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Alter Wein in neue Schläuche?

Angela Klein

Stolpersteine auf dem Weg zur Gründung einer neuen linken Partei. In den kommenden Monaten werden in Deutschland die Weichen gestellt, wie neu die neue Partei aus WASG und LPDS tatsächlich sein wird. Der Zeitplan für die Fusion steht, jetzt geht es an die Ausarbeitung von Programm und Satzung.

25.04.2007

    Das Berliner Zwischenspiel ist vorerst beendet. Der Bundesvorstand der WASG, die hinter ihm agierende "Steuerungsgruppe" und die Berliner LPDS haben sich eine kräftige Ohrfeige eingefangen. Als das Berliner Landgericht und nach ihm der Landeswahlausschuss (einstimmig!) Ende Mai feststellten, dass der Berliner Landesverband der WASG das Recht hat, zur Wahl anzutreten, ruderte Klaus Ernst mächtig zurück: Alles nicht so schlimm, soll er doch, er wird sich schon noch eine blutige Nase holen, wenn er an der 5%-Hürde hängen bleibt. Vor Tische las es sich anders, da wurde dem eigenständigen Wahlantritt noch angedichtet, an ihm würde die Fusion scheitern.
Aus der von ihm selbst gesuchten Kraftprobe geht der Bundesvorstand beschädigt heraus. Das jetzige Ergebnis hätte er billiger haben können – hätte er die Weisheit besessen, auf jegliche administrative Maßnahmen zu verzichten und den Konflikt rein politisch auszutragen. Stattdessen musste er sich von einem bürgerlichen Gericht (wie Axel Troost erzürnt feststellte) eine Lektion in Sachen Demokratie geigen lassen: Der Landeswahlleiter hat ja nicht die Absetzung des Landesvorstands (wegen Verstoßes gegen einen Beschluss des Bundesparteitags) und die Einsetzung eines Kommissars kritisiert, sondern den Tatbestand, dass der Kommissar die Wahlanzeige auf Weisung des Bundesvorstands zurückgenommen hat, statt sich dafür das Votum des Landesparteitags zu holen. Letzteres hätte er allerdings schwerlich bekommen, hatten die Berliner doch selbst dafür gesorgt, dass ein erneuter Landesparteitag (der dritte in der Sache) nach dem Bundesparteitag die Berliner Entscheidung mit haushoher Mehrheit bestätigte.
Beschämend daran ist allein, dass erneut eine bürgerliche Instanz ein höheres Maß an Demokratie garantiert als eine Organisation der Linken (oder der Arbeiterbewegung). Hier wiederholt sich im Kleinen, was sich zwischen DDR und BRD schon im Großen abgespielt hat. Solange dies aber so ist, solange wird die Linke niemals Glaubwürdigkeit erlangen.
Berlin ist nicht der einzige Fall eklatanter Verstöße gegen demokratische Willensbildung. In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern kann man ein Lied davon singen, wie vor und nach dem letzten Bundesparteitag verschiedene Kreise vor Ort versucht haben, durch Manipulation von Redelisten und Abstimmungsverhalten Vorstände abzusetzen und neue zu inthronisieren, die unpolitischer sind und sich deshalb leichter zum willfährigen Vollzugsorgan von Vorständen eignen. In Köln war dieser Vorstoß gar von einem Antrag begleitet, der Kreisverband habe sich in Zukunft nur noch mit kommunalpolitischen Fragen zu beschäftigen – alles darüber hinaus Gehende überschreite seine Kompetenz.
Woher kommt dieses Gerangel, noch bevor es eine organisierte Debatte um die Grundlagen der Fusion gibt? Es kommt daher, dass manche die Weichen schon organisatorisch gestellt sehen wollen, bevor sie politisch gestellt sind. Grob gesagt ist in der WASG die Tendenz stärker geworden, die Fusion nur noch als Formsache zu betrachten. Folgerichtig kann es in der Auseinandersetzung der kommenden Monate allein darum gehen, wer in der neuen Partei welche (Schlüssel- )Posten besetzt.
Eine so aufgestellte WASG stellt keine eigenen programmatischen Anforderungen an einen Parteineubildungsprozess mehr. Sie reflektiert auch nicht mehr, weshalb sie sich eigentlich gegründet und nicht gleich der PDS angeschlossen hat. Keiner der Gründe – und es gab gute Gründe dafür – wurde vom Bundesvorstand einmal inhaltlich auf den Punkte gebracht und als Anforderung der WASG an eine neue Partei formuliert.
Das liegt daran, dass es diesbezüglich in der WASG keine Einigkeit gibt. Die Meinungsverschiedenheiten laufen in wichtigen programmatischen Fragen vielmehr quer durch beide Parteien. Deshalb ist es so wertvoll, dass sich nunmehr auch aus der PDS heraus eine antikapitalistische Linke zu Wort gemeldet hat, die deutlich über das Spektrum der Kommunistischen Pattform hinausgeht. Die Frontstellung WASG vs. PDS wäre falsch. Sie verläuft vielmehr zwischen Regierungslinke und Nichtregierungslinke, und das ist eine Frage, die mehr umfasst als den Streit, ob in eine Koalition geht.

Berlin

Dennoch belastet die Farblosigkeit des Bundesvorstands der WASG den Fusionsprozess bzw. favorisiert die konservativen Tendenzen in ihm. Einzig Oskar Lafontaine ist mit einer deutlichen Kritik an der Privatisierungspolitik der Dresdner PDS und des Berliner Senats und mit einer Zuspitzung seiner Antiprivatisierungsposition sichtbar an die Öffentlichkeit getreten und hat die PDS etwas unter Zugzwang gebracht. Doch geht er nie soweit, dass er die Existenz solcher Positionen an führender Stelle in Frage stellen würde.
Einzig Oskar – und die Berliner. Die Berliner haben ihr Recht erstritten, zu bestimmten Politiken, die die PDS treibt, Nein zu sagen. Sie halten damit eine politische Auseinandersetzung am Kochen, die der Bundesvorstand bereits begraben hat. Bei der Führung beider Parteien sind sie so verhasst, weil sie der lebendige Beweis dafür sind, dass die Fusion kein Selbstläufer ist, sondern eine inhaltliche Herausforderung, an der auch die PDS nicht vorbeikommt. Berlin mahnt immer wieder: Wenn die Fusion bestimmte politische Mindestvoraussetzungen nicht erfüllt, wird sie ein Flop – und es wird viele geben, die sie nicht mitvollziehen. Sie sind damit nur die Speerspitze einer breiten Strömung in der Partei, die inhaltliche Anforderungen an eine neue Partei hat.
In den letzten beiden Monaten haben sich in LPDS und WASG zwei Strömungen herausgebildet, die auf unterschiedliche solche Anforderungen formulieren. Dabei hat die PDS-Linke, die nach dem Geraer Parteitag keine hörbare Stimme mehr hatte, entdeckt dass sie in der WASG Verbündete finden kann. Ihr Interesse an einer schnellen Fusion und Zusammenarbeit mit der WASG-Linken ist ausgeprägt – sichtbarer Ausdruck davon ist das Manifest "Für eine antikapitalistische Linke", das von über 500 Mitgliedern aus beiden Parteien, darunter einer Reihe von Abgeordneten, unterzeichnet worden ist (hier der Einfachheit halber "Berliner Kreis" genannt).

Kassel

Demgegenüber hat sich an der Berlinfrage und dem innerparteilichen Umgang damit eine kritische Strömung innerhalb der WASG herausgebildet, die ganz ähnliche inhaltliche Kritikpunkte wie der Berliner Kreis vorträgt, aber von einer anderen Warte aus: Für viele davon bedeutet die Fusion mit der PDS eher, dass der neue Aufbruch, der mit der WASG versucht wurde, wieder zertreten wird. In diesem Kreis, der Einfachheit halber nach dem Ort seiner ersten Zusammenkunft "Kasseler Kreis" genannt, gibt es daher eine Tendenz, Anforderungen an die neue Partei als Sollbruchstelle zu definieren und in Abgrenzung gegen die befürchtete Vereinnahmung vor allem eine eigenständige Identität herauszubilden.
Inhaltlich bleibt die Arbeit an der Definition dessen, was der politische Mehrwert einer Parteineugründung gegenüber einer einfachen Ausweitung der PDS sein kann, durchaus noch zu leisten.
Das Treffen in Kassel versammelte am 20.Mai etwa 280 Menschen. Es stand noch unter dem Eindruck der Beschlüsse des Bundesparteitags und verfolgte das Ziel, eine Front gegen die in Ludwigshafen beschlossenen administrativen Maßnahmen aufzubauen. Die demoralisierende Wirkung dieser Beschlüsse war durchaus spürbar: der Glaube, es könne aus dem Fusionsprozess noch etwas Vernünftiges herauskommen, hat dadurch einen deutlichen Knick erfahren – was im Übrigen der erstmals rückläufigen Mitgliederzahl der WASG entspricht (sie liegt derzeit bei 11600).
Dennoch gelang es, am Ende einstimmig eine Erklärung zu verabschieden, die die Ablehnung administrativer Maßnahmen in den Mittelpunkt stellte. Ausdrücklich enthält sie keine inhaltliche Wertung des Berliner Wahlantritts – der Kreis will auch für jene offen sein, die diesen für falsch halten. Im Übrigen waren auch in Kassel die Meinungen darüber geteilt. Nicht alle jedoch stellen ihr Handeln eindeutig in den Rahmen des anstehenden Fusionsprozesses – und das ist eine Hypothek, die eine Klärung erfordert.
In Berlin ging man weniger souverän mit der Berlinfrage um. Obwohl das Manifest schon im Vorfeld als kleine Broschüre kursierte und prominente Unterschriften trägt, ging von dem Treffen am 10.6. keine Signalwirkung aus. Im Gegenteil, man war merkwürdig bemüht, sich möglichst unsichtbar zu machen. Man tagte ganze zweieinhalb Stunden, die an eine gut besuchte Veranstaltung von Solid angehängt wurden, die wiederum im Nachklapp zum Landesparteitag der LPDS stattfand – als äußerstes Ende des Rattenschwanzes sozusagen.
Die Formulierung eigener programmatischer Positionen hat dieser Kreis den Kasselern durchaus voraus, doch kam das Manifest gar nicht zum Zuge, weil es in letzter Minute durch eine "Erklärung" ersetzt wurde, deren Sinn und Zweck im Unklaren blieb. Zu allem Überfluss wurde den Anwesenden – darunter viele Berliner WASGler – noch eine Abstimmung über eine Passage aufgenötigt, die eine Distanzierung von den Berlinern enthielt – obwohl diese Frage nach dem Spruch des Landeswahlleiters längst gegessen ist und ihr Ergebnis mit Fug und Recht "ausgesessen" werden kann.
Diese Mehrheitsabstimmung hinterließ einen schalen Geschmack und weckt ihrerseits den Verdacht, der Wille zur Zusammenarbeit mit den Kasselern sei jedenfalls nicht ungeteilt. Eindeutig kann man dies von der KPF sagen, die als loyale Opposition Ihrer Majestät die größten Schwierigkeiten damit hat, dass es in der WASG Strömungen gibt, die für ihre linken Positionen streitbar eintreten und den von der PDS vorgegebenen Rahmen nicht um jeden Preis akzeptieren.

Berlin

Der Hund liegt in der PDS begraben – besser gesagt in den Teilen der Partei, die ihre Daseinsberechtigung mit der Präsenz in Parlamenten und Regierungen erfüllt sehen – und davon leben. Der autoritäre Umgang mit den Berlinern geht zu großen Teil auf starken Druck aus der LPDS zurück, die um jeden Preis eine Kandidatur links von sich zu verhindern suchte – aus Angst, dies könne sie um den Wahlsieg im September bringen. Ironischerweise bringen (bürgerliche) Wahlumfragen an den Tag, dass die LPDS zu weiten Teilen ein anderes Wahlklientel anspricht als die WASG – weshalb ein Antritt oder Nichtantritt der Letzteren am Abschneiden der LPDS kaum etwas ändern würde.
Sahra Wagenknecht hat auf dem Linkentreffen in Berlin den Vorwurf erhoben, der eigenständige Wahlantritt der Berliner WASG würde die Linke in der PDS schwächen. Der Vorwurf reicht weiter als die Berlinfrage. Er betrifft jede Position, die sagt: Eine Fusion zum Nulltarif kann es nicht geben, die neue Partei muss sich weit deutlicher als die PDS als antikapitalistische Oppositionspartei positionieren. Das betrifft nicht allein die Frage der Regierungsbeteiligung, sondern auch solche Punkte wie Gysis Bekenntnis zum Patriotismus, die Haltung zur EU-Verfassung, zu den Migranten, zum Verständnis von Partei und Bewegung usw. Es muss ein realer Parteineugründungsprozess werden, nicht eine Einigung der beiden bisherigen Parteispitzen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner.
Das Problem ist, dass die PDS einen solchen Neuanfang nicht will und ähnlich wie in Berlin alles daran setzen wird, ihn zu verhindern. Sie kann sich die neue Partei nur als Beitritt der WASG zur PDS vorstellen. Und dies hat einen einfachen Grund: Vor jedem politischen Argument liegt das undurchsichtiges Parteivermögen und seine Bindung an die Rechtsnachfolge der SED wie ein Felsbrocken, der den Weg zu Neuem versperrt. Der Berliner Kreis muss klären, ob ein parteipolitischer Neuanfang sich mit einer solchen Hypothek belasten kann.

03-07-2006, 19:00:00 |Angela Klein