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Das Weltsozialforum in Bamako (Mali)

Bernhard Schmid

Sozialforum mit Hindernissen. Es war eine Premiere: Erstmals fand das Weltsozialforum in einem Land des afrikanischen Kontinents statt. Oder jedenfalls ein Teil der Veranstaltungen des in diesem Jahr auf drei unterschiedliche Orte — Caracas, Bamako und Karachi — aufgeteilten, internationalen Treffens „für eine andere Welt”. Dieses hatte bisher, seit seiner ersten Auflage im Januar 2001, überwiegend im brasilianischen Porto Alegre stattgefunden, einmal (2004) auch in der indischen Metropole Mumbai.

24.04.2007

Es ist der erste richtig heiße Nachmittag seit einer Woche, die Wolkendicke ist beiseite gezogen und das Thermometer übersteigt deutlich die 30° Celsius. Zehnjährige in den landestypischen, bedruckten Schuluniformen graben eifrig die Erde um und warten darauf, die bereit liegenden Palmsetzlinge einpflanzen zu dürfen. Nicht weit entfernt davon kommen kurz darauf EuropäerInnen ins Schwitzen, die darum gebeten wurden, ihrerseits insgesamt 60 Eukalyptusbäumchen einzupflanzen.
Mit diesem symbolischen Akt, der unter anderem den Kampf gegen das Vordringen der Wüste in dem bitterarmen Land der Sahelzone verkörpern soll, endet die erste „Runde” des diesjährigen Weltsozialforums in Bamako, Hauptstadt des westafrikanischen Staates Mali. Es trat vom 19. bis 23. Januar 2006 zusammen, dicht gefolgt von der Eröffnung der zweiten „Runde” im venezolanischen Caracas.
Doch es bleibt nicht nur bei der symbolischen Handlung: Rund um diese Szene und vor laufenden Kameras haben mehrere Gruppen protestierender Männer und Frauen aus Mali mit Transparenten Aufstellung genommen, die auch über das Ende des Weltsozialforums hinaus einen handfesten politischen Protest zu Gehör bringen wollen. „Gebt dem malischen Volk die Eisenbahn zurück. Stellt die Hoffnung wieder her”, ist darauf zu lesen, in Französisch und Englisch, und daneben: „Gebt dem Doktor Tiecoura Traoré seine Rechte zurück.” Die Protestierenden sind vom „Bürgerrechtskollektiv für die Wiederherstellung und Entwicklung der Eisenbahn in Mali” (COCIDIRAIL), das gegen die Privatisierung und Zerschlagung des Schienennetzes kämpft.
Letzteres war 2003 durch das französisch-kanadische Konsortium „Transrail” aufgekauft worden, das seitdem 26 von 36 Bahnhöfen geschlossen hat und den Personenverkehr abbaut, um eine Konzentration auf den Containertransport für den Weltmarkt bestimmter Waren — vor allem Baumwolle — durchzusetzen. Der Ingenieur Tiecoura Traoré gehört zu den profiliertesten Kritikern dieser Politik, er wurde ohne Angabe von Gründen entlassen. Vielfach wurde sein Porträt in der Auftaktdemonstration zum WSF mitgeführt.

Dass das Programm in diesem Jahr auf drei Länder und damit auch auf drei Kontinente gesplittet worden war, hatte neben anderen Motiven — vor allem dem Wunsch, den Aufwand für das Organisieren der „Riesenmaschine” vor Ort zu reduzieren — auch den Grund, dass man das Forum näher an die AkteurInnen und Betroffenen heran bringen wollte. Also an die in sozialen Bewegungen aktiven Menschen, an Gewerkschafter, Frauengruppen, Umweltschutz- oder AntikriegsaktivistInnen. Bei weitem nicht alle potenziell Interessierten können auch nur daran denken, sich einmal pro Jahr eine Reise (für wenige Tage) nach Südbrasilien zu leisten — erst recht gilt dies für afrikanische und asiatische Teilnehmende.
Nur teilweise dürfte es gelungen sein, diese vor allem ökonomische Barriere durch „Auslagerung” und Aufteilung des WSF abzubauen oder zumindest zu verringern. Zweifelsohne konnten noch nie so viele Menschen vom afrikanischen Kontinent überhaupt an einem Weltsozialforum teilnehmen wie am diesjährigen, das ist bereits ein wichtiger Erfolg. Dennoch führten finanzielle Zwänge im Vorfeld zu Abstrichen: 1,8 Milliarden Francs-CFA (Francs der französischen Gemeinschaft in Afrika), das sind umgekehrt knapp 3 Millionen Euro, wollten die Veranstalter in Bamako ursprünglich ausgeben. 700—900 Millionen CFA-Francs, also gut eine Million Euro, sind es real geworden.
Der Plan, tief im Landesinneren Malis Menschen für das Sozialforum zu mobilisieren, musste deshalb reduziert werden, statt den acht Regionen des Landes durchzog die „Karawane” der Veranstalter nur fünf. Dennoch kamen auch einige arme Bauern, Landarbeiter, Frauen aus Dörfern und Städten zum Forum nach Bamako.
85% der Teilnehmenden an der afrikanischen „Runde” des diesjährigen WSF kamen schätzungsweise vom afrikanischen Kontinent, davon der Löwenanteil aus Mali selbst und aus den unmittelbaren Nachbarländern. Augenfällig waren vor allem Delegationen aus dem benachbarten Senegal (überwiegend Gewerkschafter und Menschen aus Bildungseinrichtungen), aus Guinea (vor allem aus Frauengruppen und NGOs) und aus dem östlichen Nachbarstaat Niger (Gewerkschaften und sozialen Bewegungen). Auch das französischsprachige Togo war mit Aktiven der dortigen Protestbewegung gegen die 38-jährige Diktatur und die gefälschten Wahlen vom Vorjahr relativ stark vertreten. Kaum repräsentiert war dagegen das französischsprachige Zentral- und Äquatorialafrika sowie das englischsprachige Afrika, mit Ausnahme der Republik Südafrika, aus der eine stärkere Delegation — aller Hautfarben — angereist war.
Dass zumindest die geografisch näher gelegenen Staaten VertreterInnen nach Bamako schicken konnten, war bereits ein Erfolg: Man muss sich vorstellen, dass etwa Teilnehmende aus dem benachbarten Guinea-Conakry über 24 Stunden mit dem Bus in die malische Hauptstadt unterwegs waren und dafür einen durchschnittlichen Monatslohn hinblättern mussten.

Inhaltlich dominierten vor allem drei Themen: die Rechte der Frauen, die Kritik an der europäischen Migrationspolitik — mit zahlreichen Arbeitsgruppen und Augenzeugenberichten etwa zum Drama von Ceuta und Melilla im Herbst vorigen Jahres — sowie die Aktivitäten der „Fair Trade”-Bewegung. Dies sind auch die Themen, bei denen es am wenigsten Konflikte zwischen eher institutionell orientierten Kräften, die an staatliche Institutionen angebunden sind und/oder Geld von größeren europäischen NGOs erhalten bzw. erhoffen, und radikaleren sozialen Basiskräften zu geben drohte.
Denn auch die Regierung von Mali, das seit einer Revolte der Bevölkerung von 1991 demokratisch geführt wird, unterstützt im Prinzip die Interessen ausgewanderter Staatsbürger in Europa und von Migrationswilligen, die an den Grenzen des Kontinents mit der „Festung Europa” konfrontiert werden. Die Überweisungen malischer Emigranten bilden in vielen, v.a. in den abgelegenen Landesteilen einen wichtigen ökonomischen Entwicklungsfaktor. Aus ihnen wird etwa die Bohrung eines Brunnens oder ähnliche Projekte in der Herkunftsregion finanziert.
Und: Auch die Regierungen Malis und vergleichbarer Länder betonen oft die Bedeutung der Frauen — in Bereichen wie Gesundheitsvorsorge und HIV-Bekämpfung, aber auch in der Wirtschaft — für die Entwicklung des Landes und befürworten eine bessere Bildung für Frauen und Mädchen. Die Arbeit sozialer Basisinitiativen gegen die Mädchenbeschneidung — die in weiten Kreisen der Gesellschaft nach wie vor im Kindesalter praktizierte Genitalienverstümmelung — wird vom Staatsfernsehen unterstützt.
Auf dem Sozialforum gab es ein eigenes „Frauenuniversum”, auf dem drei Tage hindurch über die drängendsten Probleme der Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen auf dem Kontinent und über ihn hinaus diskutiert wurde. Bei einigen Debatten kam es dabei auch zu interessanten Ansätzen internationaler Kooperation — bspw. anlässlich einer gemeinsamen Podiumsdiskussion zwischen der Leiterin eines Frauenhauses im ostdeutschen Oranienburg, einer Feministin aus dem libanesischen Beirut, der Leiterin der Kommission für werktätige Frauen beim größten Gewerkschaftsbund in Niger und eine Aktivistin aus einem Lager für Flüchtlinge aus der marokkanisch besetzten Westsahara.

Radikale Sozialkritik versus NGO-Establishment

Stärkere Konfrontation zwischen institutionalisierten Gruppen und den Interessen sozialer Basisbewegungen gab es dagegen bei der Thematisierung der unmittelbaren Verteilungskonflikte in Mali selbst. Auf dem Gelände des Weltsozialforums hielten der Sender „Radio Kayira” (Eigenbezeichnung: „Stimme der Stimmlosen”) und die kommunistische Bewegung SADI („Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit”, sie stellt den Kultusminister von Mali, den Filmemacher Oumar Cissoko) ein Sozialforum im besten Sinne ab, ohne dass diese Veranstaltungen im offiziellen Programm aufgetaucht wären: Arme Bauern, Landlose und Arbeiter aus den Goldminen in Mali berichteten von heftigen sozialen Konflikten, von Zusammenstößen mit Großgrundbesitzern und Umweltvergiftung mit Quecksilber aus dem Goldabbau. Unterstützung erhielten sie von französischen Basisgruppen wie „Droits Devant!”, die seit Jahren Kontakt zu diesen Bewegungen in Mali haben.
Die ehemals maoistisch und proalbanisch orientierte SADI, die heute für andere linke Kräfte offen ist, konnte sich in den letzten Jahren gut in der malischen Gesellschaft verankern. Dazu trug nicht zuletzt die Persönlichkeit ihres Generalsekretärs, des Arztes Oumar Mariko bei, der — damals als Anführer der rebellierenden Studenten agierend — im März 1991 eine entscheidende Rolle beim Sturz der Militärdiktatur von Moussa Traoré spielte. Seitdem ist er bei vielen Maliern aus den unteren Gesellschaftsschichten als „der lebende Märtyrer” bekannt, nachdem sein Leben mehrfach bedroht wurde.
Auch aus anderen Anlässen gab es Zusammenstöße zwischen der eher institutionell orientierten Logik der staatsnahen Kräfte und der großen, mit bedeutenden Finanzmitteln ausgestatteten NGOs einerseits und den kämpferischen Basisbewegungen andererseits — freilich stets in softer Form. So sollte am Sonntag eine Demonstration ehemaliger Sans papiers — also „illegaler” Immigranten aus Frankreich, die abgeschoben worden waren — stattfinden und vor die französische Botschaft führen. Doch auf persönliche Intervention von Aminata Traoré, ehemalige Kultusministerin von Mali und eine der Prominenten der „globalisierungskritischen” Bewegungen auf internationaler Ebene, ging die Hälfte der Demonstration gar nicht erst los. Die andere Hälfte wurde durch die malische Bereitschaftspolizei blockiert, die die paar hundert Demonstrierenden daran hinderte, die Botschaft der in Mali immer noch stark präsenten früheren Kolonialmacht zu erreichen.
Ärgerlich war im Gesamtbild vor allem, dass sich auch Organisationen, die nicht einmal richtige Nichtregierungsorganisationen sind wie die Friedrich-Ebert-Stiftung und die regierungsnahe US-amerikanische Entwicklungsagentur US-AID ungestört als angebliche „Akteure der Zivilgesellschaft” auf dem Sozialforum breitmachen konnten. Anstatt mit ihnen über eine bessere Ausgestaltung des Welthandels zu diskutieren, wäre es sinnvoller gewesen, einen klaren Trennstrich zu ziehen.
Wie man richtigen Umgang mit solchen und ähnlichen Kräften pflegen kann, machte das „Jugendcamp Thomas Sankara” vor (Thomas Sankara war ein antiimperialistisch eingestellter, die Korruption bekämpfender Offizier, der von 1983 bis 1987 in Burkina Faso regierte und sich nach seiner Ermordung weiter großer Popularität erfreut). Bei einer Debatte über das Verhältnis zwischen Afrika und Europa meldete sich auch eine Vertreterin der französischen Regierung aus der dritten oder vierten Garnitur zu Wort und bot einige Sprüche nach dem Motto feil: „Frankreich liebt doch die Afrikaner, Jacques Chirac persönlich liebt die Afrikaner”. Die aufwallende Empörung, die diesen Äußerungen folgte, veranlassten die Dame, sich nach fünf Minuten Diskussion fluchtartig in Sicherheit zu bringen.

04-03-2006, 20:47:00 |Bernhard Schmid (SoZ)