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Landtagswahlen in Tirol: Desaster von SPÖ und Grünen

Wilfried Hanser

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Tirol bedeuten ein doppeltes böses Erwachen. Einerseits hat die ÖVP trotz äußerst unpopulärer Politik in Summe der beiden Listen "ÖVP" und "Dinkhauser" um ca. 9 % zugelegt und verfügt nun fast über eine 2/3-Mehrheit im Landtag. SPÖ und Grüne verloren je etwa ein Drittel ihrer WählerInnen und liegen auf Platz 3 und 4 mit 15,14 und 10,4% nahezu in der Bedeutungslosigkeit. Die SP verliert 4 von 9 Mandaten, die Grünen dank Wahlarithmetik "nur" eines von 5. Der große Gewinner ist der schwarze (Ex-) AK-Direktor Fritz Dinkhauser, dem es gelungen ist, die große Unzufriedenheit der WählerInnen vom Stand weg mit 18,3% der Stimmen auf seiner Liste zu kanalisieren.

14.06.2008

Der zweite Teil des bösen Erwachens ist absehbar: Die ÖVP bleibt tonangebend an der Regierung. Sie kann es sich aussuchen, ob in einer Koalition mit einer der geschlagenen Parteien, SPÖ oder den Grünen (beide konkurrieren seit geraumer Zeit, wer es für die ÖVP billiger macht), mit dem strahlenden Sieger Dinkhauser oder mit der FPÖ. Letztere konnte - trotz Spaltungen - zu allem Überdruss von 7,97 auf 12,66% aufstocken. Wenn - sehr wahrscheinlich - Van Staa zugunsten von Platter oder Zanon zurücktritt, stehen der ÖVP alle Optionen offen, womit sie den Preis für die jeweilige Koalition entsprechend drücken kann. Im Folgenden ein paar Thesen dazu:

Wahlergebnisse siehe: ORF; Mandatsverteilung: Kurier

Thesen zur Tiroler Landtagswahl

1. In Tirol deckt die ÖVP - mangels echter Opposition - die Aufgaben Regierung und Opposition selbst ab – die restlichen Parteien scheinen überflüssig. Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentrierte sich vor allem auf die Auseinandersetzung zwischen Landeshauptmann Van Staa und (Ex-) AK-Präsident Dinkhauser, beide ÖVP. Die Tiroler SPÖ hatte schon immer den Ruf der braven „Ministranten“ der ÖVP. In der vergangenen Legislaturperiode haben sie aber den Vogel abgeschossen und ließen sich von einer ÖVP, die über 20 von 36 Mandaten im Landtag verfügt, in eine Koalition binden, in der sie rein gar nichts zu melden hatten, trotzdem aber die politische Mitveranwortung tragen. Damit hat die SPÖ die Chance einer Rot-Grünen Opposition bzw. der eigenen Profilierung als Alternative verwirkt. Stattdessen ließen sich die beiden Parteien regelmäßig gegeneinander ausspielen und konnten so in ihrem Einfluss weitgehend neutralisiert werden. Der "Lohn": Die SPÖ verlor ein Drittel ihrer Wählerstimmen und fast die Hälfte ihrer Mandate. Sie wurde auf 15,16% der Stimmen marginalisiert.

2. Die Grünen haben sich in Tirol schon seit langem bemüht, nettere bzw. „bessere ÖVP“ zu spielen. Sie scheuen sich, ein klares Profil zu entwickeln, um nur ja niemanden vor den Kopf zu stoßen und hoffen, dass enttäuschte ÖVP-WählerInnen automatisch Zuflucht bei den Grünen suchen. Dementsprechend nichtssagend („Tirol kriegt die Kurve“) war der aufwändig geführte Wahlkampf (lt. Wikipeidia wurden € 400.000,-- ausgegeben, angeblich sogar mehr als Dinkhauser zur Verfügung hatte). Dies, ohne eine nennenswerte Information unter die Leute zu bringen. Dabei wäre diese beim vorhandenen Medienmonopol des Moser-Konzerns dringend nötig. Das Kalkül ist gründlich daneben gegangen. Von der völlig illusorischen Vorstellung, 2. Kraft zu werden bzw. 20% zu erreichen ist der Katzenjammer von 8,07 (2003: knapp 16 %) und der 4. Platz hinter Dinkhauser und der FPÖ geblieben. In Wählerstimmen ausgedrückt: Von 45.236 Stimmen der letzten Landtagswahl sind mehr als ein Drittel (12.219) verloren gegangen.

3. Dazu kommt die bittere Pille, dass es trotz eines in Summe über 10%igen Zugewinns (+ 3 Mandaten) für die ÖVP auch noch der FPÖ gelungen ist, von 8 auf 12,5% zuzulegen. Dabei ist dieser Partei ausser Hassparolen gegen Ausländer und Muslime nichts zur Landespolitik eingefallen. Sie versuchte, sich als „soziale Heimatpartei“ darzustellen mit altbekannten Leerformeln wie „Tiroler zuerst“, „Soziale Sicherheit für unsere Leut“ oder „Tirol die Treue – das sagen nur wir“. Besonders übel war Straches persönlicher Angriff auf den engagierten grünen Kandidaten Gebi Meyr, dem er unterstellte, zwecks Wahlwerbung auf den Strich zu gehen. Übrigens hat es keine andere Partei für nötig befunden, sich dazu zu äußern.

4. Die KPÖ übt sich im Bündnis mit sich selbst, bzw. mit der KJÖ. Die Jugend darf dann antreten, wenn es eh keine Mandate zu gewinnen gibt, also Jugendliste – KPÖ bei der Landtagswahl. Die KPÖ hat diesmal nicht einmal so getan, als würde sie versuchen, ein linkes Bündnis zustande zu bringen. Bei der massiven Unzufriedenheit im Lande, nicht nur mit der Regierungspolitik, sondern auch mit SPÖ und Grünen ist der mikrige Gewinn von fast 0,5 Prozentpunkten auf knapp 1,2% nicht gerade berauschend, was nochmals relativiert wird, weil die KPÖ diesmal in allen Bezirken angetreten ist. So sind von der Zahl der zusätzlichen WählerInnen jedenfalls 1.321 jener Bezirke abzuziehen, in denen die KPÖ bei der letzten Landtagswahl nicht kandidiert hat. In den Bezirken, in denen die KPÖ bei der letzten Landtagswahl angetreten ist (Innsbruck Stadt/ Ibk Land und Kufstein) hat sie 475 Stimmen bzw. 0,14% dazugewonnen, das ist ernüchternd. Uns wird aber wahrscheinlich wieder einmal erzählt werden, dass es der KPÖ dank ihrer hervorragenden Bündnispolitik und einem überzeugenden Wahlkampf gelungen sei, nahezu 50% zuzulegen. Selbstbeweihräucherung der KP-Tiro.
Schade um die vertane Chance: Nur eine kräftige, breite, und pluralistische linke Alternative hätte es vielleicht geschafft, den enttäuschten SP und Grünen-WählerInnen eine sinnvolle und glaubwürdige Perspektive zu geben.

5. Das Wahlrecht zur Tiroler Landtagswahl ist sehr undemokratisch. Wahlberechtigt sind nur österreichische StaatsbügerInnen, darunter erstmals auch Jugendliche ab 16 und „AuslandstirolerInnen“. Im Extremfall wäre der Auslandstiroler X, der seit dem 6. Lebensjahr ununterbrochen im Ausland lebt, wahlberechtigt, während nicht einmal ein EU-Bürger Y, der seit Jahrzehnten in Tirol lebt, arbeitet und Steuern zahlt, aber die österreichische Staatsbürgerschaft nicht erhält oder nicht will, mitbestimmen darf. Ganz zu schweigen von den tausenden Nicht-EU-BürgerInnen aus ärmeren Ländern, die völlig von jeder demokratischen Mitbestimmung ausgeschlossen und zudem gesetzlich mehrfach diskriminiert sind. Dieses Thema hat keine Partei wirklich kritisiert, sieht man von der sehr allgemein gehaltenen Aussage der KPÖ ab („jede Stimme muss gleich viel wert sein“, gerade mal 2,5 Zeilen im Wahlprogramm). Im grünen Wahlprogramm kommt das überhaupt nicht vor (weder in der Kurz- noch in der Langversion).

6. Keine Partei hat die Tatsache thematisiert, dass der Bauernbund sich in der Landwirtschaftskammer aus öffentlichen Geldern des Landes die Hälfte (das sind 89) Funktionäre finanzieren lässt, um den mächtigsten Flügel der ÖVP (stellt bisher immer den Landeshauptmann) weiterhin zu zementieren. Keine Interessenvertretung genießt vergleichbare Privilegien. Dies natürlich auch ungeachtet der demografischen Entwicklung, wonach es in Tirol gerade noch 15.000 Bauernhöfe gibt, wobei die Nebenerwerbsbauern bereits mitgezählt sind. Dies ist auf dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zu sehen, wonach die Agrargemeinschaften sich gratis große Flächen an Gemeindeland angeeignet haben und von deren teilweiser Umwidmung in Bauland profitieren. Eine Bevölkerungsgruppe (männliche Linie, seit Generationen im Dorf wohnhaft) privatisiert öffentliches Eigentum und bereichert sich daran enorm. Die Agrargemeinschaften horten in den engen Tälern Tirols ca. 2.000 km² Bauland und tragen auf diese Weise wesentlich zu den hohen Preisen und Mieten für Wohnraum bei.

7. Keine Partei beschreibt weiters die Anatomie der Macht in Tirol, z.B. die Bedeutung des Raiffeisen-Konzerns und billige Kredite oder andere Vergünstigungen, mit denen Parteiloyalitäten erkauft und Abhängigkeiten erhalten werden sollen. Niemand rührt an die Macht der Kirche, des CVs, der Schützenverbände, ganz zu schweigen von Industriellenvereinigung und Kapital. Keine Opposition - nirgends?

8. Die wesentlichen Themen im Landes wurden entweder ausgespart oder mit ein paar allgemeinen Parolen abgetan. In dieser Hinsicht gibt es wenig Unterschied in den Programmen von SP, Grünen oder Dinkhauser. Auch das Programm der KPÖ zeichnet sich leider nicht durch besonderen Tiefgang oder Orginalität aus.

Warum hätten die Leute in Tirol also etwas Anderes wählen sollen? Es bleibt die Befürchtung, dass harte Zeiten anstehen und die Hoffnungen der Menschen von üblen Populisten missbraucht werden, sollte es nicht gelingen, eine breite, glaubwürdige und handlungsfähige Linke auf die Beine zu stellen. Auf Basis einer soliden Analyse der gesellschaftlichen Realität und einer gemeinsamen glaubwürdigen Praxis im Sinne und mit der arbeitende Klasse und für alle Diskriminierten.