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Linkspartei in Österreich? Es fehlt kein Lafontaine, es fehlt eine Bewegung

In den österreichischen Medien geht ein kleines Nachtgespenst um. Eine neue Linkspartei soll gegründet werden, wird gegründet oder könnte gegründet werden. Immer wieder kommen Verweise auf scheinbar vergleichbare Projekte in Deutschland oder Frankreich. Und auch Zahlen um die 8% WählerInnenpotenzial geistern herum und werden von den Betreibern des Projekts gerne aufgenommen und weiter verbreitet.

21.06.2008

Bei genauerem Hinsehen ist das europäische Phänomen des Auftauchens von Linksparteien gar nicht so einheitlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Situationen in Deutschland und Frankreich, die zur Gründung einer neuen linken Partei im jeweiligen Land geführt haben, könnten unterschiedlicher gar nicht sein.

„Die Linke“ in Deutschland entstand aus der Fusion aus der „Wahlalternative für Soziale Gerechtigkeit“ (WASG) – also dem ersten Versuch der Organisierung unzufrieder SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen – und der „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS), die bisher vor allem in Ostdeutschland erhebliche Wahlerfolge hatte, aber im Westen kaum Anklang fand. Damit ist das Parteiprojekt „Die Linke“ im Großen und Ganzen beschrieben: Sammelbecken für enttäuschte SozialdemokratInnen und Restlverwertung der PDS. Schlagzeilen macht die neue Partei „Die Linke“ (nicht zu verwechseln mit unserer schon länger bestehenden Zeitung www.dielinke.at) vor allem mit Versuchen, sich als die bessere Sozialdemokratie zu beweisen und der SPD hier und dort ihre Unterstützung anzubieten. Dennoch: in Deutschland war es offenbar möglich, die etablierte Ordnung der Parteienlandschaft zu durchbrechen und eine Partei links von SPD und Grünen zu gründen, die auf Anhieb bei Wahlen in Ost- und Westdeutschland punkten konnte.
„Die Linke“ konnte sich von Anfang an von der SPD emanzipieren, vor allem weil GewerkschafterInnen aktiv wurden, die nicht von der sozialdemokratischen Partei abhängig sind. Aber auch wenn sie im Moment der einzige gesellschaftlich relevante Pol links der Sozialdemokratie ist, so hat sie doch wesentliche Schwachstellen, die sich für die politische Entwicklung nachteilig auswirken können: der entscheidendste ist vielleicht die Fokussierung auf Wahlbeteiligungen und Arbeit in den Institutionen. Außerdem hat sie ihre Wurzeln weder in sozialen Bewegungen noch in Klassenkämpfen, sondern sie kommt aus den Apparaten.
Die radikale Linke in Deutschland ist sich in ihrer Einschätzung der Linkspartei keineswegs einig. Ein Teil arbeitet in der Partei mit, andere radikale Linke bleiben der Linkspartei um Lafontaine und Gysi fern.

Ganz anders stellt sich die Situation in Frankreich dar. Hier scheint es tatsächlich zu einem Neubeginn zu kommen - nicht zu einer in den Traditionen der Sozialdemokratie verhafteten Abspaltung. Eine größere antikapitalistische Organisation entsteht hier aus einem, für die letzten Jahrzehnte beinahe einzigartigen, Wachstum an Bewegung, und es ist eine Organisation der revolutionären Linken – die LCR (Ligue Communiste Revolutionnaire, 4. Internationale), die die Initiative übernommen hat. Nach erfolgreichen Bewegungen wie z.B. jener gegen die EU-Verfassung mit ihren „Stimmt-Nein-Komitees“, und dem Rückgang der traditionellen Linken (KPF, Sozialdemokratie) entstand das Projekt, eine neue antikapitalistische Partei zu gründen, um die diversen Bewegungen zusammenzuführen und damit schlagkräftiger zu machen. Keinesfalls wird diese neue Partei eine reformistische Partei wie „Die Linke“ in Deutschland sein. Im Gegenteil: Im Zentrum steht der soziale Widerstand gegen den Kapitalismus.

Was aber ist nun mit Österreich? Eine realistische Einschätzung wird hier zu dem Schluss kommen, dass wir uns eher in der deutschen Situation wieder erkennen müssen als in der französischen. Oder besser: nicht einmal in der Deutschen. An der Krise der Sozialdemokratie liegt es nicht: Diese Krise ist auch in Österreich so schwer wie wahrscheinlich noch nie zuvor – die Personalrochaden der letzten Tage und Wochen, die Suche nach ParteibürokratInnen mit noch weniger Charisma als dem des Vorgängers, ist nur die sichtbare Spitze dieser fundamentalen Krise. Angeblich „linke“ SozialdemokratInnen, angebliche personelle Hoffnungen auf Erneuerung, stellen sich in regelmäßigen Abständen und monotonen Interviews hinter ihre Parteiführung. Im Vergleich zu Deutschland ist auch die Gewerkschaft viel stärker an die SPÖ gebunden, die stets wiederkehrende Kritik von GewerkschafterInnen an der SP-Politik hat noch nie zu relevanten Brüchen mit der SPÖ geführt, und es zeichnet sich auch in der gegenwärtigen Debatte keine Abkehr der Gewerkschaften von der Sozialdemokratie ab.

Eine Linkspartei nach deutschem Vorbild gründen zu wollen, heißt also zuallererst an ein spezielles Milieu – an enttäuschte und spaltungswillige SozialdemokratInnen – zu appellieren, das es in Österreich in dieser Form gar nicht gibt. Es gibt keine „aufrechten“ SozialdemokratInnen, die die Spaltung wagen würden. Es gibt keine kämpferischen Teile der Gewerkschaft, die ein solches Projekt tragen würden. Der Versuch, die deutschen Zustände am Reißbrett zu kopieren, ist schon aus diesem Grund illusorisch. Aber nicht genug damit: dieser Reißbrettentwurf ist für radikale Linke ja nicht einmal attraktiv. Was wollen wir mit einer neuen 5%-Sozialdemokratie? Die deutsche „Linkspartei“ ist für radikale Linke kein paradiesischer Zustand, sondern vor allem eine Zwickmühle – wollen wir in Österreich also tatsächlich daran gehen, noch unsere eigene Zwickmühle selbst zu gründen?

Was heute als „Linkspartei in Österreich“ andiskutiert wird, ist eine Parodie der deutschen Linkspartei, ohne Lafontaine und Gysi, ohne Sozialdemokratie, ohne Gewerkschaftsgruppen, ohne Wurzeln irgendeiner Bewegung – schon gar nicht der ArbeiterInnenbewegung. Da wird auf die nächste Wahl geschielt, wie das Kaninchen auf die Schlange starrt. Das ist eine Reißbrettvorstellung von einer Parteigründung, wie sie den Vorstellungen der 4. Internationale diametral entgegensteht.

Die SOAL wird sich deshalb nicht daran beteiligen, am Reißbrett die eigene Zwickmühle zu entwerfen. Auch wenn da und dort darüber spekuliert wird, ob es bloß an einer prominenten Führungsfigur mangelt: Eine radikale, antikapitalistische Partei braucht nicht vor allem ein Zugpferd, sie braucht keinen Lafontaine – sie braucht eine Bewegung.

dielinke.at-Redaktion