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ÖGB und Bawag: Filz und Schachtel

Hermann Dworczak

Der Frust ist groß. In den letzten zwei Monaten hat der ÖBG 8.000 Mitglieder verloren. Nach 30–40 Jahren Betriebsarbeit treten Mitglieder aus, die nur noch sagen: Macht euren Scheiß alleine. Der Imageschaden ist enorm. Forderungen nach Auflösung des ÖGB oder nach einem "Scherbengericht" über seine Führungsriege geraten gefährlich in die Nähe von Tendenzen des Unternehmerlagers, die Krise der ÖGB zu einer nachhaltigen Schwächung der Gewerkschaftsbewegung auszunutzen. Die Spekulationsgeschäfte der Bawag und die Übernahme ihrer Schulden durch den ÖGB stellen die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften und ihre bisherige Struktur in Frage.

24.04.2007

Die finanziellen Verluste und die daraus folgenden Einschnitte sind so groß, dass es mit einer "Reform" im Sinne von Lösungen für Einzelfragen nicht getan sein wird. Jetzt kommt alles auf den Tisch, was sich in den letzten 50 Jahren an Unzufriedenheit über die strukturellen Schwächen des ÖGB angestaut hat. Die Linke ist gefordert, zur Lösung des Gesamtproblems beizutragen, sie darf sich nicht auf die Partikularinteressen ihrer kleinen Zusammenhänge zurückziehen. Umfassende Antworten und gemeinsames Handeln sind gefragt.

Die Bawag

1922 hat Karl Renner die "Arbeiterbank" gegründet. Sie war Teil der Wirtschaftsbetriebe, die die sozialdemokratische Arbeiterbewegung neben den Organisationsformen Partei und Gewerkschaft herausgebildet hat, zu denen auch Konsumgenossenschaften, Kleingartenanlagen, Wohnsiedlungen, Ferienheime u.a. gehörten. Ihre Aufgabe war, an Lohnabhängige, Erwerbslose u.a. zinsgünstige Kleinkredite zu vergeben. Ab 1934 wurde sie unter Staatskuratel gestellt. Nach 1945 fiel sie an die Gewerkschaftsbewegung zurück. 1963 wurde sie in Bawag umbenannt, baute ein dichtes Filialnetz auf und wurde zur viertgrößten Bank Österreichs. Jahrzehnte hindurch war ihre Hauptfunktion weiterhin das Privatkundengeschäft der sog. "kleinen Leute". Über die Bawag bekamen Beschäftigte sog. Betriebsrätekredite, womit sie sich eine Genossenschaftswohnung kaufen konnten; die hießen so, weil der Betriebsrat sie vermittelte.
In den 1980er Jahren kam die Bank in den Sog der kapitalistischen Globalisierung. An ihre Spitze kamen nun Leute, die die Bank als rein kapitalistisches Unternehmen führten. Die Versuchung, mit Spekulationen leichtes Geld zu machen, war groß.
In den frühen 1990er Jahren macht ein strebsamer Jung-Banker namens Wolfgang Flöttl an der Wall Street Karriere. Sein Vater, Bawag-Generaldirektor Walter Flöttl, stellt ihm 23 Milliarden Schilling "Spielkapital" aus Bawag-Mitteln zur Verfügung, das der Junior eifrig vermehrt. Als die Sache auffliegt, muss Flöttl 1994 aus den Geschäften aussteigen.
Ein Jahr später steigt Flöttls Nachfolger an der Bawag-Spitze, Helmut Elsner, erneut ins Karibikgeschäft ein. Diesmal laufen die Geschäfte nicht so gut: Bis 2000 fallen erhebliche Verluste an, im Oktober 2000 sorgen Yen- Spekulationen auf einen Schlag für 350 Millionen Euro Verluste. Die Bawag bleibt auf 1,3 Milliarden Euro "Miesen" sitzen.
Bawag-Eigentümer ÖGB springt mit einer Milliarden-Haftung ein, um die Bilanz 2000 zu retten. Teil der Haftung: der ÖGB-Streikfonds. Der Kreis der Informierten (ÖGB-Präsident Verzetnitsch, Bawag-Aufsichtsratsboss Weninger und der Bawag-Vorstand) wird klein gehalten, die übrigen Aufsichtsräte erfahren nichts. Zur Verschleierung der Verluste, die nur schrittweise in der Bilanz untergebracht werden können, setzt die Bawag das Briefkastenkarussell auf der Karibikinsel Aguilla in Gang.
Umfangreiche Geschäfte macht die Bawag unter Elsner auch mit dem US-Broker Bennett und dessen Fondsgesellschaft Refco. Bennett wird 2005 entlassen, weil die Refco-Bilanzen seit 2002 nicht mehr verlässlich sind. Wegen Verdachts auf Wertpapierbetrug wird er vorübergehend verhaftet. Am 14. Oktober des Jahres setzt die New Yorker Börse den Handel mit Refco-Aktien aus.
Im Rahmen der Refco-Pleite fliegen die Karibikdeals der Bawag auf. Refco-Gläubiger suchen Ende April bei einem US-Gericht um die Erlaubnis an, von der Bawag mehr als 1,3 Milliarden US-Dollar (rund 1 Milliarden Euro) einzufordern und beschuldigen die Bank der Beihilfe zum Betrug. Die Klage in den USA wird zunächst abgewendet. Vor dem US- Konkursrichter enden die Verhandlungen mit einem Vergleich: Bawag-Konten mit 1,09 Milliarden Dollar werden am 25.April "eingefroren", die Bank darf aber weiter Geschäfte in den USA betreiben. 158 Millionen Dollar werden sofort, 525 Millionen Dollar nach dem Verkauf der Bawag fällig. Nach Abschluss des Vergleichs wird dem Verkauf der Gewerkschaftsbank nichts mehr im Wege stehen.
Anfang Mai wird ein Paket zur Bawag-Rettung beschlossen. Der Bund gewährt eine bis Juli 2007 befristete Garantie von bis zu 900 Mio. Euro – das bedeutet, dass der ÖGB nun gewissermaßen unter politisches Kuratel gestellt ist. Banken und Versicherungen stellen 450 Millionen Euro Besserungskapital zur Verfügung. Der ÖGB legt gegenüber der Nationalbank den gut gehüteten Streikfonds offen.
Ohne dieses Paket wäre die Bawag-Bilanz 2005 geplatzt. Die Bank wäre unter Aufsicht der Finanzbehörden gestellt worden.
Die Bawag soll verkauft werden. Welcher Preis wird erzielt werden? Wird sie zu einem Dumpingpreis verscherbelt? Doch selbst wenn ein guter Preis erzielt wird, fließt alles sofort in die Bedienung der Verluste.
Die "Reformkommission des ÖGB hat am 24./25.Juni beschlossen, als erstes 70 Millionen Euro einzusparen. Die Struktur der künftigen Reformen wurde nur angerissen – die Stimmung scheint der Position der Metaller (also der rechten SPÖ) zuzuneigen.

ÖGB und Bawag

Gewinne der Bawag sind immer wieder dem ÖGB zugeflossen. Insbesondere die Einnahmeverluste aus den Mitgliederrückgängen seit den 90er Jahren wurden durch Gewinnabschöpfung der Bawag ausgeglichen. Die Bawag hat dem ÖGB jährlich um die 50–60 Millionen rüber geschoben.
Bis 2005 haftete die Bawag allein für ihre Gewinne und Verluste. Im vergangenen Jahr aber übernahm der ÖGB Verluste der Bawag in Höhe von 1,3 Milliarden Euro. Als das vor kurzem rauskam, versuchte der neue ÖGB-Präsident zuerst zu leugnen, dann war er bei der Sitzung anwesend, hat aber nicht unterschrieben, bis der Chef der Fraktion christlicher Gewerkschafter und stellvertretende ÖGB-Vorsitzende, Karl Klein, bekannte: Alle haben davon gewusst…
Die Gesamtsumme, mit der der ÖGB jetzt verschuldet ist, beläuft sich auf rund 2,5 Milliarden Euro.
Das Jahresbudget des ÖGB belief sich 2005 (wie schon in früheren Jahren) auf rund 190 Millionen Euro – seine Mitgliedseinnahmen betrugen aber nur etwa 120 Millionen Euro. Das macht ein Jahresdefizit von 70 Millionen, das im Wesentlichen aus Bawag-Gewinnen gedeckt wurde. Das fällt jetzt weg, der ÖGB ist auch strukturell tief in den Miesen und muss seine Ausgaben drastisch senken.
Daneben besitzt der ÖGB Ferienheime, eigene Betriebe, Beteiligungen (Aktien), Immobilien. Das reicht aber in keiner Weise an das heran, was die Bawag dargestellt hat. Die Regierung fordert, dass dies alles jetzt verscherbelt wird.

Aufgaben und Struktur des ÖGB

Der ÖGB ist eine starke Bundesorganisation. Alle Hauptamtlichen, die für die Gewerkschaften arbeiten (auch die der Einzelgewerkschaften), werden vom ÖGB bezahlt – es sind rund 1.900 (davon 1.500 für die Einzelgewerkschaften) bei 1,3 Millionen Mitgliedern. Die Krise des ÖGB trifft vermittelt auch die Einzelgewerkschaften. Sie kassieren die Mitgliedseinnahmen (nicht der ÖGB) und führen 26% davon an den ÖGB ab, der dafür ihre Personalkosten übernimmt. Sie verfügen über ein eigenes Budget, einige sind arm, andere reich.
Vor allem nach der Niederschlagung des Oktoberstreiks 1950 hat sich im ÖGB mehr und mehr eine undemokratische Struktur herausgebildet: Es gab keine großen Kämpfe mehr, die Entscheidungen wurden in immer kleineren "Herrenrunden" getroffen.
Eine der größten Belastungen ist die Kartellisierung der innergewerkschaftlichen Willensbildung. So werden die Delegierten zum ÖGB- Bundeskongress nach einem komplizierten Schlüssel in Kontingente nach politischen Fraktionen, Branchen und Regionen aufgeteilt. Alle Parteien sind im ÖGB als Fraktionen organisiert – auch die FPÖ, auch die KPÖ. Die Fraktionen bereiten die Sitzungen der Gewerkschaftsgremien auf allen Ebenen vor und sprechen sich untereinander ab – die Plenarsitzung danach zeichnet nur noch auf, was vorher schon besprochen wurde. Rein innergewerkschaftliche Plattformen hingegen, die nicht parteipolitisch orientiert sind, wie die AUGE, haben im ÖGB keinen Fraktionsstatus (die Regelungen in den Einzelgewerkschaften weichen zum Teil davon ab). Mitglieder, die sich keiner Partei zugehören, fühlen damit häufig von der Einflussnahme ausgeschlossen.

Welche Reform?

Es gibt derzeit drei Diskussionsebenen:

  1. Der Bankrott und seine möglichen organisatorischen Konsequenzen (eine davon könnte eine Neugründung des ÖGB sein, nicht im Sinne einer "Rifondazione", sondern um den finanziellen Schaden so gering wie möglich zu halten);
  2. Welche Politik soll der ÖGB machen? (Bruch mit der Sozialpartnerschaft, Öffnung zu neuen Schichten, internationale Orientierung, usw.).
  3. Die Demokratisierung des ÖGB und der Einzelgewerkschaften (Fraktionen, Urabstimmungen usw.)
In der Diskussion tauchen verschiedene Varianten auf:
  • Die konservativste läuft darauf hinaus, das Finanzdebakel zu bereinigen um den Preis, den christdemokratischen Gewerkschaftern mehr Gewicht zu geben und auf politischer Ebene eine große Koalition anzusteuern.
  • Eine andere will den Rückzug der Einzelgewerkschaften oder auch territorialer Gliederungen wie der Länder auf sich selbst und die Lage nutzen, um den ÖGB funktional zu schwächen, insbesondere seine gesellschaftspolitischen Referate (Kampagnenreferat, Frauenreferat usw.). In dieser Variante ist die Gewerkschaft nur noch Servicebetrieb und will allen politischen Gehalts entleert.
  • Eine dritte Variante fordert Kassensturz (so der Chef der Eisenbahner) – also eine politisch-organisatorische Neuformierung, die Öffnung zu den sozialen Bewegungen, Kampagnenfähigkeit – mithin einen weiter starken ÖGB. Aus dieser Ecke kommt der Aufruf "Zeichen setzen", dessen Unterschriftensammlung derzeit bei 5.500 stagniert (www.zeichensetzen.at).
Das alles sind Reformvarianten innerhalb der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion. Daneben fordern der Gewerkschaftliche Linksblock (GLB) und die AUGE (Arbeitsgemeinschaft unabhängiger GewerkschafterInnen). Sie fordern einen parteiunabhängigen ÖGB, der eine Kampforganisation, keine Serviceeinrichtung ist, radikale Demokratisierung und Transparenz, die Einbeziehung der Basis in den gewerkschaftlichen Entscheidungsprozess (z.B. durch Urabstimmungen in wichtigen Fragen, die 50%-Frauenquote auf allen Ebenen; die Hinwendung zu den "neuen" Beschäftigungsverhältnissen, zu den ausländischen Kolleginnen und Kollegen, internationale Orientierung…).


03-07-2006, 19:07:00 |Hermann Dworczak