Von Amstetten zur Erbsünde und retour
Kurt Hofmann
Wer braucht einen wie F. aus Amstetten? Wozu brauchen sie ihn? Als vorzeigbares MONSTER, als Ausnahmefall. Der sich nur zufällig im schönen Österreich ereignet hat.
21.06.2008
I
Das Monster
Da steht es, das Monster, grinst UNS an und hat doch mit UNS ebenso wenig zu schaffen wie der kleine schnauzbärtige Schreihals auf dem Heldenplatz vor siebzig Jahren: Denn WIR sind Mozart, heißen seit kurzem auch Oscar, leben auf der Insel der Seligen und beglücken die Welt mit UNSEREM Charme. Hier rollt das runde Leder (wenn auch meist unaufhaltsam in Richtung UNSERES Tores) und der Rubel auch, wenn die Russen kommen, diesmal sehnlichst erwartet. Ihr Sportfreunde aus allen Ländern Europas, seid UNS willkommen, füllt Eure Gläser, leert Eure Brieftaschen, stellt Eure Fragen (soferne sie nicht despektierlich sind) und erzählt UNS über Eure seltsamen Sitten und Gebräuche.
Vierzehn Kinder hatte auch weiland die Kaiserin Maria Theresia in die Welt gesetzt, wozu also nach Amstetten blicken, wenn Sie Schönbrunn besuchen und bewundern können. Unterlassen Sie diese anzüglichen Bemerkungen, Sie sind hier zu Gast, WIR steigen allenfalls in den Keller hinab, um den Wein zu holen, mit dem WIR Sie bewirten. WIR haben nichts zu verbergen.
Halt! Was suchen Sie da unter UNSEREM Teppich?
II
Die Erbsünde
Am 1. Mai sprach der damalige sozialdemokratische Parteivorsitzende zu seinen GenossInnen und erzählte über die Erbsünde. Da der Kalender 2008 für dieses Datum ausnahmsweise auch einen hohen Katholischen Feiertag vermeldet, ist vorstellbar, dass, wie aus zahlreichen Horrorfilmen bekannt, unter Beibehaltung der äußeren Hülle ein Körpertausch stattgefunden hat. So hat der Kardinal dann wohl den Frommen im Stefansdom eine Predigt über den Kampftag der ArbeiterInnenklasse (oder zumindest über die zweite Gusi-Starktlar-Tour) gehalten ...
Verbürgt ist jedenfalls die Erbsünden-Warnung des Parteivorsitzenden. Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: „Wir werden nicht zulassen, dass unserer Jugend eine neue Erbsünde angedichtet wird.“ (Alfred Gusenbauer, 1.5.08, Rathausplatz) Was will uns der Vordenker der Nation damit sagen?
Reden wir also über die Erbsünde und bemühen dabei die christliche Mystik: Adam und Eva leben im Paradies und haben von Jahwe das strikte Verbot erhalten, die Früchte des Baumes in der Mitte des Gartens Eden zu essen. Von der listigen Schlange verführt, missachten sie die göttliche Vorschrift und werden zur Strafe aus dem Paradies vertrieben.
Freilich haben sie vom Baum der Erkenntnis gegessen und verfügen nun über ein eigenes Bewusstsein: „Dann sprach Gott, der Herr: Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse.“ (Genesis 3, 1-24) Adam und Eva sind zwar sterblich, vor allem aber selbstverantwortlich und unabhängig geworden.
Ernst Bloch resümiert: „Was vom Baum der Erkenntnis zu essen lehrte, bleibt demgemäß die erste Erscheinung des erlösenden Wissens, das aus dem Garten der Tiere, ja aus dem entsetzlichen Vaterhaus dieser Welt hinausführt: die Paradiesschlange ist die Raupe der Göttin Vernunft.“ (Ernst Bloch/Das Prinzip Hoffnung, S.1498, suhrkamp, tb Wissenschaft)
Die Übertretung des göttlichen/väterlichen Gebotes wird also (durch die Vertreibung aus dem Paradies und die dem Menschen laut christlicher Lehre bis ins letzte Glied anhaftende Erbsünde) sanktioniert, ist zugleich jedoch ein emanzipativer Akt.
Welchen Platz hat in diesem Bild der entsetzliche Vater F., welcher wohl „verbotene Früchte“ isst, doch sonst die Autorität symbolisiert, deren Willen zu missachten, befreiend (gewesen) wäre? Zur Befremdlichkeit der Verwendung eines biblischen Bildes bei der 1. Mai-Rede des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden kommt dessen fälschliche Nutzanwendung hinzu, wobei noch angemerkt werden sollte, dass ein autoritativer Akt nicht durch Dritte „angedichtet“, also künstlich hergestellt werden kann.
III
Bei uns daheim
Kaum schwimmt eine Fliege in unserer guten Bouillon nach Hausmannsart, schon wollen uns DIE ANDEREN wieder in die Suppe spucken. Aber nicht mit UNS: Prompt schlägt Pawlows Hund an und auf die Frage nach weiteren Opfern zu den bekannten sieben strecken sieben Millionen eine Hand in die Höhe.
Alleweil wir, warum nicht DIE ANDEREN? Was für eine Idee, wir könnten unsere Probleme nicht alleine lösen. Erst die Ursachenforschung: „Worum es geht, was die wirkliche Ursache meiner Einschätzung nach ist: Es gibt das Böse in der Welt!“ (Wolfgang Schüssel in der Parlamentsdebatte am 7.5.08) Dann die Strafbemessung: „... da sag´ ich, zumindest das Doppelte von dem, was er dem Opfer angetan hat, zumindest das Doppelte von vierundzwanzig Jahren...“ (H.C. Strache ebdt.) 48 Jahre Haft für Herrn F.: danach ist dieser dann stolze 121 Jahre alt, eine Lebenserwartung, die selbst Johannes Heesters vor Neid erblassen lässt... Oder so: „Natascha Kampuschs Entführer hat wohl das Richtige getan, indem er sich umgebracht hat. Obwohl ich dies nicht dem Täter raten möchte.“ (Hans Dichand im Gespräch mit Nadia Weiss; Live 15/08, S.74) Besser wär´s, Herr F., aber ich hab´ Ihnen den Rat nicht gegeben: da spricht der Humanist, nicht zufällig Herausgeber der erfolgreichsten Tageszeitung Österreichs. Und erst UNSERE Experten (es gibt nur drei und alle rufen sie, nachdem das Bellen von Pawlows Hund erklungen ist, unisono – wie schon bei Fuchs, Prikopil und anderen: EINZELTÄTER!) Und erst deren wissenschaftlich fundiertes, analytisches Herangehen: „Sein Reich: Dass war das Reich des Dunkeln, des Bösen. Die offene Frage ist noch: Wo fühlte er sich mehr zuhause? Unten im Dunkeln oder oben im Licht? (....) Das Dunkle, ein Symbol für die Hölle (...) Sein eigener Abgrund, das Diabolische, Wollüstige, Sadistische. In der Welt im Keller war er der Fürst dieser Dunkelheit.“ (Der Experte spricht/Gutachter Reinhard Haller im NEWS-Interview; NEWS 19/08, S.22-24)
Das heißt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Unerlässlich für eine funktionierende Demokratie ist auch die freie Presse. Da ist kein Foto, das nicht auch gezeigt, kein privater Brief, der nicht auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, keine Platitude, die nicht auch Verwendung findet. All dies ist notwendig und zum Besten aller unvermeidlich: „Es gibt nur einen Ton, und die Konsequenz von Blatt und Welt muß in jeder Minute und in jeder Zeile nachzuweisen sein. Das Blatt spricht aber auch wie die Familie, weil die Welt wie die Familie spricht und die Familie wie die Welt. Es gibt nur einen Ton, und das ist der Ton der Leute, die besorgt sind, weil die Leute noch nicht versorgt sind, und es gibt nur einen Standpunkt zu den Ereignissen und der lautet: ss...! oder, wenn es große Ereignisse sind: ...tt!“ (Karl Kraus/Der Ton; Die Fackel, 5.12.1912)
IV
Humus
Alles ist Zufall, auch dass da wächst und gedeiht, was sich eben so nur auf dem Humus historisch gewachsener autoritärer Strukturen entwickelt.
Einer wie F. kommt wie bestellt, um vom Alltag der Gewalt hinter der blütenweiß gestrichenen Fassade des „klassischen“ Familienmodells abzulenken. Der „Übergriff“ gegen Frauen, Kinder ist rasch „passiert“, es dauert lange, bis es Reaktionen gibt und sei es nur in der Form, das Problem anzusprechen. Das Monster, das Böse, der Satan: den Teufel aber muss man austreiben und die Beschwörungsformeln der Exorzisten lauten: der da gehört nicht zu UNS, so einer kommt aus dem Nichts und beschmutzt UNSER NEST.
Die offizielle Aufregung über Herrn F´s Untaten ist deshalb so groß, weil er, der missratene Zwillingsbruder im Spiegel, das personifizierte Scheitern der Propaganda der Rechten und des Boulevards ist. Einspirrn´ und Dunsten lassen, Überwachung rund um die Uhr: Nichts anderes hat Herr F. in den letzten Jahrzehnten praktiziert. Was da als Anti-Verbrechen und Anti-Terrorrezept beworben wurde und wird, hat der Geiselnehmer F. in einem vierundzwanzigjährigen Terrorakt ungehindert durchgeführt und dabei wohl mehr Schaden angerichtet als der kürzlich zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilte Selbstdarsteller und Wichtigtuer der „Internet-Al Kaida“. In einem Land, wo man es als Kinderfreund auch bis zum Erzbischof bringen kann und Missbrauchsdelikte vorwiegend im geschützten Bereich der Familie „passieren“, immer noch die Schauermär vom hinter einem Busch im Park versteckten „unbekannten“ Unhold, vorzugsweise migrantischen Ursprungs, als Wahlkampfschlager zu missbrauchen, ist nicht nur leichtfertig, sondern schändlich.
So offenkundig der Bankrott der Parolen des Boulevards (und erst recht der krakeelenden Rechten) auch ist, so unübersehbar war zum anderen das Befehl-Gehorsam-Verhältnis zwischen dem Kleinformat und der „großen Politik“ in der Parlamentsdebatte über den Fall F.: Aufgereiht wie Pappkameraden machten da alle ihren Kotau (selbst die Grünen waren lediglich auf Schadensbegrenzung in Form einer moderaten Differenzierung bedacht, ohne die „Generallinie“ aus den Augen zu verlieren) und folgten dem vorgegebenen Szenario aus der Muthgasse, das da lautete:
1. Österreich, die verfolgte Unschuld, hat mit alledem nichts zu tun, das müsse das Ausland/DIE ANDEREN begreifen, sowie
2. Die Verschärfung des Strafrechts diene der Gerechtigkeit, das sei man den gegenwärtigen Opfern schuldig, selbst wenn es allfälligen zukünftigen Opfern kein Jota weiterhelfe.
Da hörte man kaum (oder nur beiläufig, der „guten Ordnung halber“) den Verweis auf hierarchische Familienverhältnisse, überholte Modelle des Zusammenlebens, Gewalt gegen Frauen und Kinder (und welche Schlüsse daraus zu ziehen wären) oder über das Dumpfe, Gleichförmige in ländlichen „Idyllen“, das Widerstrebendes unter einer Glasglücke begräbt.
Herr F., ein Freund von Herrenwitzen und guter Nachbarschaft über Gartenzäune hinweg, welcher sich überraschender- und enttäuschenderweise als abgründig erwiesen hat, ist bald passé – was ihn hervorgebracht hat, wird nicht hinterfragt.
Die Zukunft hat begonnen: Für die geschäftsmäßig hauptzuständige Partei in Sachen Moral führt sie konsequent in die Vergangenheit und gipfelt in der Forderung nach weniger Steuer für mehr Kinder (noch vor wenigen Wochen wäre Herr F. ein role model dafür gewesen).
Der zukünftige Volkskanzler aber wird öffentlich für seine gelegentlichen Scherze gerügt, so als wäre Sudern im österreichischen Alltag nicht außerordentlich populär und Rundum-Anwesenheit am Arbeitsplatz eine Ersatzlösung für Kreativität und Effektivität.
Bedenklicher und zugleich bezeichnend für die Alleinherrschaft des Boulevards war Gusenbauers vielzitierter Haider-Scherz von etwas mehr als zwei Jahren. Am 20.1.2006 ist Gusenbauer in Reutte eingeladen und referiert u.a. über den Wahnwitz der Haider’schen Ortstafelpolitik: „Haider läuft nur noch frei herum, weil wir in Österreich die offene Psychiatrie haben“ sagt er. Abgesehen vom Faktischen (natürlich hat Österreich keine offene Psychiatrie im Sinne Basaglias) trifft die Pointe des Gusi-Witzes kaum Haider, sondern die „Offene Psychiatrie“. Übersetzt ins Volkstümelnde: „… weil die Irren bei uns frei herumlaufen (können), statt in Gummizellen gesperrt zu werden.
Hier arbeitet einer, der einmal Volkskanzler werden will, mit großem Einsatz an der Lufthoheit über die Stammtische.
Da ist es, das Echo des kleinen Formats in der Politik mit dem großen Horizont. Gestern Reutte, heute der Rathausplatz: Wer dem Volk beständig auf’s Maul schaut, den stört auch der Geifer in dessen Mundwinkel längst nicht mehr.
Es ist, wie es ist, in diesem schönen Land.