Linkes Orakel: Wird Strache Kanzler oder wohl eher doch nicht?
Laut Meinungsumfragen gibt es keine rot-grüne, dafür aber, je nach Zeitpunkt, eine schwarz-blaue, sicher jedoch eine schwarz-blau-orange absolute Mehrheit. Vom Zerfall der korruptionsgeschüttelten ÖVP und der inhaltsleeren SPÖ profitiert ausgerechnet die noch offensichtlicher in Korruption verstrickte FPÖ. Und das ohne große Anstrengung. Ein Diskussionsbeitrag von Wilfried Hanser (SOAL, Innsbruck)
06.01.2012
Laut Meinungsumfragen gibt es keine rot-grüne, dafür aber, je nach Zeitpunkt, eine schwarz-blaue, sicher jedoch eine schwarz-blau-orange absolute Mehrheit. Vom Zerfall der korruptionsgeschüttelten ÖVP (Grasser, Strasser, Telekom, etc.) und inhaltsleeren SPÖ profitiert die – noch offensichtlicher in Korruption verstrickte (Hypo Alpe-Adria, Scheuch, …) – FPÖ! Und das ohne große Anstrengung. Die WählerInnen fallen ihr sozusagen fast von selbst zu (1). Selbst das durch den Uwe Scheuch-Putsch in Kärnten und das darauf folgende Überlaufen der dortigen BZÖ-Spitzen samt Landeshauptmann schon totgeglaubte BZÖ, das ebenfalls bis zum Hals in den Korruptionsgeschichten rund um die Hypo-Alpe-Adria und BUWOG-Privatisierung steckt, profitiert vom Wählerschwund der ÖVP. Was läuft da falsch?
Elfriede Jelinek schreibt polemisch in „Der kleine Niko“, die Sozialdemokratie sei endgültig am Ende. Grund: Typen wie Niko Pelinka oder Laura Rudasch würden das Bild beherrschen, das sich im Wesentlichen auf drei Punkte zusammenfassen lässt: Inhaltsleere, Selbstherrrlichkeit der Spin-doctors und Abschaffung demokratischer Kontrolle. Das schießt über das Ziel hinaus bzw. greift gleichzeitig zu kurz. Wie Sebastian Pumberger im Standard richtig antwortet, sind weder Niko noch Laura schuld am Desaster der SPÖ, sondern sie sind nur ein Symptom einer tieferliegenden Krankheit, nämlich deren „radikaler Pragmatismus“, also die strategische Fehlorientierung „Machterhalt um jeden Preis“ und als deren Folge „inhaltliche Beliebigkeit bzw. Leere“. In den Schlussfolgerungen bleibt Pumberger allerdings in einer typisch österreichischen Abwartehaltung und hofft, dass sich die SPÖ, wenn sie, wie zu befürchten ist, bald abgewählt und durch Blau-Schwarz ersetzt wird – vielleicht – in der Opposition wieder erneuert. Er gibt allerdings selbst zu, dass dies unter Schüssels Schwarz-Blau der „100 sozialen Grauslichkeiten“ ausgeblieben ist. Vielmehr zeigt diese Erfahrung in erschütternder Weise, dass die SPÖ auch noch in dieser verzweifelten Lage den „radikalen Pragmatismus“ nicht aufgegeben und nach einigen schwächlichen Protesten zu unglaublichen weiteren „pragmatischen“ Verrenkungen fähig war. Von Erneuerung keine Spur!
Es bleibt also die schlechte Nachricht: „Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, müssen wir schon selber tun!“ Wir können keineswegs auf die Sozialdemokratie hoffen, auch nicht auf die Gewerkschaftsführung. Letztes, typisches Beispiel: Sogar der als kämpferisch geltende scheidende Chef der Eisenbahnergewerkschaft Haberzettl hat seine Zustimmung zur „Schuldenbremse“ angekündigt. Der Hintergrund ist sehr ernst: Wir stehen am Beginn der 2. Welle der weltweiten Wirtschaftskrise, die unglaublich zerstörerische Wirkungen haben wird, die weit über der von Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Zunamis liegen werden. Diese Krise wird nicht den Kapitalismus zerstören, sondern droht die Arbeitsplätze, Betriebe, gesellschaftlichen Reichtum, Existenzen und die sozialen Errungenschaften zu vernichten. Der Kapitalismus kann nur durch bewußte politische Massenaktionen überwunden werden. In dieser Situation entmachtet sich die Politik selbst, legt sie sich, den Blick auf die kommende Katastrophe gerichtet, sehenden Auges selbst Fesseln an, um ihre Willfährigkeit gegenüber den „Märkten“ zu demonstrieren, international, in ganz Europa, so auch in Österreich. Sie schlägt sich damit selbst das mögliche Instrumentarium, durch staatliche Maßnahmen gegenzusteuern, aus der Hand. Und sie hofft auf die Gnade der durch eine Reihe von Deregulierungsmaßnahmen allmächtig gemachten Märkte – eine sehr gefährliche Illusion! Und: Die Sozialdemokratie macht mit, ohne Widerrede, ohne Warnung, auch deren – früher einmal als „kritische Geister“ gehandelten Leute wie Nationalbankpräsident Novotny. Trotz dieser letzten Episode ideologischen Bankrotts gibt es (leider!!!) keinen Aufschrei innerhalb der Partei, keine nennenswerte innerparteiliche Opposition, Strömung, keine Gegenbewegung.
In dieser Situation könnte man noch auf die Grünen hoffen. Gut, die Grünen haben sich in Bezug auf die Flüchtlinge anständig verhalten, sie haben sich beim Bildungsvolksbegehren fleißig engagiert und der Parlamentsclub hat eine vernünftige Stellungnahme zur Schuldenbremse herausgegeben. Das alles bleibt aber ziemlich unglaubwürdig, solange die Grünen ebenfalls einem „radikalen Pragmatismus“, diesmal unter der Devise, „wir wollen mitregieren“ huldigen. Die Grünen, zu Gründungszeiten noch mit der Parole „Standbein ist die Bewegung, das Parlament ist das Spielbein“ unterwegs, sind längst im parlamentarischen Pragmatismus angekommen und zu einer stinknormalen Partei degeneriert. Sie koalieren beliebig mit SPÖ oder ÖVP und es gibt innerparteilich keine relevante Strömung, die das kritisiert. Mit einer strategischen Orientierung, die das Ziel des Mitregierens zur obersten Maxime des praktischen Handelns macht, degeneriert jede Bewegung zwangsläufig zur Systempartei und die Beteiligung an Bewegungen zum Alibi bzw. Mittel zum Zweck, Wahlen zu gewinnen. Das macht sie unglaubwürdig und wirkungslos.
Was bleibt, ist die Notwendigkeit der Eigeninitiative. Es braucht nicht weniger als eine Bewegung von unten, um diese unheilvollen Entwicklungen zu stoppen und Widerstand dagegen aufzubauen. Es ist nicht wichtig, ob dies innerhalb der Sozialdemokratie, der Grünen, der Gewerkschaft oder ausserhalb beginnt. Die Orientierung und vor allem das praktische Handeln entscheiden: Bewegungs- und auf Aktionen/ Kampagnen orientiert, um die Menschen in Bewegung zu bringen und praktische Erfahrungen in der Selbstorganisation und mit den Gegenkräften zu ermöglichen, mit hoher Sensibilität in Bezug auf die Selbstverwaltung der Bewegungen im Sinne einer demokratischen Selbstorganisation, politischer Weitblick, d.h. solidarisches Sich-Beziehen auf andere Aspekte und Teile der Bewegungen, internationalistisch (um der nationalen Blickverengung und dem Fremdenhass entgegenzuwirken), antikapitalistisch (also das Bewußtsein, dass es letztlich ohne Bruch mit dem kapitalistischen System nicht geht), solidarisch, emanzipativ, auf die Jugend und Frauen orientiert und unsektierisch (also auf die Zusammenarbeit auch mit Personen und Organisationen suchen, die systemimmanent und reformistisch denken, die noch Bindungen an die eine oder andere Partei, Illusionen in das System oder sonstiger Art haben etc.). Entscheidend wird sein, eine solche aktive, aktivistische, streitbare, selbstbewußte, wertschätzende, solidarische Kultur zu entwickeln, intelligente Initiativen zu entwickeln und überall, wo sich Menschen gegen Diskriminierung und Ausbeutung zu wehren beginnen, praktische Unterstützung zu leisten. Kurz: Eine linke, solidarische, pluralistische Bewegung aufzubauen. Dann, aber auch nur dann, besteht eine reelle Chance, eine solidarische Alternative zur kapitalistischen Krise zu entwickeln und dem Rechtspopulismus den Wind aus den Segeln zu nehmen bzw. diesen zu stoppen.
Es geht nicht darum, passiv abzuwarten, ob Strache Kanzler wird oder nicht. Es wäre schlimm genug – und ist leider eine sehr reale Bedrohung – wenn die deutschnationalen, frauen-, fremden- und linkenfeindlichen militanten Burschenschaftler scharenweise in die Ministerien einziehen und uns allen das Leben sehr schwer machen würden, unabhängig davon, ob mit Strache als Kanzler oder Vizekanzler einer schwarz-blauen Regierung. Es ist sehr leicht, schwer Errungene Fortschritte zu zerstören. Verteidigen wir sie, stoppen wir den rechten Vormarsch, bauen wir eine solidarische Bewegung von unten auf! Die Kampagne „Wir fordern Steuergerechtigkeit!“, die beim „Linken Ratschlag“ am Samstag, 14. Jänner von 11-17 Uhr im Ak-Bildungszentrum beraten und vorbereitet wird, wäre eine gute Möglichkeit, damit zu beginnen, Verteidigungslinien aufzubauen, zunächst einmal in den Köpfen der Menschen. Damit wir nicht unvorbereitet in die Zukunft treten, mit oder ohne einen Kanzler Strache. Widerstand ist in jedem Fall vonnöten! Ab sofort.
Wilfried Hanser
(1) Standard-Umfrage vom 28.12.11: 30 SP, 26 FP, 23 VP, 14 Grüne, 5 BZÖ