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Ägypten: 18 Tage, die die Welt erschüttern

Angela Klein

Das Anfang Januar noch Undenkbare – der Sturz des ägyptischen Diktators Hosni Mubarak – hat selbst die überrascht, die ihn herbeigeführt haben. Trotzdem kam er nicht aus heiterem Himmel, sondern hat eine mehrjährige Vorgeschichte. Es ist nicht der Anfangspunkt einer Bewegung, sondern Kulminationspunkt einer Vielzahl verschiedener Oppositionsbewegungen, die buchstäblich auf dem Tahrir-Platz zusammengeflossen sind und dort gemeinsam für ein Fünf-Punkte-Programm gekämpft haben. Dadurch hat die Bewegung eine neue Qantität und Qualität erreicht. Was sind das für Bewegungen, aus denen diese Revoluton sich speiste? Wer ist die Opposition?

03.03.2011

In einem Interview mit dem Internet-Portal The Real News arbeitet der Student der Politikwissenschaften an der Universität Kairo, Mohammed Ezzeldin, «im wesentlichen drei Phasen der Opposition gegen das Mubarak-Regime» heraus. Den Anfang sieht er 2004 in der Kifaya-Bewegung mit ihrer berühmten Parole: «la lil-tamdid, la lil-tawrith» (keine Verlängerung für Mubarak, keine Übergabe [der Macht] an Gamal). Diese Bewegung forderte erstmals umfassende politische Reformen.
Die Kifaya-Bewegung

Die «Ägyptische Bewegung für den Wandel» Kifaya (etwa: «Es reicht!») wurde 2004 als Protestbewegung gegen die Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten gegründet. Danach trat sie vor allem mit ihrem Ruf nach politischen Reformen in Erscheinung. Zusammen mit der liberalen Partei Al-Ghad und den Muslimbrüdern fordert sie seit den Präsidentschaftswahlen 2005 freie Wahlen und die Aufstellung mehrerer Kandidaten. Kifaya ist eine sehr heterogene, bürgerlich-liberale Bewegung, in der sich Nasseristen, Sozialisten, Liberale, Nationalisten und Sympathisanten der Muslimbrüderschaft zusammenfinden.
Auf ihrer Webseite (www.harakamasria.net) findet sich folgende Selbstdarstellung (Auszug):
«Wir sind ägyptische Bürger, die bei all ihren unterschiedlichen politischen, intellektuellen und beruflichen Ausrichtungen darin übereinstimmen, dass unsere Nation gegenwärtig großen Gefahren und Herausforderungen gegenübersteht. Da sind vor allem die amerikanische Besatzung des Irak, die andauernde zionistische Aggression gegen das palästinensische Volk sowie die Projekte zur Neugestaltung der Landkarte unserer arabischen Heimat wie das Greater-Middle-East-Projekt. Weil all das unseren nationalen Zusammenhalt bedroht und unsere Identität in Frage stellt, müssen alle Kräfte zusammengenommen und darauf konzentriert werden, [diesen Gefahren] politisch, kulturell und auf der Basis unserer Zivilisation umfassend zu begegnen.»
Die Bewegung fordert die direkte Wahl des Präsidenten und seines Stellvertreters, eine Begrenzung seiner Amtszeit auf zwei Perioden, Gewaltentrennung, die Freiheit zur Gründung von Parteien und Vereinigungen sowie zur Herausgabe von Zeitungen, freie Gewerkschaften und freie, nicht manipulierte Wahlen. Bei den Wahlen 2005 gewann sie eine gewisse Stärke – die Opposition zog damals mit fast hundert Abgeordneten (von 440) in das Parlament ein –, das beflügelte die Hoffnung der Bevölkerung auf einen Wandel.

Die Streikbewegung

2004 setzte auch eine Streikwelle ein: Sie erfasste verschiedene Wirtschaftssektoren, Industriearbeiter ebenso wie Angestellte im Staatsdienst. Im Dezember 2006 wurde die Stadt Mahalla von der größte Streikwelle seit 1946 ergriffen; Mahalla ist ein Zentrum der Textilindustrie. Die zweite Streikwelle folgte dort im September 2007, sie dauerte sechs Tage. Ein Streik in Kafr al-Dawwar im Februar 2007 dauerte ebenfalls mehrere Tage, und ein Streik in der Textilfabrik von Abu-Makaram in der Stadt Sadat dauerte drei Wochen. Gegen die regierungsnahen Gewerkschaften gründeten die Streikführer von Mahalla den «Bund der Textilarbeiter».
Der Streik von 30000 Textilarbeitern in Mahalla 2008 gegen die «Brotkrise» wurde jedoch zum Katalysator der Revolte; daraus entstand ein stadtweiter Aufstand gegen das Regime. Plakate mit dem Bildnis des Rais (Herrschers) wurden heruntergerissen und zerstört. Der Aufstand wurde von der Sicherheitspolizei niedergeschlagen; der offizielle Gewerkschaftbund ETUC stand auf der Seite des Regimes. Auch die Parteien der legalen Opposition wie die Muslimbrüder und die Tagammu-Partei unterstützten die Streikbewegung nicht und blieben der sich daraus entwickelnden Demokratiebewegung fern.
Der Aufstand hatte im Land ein enormes Echo; Gewerkschaften riefen zum Generalstreik auf und eine Gruppe von Jugendlichen beschloss, eine Facebook-Seite aufzumachen und darüber für den Streik zu mobilisieren. Er wurde massiv befolgt. Mubarak war gezwungen, eine Anhebung des Mindestlohns zu versprechen.
Im Gefolge dieser Bewegung gründeten die Steuerbeamten eine unabhängige Gewerkschaft. Und es bildete sich die Jugendbewegung 6. April. Sie übernahm nun die Führung im Kampf gegen das Regime – bis hin zu den Ereignissen auf dem Tahrirplatz.

Die Gruppe 6. April

Was die ArbeiterInnen nicht zuwege brachten, nämlich eine Koordination zwischen den verschiedenen Aktionszentren, schafften die Jugendlichen über die sog. sozialen Medien. Sie popularisierten die Forderungen der Streikenden und bündelten sie in der Hauptlosung: "Nieder mit dem Regime!" - Hier Auszüge aus einer Selbstdarstellung:
«Wir, die Jugend des 6. April, glauben, dass Wandel und Reformen in Ägypten nicht durch Forderungen und Petitionen herbeizuführen sind. Wir werden sie nur bekommen, wenn wir wirkliche Alternativen und den Weg für eine politische, wirtschaftliche und soziale Erneuerung aufzeigen. Wir glauben, das geht nur, indem sich die Jugend in Bewegung setzt, denn sie ist es, die von den kommenden Veränderungen profitieren wird, sie macht mehr als 60% der Bevölkerung aus. Die Jugend, das ist die Führung von morgen und die Energie von heute.
Wir rufen nicht auf, eine neue Organisation oder Partei zu bilden. Wir rufen alle Ägypter auf, zu einem einzigen Zweck zusammen zu kommen: die Aufrüttelung der Bevölkerung, um Schluss zu machen mit Unterdrückung, Korruption und Despotismus.»

Das Feuer an der Lunte

Es gab also drei Momente, drei Quellen, aus denen sich die revolutionäre Bewegung speiste.   Es bedurfte dann nur noch eines Funkens, um den Steppenbrand auszulösen. Solcher gab es mehrer: Im Juni 2010 explodierte die Jugendbewegung infolge der brutalen Ermordung von Khaled Saeed. Khaled war Student an der Universität Alexandria gewesen, er wurde auf der Straße von Polizeiinspektoren totgeschlagen. Eine Internetseite wurde aufgemacht mit dem Namen «Wir sind alle Khaled Saeed». Über sie kommunizierten vor der Revolution 450.000 vorwiegend junge Leute. Es bildete sich ein neues Prinzip der dezentralen Organisierung mit Minimalkonsens heraus.
Die Jugendlichen erwartet, selbst am Ende eines Studiums, die Arbeitslosigkeit; außerdem muss sie sich täglich einer Polizei erwehren, die sie ihre Willkür und ihre Brutalität spüren lässt (wie es auch den jugendlichen Migranten in den Vororten von Paris passiert). Sie spürt, dass ihr Land und ihre Zukunft von einer gewalttätigen und raffgierigen Clique belagert wird, derer sie sich entledigen muss, will sie eine Chance haben. Die Wahlen im November 2010 waren begleitet von offenen, obszönen Wahlfälschungen und terroristischen Akten der Polizei, die die Wähler einschüchterte. Die Oppositionsgruppen hatten keine Chance mehr, ins Parlament zu kommen.
Der letzte Funke war die Selbstverbrennung von Mohammed Bouazizi in Tunesien und der darauf folgende Sturz der Regierung Ben Ali. Mit einem Mal hatten die Menschen ihre Angst vor der Repression und der Brutalität der Diktatur überwunden. Tunesien war der Dammbruch, und das Vehikel waren alternative Kommunkationskanäle im Internet, sei es der Fernsehsender Al Jazeera, der, finanziert vom Emir von Katar, auf der Seite der Bewegungen berichtet und Bilder, Interviews, O-Töne und Kommentare aus den verschiedenen arabischen Ländern liefert; seien es Netzwerke wie Facebook, Blogs u.a., die der direkten Kommunikation untereinander dienen.
Das Internet hat für diese Revolution dieselbe, wenn nicht eine größere Rolle, gespielt wie das Fernsehen und die Bilder von My Lai für die Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Denn die staatlichen Medien sind ein reines Verlautbarungsorgan der Regierung. Unter Mubarak gab es keine freie Presse, Journalisten lebten gefährlich, wurden verhaftet und gefoltert – und dies bis zu den letzten Tagen auf dem Tahrir-Platz.

Quelle: SOZ