ÖGB: Die Kampfkraft rekonstruieren
Redaktion
Fritz Keller, langjähriger Gewerkschaftsaktivist und KIV-Personalvertreter, im Gespräch zur ÖGB-Reform: Eine Strukturreform ist das Ziel des ÖGB-Vorsitzenden Rudolf Hundstorfer nach der Krise durch die BAWAG-Spekulationsgeschäfte. Ob damit endlich demokratische und transparente Strukturen geschaffen werden, ist die Frage. „die linke – online“ stellte sie Fritz Keller, langjähriger Gewerkschaftsaktivist und KIV-Personalvertreter.
24.04.2007
Wer wann mit welchen Geldern
durchgebrannt ist, wer welches Penthouse bewohnt, wer welche Bilder
verkauft hat, wer was gewusst hat – diese Themen beherrschen die
Medien. Was denkst du darüber?
Ich denke, dass bei dieser Form der Berichterstattung das Wesentliche
auf der Strecke bleibt. Und das Wesentliche ist die Frage, in welchem
Biotop diese Sumpfblüten gedeihen konnten. Dieses Biotop lässt sich
benennen, es heißt „Staatsgewerkschaft“. Und zwar eine
Staatsgewerkschaft, die ab Anfang der 90er Jahre sich in einer
permanenten Krise befand. Der ÖGB verlor seine großen Bastionen, die
Verstaatlichte Industrie, den Konsum, er verlor mit diesen Bastionen
eine große Zahl von Mitgliedern. Gleichzeitig macht ihm auch der
neoliberale Kurs in der Wirtschaft zu schaffen, was ebenfalls zu
Mitgliederverlusten führte. Der ÖGB als ganzes, als Staatsgewerkschaft,
war nicht in der Lage, eine Umstrrukturierung durchzuführen.
Umstrukturierung hätte bedeutet, die Teilgewerkschaften zu fusionieren,
den Apparat entsprechend den neuen Begebenheiten zu verkleinern. Genau
dazu war die ÖGB-Bürokratie nicht imstande, sie griff zu der Lösung,
sich um jeden Preis zu retten, und sei es zum Preis von
Spekulationsgeschäften in der Karibik.
Die ÖGB-Spitze griff zur Methode, den Schein ihrer politischen Macht
aufrecht zu erhalten. Das machte sie auf den verschiedensten Ebenen:
Die Teilgewerkschaften fälschten ihre Mitgliedszahlen, um eine Macht
vorzutäuschen, über die sie nicht mehr verfügten, sowohl gegenüber den
Unternehmern als auch gegenüber konkurrierenden anderen
ÖGB-Teilgewerkschäften. Sie fälschten Mitgliedszahlen, produzierten
„Karteileichen“, mussten aber dadurch aber auch Mitgliedsbeiträge
selbst bezahlen, was wiederum dazu führte, dass die entsprechenden
Bilanzen der Teilgewerlkschaften gefälscht werden mussten, weil die
Bilanzierung von Mitgliedsbeiträgen nicht existierender Mitglieder
legal nicht möglich war.
Die Methode, sich gegenseitig etwas vorzuschwindeln begann also nicht
bei ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch, sie begann viel früher auf der
Eebene der Teilgewerkschaften. Insegsamt lieferte die ÖGB-Bürokratie
nur einen weiteren Beweis für die – von KennerInnen der internationalen
Gewerkschaftsszene schon lange vertretene – These, dass Apparate im
Grunde nur dann zu einer Reform an Kopf und Fuß erst dann bereit sind,
wenn sie „aus dem letzten Loch pfeifen“.
Krise kann doch auch die Chance eines Neuanfangs bedeuten.
Kann schon, wenn man bereit ist, die Ursachen der Krise zu analysieren.
Verfolgt man aber die aktuelle Diskussion in der ÖGB-Führung, dann muss
man zu dem Schluss kommen, dass das Ziel der gegenwärtigen
Reformbestrebungen nicht ist, das Modell der „Staatsgewerkschaft“ in
Frage zu stellen, sondern eine Art „Staatsgewerkschaft – neu“ zu
rekonstruieren. Das bedeutet, dass man sehr wohl strukturelle
Änderungen machen wird, vielleicht sogar – was für den ÖGB ein immenser
Fortschritt wäre – Geschlechterparität in Gremien einführen wird,
kosmetische Operationen nach außen vornehmen wird, im Grunde aber das
Konzept der „Staatsgewerkschaft“ nicht in Frage stellen wird. Das
Problem dabei: das Konzept der „Staatsgewerkschaft“ wird von
gesellschaftlichen Kräften außerhalb des ÖGB massiv in Frage gestellt.
Jeder der das nicht geglaubt hat, der wurde von Bundeskanzler Schüssel
bei den sogenannten Verhandlungen zur Sanierung der BAWAG eines
besseren belehrt. Spätestens dann, als er den ÖGB aus
sozialpartnerschaftlichen Gremien der Österreichischen Nationalbank
entfernte. `Gut´, wird mancher Gewerkschafter sagen, `vielleicht gibt
es eine Lösung, die nächste Regierung ist vielleicht wieder
sozialdemokratisch oder eine Koalitionsregierung und wird den ÖGB als
Verhandlungspartner auch ohne gefüllten Streikfonds wieder
akzeptieren´. Dieses Konzept könnte vielleicht dann funktionieren, wenn
Österreich wie in den Hochzeiten der Sozialpartnerschaft in den 50er-
und 60er-Jahren von Einflüssen von außen abgeschottet wäre. Das ist es
aber nicht, und auf der internationalen Szene zeigen sich zunehmend
Kräfte, die eine Sozialabbaukonzeption mit allen Mitteln diurchsetzen
wollen und dadurch den Gewerkschaften Streiks aufzwingen. Im Grunde ist
auch die von der EU mit dem Lissabon-Abkommen von 1995 verfolgte
Strategie, die USA wirtschaftlich einzuholen und zu überholen nur
erreichbar, wenn man einen Sozialabbau vornimmt, der unter das Niveau
der USA führt.
Eine solche Konfrontationsstrategie war in den letzten Wochen und
Monaten in Deutschland erkennbar und hat ver.di einen Streik
aufgezwungen. Eine solche Konfrontationsstrategie war in Frankreich mit
der Flexibilisierung der Kündigungszeiten erkennbar. In England
führten, von der österreichischen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet,
11 Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes den größten Streik seit
1926 durch, und dabei wurde in einigen Städten wie Liverpool das
öffentliche Leben lahm gelegt. Auslöser des Streiks war der Versuch der
Regierung Blair, das Pensionssystem der Öffentlich Bediensteten zu
kippen.
Mit welchen alternativen Modellen könnte sich der ÖGB außerhalb und innerhalb seiner Gremien beschäftigen?
Da gäbe es zuerst einmal das Modell der US-Gewerkschaften: In den USA
haben sich die Gewerkschaften einen Schritt von ihrem traditionellen
Bündnispartner, der Demokratischen Partei, entfernt und versuchen nun
eine Art außerparlamentarischer Opposition aller Entrechteten und
Benachteiligten der kapitalistischen Gesellschaft zu formieren. D.h. in
ihren Gremien sind nicht mehr allein die Männer zwischen 50 und 60
Jahren vertreten, sondern sie versuchen auch Frauen, auch radikale
Feministinnen einzubeziehen. Ebenfalls werden benachteiligte Ethnien,
wie HispanierInnen einbezogen. Sie versuchen, KonsumentenschützerInnen
einzubeziehen, ebenso studentische Initiativen,
Dritte-Welt-Solidaritätsinitiativen, Fair-Trade-Iniitiativen und NGOs
aller Art. Gleichzeitig haben sie eine Offensive gestartet, um neue
Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen, z.B. in der größten
US-Handelskette „Wall Mart“.
Ein anderes Modell ist das der französischen und italienischen
Gewerkschaften, die nur über geringe Streikgelder verfügen, die auch
nicht einheitlich organisiert sind, sondern in partei-orientierte
Gewerkschaften aufgesplittert sind, und die es trotzdem schaffen,
Erfolge zu erringen, von denen die österreichischen und deutschen
GewerkschafterInnen nur träumen können.
Es bwäre also zu hinterfragen, ob die Stärke einer Organisation
wirklich in ihrem bürokratischen Potenzial liegt, in der Zahl ihrer
Mitglieder auf dem Papier und nicht in ihrer Kampfkraft. Wobei die
nächste Frage zu stellen wäre, nämlich wie diese Kampfkraft, über die
die österreichischen ArbeiterInnen ja einmal verfügten, rekonstruiert
werden könnte. Die Frage, wie kann das solidarische Bewusstsein unter
Österreichs Lohnabhängigen wieder aktiviert werden, ist für mich eine
viel wichtigere Frage, als wie dieses oder jenes Gremium des ÖGB in
Zukunft funktionieren und zusammengesetzt werden soll. Wenn es nämlich
gelingt, die Basis zu Widerstandsaktionen zu aktivieren, dann werden
sich die Veränderungen in nGremien von selbst einstellen.
Danke für das Gespräch.
07-06-2006, 15:52:00 |