Chile nach den Wahlen - Wandel und Kontinuität
Karin Fischer
Die Entscheidung für die Kandidatin des regierenden Mitte-Links-Bündnisses, Michelle Bachelet, fiel beim zweiten Wahlgang am 15. Januar klar aus: Sie erreichte 53,5%.
24.04.2007
Die konservativen Blätter und Umfragen der rechten Think Tanks wollten einen knappen zweiten Wahlgang herbeischreiben. Die Entscheidung für die Kandidatin des regierenden Mitte-Links-Bündnisses, Michelle Bachelet, fiel beim zweiten Wahlgang am 15. Januar jedoch klar aus: Sie erreichte 53,5%, auf den Kandidaten der Rechten, Sebastián Piñera, entfielen 46,5 % der Stimmen. Die beiden waren in die Stichwahl gekommen, nachdem Mitte Dezember Tomás Hirsch vom linken Bündnis Juntos podemos más („Gemeinsam können wir mehr“) und Joaquín Lavín ausgeschieden waren. Für Lavín, den verblassenden Stern der Pinochet-treuen Rechten, setzte es die zweite Niederlage: Er war bei der letzten Präsidentschaftswahl Ricardo Lagos nur um Zehntelpunkte unterlegen. Nun musste er sich auch seinem Kontrahenten aus dem rechten Lager, dem smarten und millionenschweren Unternehmer Piñera geschlagen geben.
Linksruck bei den Parlamentswahlen
Die Niederlage bei der Präsidentschaftswahl – der vierten in Folge nach dem Übergang zur Demokratie 1990 – geht diesmal für die rechte Allianz tiefer. Beim ersten Wahlgang Mitte Dezember 2005 wurden gleichzeitig das halbe Abgeordnetenhaus und der Senat neu gewählt – und zwar unter demokratischeren Bedingungen. Eine Verfassungsreform setze Mitte September endlich, fünfzehn Jahre nach dem Ende der Diktatur, einigen autoritären Enklaven der Pinochet-Verfassung ein Ende. Die Verfassung von 1980, maßgeblich inspiriert von den Ideen F.A. von Hayeks und nach seinem Buch „Verfassung der Freiheit“ benannt, hatte zum Ziel, die marktradikale Ordnung zu konservieren, auch mittels eines institutionellen Systems, das maßgebliche politische Eingriffe unmöglich macht. Die wichtigsten Änderungen: Die auf Lebenszeit vergebenen sowie die designierten Senatorenposten wurden abgeschafft, die Armee ist künftig nicht mehr Garant der institutionellen Ordnung, die Chefs der Streitkräfte und der Polizei können fortan vom Staatsoberhaupt abberufen werden, und die Legislaturperiode wurde von sechs auf vier Jahre verkürzt.
Ein wichtiges Erbstück aus der Diktatur blieb allerdings erhalten: das sogenannte binominale Wahlsystem, das es kleinen Parteien de facto unmöglich macht, ins Parlament zu kommen und der Rechten mit ihrem historischen Drittel an Wählerstimmen ein etwa gleich großes Gewicht im Abgeordnetenhaus sichert wie dem Mitte-Links-Bündnis. Für die Änderung des Wahlsystems konnte Lagos nicht die Zustimmung der Rechten verhandeln. Es blieb bei der Absichtserklärung, nach der geschlagenen Präsidentschaftswahl diesen wichtigen Schritt zur vollständigen Demokratisierung nehmen zu wollen. Dieser soll auch den im Ausland lebenden ChilenInnen das Recht geben zu wählen und Schluss machen mit der Verpflichtung aller Wahlberechtigten, sich vor jeder Wahl registrieren zu lassen.
Die auf geänderter Verfassungsgrundlage durchgeführten Wahlen bescherten dem Regierungsbündnis Concertación („Bündnis der Parteien für Demokratie“) nicht nur im Abgeordnetenhaus, sondern auch – durch die Abschaffung der nicht gewählten Senatoren – im Oberhaus eine Mehrheit. Damit wird es nun erstmals möglich, Gesetzesänderungen – ohne Zustimmung der Rechten – durchzuführen. Testfälle wird es in der Periode Bachelet sicher einige geben, und es wird sich zeigen, ob von der seit dem paktierten Übergang zur Demokratie gepflegten Konsenskultur abgegangen wird. Den Beginn könnte schon die Wahlrechtsänderung machen. Auch wenn die Rechte im Parlament dagegen stimmt – die Zustimmung wurde nach der verlorenen Präsidentschaftswahl leiser und von einigen Politikern sogar zurückgenommen –, kann die neue Präsidentin den Senat damit beauftragen.
Das Ergebnis der Wahlen kann noch aus einem zweiten Grund als Linksruck bezeichnet werden. Innerhalb des Regierungsbündnisses erzielten die „linken“ Parteien Zuwächse (am stärksten die Sozialistische Partei, der Michelle Bachelet angehört), während die Christdemokratische Partei herbe Stimmenverluste hinnehmen musste. Die Verschiebung des Kräfteverhältnisses zeigt sich besonders deutlich im Senat: Dort verfügen die drei sozialdemokratischen Parteien nun über mehr als doppelt so viele Sitze wie die Demócrata Cristiana, die bis dahin sogar zwei Senatoren mehr stellte als ihre Regierungspartner zusammen. Die Wahlen bestätigten allerdings die Pinochet-treue Unabhängige Demokratische Union (UDI) als stärkste politische Kraft des Parteienspektrums. Neben der traditionellen Rechten konnte die Partei – genauso wie deren populistischer Präsidentschaftskandidat Joaquín Lavín – bei den armen Bevölkerungsschichten punkten.
Eindrücke aus dem Wahlkampf
Den Wahlkampf dominierten zwei Themen: Sozialpolitik und lateinamerikanische Integration. Auch die beiden rechten Kandidaten lieferten dazu ihre Bekenntnisse ab, entlang den Leitlinien sozialliberaler Armutspolitik: bessere Absicherung für die verwundbarsten Teile der Gesellschaft. Maßnahmen zu einer Umverteilung von Einkommen wurden allerdings auch von den linken Kandidaten nicht in Betracht gezogen und bleiben ein Tabu in der öffentlichen Debatte in Chile.
Der Armut und fortgesetzten Ungleichheit – laut aktueller Zahlen des UN-Entwicklungsprogramms UNDP verfügt das reichste Fünftel über 62,2 % der Einkommen, das ärmste Fünftel über 3,3 % – soll mit Investitionen in Bildung entgegengewirkt werden. Michelle Bachelet setzte auch die Verbesserung des öffentlichen Gesundheitswesens und eine Reform des Pensionssystems auf ihre Agenda. Denn mittlerweile ist offenkundig, dass das 1982 privatisierte Pensionssystem bis in die Mittelschichten hinein nicht existenzsichernd wirkt: Nur 20 Prozent der Erwerbsbevölkerung zahlen regelmäßig auf ihre Pensionskonten ein, die staatlich garantierte Alterspension für Bedürftige beträgt gerade mal monatlich 35 Euro. Neben einer Anhebung der Mindestpension und einer nicht näher definierten Ausdehnung des Versicherungsschutzes sollten den Pensionsfonds, so die Reformvorschläge, erweiterte Investitionsmöglichkeiten zugestanden werden. Und auch die Pensionen für Angehörige des Militärs, die einzige gesellschaftliche Gruppe, die über ein staatlich garantiertes Sicherungssystem verfügt, sollen einer Reform unterzogen werden.
Der Rahmen, in dem in Chile über politische Veränderungen und regulierende Eingriffe diskutiert wird, ist nach wie vor ein enger. Bachelet versprach, für die „Konsolidierung des sozialen Schutzes“ keine Steuererhöhungen einzuführen. Ihr Programm – Investitionen in Bildung und das öffentliche Gesundheitssystem sowie die Verbreiterung des Pensionszugangs – soll durch Wirtschaftswachstum und den hohen Kupferpreis finanziert werden. So zeigten sich auch die gesellschaftlich einflussreichen Unternehmer und ihre Verbände, trotz eindeutiger Präferenz, gelassen über den Wahlausgang. Finanzanalysten verlautbarten, das Ergebnis hätte keine Auswirkungen „auf den Markt“. Befriedigt stellten die Kommentatoren im marktradikalen El Mercurio, zugleich die einflussreichste Tageszeitung in Chile, fest, dass das Freihandelsmodell – nicht einmal vom Kandidaten der linken Liste – in Frage gestellt wird.
Anzeichen von Wandel
Die ChilenInnen konnten in der zweiten Runde trotzdem zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen Repräsentanten der chilenischen Gesellschaft wählen. Sebastián Piñera, Kandidat der Renovación Nacional („Rechte Erneuerung“), verkörpert das Establishment par excellance. Das Vermögen des studierten Ökonomen (mit Doktortitel aus Harvard) wird auf 1,2 Milliarden Dollar geschätzt. Er besitzt 27 Prozent der konkurrenzstarken Fluglinie LAN, einen Fernsehsender, eine Wirtschaftszeitung, Ländereien und Anteile an Energieversorgern, Einkaufszentren und den mächtigsten Unternehmenskonglomeraten des Landes. Eine öffentliche Debatte führte dazu, dass er seine zahlreichen Sitze in Direktorien ruhend stellte und versprach, im Falle eines Wahlsieges seine Firmenanteile zu verkaufen. Sein Bruder José zeichnete übrigens als Arbeitsminister unter Pinochet für die Umstellung auf das kapitalbasierte Pensionssystem und ein neues Arbeitsgesetz verantwortlich. Von Zurufen seines Bruders, der weltweit als Berater für Privatisierungsmaßnahmen, zum Teil im Auftrag des Internationalen Währungsfonds, unterwegs ist, hat sich Piñera allerdings abgegrenzt. Marktradikale Kommentare haben im El Mercurio ihren Platz, aber nicht in einer zeitgemäßen Wahlkampagne.
Michelle Bachelets Lebensweg ist von der Gewalterfahrung des Putsches und nachfolgendem Exil geprägt. Ihr Vater, Allende-treuer Luftwaffengeneral mit zivilem Amt in der Staatsverwaltung, starb ein halbes Jahr nach dem Militärputsch an Herzversagen im Gefängnis. Bachelet, seit ihrem 19. Lebensjahr Mitglied der Sozialistischen Partei, emigrierte nach wiederholten Festsetzungen durch die Militärs mit ihrer Mutter in die DDR. Sie setzte dort ihr Medizinstudium fort und engagierte sich – im Ausland und nach ihrer Rückkehr nach Chile im Jahr 1979 – für Menschenrechtsfragen. Und natürlich: Als Frau und alleinerziehende Mutter für das Präsidentenamt zu kandidierten und ihre Familie nicht als Wahlhelfer einzusetzen, ist etwas Neues im wertkonservativen Chile.
Bereits in der Regierungszeit von Ricardo Lagos hat eine Auseinandersetzung mit der Diktatur eingesetzt. Lagos initiierte, in enger Kooperation mit dem Chefkommandanten der Streitkräfte, eine Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen. Die Ergebnisse wurden im November 2004 und Juni 2005 publiziert und auch im Internet zugänglich gemacht (http://www.servicios.gov.cl/comision/). Zum ersten Mal wurde in Chile über Menschenrechtsverletzungen diskutiert, und Betroffene, so auch Michelle Bachelet, gingen mit ihrer Lebensgeschichte an die Öffentlichkeit.
Die Vorgangsweise bildete fraglos einen Kompromiss (die über 40.000 Zeugenaussagen werden für die nächsten fünfzig Jahre geheim gehalten und können deshalb auch nicht in Gerichtsverfahren als Beweismaterial eingesetzt werden). In der medialen Öffentlichkeit wurde die Arbeit der Kommission zudem von einem „Modernisierungsdiskurs“ begleitet („Wir müssen mit der Vergangenheit abschließen, wenn wir ein modernes Land sein wollen“). Trotzdem bewirk(t)en diese Diskussionen etwas in der Gesellschaft: Der enge Rahmen einer ängstlichen Konsenskultur hat sich gelockert – und die Wahl von Michelle Bachelet, die in ihrer Fernsehansprache am Wahlabend den „Einbruch der Gewalt in ihr Leben“ thematisierte, ist ein Zeichen dieser Veränderungen.
Im wirtschaftlichen Bereich fällt die Diagnose anders aus. Chile verfügt über die offenste Ökonomie Lateinamerikas und hat zahlreiche Freihandelsabkommen auf bilateraler Ebene mit Ländern auf allen Kontinenten, jüngst auch mit China, sowie mit den USA und der EU abgeschlossen. Die Fortsetzung des Modells hat auch die Kandidatin Bachelet nicht in Frage gestellt; die „erneuerte Linke“ Chiles hat – im Unterschied zu ihren Schwesterparteien in der Region – ein vollständiges Bekenntnis zu Markt, Freihandel und einem schlanken, aber effizienten und starken Staat abgelegt.
Gesellschaftlicher Wertewandel, ökonomische Kontinuität
Ein „Soziogramm“ des neuen Regierungsteams, das Ende Januar vorgestellt wurde, macht beide Tendenzen deutlich: eine Verbreiterung der politischen Klasse mit gesellschaftspolitisch progressiveren Einstellungen sowie die Fortsetzung des neoliberalen Modells mit einer jüngeren Generation von gut ausgebildeten Sozialliberalen.
Bachelet hat ihre Ankündigung, die Hälfte der Ministerämter mit Frauen zu besetzen, wahr gemacht. Fast die Hälfte der künftigen MinisterInnen hat Erfahrung mit Exil gemacht. Bachelet hat bei ihren Nominierungen das „Parteien-Establishment“, also profilierte Parteipolitiker, die den „Stempel Transition“ tragen, weitgehend unberücksichtigt gelassen. Die Neuen kommen aus den Think Tanks, die nach 1990 im sozialdemokratischen Umfeld gegründet wurden, der zweiten Reihe des Staatsapparats oder aus den halbstaatlichen Agenturen. Sie verfügen über akademische Meriten, in den meisten Fällen über ein Postgraduate im Ausland, vorzugsweise in den USA oder Großbritannien (heuzutage geradezu eine Bedingung für den gesellschaftlichen Aufstieg in Chile). Die Hälfte bezeichnete sich öffentlich als Agnostiker bzw. ohne Religionsbekenntnis. Im Zusammenhang mit Bachelets persönlichen BeraterInnen und den künftigen MinisterInnen war schnell die Rede von einem „neuen Establishment“, mit neuen Beziehungsnetzwerken und „europäischem Lebensstil“. Die „bacheletistas“ wurden in den Farbbeilagen des Mercurio freundlich willkommen geheißen: Sie fahren mit der U-Bahn in die Arbeit, wohnen in den innenstadtnahen Bezirken und nicht in den „neureichen“ Villenvierteln am Fuße der Anden, halten ihre Sitzungen in den Nebenräumen ihrer Lieblingslokale ab statt in den Parteizentralen, und die Männer fühlen sich selbstverständlich verantwortlich für Hausarbeit und die Betreuung ihrer Kinder.
Gleichzeitig steht das ökonomische Team für eine liberale Wirtschaftspolitik und für gute Beziehungen zum Privatsektor. Zum Finanzminister wurde der parteiunabhängige Harvard-MIT-Ökonom Andrés Velasco ernannt. Bei seiner Vorstellung („Das Wirtschaftsmodell hat sehr gut funktioniert“) versicherte er, dass er einen strukturellen Budgetüberschusses von 1% des BIP beibehalten werde (eine Verordnung seines Vorgängers) und Steuererhöhungen zur Finanzierung sozialer Vorhaben auszuschließen sind. Die Unternehmervertreter zeigten sich zufrieden über dieses politische Signal: Velasco repräsentiere die Kontinuität und das bedeute verantwortungsvolle Budgetpolitik, Sicherheit für Investoren und eine effiziente Arbeitsmarktpolitik.
Sozialliberale Variante des Neoliberalismus
Velasco begründete vor fünf Jahren die Forschungsplattform „Expansiva“ (www.expansiva.cl/), die den Nukleus des wirtschaftsliberalen Flügel der Concertación bildet, aber erst in diesem Wahlkampf als politischer Beraterstab massiv in Erscheinung getreten ist. Velasco begleitete die Kandidatin zu den Treffen mit den Unternehmern, ihren Verbänden und Think Tanks und sorgte laut Presseberichten für „vertrauensbildende Essen“ im privaten Kreis. Gemeinsam mit Alejandro Foxley, erster Finanzminister der Übergangsregierung zur Demokratie (1990-1994) und künftiger Außenminister, zeichnete er für das Wahlprogramm verantwortlich.
Das Näheverhältnis zu Foxley – im akademischen Feld und als sein Berater in dessen Zeit als Finanzminister – könnte ein wichtiges strategisches Moment bilden. Denn Bachelet hat ins Zentrum ihres Teams der „Experten aus der zweiten Reihe“ zwei konturierte Politikerpersönlichkeiten gesetzt: den konservativen Christdemokraten Andrés Zaldívar als Innenminister und Koordinator des Regierungsteams sowie den bereits genannten Alejandro Foxley als Außenminister mit Brückfunktion zum ökonomischen Team.
Foxley kann als Symbolfigur einer sozialliberalen Variante des Neoliberalismus gelten, die er als Finanzminister praktisch umgesetzt und als wirtschaftspolitische Lehrmeinung mit begründet hat. Seine Tätigkeiten – als Gouverneur der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank und als Vorsitzender des Interamerikanischen Dialogs in Washington – weisen ihn als proamerikanisch aus. Man darf gespannt sein, wie er die Beziehungen zu seinen Nachbarn Lula, Kirchner, Vásquez und Morales gestalten wird.
Wachstum ohne Arbeit
Piñera oder Bachelet – der Ausgang der Wahl macht natürlich einen Unterschied. Frauen sind in die erste Reihe vorgerückt. Sie werden mit dem Regierungsantritt der neuen Regierung Anfang März die Ministerien Planung, Verteidigung, Wirtschaft, Kultur, Stadtentwicklung und Wohnbau, Energie und Bergbau, Nationalvermögen, Gesundheit, Frauen und das Generalsekretariat der Präsidentin leiten. Eines der beiden neu zu formierenden Ministerien – Umwelt oder öffentliche Sicherheit – wird noch hinzukommen. Das binominale Wahlsystem wird fallen. Eine Ausweitung des Pensionszugangs und Anhebung der Zuschüsse, und seien sie noch so gering, sind für die Betroffenen existenzielle Lebensfragen. Gleiches gilt für die öffentliche Gesundheitsversorgung. Die Verteidigungsministerin wird mit einem Vorhaben durchkommen, an dem Bachelet im selben Amt noch vor zwei Jahren gescheitert ist: Die Änderung des Gesetzes, das dem Militär zehn Prozent der jährlichen Kupfererlöse zur gefälligen Verwendung zusichert. Und im Bildungsbereich zielen die Vorhaben Bachelets auf eminente Schwachstellen: auf den Vorschulbereich und eine Qualitätsverbesserung der öffentlichen Schulen. Mit einer rechten Regierung wäre das nicht zu haben.
Das strukturelle Problem der chilenischen Wirtschaft bleibt allerdings erhalten: die Abhängigkeit vom Weltmarktpreis für Kupfer, dem Exportgut Nummer 1, und ein Wachstum ohne Arbeit. Der hohe Kupferpreis bescherte der Regierung Lagos in ihrer zweiten Amtsperiode hohe Einnahmen und ein Wirtschaftswachstum von sechs Prozent im Jahr 2005. Für Nachhaltigkeit sorgt dieser außen abhängige Faktor naturgemäß nicht. Auch deshalb nicht, weil sich das Wachstum nicht in ausreichenden Arbeitsplätzen niederschlägt. Die Wirtschaftsstruktur Chiles wird dominiert von Firmenkonglomeraten, die – meist in Allianzen mit ausländischen Partnern – den Bergbau und die boomenden „nicht-traditionellen“ Exportsektoren (wie Forstprodukte, Fisch, Früchte und Wein) dominieren. Diese konkurrenzstarken und weltmarktorientierten „grupos económicos“ – sie machen laut neuester Berechnungen des Nationalen Statistikinstitutes 0,8 Prozent aller Unternehmen des Landes aus – vereinigen mehr als 80 Prozent der Umsätze auf sich, sorgen aber gerade mal für etwa zehn Prozent der Arbeitsplätze, die temporären Arbeitsplätze im Nahrungsmittelsektor mitgerechnet.
Mit den wirtschaftspolitischen Vorschlägen – Investitionen in Bildung, Förderung der Klein- und Mittelbetriebe und deren Einbindung in Export-Cluster sowie weitere Freihandelsverträge – ist dieser Wirtschaftsstruktur nicht beizukommen. Sie bieten den Un- und Unterbeschäftigten keine Perspektive. Die Monate nach dem Amtsantritt der neuen Regierung werden zeigen, ob Bachelet und ihr Team bereit sind, diesem engen Rahmen von Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik mehr hinzuzusetzen.
aus ila 293, März 2005
www.ila-web.de
18-02-2006, 18:16:00 |Karin Fischer (Santiago de Chile)