Befreiungstheologie in Lateinamerika: Kapitalismuskritik und Maulkorb durch Vatikan
Von der Notwendigkeit eines "neuen Sozialismus" sprach Leonardo Boff, brasilianischer Befreiungstheologe, in einem Vortrag an der Universität in Casta Rica.
11.05.2007
Mit einem Gastvortrag eröffnete der brasilianische Befreiungstheologe
und Philosoph Leonardo Boff am 15. März das Studienjahr an der
Universität von Costa Rica (UCR) in San José. „Der UNO-Klimabericht
beweist, dass wir nicht kurz vor einer Krise stehen, sondern mitten
drin“, warnte der ehemalige Franziskaner, der den Orden auf Grund des
Drucks vom Vatikan im Jahr 1992 verlassen hatte. Verantwortlich für die
drohende Katastrophe sei der Kapitalismus. „Wir leben seit 300 Jahren
in einem System, das die natürlichen Ressourcen plündert und die Erde
hält es nun nicht mehr aus“.
Noch sei Zeit, den nötigen radikalen Wechsel einzuleiten. Das Modell
des Kapitalismus sei überholt und ungeeignet, es sei an der Zeit für
einen neuen Sozialismus.
Am Vortag hatte der Befreiungstheologe auf einem anderen Vortrag
Sympathie für das bolivarianische Projekt der Einigung Lateinamerikas
geäußert. Zwischen Befreiungstheologie und Marxismus zog er indes eine
klare Trennlinie.
Der Andrang an der Universität von Costa Rica bei Boffs Vortrag war so
groß, dass nicht annähernd alle Interessierten Platz fanden. Der
Brasilianer lud die Studierenden, die nicht mehr in den Hörsaal
hineinkamen, zu einem zweiten Vortrag am Folgetag ein. Das mag
erstaunen, da die katholischen Kirche des mittelamerikanischen Landes
als konservativ gilt und Befreiungstheologie hier weniger ein Thema ist.
Maulkorb für salvadorianischen Jesuitenpater
Der Erzbischof von San Salvador Fernando Sáenz Lacalle bestätigte, dass
dem Jesuitenpater Jon Sobrino von der römischen Kongregation für die
Glaubenslehre das in allen katholischen Einrichtungen geltende Verbot
erteilt wurde, zu predigen und zu lehren, sofern „er nicht seine
Überzeugungen überdenkt“. Sáenz Lacalle zufolge ist der Vatikan „seit
längerem damit beschäftigt, Sobrinos Schriften zu studieren und hat ihn
bereits vor Jahren gewarnt“. Sobrinos Veröffentlichungen über Christus
seien „nach Ansicht des Heiligen Stuhls nicht konform mit der Doktrin
der Kirche, daher wurde ihm ein Lehrverbot in sämtlichen Einrichtungen
der katholischen Kirche erteilt, sofern er seine Äußerungen nicht
überdenkt”, so Lacalle. Bisher hat sich Sobrino nicht zu der
Notifikation geäußert.
Jon Sobrino wurde 1938 in Bilbao geboren, lebt jedoch seit 50 Jahren in
El Salvador. Als Mitbegründer der Jesuitenuniversität UCA (Universidad
Centroamericana) in San Salvador war er dort bis vor kurzem als Dozent
tätig und hat zahlreiche Werke verfasst. Als wichtiger Protagonist der
Befreiungstheologie schrieb er allein über diese etliche Bücher.
Sobrino wird vorgeworfen, seine Lehre verfälsche die Figur Jesu Christi
und lasse dessen göttliches Bewusstsein zu kurz kommen; statt dessen
verfällt er nach Ansicht der Kongregation, die als Institution die
Nachfolge der mittelalterlichen Inquisition antritt, in das alte Schema
der Ketzerei: Die menschlichen Aspekte Christi würden auf Kosten seiner
Göttlichkeit zu sehr in den Vordergrund gerückt. Daher hat ihm der
Vatikan unter Strafe verboten, in kirchlichen Einrichtungen zu lehren
oder seine Bücher unter dem Nihil Obstat der Kirche zu veröffentlichen
und ihm damit eine Art kirchliches Redeverbot auferlegt.
Wie es aussieht, haben sowohl der Theologe als auch der Jesuitenorden
bereits von der Notifikation gewusst, denn die kirchliche Ordnung sieht
vor, dass der Beschuldigte zunächst durch den Vatikan aufgefordert
wird, seine Äußerungen schriftlich zurückzunehmen. Sobrino entschied
sich jedoch nach Rücksprache mit dem Leiter des Jesuitenordens gegen
einen Widerruf.
(Quelle: poonal, 757/20.3.2007)
20-03-2007, 21:27:00 |