweg ein solches alternatives Modell
praktiziert. Statt Hochglanzbroschüren und Wahlslogans, die von der
staatsmännischen Verantwortung der neuen Linken, quasi von ihrer
Verträglichkeit mit den herrschenden Verhältnissen schwärmen, statt
personalisiertem Wahlkampf mit Großportraits angeblicher Prominenter
und statt Internetplattformen für (vermeintlich) intellektuelle
Bedürfnisse müsste die unmittelbare Begegnung mit den WählerInnen
organisiert werden. Prägend dafür wäre eine politische Grundhaltung,
die mit der Losung "Jetzt wählen wir uns selber" vergleichbar ist (die
bei den Grünen Anfang der achtziger Jahren sehr erfolgreich war), und
mit einem auf Straßenwahlkampf, Aktionen vor Betrieben, Schulen und
Universitäten sowie auch Hausbesuchen aufbauendem Wahlkampf umgesetzt
wird. Schauen wir uns einmal den 17-Prozent-Erfolg der niederländischen
Sozialistischen Partei unter diesem Gesichtspunkt an oder eben auch die
Wahlkämpfe der Anfangsjahre der Grünen.
Speziell für die WASG ist die enttäuschte Anhängerschaft der SPD das
wichtigste gesellschaftliche Potenzial für den Parteiaufbau neben dem
oben beschriebenen Milieu. Auch dieses Potenzial wurde im Zuge des
Parteibildungsprozesses nicht annähernd ausgeschöpft. Die SPD hat seit
dem Beginn ihrer Regierungspolitik 1998 ungefähr 200 000 Mitglieder
verloren. Mit Gründung der WASG entwickelte sich erstmals nicht nur ein
Abwendungsprozess der Enttäuschten, sondern ein politischer
Spaltungsprozess der SPD. Dieser Prozess hätte unbedingt vertieft
werden müssen. Dazu wären drei Voraussetzungen nötig: ein
organisatorisches Angebot, das mehr Mitwirkungsmöglichkeiten enthält,
als die SPD den enttäuschten Linken jahrelang bot; eine im positiven
Sinn aggressive und unerbittliche Auseinandersetzung mit den
politischen Ideen und dem Personal der Schröder-SPD; ein inhaltliches
Profil, das mehr Substanz entwickelt als die jahrzehntelang erfolglos
vorgetragenen Vorschläge der SPD-Linken. All dies wurde in und von der
WASG seit der Entscheidung, mit der PDS zusammen zu gehen, nur noch
selten versucht. Ein Teil der Linkspartei.PDS hat eine scharfe
Auseinandersetzung mit SPD ausdrücklich verhindert, weil sie jenseits
aller Realität das Bild von der "Mehrheit links von der Mitte" erkennen
und mit der SPD zugleich die Option schonen wollte, möglichst bald
selbst Regierungspartei zu werden. Das wurde von vielen WASGlerInnen
geschluckt oder nicht hinterfragt. Wenn Oskar Lafontaines Parole "Es
gibt nur eine Linke, und das sind wir" nicht gewesen wäre, gäbe es
wahrscheinlich gar keine auf Vertiefung der Spaltung der SPD zielende
Auseinandersetzung. Gleichzeitig setzte sich in der Programmdebatte
eine langweilige Kompromisslinie durch, die nur Ideen und Vorschläge
wiederkäute, die von der SPD-Linken schon in vielen Auflagen selbst
eingebracht wurden, ohne die Fragen zu beantworten, wer diese Dinge
durchsetzen soll – und wie das geschehen soll. Die WASG als
Wiederholung der schlechten SPD-Erfahrungen – wahrlich keine attraktive
Alternative. Stattdessen wäre eine kritische Debatte der
links-keynesianischen Konzepte erforderlich gewesen sowie eine Debatte,
wie die gesellschaftlichen Kräfte mobilisiert werden können, um mehr
als eine Parteiresolution oder einen Bundestagsantrag zu erhalten. Um
eine konstruktive Auseinandersetzung mit der SPD-Linken zu beginnen,
wäre auch ein selbstbewusstes Auftreten innerhalb der Gewerkschaften
und auch in den Betrieben als neue politische Strömung erforderlich.
Stattdessen suchten insbesondere die WASGlerInnen, die zuvor gerade als
aktive, kritische GewerkschafterInnnen bekannt wurden, plötzlich nur
noch die Nähe und den Segen der SPD-organisierten obersten
Gewerkschaftsführung. Die offizielle Linkspartei.PDS hat noch nie einen
anderen Kurs verfolgt.
Wirklich katastrophale Auswirkungen, die bis heute tief nachwirken, hat
die mangelnde Schärfe in der Auseinandersetzung mit der SPD in der
Berlin-Frage. Es wäre die erste politische Voraussetzung gewesen, dem
neuen Bündnispartner PDS den Ausstieg aus der Ehe mit der SPD zu
ermöglichen, indem deren Verantwortung für die Berliner Senatspolitik
deutlich gemacht worden wäre. Stattdessen wurde die dümmste aller
Varianten gewählt: Die SPD wird geschont, um der PDS in der Regierung
nicht zu nahe zu treten, gleichzeitig werden die KritikerInnen der PDS
in den eigenen Reihen mit bizarren organisatorischen Strafmaßnahmen
belegt, damit sie nicht in wilder Manier das machen, was geordnet
Aufgabe der WASG insgesamt wäre. So verliert man dann alles: die
politische Initiative gegenüber der in einer tiefen Krise dümpelnden
SPD, den konstruktiven Zugang zur PDS, um das angestrebte Bündnis mit
ihr zu retten und die eigenen Mitglieder und AnhängerInnen in Berlin.
Das einzige was gewonnen wird, ist eine gehörige Portion der
Glaubwürdigkeitskrise der Berliner Linkspartei.PDS. Blöder geht es
wirklich nicht mehr.
Es gibt neben WASG und Linkspartei.PDS durchaus eine seit Jahren aktive
Linke. Sie mobilisiert insgesamt mehrere Tausend Menschen. In ein
Projekt, das der breiten Allianz der bürgerlichen Parteien für eine
neoliberale, dem Kapital treu ergebene Politik, eine breite politische
Kraft der Arbeiterbewegung, der anderen sozialen Bewegungen und der
politischen Linken entgegenstellen will, muss sie unbedingt einbezogen
werden. Sie reicht von sehr vielen Aktiven in Bewegungen wie Attac,
gegen die Atomenergie und andere Umweltzerstörungen, aus der Migranten-
und Frauenbewegung bis zur politischen Linken in Organisationen wie der
DKP oder anderen Gruppen, die mehr machen wollen als bloße
Ideologiekritik, die teilweise in kommunalen Wahlbündnissen oder auch
nur als Zeitschriftenprojekt existieren.
Das Parteibildungsprojekt aus WASG und Linkspartei.PDS hat sich nie
ernsthaft an diese Linke gewandt, um sie für das neue Projekt zu
gewinnen. Es hat sich nach kurzer Zeit das unausgesprochene Gebot
durchgesetzt, dass die Parteibildung angeblich einfacher wäre, wenn sie
nur auf Linkspartei.PDS und WASG beschränkt bliebe. In Wirklichkeit ist
das genaue Gegenteil der Fall. Der Parteibildungsprozess wurde
erschwert, er wurde viel hölzerner und aufgesetzter. Diese Linke ist
seit Jahren in verschiedenen Gebieten engagiert, den gesellschaftlichen
Widerstand gegen die herrschende Politik zu organisieren. Ihr
unvoreingenommen und ohne instrumentalisierende Hintergedanken zu
begegnen, wäre die große Aufgabe einer neuen sozialistischen Partei
gewesen.
Schon der erste Ansatz dazu, die Durchführung von
gesellschaftspolitischen Foren zur Debatte der programmatischen
Grundlagen einer neuen Linken, wurde fast völlig in den Sand gesetzt.
Statt ein möglichst breites Spektrum in die Vorbereitung – zum Beispiel
durch unabhängige Trägerkreise – einzubeziehen, wurden meistens von
oben durchorganisierte und mit ausgewählten ReferentInnen besetzte
Podien präsentiert. Viel zu wenig wurden die inhaltlichen Fragen
aufgegriffen, die in diesem Milieu prägend sind. Es sind weniger Fragen
der Analyse der herrschenden Politik, sondern strategische Fragen, wie
die politischen Machtverhältnisse angegriffen und verändert werden
können. Ein ganzes Feld von politischen Begrifflichkeiten wurde von dem
Parteibildungsprojekt gar nicht erst erfasst: die Debatte über
Wiederaneignung, die Diskussion über das Verhältnis von Bewegung und
Partei, die neuen Formen eines politischen Internationalismus und – für
eine Parteineugründung so wichtig wie kaum etwas – die Diskussion über
die Krise der Parteiform und neue Strukturen der politischen
Partizipation. Um solche Fragen und die sich damit beschäftigende Linke
einzubeziehen, wäre vor allem ein offener und diskursiver Prozess nötig
gewesen, in der sich WASG und Linkspartei.PDS als Partner einbringen.
Bereits kleine Öffnungen in diesem Bereich hätten Charakter und
politische Ausstrahlung des Parteibildungsprojektes deutlich zum
Positiven verändert. Je länger sich die Diskussion zwischen WASG und
Linkspartei.PDS hinzog, desto mehr schlug diese Nichtbeachtung von
wichtigen Teilen der Linken in Sturköpfigkeit und politische
Borniertheit um.
Das Projekt einer neuen Linkspartei wurde von Anbeginn von einem
weiteren gesellschaftlichen Milieu interessiert, aber auch skeptisch
verfolgt, das in Deutschland fast chronisch unterentwickelt ist, aber
dennoch für ein neues linkes Projekt sehr bedeutsam sein kann: den
marxistischen, sozialistischen oder auch nur sozialkritischen
Intellektuellen. Bis auf einige wenige den beiden Parteien WASG und vor
allem Linkspartei.PDS bereits vorher zuzuordnenden Personen wurde das
Parteibildungsprojekt nicht in diesen Bereich eingebracht. Zu einem von
Anbeginn geplanten "Beirat" aus unabhängigen Intellektuellen ist es
nicht gekommen. Die Debatte, die im Bundesvorstand der WASG über dieses
Thema geführt worden ist, wurde komplett von Ängsten vor zu viel
Unabhängigkeit und Kritik erstickt.
4. Ein Neubeginn, der keiner sein wird
Je mehr der Parteibildungsprozess auf die beiden einzigen Akteure WASG
und Linkspartei.PDS – genauer gesagt auf die Führungszirkel aus ihnen –
zurückgeworfen wurde, meistens durch Selbstverschulden oder gar
direktem Unwillen, es anders zu machen, desto mehr reduzierte sich die
Angelegenheit auf eine schlichte Übernahme der WASG durch
Linkspartei.PDS. Dabei wird von allen Akteuren, die dies so wollen,
oder die sich dies so gefallen haben lassen, sträflich unterschätzt,
welche Bedeutung die Art und Weise seiner Entstehung für die Zukunft
dieses Projektes hat. Die Vereinigung aus WASG und Linkspartei.PDS wird
in Form eines Beitritts der WASG zur Linkspartei.PDS erfolgen,
Grundlage ist eine Fusion nach deutschen Umwandlungsgesetz, das
bezeichnender Weise vor einigen Jahren geschaffen wurde, um
Wirtschaftsverbänden und Unternehmen eine geräuschlose Vereinigung zu
ermöglichen und von dem viele Betriebsräte bei Firmenzusammenschlüssen
ein nicht gerade gutes Lied singen können. Gleichzeitig wird behauptet,
jede andere Form würde zu "materiellen Verlusten" führen. Diese
angeblichen "Sachzwänge" wurden niemals konkret begründet, sondern nur
verkündet. Die materiellen Dinge wurden schon gar nicht einer
politischen Diskussion unterzogen, die nicht weniger wichtig wäre als
programmatische Fragen. Fragen zum Beispiel, was es für eine linke
Partei bedeutet, in hohem Maße von "Staatsknete" abhängig zu sein, oder
ob es eine linke Partei rechtfertigen kann, dass fast eine halbe
Milliarde Euro für parteinahe Stiftungen ausgegeben werden, ohne eine
ernsthafte gesellschaftliche Kontrolle, die seinerzeit bei der Bildung
der Grünen noch eine große Rolle spielten, wurden gar nicht erst
gestellt. Nicht einen Moment lang wurde diskutiert, ob der nicht gerade
kleine materielle Apparat der Linkspartei.PDS wirklich gebraucht wird,
oder ob er nicht gar ein politisch ziemlich gefährliches Eigenleben
führt. Hier wird in der Tat eine geräuschlose Fusion vollzogen. Und
selbst die simple Behauptung, nur diese eine Möglichkeit des Beitritts
sei möglich, ist eine Lüge. Auch das Umwandlungsgesetz sieht eine
Möglichkeit der Verschmelzung durch Neugründung vor, die nicht einen
Cent der Parteivermögen mehr gefährden würde als die Fusion durch
Beitritt. Wenn es der politische Gegner für opportun hält, der neuen
Linkspartei bestimmte Ansprüche streitig zu machen oder
Rechtsnachfolgen gerichtlich überprüfen lassen will, so wird er dies
völlig unabhängig davon machen, in welcher Form die neue Partei
zustande gekommen ist. Widerstand dagegen entscheidet sich auch nicht
im Gerichtssaal, sondern in der politischen Arena.
Für die politische Entwicklung der neuen Linkspartei ist es dagegen von
großer Bedeutung, ob es sich tatsächlich um eine Neugründung handelt.
Sie wäre ein Signal, dass etwas anders laufen wird als vorher, dass die
beteiligten Akteure und Akteurinnen einen Lernprozess durchlaufen
hätten, sie wäre ein Signal an die verunsicherten Mitglieder der
fünfmal kleineren WASG, dass sie gleichberechtigt einbezogen werden
sollen, sie wäre ein Signal an die vielen Außenstehenden, mitzumachen
und sich von Beginn an gleichwertig einzubringen, sie würde es dem
politischen Gegner nicht so einfach machen, Diffamierungskampagnen zu
starten, und sie wäre letztlich und vor allem eine Aufforderung an alle
Beteiligten, sich wirklich jeden Schritt gut zu überlegen und den alten
Trott zu überwinden. Es ist schon erstaunlich, dass die Vorstände von
WASG und Linkspartei.PDS, die sonst eher lächerliche Sorgfalt auf den
Außeneffekt legen – die zum Beispiel viel Geld ausgeben, damit das
Bühnenbild des Parteitags mit der Farbe der aufgestellten Blumen
zusammen passt –, ausgerechnet in dieser großen politischen Symbolik so
nachlässig sind. Die neue Partei wird massiv darunter leiden, dass sie
als beamtenmäßig vollzogene Wirtschaftsvereinigung vollzogen wird, die
quasi auf dem kurzen Dienstweg erledigt wurde.
Es wird behauptet, wenn ein neues Programm und ein neues Statut
verabschiedet und ein neuer Vorstand gewählt werden, dann würde doch
schließlich etwas Neues herauskommen. Was für ein Unsinn. Wie viele
Parteien haben schon ein neues Programm, ein neues Statut und einen
neuen Vorstand installiert? Einige davon haben sogar damit geworben,
sie wären jetzt neu. Hat es irgendeine oder irgendeiner geglaubt? Es
weiß doch jedes Kind: Das Personal der neuen Linkspartei wird das alte
sein – der Apparat wird der alte sein, ob mit oder ohne neues Statut.
Die politischen Symbolik eines wirklichen Neubeginns ist so bedeutsam,
dass es erforderlich gewesen wäre, mehr zu tun als "nötig": Dazu hätte
gehört, dass eine wirklich Neugründung vorgenommen worden wäre und
jedes Mitglied der alten Parteien individuell in die neue Partei hätte
eintreten müssen – damit hätte man noch mal neue Schichten für den
Beitritt zur neuen Partei begeistern können und eine wirkliche Bewegung
entfacht. Dazu hätte auch gehört, dass der gesamte Fusionsprozess nicht
von oben nach unten, sondern als eine neue Basisbewegung aufgebaut
wird. All dies ist nicht geschehen. Deshalb ist jetzt die gegenteilige
Dynamik am Werk: Bis zur Urabstimmung könnte ein Viertel der Mitglieder
der WASG aus administrativen Gründen aus den Mitgliederlisten
gestrichen werden; nach der Fusion wird sich der Erosionsprozess weiter
fortsetzen. Dem widerspricht im übrigen nicht, dass es auch eine neue
Eintrittswelle geben könnte, das werden dann in großer Zahl Menschen
sein, die der Tendenz nach recht passiv sein und die Debatten und
Entscheidungen den vorhandenen Instanzen und denen in den
parlamentarischen Institutionen überlassen werden.
5. Ein Programm, das niemand will
Die Verhandlungsergebnisse aus der Diskussion der Grundlagentexte sind
ein ziemlich getreues Abbild der oben beschriebenen Defizite. Es sind
nicht Leitideen für ein neues attraktives Parteiprojekt, die sich in
den zwangsläufig vielen offenen oder strittigen Fragen ebenso bewusst
einer Übergangsdynamik und permanenten Weiterentwicklung stellen wie
kritischer Reflexion von außen, sondern taktisch und pragmatisch
motivierte Mindestabsprachen, um den Eintritt der WASG in die
Linkspartei.PDS zu ermöglichen. Ihre Funktion ist mit der Bildung der
Partei im Juni 2007 erloschen.
Die vereinbarten Statuten schreiben den Istzustand der heutigen
Linkspartei.PDS fest: eine Partei, die auf das Agieren im
parlamentarischen Raum und nur dort ausgerichtet ist. Sie soll
funktionieren und zentralistisch geplante und organisierte
Wahlkampagnen umsetzen. Der geschäftsführende Vorstand ist die
mächtigste Instanz in der Partei, und er ist so angelegt, dass er von
BerufspolitikerInnen, die überwiegend von parlamentarischen Einkünften
leben, beherrscht wird. Auch auf Landesebene werden die Abgeordneten
und ihr Stab die Partei beliebig dominieren. Die gesamte Partei ist auf
das Zuarbeiten und Umsetzen der Tätigkeit der Parlamentsfraktionen
ausgerichtet. Politisch anzustreben wäre allerdings das genaue
Gegenteil: eine Kampagnenfähigkeit im außerparlamentarischen Raum,
wirkungsvolle Rechte des einzelnen Mitglieds, strukturelle Beschränkung
der Vorstände durch horizontale Ausgleichstrukturen (wie der Länderrat
der WASG von heute) sowie Strukturen für die Arbeit in den Bewegungen,
in den Betrieben – all dies ist nicht vorgesehen, bzw. weitgehend
einflusslos in die zentralistische Parteihierarchie eingepfercht.
Es gibt die Sonderrechte für Frauen, die in der PDS bestanden, obwohl
sie insbesondere von Männern aus der WASG, auch in den
Spitzenpositionen, heftig bekämpft wurden und werden. So wie in der
jetzigen Bundestagsfraktion können diese Frauenrechte aber jederzeit
Opfer von "Sonderregelungen" werden. Völlig am demokratischen
Willensbildungsprozess der Partei vorbei wird durch mediale
Dauerberieselung verkündet, dass die neue Partei zwei Männer als
Vorsitzende haben wird.
Es gibt zwar pedantisch regulierte Rechte für "politische Strömungen",
aber sie werden in ihrer Wirkung nur affirmativ zur jeweiligen
Vorstandslinie oder eine lahme und zahme "Opposition ihrer Majestät"
sein. Der Vorstand hält sich sozusagen ein paar abweichende Meinungen.
Die Debatte über das viel demokratischere und gleichzeitig auch
integrativere "Proportionalwahlverfahren" bei Vorstands- und
Delegiertenwahlen, das Minderheiten gemäß ihrer Stärke einbezieht,
wurde gleich wieder verworfen.
Die wenigen strukturellen Maßnahmen gegen die Auslieferung und
Unterordnung der Partei an die Fraktionsmacht sind bis zur
Wirkungslosigkeit zusammengestrichen: Trennung von Parlamentsfunktionen
und Parteiämtern, Beschränkung von Ämterhäufung und Begrenzung von
Amtszeiten sind so bemessen, dass sie auch hier eher affirmativ wirken,
weil sie Beschränkung vorgaukeln, aber in der Praxis das Gegenteil
zulassen. Hier ist der deutlich zum Ausdruck gebrachte Wille der WASG
missachtet worden.
Die gesamte Statutendebatte hat nicht einmal die großen politischen
Fragen berührt: Was sind die Ursachen für die tiefe Skepsis der
Menschen gegenüber der Parteiform? Wie sind die individuellen
Möglichkeiten des einzelnen Mitglieds zu stärken? Wie ist die Macht von
Apparaten zu begrenzen? Wie bestimmt sich heute die Dialektik von
Autonomie und Zentralismus, Demokratie und straffer Handlungsfähigkeit?
Stattdessen wurde unkritisch das durch die Linkspartei.PDS vorgegebene
Modell als Leitbild übernommen, das wiederum genau den Vorgaben
entspricht, wie es der parlamentarische Wettbewerb mit anderen,
strukturell gleichartigen Parteien und die Erwartungen einer
professionellen, privatwirtschaftlich organisierten Medienwelt
verlangen. Auf die Idee einer Partei als lebendiger, politisch und
kultureller Gegenentwurf zum Mainstream der bestehenden Gesellschaft
ist die Statutendebatte gar nicht erst gestoßen.
Das Programm der neuen Partei nennt sich "Programmatische Eckpunkte"
und ist ein lustlos zusammengeschriebenes Konglomerat von besonders
kräftig vorgetragenen Sonderinteressen (wie zum Beispiel das Bekenntnis
zum privaten Unternehmertum als Quelle des gesellschaftlichen
Fortschritts oder die Regionalförderung für die Ostländer) und
buchstäblich auf dem Basar ausgehandelten leblosen Kompromissformeln.
Sie sind ein fauler Kompromiss zwischen sehr unterschiedlichen
politischen Linien, der wie alle faulen Kompromisse lähmende Wirkung
hat. So ist es kein Wunder, dass dieser Text von niemandem geliebt
wird. Ein Großteil der politisch Aktiven in Linkspartei.PDS und WASG
hat sich deshalb auch sofort in politischen Strömungen
zusammengeschlossen, die in den jeweilig gewünschten Fragen klarere
Positionen einnehmen. Der Versuch, eine diskursive, mehr auf die
Herausarbeitung verschiedener Optionen denn auf Formelkompromisse
ausgerichtete Programmdiskussion zu initiieren, wurde schon frühzeitig
abgebrochen. Auch dies hätte in Kompromissen gemündet, aber nicht in
faulen, lähmenden, sondern in solchen, die ein über die Kompromisse
hinausgehendes Handeln nicht ausschließt, sonder ermutigt und an den
Kompromissen ausrichtet. Ein anschließender Versuch von Oskar
Lafontaine und anderen, mittels eines immerhin sprachlich kohärenten
Autorentextes ein politisches Programm vorzulegen, wurde insbesondere
von der rechten Gruppierung in der Linkspartei.PDS blockiert, die auf
kaum mehr als auf Regierungsbeteiligung schielt. Als letzter Versuch
kam es dann zu dem programmatischen Geschacher um Worte,
Reizformulierungen und Umschreibungen, die alles möglich machen.
Die politische Gesellschaftsanalyse – die eigentlich das Herzstück für
die Begründung einer Parteibildung sein müsste – wird von der falschen
Generallinie geprägt, dass die herrschende Politik lediglich eine
Fehlentwicklung, eine korrigierbare Version einer an sich richtigen
Politik wäre. Die kapitalistische Realität von heute wird als
Verzerrung, als ausufernder Raubtierkapitalismus beschrieben und nicht
als systemische Normalität. Es handelt sich in Wahrheit aber nicht um
"falsche Politik", sondern um sehr klare, Interessen geleitete und
strategisch bestimmte Klassenpolitik. Die herrschende
spätkapitalistische Politik kennt Täter und Gewinner sowie Opfer und
Verlierer. Der Programmentwurf vermeidet eine klare Positionierung, auf
welche Seite sich die Partei stellt und vermittelt die Illusion einer
Politik, die für alle annehmbar sein könnte. Damit lässt der Entwurf
die Beantwortung der für eine Partei vielleicht wichtigsten Frage
offen: Wer soll sich warum dieser Partei anschließen? Im Mittelpunkt
steht ein Komplex von steuer- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die
allesamt aus dem Arsenal keynesianischer Rezepte bekannt sind, die im
Einzelnen auch durchaus sinnvoll sein können, aber es fehlt die
Erklärung, dass es ja wohl Gründe gibt, warum diese Maßnahmen nicht nur
nicht verfolgt, sondern von der neoliberalen Gegenseite heftig bekämpft
werden. Völlig unterbelichtet bleiben Themen, bei denen diese
keynesianischen Rezepte per se versagen, wo selbst bürgerliche Kräfte
radikale, wenn nicht gar revolutionäre Maßnahmen fordern: allen voran
das Thema Zerstörung der Umwelt durch die kapitalistische
Produktionsweise. So bleibt die Illusion, es wäre ein Zurück zu den
sozialdemokratischen Modellen der siebziger Jahre möglich, ohne zuvor
die neuen, weltweiten politischen Machtverhältnisse anzugreifen. Es
handelt sich um die aus sozialdemokratischen Programmen bekannte
Trennung von angeblich realpolitischen Tagesforderungen und dem Endziel
einer neuen Gesellschaftsordnung. Letztere wird zudem durch nebulöse
Formeln von "Begrenzung der Kapitalmacht", "Überwindung der
Profitwirtschaft" und ähnlichen zu einem völlig uninteressanten
Nebenaspekt degradiert. In dieser Hinsicht ist fast jedes SPD-Programm,
gar nicht zu reden von diversen linken Programmen einschließlich der
bestehenden Programme von WASG und Linkspartei.PDS radikaler.
In den Kapiteln zu Einzelthemen – Arbeitsrechte, Arbeitszeit,
Erwerbslosigkeit, Frauenrechte, Umweltschutz, Bildung,
Gesundheitsversorgung – fällt das Programm in Analyse und in den
politischen Forderungen fast immer hinter die heute existierenden
sozialen Bewegungen und deren Forderungen zurück. Das ist sicherlich
die schlechteste Methode, sich als Partei der Bewegungen einzubringen,
die deren politischen Ziele bündelt und zuspitzt. Stattdessen verkauft
sich die neue Linkspartei offenbar als Organ der Mäßigung und
Halbherzigkeit.
Die für ein politisches Programm wichtigste Frage nach dem Weg und der
strategischen Umsetzung der guten Vorschläge gerät in den Eckpunkten zu
einem fast kuriosen Mit- und Durcheinander von Andeutungen, die sich
allenfalls in der Erwartungshaltung auflösen, mit ein paar
parlamentarischen Initiativen wäre das alles schon zu richten. Dass
heute selbst kleine Forderungen schon eine heftige gesellschaftliche
Mobilisierung erfordern, wird vornehm verschwiegen. Dass auch die
Ausformung einer alternativen Politik und die Konturen einer anderen
Gesellschaft sich erst in realen Widerstandsaktionen und Kämpfen
herausbilden, dass Veränderung von Machtverhältnissen von unten
erzwungen werden muss und sich in Form von wachsenden Strukturen einer
Gegenmacht ausdrückt, all das findet keine Erwähnung.
Das politisch-strategische Konzept – sofern davon überhaupt gesprochen
werden kann – reduziert sich somit auf den Aufbau einer Partei, die in
den bestehenden Strukturen, das sind in erster Linie und fast
ausschließlich die Parlamente, irgendwie herumwursteln und mitgestalten
will. Man wappnet sich für den Wettbewerb mit ähnlich strukturierten
Parteien, denen man Einflusssphären streitig machen will. Sämtliche
wirklichen "Problemthemen", die dieser Orientierung irgendwie
Schwierigkeiten bereiten könnte, werden ausgespart oder so verschwommen
formuliert, dass damit jede Art von Politik möglich ist. Das betrifft
zuerst die Frage der Verbindung von kapitalistischer Produktionsweise
und Krieg. Krieg als Fortsetzung der kapitalistischen Politik mit
anderen Mitteln taucht nicht auf, sondern er wird als schreckliche
Fehlentwicklung analysiert. Gleichzeitig ist jedem klar, dass ein
"Mitgestalten" in der herrschenden Politik nur um den Preis zu haben
ist, sich eindeutig zu Bundeswehr, Nato und deren Kriegspolitik zu
bekennen. Also wird an teilweise grotesken Formulierungen gebastelt,
diese Option nicht zu verbauen. Eine grundsätzliche Kritik der
Bundeswehr findet nicht statt, die Auflösung der Armee und der Nato
wird nicht gefordert. Grundlegende Kritik am parlamentarischen System
taucht ebenso wenig auf wie eine Analyse des kapitalistischen Staates
überhaupt. Aber es wird mit Verve die mögliche "Regierungsbeteiligung"
als strategische Option verteidigt. Das Wort "Beteiligung" verrät schon
alles: Weder wird dargestellt, mit wem sich denn da beteiligt werden
soll, noch kann man sich offenbar mehr vorstellen, als Juniorpartnerin
in einer Regierung von gegnerischen Parteien zu sein. Werbung für einen
nicht-vorhandenen politischen Partner und vorauseilende Preisgabe der
Eigenständigkeit – das sind schon fast Züge eines Anti-Programms.
Letztlich soll sich niemand der Illusion hingeben, dieses schlechte
politische Programm könnte der Einstieg in eine weitergehende
politische Debatte sein. Das Gegenteil ist der Fall. Dieses Programm
ist bereits ein Abstieg von früheren Positionen der Beteiligten. Es
soll weitergehende Debatten nicht eröffnen, sondern verhindern.
6. Was ist zu tun?
Die Partei "Die Linke" wird im Juni dieses Jahres offiziell aus der
Taufe gehoben werden. Für Viele gab es sie spätestens seit der
Linkspartei-Bundestagsfraktion, der auch einige Mitglieder der WASG
angehören. Für Millionen von Menschen ist damit eine Kraft links von
SPD und Grünen entstanden, die gegen Sozialabbau und
Privatisierungspolitik, gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr und für die
Interessen der Beschäftigten und Benachteiligten steht und gegen den
neoliberalen Konsens angeht.
Doch diese Wahrnehmung der neuen linken Kraft hat in Berlin einen
kräftigen Dämpfer erhalten, wo die L.PDS als Juniorpartnerin der SPD
Sozialabbau und Privatisierungen teils mit trägt, teils selbst als
unausweichlich betreibt und wo sie trotz einer spektakulären
Wahlniederlage an diesem katastrophalen Kurs festhält. Der Schwung, mit
dem die WASG 2004 antrat, ist dahin. Diejenigen aus der ehemaligen PDS,
die um fast jeden Preis "im Westen ankommen" und mitregieren wollen,
haben großes Gewicht in der Partei. Die WASG tritt eher der L.PDS bei,
als dass von einer wirklichen Vereinigung gesprochen werden kann, von
einem Aufbruch zu schweigen. Die Bundestagsfraktion, vielmehr deren
Führung, und der Apparat der ehemaligen L.PDS werden in der neuen
Partei ein bestimmendes Gewicht haben.
Zur Zeit kommt es darauf an, dass nicht etwa nur die marxistische Linke
innerhalb von L.PDS und WASG gemeinsam agiert, sondern breite
anti-neoliberale Bündnisse gegen die bedeutenden Kräfte in der
künftigen neuen Partei gebildet werden, die sich das Gestalten von
Politik nur aus staatlichen Ämtern und aus parlamentarischen Gremien
heraus vorstellen und eine Partei wie alle anderen auch haben wollen.
Wenn der Kurs des Mitgestaltens und des Mitregierens auf Bundesebene
ausgedehnt werden sollte, wie führende Mitglieder der neuen Partei
öffentlich verkünden (Oskar Lafontaine: "… mit einer veränderten SPD"),
dann werden die Forderungen und Vorschläge im Interesse der abhängig
Beschäftigten und der Erwerbslosen, aber auch die antimilitaristischen
Positionen die ersten Opfer sein. Dann kann die neue Partei keine
positive Rolle mehr spielen im Prozess der Herausbildung einer
konsequent anti-neoliberalen Partei, die in der Konsequenz nur
antikapitalistisch sein kann.
Darum gilt es nun, die antikapitalistischen Kräfte innerhalb der neuen
Partei zu bündeln. Zugleich sind diese Strömungen gut beraten, wenn sie
den Kontakt und das Zusammengehen mit radikalen Flügeln der sozialen
Bewegungen und politischen Kräften außerhalb der künftigen Partei
suchen. Nur so ist es möglich, zugleich innerhalb der Partei um
Mehrheiten für konsequent anti-neoliberale Politik zu kämpfen und sich
auf einen neuen Anlauf vorzubereiten, für den Fall dass diese neue
Partei in der Anpassung versumpft. Wir wollen eine Partei der radikalen
Opposition zu den bestehenden Verhältnissen, eine Partei, die Teil
eines radikalen gesellschaftsverändernden Projekts ist und in Worten
und in Taten glaubwürdig für eine andere, eine humane, eine
solidarische, eine sozialistische Welt eintritt.
internationale sozialistische linke
Köln, den 18. April 2007
Dasselstrasse 75-77, 50674 Köln
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26-04-2007, 20:02:00 |Erklärung der isl (internationale sozialistische linke)