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Der Preis für das Euro-Rettungspaket: Die Parlamente der Eurozone stimmen ihrer eigenen Entmachtung zu

Die Große Krise 2008 hat die Europäische Union zugleich auseinander getrieben und stärker zusammengeführt. Noch weiter auseinander gedriftet sind Leistungsbilanzen und Wachstumsquoten. Zugleich konnten die Banken und Finanzinstitute die Schuldenkrise nutzen und sich die Politik unterwerfen. Um der «Rettung des Euro» willen wird nun eine europäische Integration vorangetrieben, die ausschließlich an den Interessen des Finanzkapitals ausgerichtet ist.

11.10.2011

Die Große Krise 2008 hat die Europäische Union zugleich auseinander getrieben und stärker zusammengeführt. Noch weiter auseinander gedriftet sind Leistungsbilanzen und Wachstumsquoten. Zugleich konnten die Banken und Finanzinstitute die Schuldenkrise nutzen und sich die Politik unterwerfen. Um der «Rettung des Euro» willen wird nun eine europäische Integration vorangetrieben, die ausschließlich an den Interessen des Finanzkapitals ausgerichtet ist.
Die Euro-Rettung verlässt den Boden des erst 2010 ratifizierten Lissabon-Vertrags mit seinem Verbot der gegenseitigen Haftung der Mitgliedstaaten für ihre Schulden. Nun bereitet die EU den Boden für eben diese Haftung:

Die Europäische Zentralbank kauft Anleihen kriselnder EU Staaten, Euro-Rettungsfonds übernehmen Garantien, falls Länder wie Griechenland, Irland oder Portugal ihre Schulden nicht abtragen können. Verbunden wird dies mit einer autoritären Austeritätspolitik, die elementare Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie und des Sozialstaats weit hinter sich lässt.

Die Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts


Ein zentrales Element der EU-«Wirtschaftsregierung» ist die Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts, nachdem dieser in 2005 leicht gelockert worden war. 14 Jahre nach seiner Einführung im Vertrag von Amsterdam wird der Pakt von so gut wie keinem EU-Land eingehalten. Seit Anfang 2009 hat die EU-Kommission gegen 25 von 27 EU-Mitgliedstaaten Verfahren wegen eines «übermäßigen Defizits» eingeleitet.
Der Pakt soll so reformiert werden, dass bereits nach der Eröffnung eines Defizitverfahrens durch die Kommission eine unverzinsliche Einlage von 0,2% des BIP erhoben werden kann. Ferner soll nicht nur wie bisher ein Haushaltsdefizit von über 3% des BIP mit möglichen Sanktionen geahndet werden, sondern auch eine Gesamtverschuldung von über 60% des BIP. Selbst wenn ein Mitgliedstaat z.B. einen ausgeglichenen Haushalt erreicht hat, aber seine Gesamtverschuldung 60% seines BIP übersteigt, soll er jährlich diese Verschuldung um 5% seines BIP zurückführen. Erreicht er das nicht, können Sanktionen erfolgen.

Die EU will weiterhin jedem Mitgliedstaat mittelfristige Ziele der Haushaltskonsolidierung vorschreiben. Dieser muss mit einem mehrjährigen Konsolidierungsplan darlegen, wie er die EU-Vorgaben in seiner Haushaltsplanung (Einnahmen, Ausgaben und erlaubte Defizite) in welchen Fristen umsetzen will. Staaten mit hohen strukturellen Haushaltsdefiziten oder stark ansteigender Gesamtverschuldung sollen den Schuldenabbau vorziehen.Die EU-Länder sollen dabei die Haushaltsdefizite jährlich um weit mehr als die 0,5% ihres BIP abbauen, die bisher vom Stabilitätspakt gefordert waren.
Dafür will die EU den Mitgliedstaaten einen Referenzwert für die jährlichen Ausgabensteigerungen vorschreiben, der unter der mittelfristigen Wachstumsrate ihres Bruttoinlandsprodukts liegt. Staaten, die die ihnen gesetzten mittelfristigen Haushaltsziele nicht erreichen und mehr ausgeben, als der EU-Referenzwert zulässt, müssen mit Strafzahlungen rechnen, die im Zeitverlauf erhöht werden können.

Wirtschaftliche Ungleichgewichte


Das Problem der wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa – hohe Leistungsbilanzdefizite der Mitgliedstaaten im Süden und Osten der EU, hohe Überschüsse in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und einigen skandinavischen Ländern – sieht die EU durchaus. Sie will deshalb «makroökonomische Ungleichgewichte verhindern und korrigieren». Und zwar folgendermaßen:
Ein Frühwarnsystem soll rechtzeitig ein «übermäßiges Leistungsbilanzdefizit» eines Mitgliedstaates anzeigen (das betrifft hauptsächlich die Länder aus Süd- und Osteuropa), es soll an Hand einer Reihe von Indikatoren ermittelt werden, zu denen auch Löhne, Gehälter und Lohnstückkosten gehören.
Die EU definiert Schwellenwerte für ein «übermäßiges» Leistungsbilanzdefizit. Werden sie überschritten, soll der betreffende Staat eine Buße von jährlich 0,1% seines BIP zahlen (wenn es sich um ein Land der Eurozone handelt) oder es wird an den Pranger gestellt (wenn es nicht der Eurozone angehört).

Was damit erreicht werden soll, erklärte die EU-Kommission Anfang 2010 folgendermaßen: «Große Preis- und Kostenanpassungen sind insbesondere in jenen Mitgliedstaaten erforderlich, die in den Jahren vor der Krise deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren und hohe Leistungsbilanzdefizite aufgebaut haben. Die Politik ist aufgefordert, hier Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität zu stärken und die Lohnflexibilität zu erhöhen … Die politischen Verantwortungsträger können den Lohnfindungsprozess über viele Kanäle beeinflussen, einschließlich der Bereitstellung von Informationen über Lohnleitlinien, Änderungen der Indexierung von Löhnen und bezüglich der Leitfunktion, die Lohnabschlüsse im öffentlichen Dienst ausüben. Darüber hinaus sollten Arbeitsmarktreformen dazu beitragen, den Lohnfindungsprozess effizienter zu machen.»
Die Kommission räumt ein, dass auch Leistungsbilanzüberschüsse «makroökonomische Ungleichgewichte» darstellen können. Dazu empfiehlt sie: «In Mitgliedstaaten, die große Leistungsbilanzüberschüsse in den Jahren vor der Krise aufgehäuft haben, ist es notwendig, die Ursachen einer verfestigten Schwäche in einigen Bereichen der privaten Nachfrage zu identifizieren und anzugehen, einschließlich einer möglichen Rolle, die ein mangelnder Wettbewerb im Dienstleistungsbereich und im Steuersystem dabei spielt, sowie unzureichendem Zugang zu Krediten.»

Das Problem liegt nach dieser Analyse also nicht darin, dass die Lohnstückkosten in Deutschland ein Jahrzehnt lang nahe oder unter Null wuchsen. Der schwachen deutschen Binnennachfrage soll vielmehr durch verschärfte Liberalisierung im Dienstleistungssektor, durch Steuersenkungen und Privatisierungspolitik usw. begegnet werden.

Die neoliberale Wirtschaftsregierung à la Sarkozy und Merkel


Das neu eingeführte «Europäische Semester» ist eine «stille Revolution» (Barroso), um diese Art von neoliberaler «Wirtschaftsregierung» Schritt für Schritt umzusetzen. Ein Pfeiler davon ist, «Europa 2020» als Nachfolge der EU-Lissabon-Strategie (2000–2010) in den Mitgliedstaaten umzusetzen.
Dabei geht es um sogenannte «Strukturreformen» (der Arbeitsmärkte, bei Dienstleistungen, neoliberale «Renten-, Pflege- und Gesundheitsreformen» usw.), sowie um den Abbau von EU-Vorschriften für Unternehmen. Die weiteren Pfeiler sind die Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts, das Verfahren zu wirtschaftspolitischen Ungleichgewichten und der Euro-Plus-Pakt.

Im ersten Halbjahr jeden Jahres geht es darum, «die EU-Dimension in die nationale Politik einzuschreiben». Das Europäische Semester startet im Januar jedes Jahres mit dem «Jahreswachstumsbericht» der EU-Kommission. Dieser analysiert die wirtschaftliche Lage der EU und wie die Mitgliedstaaten dabei abschneiden. Er enthält auch Vorschläge der Kommission, auf welche Maßnahmen sich die EU und die Mitgliedstaaten im laufenden und kommenden Jahr konzentrieren sollten.
Darauf aufbauend soll der EU-Frühjahrsgipfel im März für die Mitgliedstaaten allgemeine Orientierungen empfehlen. Die Mitgliedstaaten schicken bis April nach diesen Vorgaben ihre Nationalen Reformprogramme sowie ihre Stabilitäts- und Konvergenzprogramme an Kommission und Rat. Diese prüfen die nationalen «Reformprogramme» und auch die Programme zum «Schuldenabbau». Der Europäische Rat vom Juni/Juli formuliert daraufhin allgemeine und länderspezifische Empfehlungen.
Danach beginnt das sogenannte «Nationale Semester», in dem die Mitgliedstaaten diese EU-Vorgaben umsetzen sollen.

Die Selbstentmachtung des Europaparlaments


Das Europäische Parlament spielt in diesem Prozess der «wirtschaftspolitischen Steuerung» auf EU-Ebene keine Rolle. Laut dem Vertrag von Lissabon hat es nur das Recht, zu Fragen der Wirtschafts- und Fiskalpolitik informiert zu werden. Zur «Beschäftigungspolitik» darf es eine unverbindliche Stellungnahme abgeben, bevor der Rat formell entscheiden kann.
«Europäische Wirtschaftsregierung» bleibt somit dem Europäischen Rat vorbehalten – das ist eine Regelung von höchst fragwürdiger demokratischer Legitimation. Die EU-Kommission hat allein das Recht zur Initiative. Und sie wacht über die Umsetzung der Beschlüsse des Rates.

Das Europäische Parlament als einziges direkt gewähltes Gremium der Europäischen Union bleibt bei all dem außen vor. Seine konservativ-liberale Mehrheit hat mit dieser Machtlosigkeit kein grundsätzliches Problem, und die «Mitte-links-Opposition» von Sozialdemokraten und Grünen auch nicht. Sie wollen in allen Stufen des «Europäischen Semesters» nur rechtzeitig informiert werden, fordern aber keine Veto- oder Mitentscheidungsrechte für das EP.
Das EP will vielmehr, dass schon in früheren Phasen eines Defizitverfahrens Vorschläge und Empfehlungen der Kommission nur mit qualifizierter Mehrheit im Rat abgelehnt werden können, und das innerhalb von zehn Tagen. Damit wäre eine «Empfehlung» der Kommission auch dann «automatisch» angenommen, wenn mehr als die Hälfte der Regierungen der Mitgliedstaaten diese ablehnt.

Ironischerweise kommen solche Vorschläge zur Stärkung der Kommission und «automatischer Sanktionen» vom einzigen direkt gewählten Organ der EU, das in der Öffentlichkeit als Verfechter der «Stärkung repräsentativer parlamentarischer Demokratie auf EU-Ebene» wahrgenommen wird. Was diese Mehrheit im EP ansonsten verlangt, ist das Recht, «unbotmäßige» Regierungen mit anprangern zu dürfen: die Chefs der «Schuldensünderstaaten» sollen vor den EP-Wirtschaftsausschuss geladen werden, um ihnen dort den Prozess zu machen.

von Klaus Dräger

Quelle: SOZ