Abkommen EU mit der Ukraine – Kolonialismus in Reinkultur
Der Konflikt innerhalb der Ukraine und mit der EU eskalierte, als sich der ukrainische Staatspräsident im November 2013 auf dem EU-Gipfel in Vilnius unerwartet erdreistete, dem bis dato vorgeschlagenen Assoziierungsabkommen mit der EU seine Unterschrift zu verweigern. Was enthält das Abkommen? In seiner gesamten Länge ist es nicht verfügbar – angeblich umfasst es 1.500 Seiten. Im Netz finden sich Auszüge. Jozsef Böröcz von der Internet-Seite „Left East“ hat sie durchgesehen und die wichtigsten Aspekte zusammengetragen…
30.04.2014
Der Konflikt innerhalb der Ukraine und mit der EU eskalierte, als sich der ukrainische Staatspräsident im November 2013 auf dem EU-Gipfel in Vilnius unerwartet erdreistete, dem bis dato vorgeschlagenen Assoziierungsabkommen mit der EU seine Unterschrift zu verweigern. Was enthält das Abkommen? In seiner gesamten Länge ist es nicht verfügbar – angeblich umfasst es 1.500 Seiten. Im Netz finden sich Auszüge. Jozsef Böröcz von der Internet-Seite „Left East“ hat sie durchgesehen und die wichtigsten Aspekte zusammengetragen. Daraus geht hervor: Ein Kernelement des Abkommens ist die «Tiefe und Umfassende Freihandelszone», alles andere ist dem untergeordnet. Was beinhaltet sie? Nun, im wesentlichen dreierlei:
1. Die Aufhebung aller Zölle und anderen Handelshemmnisse im Handel mit der EU: Es heißt: «Die Freihandelszone wird, verbunden mit dem breiteren Prozess einer rechtlichen Angleichung, zu einer weiteren Integration in den Binnenmarkt der EU beitragen. Das schließt die Beseitigung so gut wie aller Zölle und Handelshemmnisse ein auf den Gebieten des Handels mit Waren, Dienstleistungen und der Investitionen (insbesondere im Energiesektor). Wenn die Ukraine den relevanten Acquis (Besitzstand) der EU übernommen hat, wird die EU ihr Marktzugang z.B. in Bereichen wie Dienstleistungen oder Industriegüter gewähren.» Dafür verspricht die EU, dass die Beseitigung der Zölle und Handelshemmnisse «wirtschaftlichen Akteuren auf beiden Seiten Ersparnisse von rund 750 Millionen Euro durchschnittlich pro Jahr bringen» wird.
Böröcz hat einen Blick auf die bisherigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Ukraine geworfen, sie sind extrem unausgeglichen. (… ) Ukrainische Investitionen in der EU belaufen sich auf 2 Mrd., solche aus der EU in der Ukraine auf 23,8 Mrd., was ein Defizit von 21,9 Mrd. Euro bzw. ein Verhältnis von 1:11 ausmacht. Angesichts dieser Relationen und angesichts der Tatsache, dass das Gewicht der ukrainischen Wirtschaft 40mal schwächer ist als das der EU kann man sich unschwer vorstellen, zu wessen Gunsten sich die Aufhebung der Zölle und Handelshemmnisse auswirken wird.
2. Die Liberalisierung der Investitionen: Investitionen sollen «vor allem im Energiesektor» erfolgen. «Durch die Nachbarschaftsinvestitionsfazilität (NIF), zu der die Ukraine Zugang hat, können Investitionen der Internationalen Finanzinstitute gehebelt werden. Die NIF ist dazu da, zusätzliche Mittel zu mobilisieren, um die Investitionsbedürfnisse der Ukraine für die Schaffung von Infrastruktur in Bereichen wie Transport, Energie, Umwelt und Soziales (etwa Schulen oder Krankenhäuser) zu decken.» Da keinerlei Ausführungen gemacht werden über die näheren Bedingungen dieser Investitionen, kann man dieses Investitionsprogramm getrost als ein Verschuldungsprogramm lesen.
Da die Ukraine sich zudem dem Regelwerk der EU unterwerfen muss, indem es ihren «Besitzstand» übernimmt, verpflichtet sie sich, sämtliche Mechanismen zum Schutz der eigenen Industrie und vor unfairem Wettbewerb niederzureißen und ihre Wirtschaft schutzlos einer um Längen produktiveren und kapitalkräftigeren Konkurrenz auszuliefern, die sich nur die Rosinen herauspicken wird und sich um die Entwicklung des Landes weiter nicht schert.
Das ist Kolonialismus in Reinform – erzwungen nicht durch die Gewehrläufe von Soldaten, sondern durch die schwere Artillerie der niedrigen Preise und des überschüssigen Kapitals.
3. Personenfreizügigkeit? Fehlanzeige. Die Aufnahme der Ukraine in die Schengenzone und damit die Aufhebung des Visazwangs sowie die Freiheit der Niederlassung, der Arbeitsaufnahme und des Studiums in ihrem eigenen Bereich stellt die EU nur in äußerst vagen Worten in Aussicht, die sie zu nichts verpflichten: Sie «anerkennt die Bedeutung der Einführung eines visafreien Reiseverkehrs für die Bürger der Ukraine zur gegebenen Zeit, sofern die Bedingungen [dafür] geschaffen sind». Fürs erste wird es also nicht einmal Visaerleichterungen geben, von der Aufhebung der Visumspflicht ganz zu schweigen. Die Personenfreizügigkeit muss warten, erst ist der freie Kapitalverkehr dran.
Last but not least: Das Abkommen stellt den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine keineswegs eine Mitgliedschaft in der EU in Aussicht. Das Wort «Mitglied» kommt in dem Text nur einmal vor, da bezieht es sich auf die Mitgliedschaft in der WTO. Die Ukraine wird kein Mitglied der EU werden, jede Hoffnung darauf ist auf Sand gebaut.
Angela Klein (aus: SOZ, März 2014)