Brasilien: Heloisa Helena, die sozialistische Präsidentschaftskandidatin
Michael Löwy
Brasilien gehört weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Ausmaß an sozialer Ungleichheit. Das Land wurde als eine Art "Schweizer Indien" beschrieben, wo die Reichen leben wie in der Schweiz, während das Leben der Armen denen ihrer indischen Leidensgenossen entspricht.
25.04.2007
Brasilien gehört weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Ausmaß an
sozialer Ungleichheit. Das Land wurde als eine Art "Schweizer Indien"
beschrieben, wo die Reichen leben wie in der Schweiz, während das Leben
der Armen denen ihrer indischen Leidensgenossen entspricht.
Im Jahre 2001 hatte der Wahlsieg Lulas, des Kandidaten der
Arbeiterpartei (PT), unter der Bevölkerung gewaltige Hoffnungen auf
eine Änderung dieser Situation "sozialer Apartheid" geweckt, auf eine
neue Orientierung auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Armen. Diese
Hoffnungen wurden weitgehend enttäuscht, als die von Lula gebildete
Regierung die neoliberale Wirtschaftspolitik der vorangegangenen
rechten Regierungen fortsetzte. Man kann insofern von einer
"sozialliberalen" Regierung sprechen, als die neoliberale Orientierung
— harte Einschnitte in Sozialprogramme zur Rückzahlung der
Auslandsschulden — für die ärmsten Schichten durch einige soziale
Maßnahmen wie das Programm "Null Hunger" ergänzt wurde.
Eine der ersten von Lula eingeführten neoliberalen Reformen war eine
Änderung des brasilianischen Rentensystems, bei der frühere soziale
Vergünstigungen für Lohnabhängige gestrichen wurden. Als die
PT-Senatorin Heloisa Helena und einige andere Parlamentsabgeordnete der
Partei diese Reform ablehnten — die stets von der PT abgelehnt worden
war, als diese noch Oppositionspartei war —, wurden sie aus der PT
ausgeschlossen, trotz breiter Proteste sowohl in Brasilien als auch
international. Eine von bekannten Persönlichkeiten der Linken aus der
ganzen Welt unterzeichnete Erklärung, rief die PT-Führung vergeblich
auf, sie nicht auszuschließen. Heloisa Helena und ihre Freunde
beschlossen mit der Unterstützung Hunderter weiterer ehemaliger
PT-Mitglieder eine neue Partei zu schaffen, die PSOL, Partei des
Sozialismus und der Freiheit ("sol" bedeutet im Portugiesischen auch
"Sonne"). Zwei Jahre später, nach einem schwerwiegenden
Korruptionsskandal, in den einige wichtige Führer der PT verwickelt
waren, beschloss ein bedeutender Teil der Parteilinken, darunter mehre
Parlamentsabgeordnete und bekannte Persönlichkeiten der christlichen
Linken, in diese neue Partei einzutreten.
Heloisa Helena, die Kandidatin der PSOL für die kommenden
Präsidentschaftswahlen im Oktober 2006, wurde in Alagoas geboren, einem
der ärmsten Bundesstaaten Brasiliens. Von Beruf Krankenschwester, wurde
sie zur Senatorin gewählt, und sie entwickelte sich vor ihrem
Parteiausschluss bald zu einer führenden Gestalt der PT-Linken. Sie ist
eine junge Frau von bemerkenswerter charismatischer Ausstrahlung und
die einzige Frau, die für die Präsidentschaft kandidiert. Als eine
christliche Marxistin macht sie keinen Hehl aus ihrem Engagement für
den Sozialismus, den Antiimperialismus und die Kämpfe der
brasilianischen Arbeiter und Bauern für ihre soziale Befreiung. Durch
ihre leidenschaftlichen Reden im Senat, mit denen sie die politische
Korruption und die politische Begünstigung der Oligarchie angeprangert
hat, hat sie unter der Bevölkerung viel Sympathie gewonnen, weit über
die organisierten Reihen der radikalen Linken hinaus.
Während von Lula und Alckmin — dem Kandidaten der konservativen rechten
Allianz — die Monopolisierung der Präsidentschaftswahlen erwartet
wurde, führte die Präsenz Heloisa Helenas eine neue und unerwartete
Dimension in die politische Debatte ein: sie ist die einzige
Kandidatin, die eine radikale Kritik des Neoliberalismus aus
sozialistischer Perspektive äußert. Sie wird von einem breiten Spektrum
von Sozialisten, Gewerkschaftern, Linksintellektuellen und linken
Christen unterstützt und steht in den Meinungsumfragen gegenwärtig bei
etwa 12%.
Die Wahlen in Brasilien betreffen Sozialisten und Radikale überall. Aus
diesem Grund haben viele Menschen nach ihren Protesten gegen den
Ausschluss Heloisa Helenas aus der PT nun einen weltweiten Aufruf zu
ihrer Unterstützung veröffentlicht.
(Aus: SOZ, Übersetzung: Hans-Günter Mull)
28-09-2006, 21:38:00 |Michael Löwy