Gedanken zur Sicherheitspolizeigesetz-Novelle: Der Polizeistaat steckt im Detail
Im Juli 2011 ereigneten sich die Attentate von Oslo und Utoya. Der Zeitpunkt war für Innenministerin Fekter optimal. In der sommerlichen Flaute konnte flugs eine neuerliche Runde in der Erweiterung der Polizeibefugnisse angegangen werden, ohne dass damals die Öffentlichkeit viel darüber diskutieren konnte. Während allerdings die norwegische Regierung betonte, dass die einzige Reaktion auf Terror eine Stärkung der Demokratie sein kann, will die österreichische Regierung wieder einmal bürgerliche Rechte beschränken.
10.11.2011
Im Juli 2011 ereigneten sich die Attentate von Oslo und Utoya. Der Zeitpunkt war für Innenministerin Fekter optimal. In der sommerlichen Flaute konnte flugs eine neuerliche Runde in der Erweiterung der Polizeibefugnisse angegangen werden, ohne dass damals die Öffentlichkeit viel darüber diskutieren konnte.
Nun ist die Begutachtungsphase über die Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes und zweier weiterer Normen beendet. Die
Kritik vieler NGOs und Institutionen fällt zum Teil vernichtend aus. Stellvertretend für viele schreibt der "Verein für Internet-Benutzer
Österreichs" (VIBE) in seiner Stellungnahme: "In den letzten zehn Jahren ist mit dem Argument der Terrorismusbekämpfung eine Sammlung an Gesetzen entstanden, welche - im Namen der Sicherheit - bürgerliche Rechte und Freiheiten einschränken. In diesem Kontext ist auch die jetzt vom Innenressort, als Reaktion auf die Anschläge in Oslo, eingebrachte Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes zu betrachten. Es fällt zunächst einmal auf, dass sich die Reaktion der österreichischen Regierung grundsätzlich von der der norwegischen unterscheidet: Während die norwegische Regierung betont, dass die einzige Reaktion auf Terror eine Stärkung der Demokratie ist, will die österreichische Regierung wieder einmal bürgerliche Rechte beschränken." Ähnlich äussert sich die ÖH: "Die geplanten Änderungen im gegenständlichen Gesetzesentwurf weiten die Befugnisse der Sicherheitsbehörden auf jene eines Nachrichtendienstes aus. Die Polizei und das Bundesamt für Verfassungsschutz, das als einzige Organisationseinheit der Sicherheitsbehörden, die erweiterte Gefahrenerforschung vollzieht, wird so mit Exekutiv- und nachrichtendienstlichen Befugnissen ausgestattet und so zu einem Geheimdienst aufgerüstet. Der Entwurf trägt in einer Gesamtbetrachtung demokratiefeindliche Züge."
Nun enthält diese Novelle aber gar keine großen "Hämmer", die auf den ersten Blick grosse Empörung hervorrufen könnten. Es handelt sich bei den geforderten Gesetzesänderungen hauptsächlich um kleinere Details. Doch bekanntlich fühlt sich in diesen der Teufel ganz besonders wohl. Erstens sind diese Änderungen wohl im Lichte der Vermutung einer ausgeprägten Salamitaktik alles andere als harmlos und lassen die nächsten Schritte schon erahnen. Zweitens sind viele der neuen Formulierungen so schwammig, dass sie getrost als Gummiparagraphen angesehen werden können. Zwar sind in den Erläuterungen sehr konkrete Begründungen nachlesbar, doch haben diese nunmal keine Gesetzeskraft. Im Zweifel über die Anwendung von unklar formulierten Gesetzen sieht zwar die angeblich geltende Rechtslehre die "historische Interpretation" vor (also das Nachschlagen in den Begründungen des Gesetzesinitiators, um die Idee hinter dem Gesetz zu ergründen), allerdings wissen wir spätestens seit den Tierrechtsprozessen, dass dies in Österreich mittlerweile unüblich geworden ist.
Die Kritikpunkte im Einzelnen
§21/3 SiPolG soll in Zukunft lauten: "Den Sicherheitsbehörden obliegt die erweiterte Gefahrenerforschung; das ist die Beobachtung 1. einer Person, die a) sich öffentlich oder in schriftlicher oder elektronischer Kommunikation für Gewalt gegen Menschen, Sachen oder die verfassungsmässigen Einrichtungen ausspricht, oder b) sich Mittel und Kenntnisse verschafft, die sie in die Lage versetzen, Sachschäden in großem Ausmaß oder die Gefährdung von Menschen herbeizuführen, und damit zu rechnen ist, dass sie eine mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundene weltanschaulich oder religiös motivierte Gewalt herbeiführt, oder 2. einer Gruppierung, wenn im Hinblick auf deren bestehende Strukturen und auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld damit zu rechnen ist, dass es zu mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundener Kriminalität, insbesondere zu weltanschaulich oder religiös motivierter Gewalt kommt."
Man könnte das auch so formulieren: Wenn ein Polizist einfach nur etwas "befürchtet", darf er unkontrolliert irgendwelche Menschen überwachen. Allerdings war derlei schon bislang gegen verdächtige Gruppierungen moeglich. Nun soll dies auch für Einzelpersonen gelten. Und die neue Formulierung "elektronische Kommunikation" lässt es zu, dass als Begründung fuer die Überwachung nicht nur ein Foreneintrag, sondern sogar ein einfaches eMail ausreicht.
Auf einen speziellen Aspekt weist aber der "Österreichische Journalisten Club" (OeJC) hin: "Journalisten arbeiten selten im Kollektiv und verfassen ihre Artikel allein. Eine Ausweitung auf Einzelpersonen im Sinne des Gesetzentwurfes trifft in erster Linie gesellschaftspolitische, kritische, investigative Journalisten obwohl sie sich medienrechtlich im Rahmen der Gesetze bewegen. Gerade die Bestimmungen des §21 Abs. 3 setzen jeden Journalisten einer ,erweiterten Gefahrenerforschung' durch die Polizei ohne richterliche Kontrolle aus, wenn diese im ,fremden Milieu' recherchieren. Dies verstößt gegen die Freiheit der Recherche und damit der Berichterstattung."
Was ist eine Besetzung?
Neu hinzukommen soll der §38/5: "Besetzt ein Mensch ohne Duldung des Besitzers ein Grundstück oder einen Raum, haben ihn die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes von dort wegzuweisen, wenn die Besetzung einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Besitzers darstellt und dieser die Wegweisung verlangt."
Die Räumung von Hausbesetzungen war bislang nur mit Hilfe gewagter Rechtskonstruktionen möglich. Mit dieser Bestimmung muss sich kein Polizeijurist mehr verrenken. Die Umweltorganisation VIRUS weist in ihrer Stellungnahme auf den politischen Gehalt hin: "Von der Öffentlichkeit auch mit dem Wort Besetzung versehene Aktivitäten haben zu positiven Entwicklungen gefuehrt, die breite Akzeptanz gefunden haben. Dazu zählen etwa die Erhaltung einer der beiden letzten freien Fließstrecken an der österreichischen Donau und die Schaffung des international anerkannten "Nationalparks Donauauen" vor nunmehr 15 Jahren, aber auch die von der sogenannten "Arenabesetzung" 1976 initiierten soziokulturellen Impulse." Besetzungen generell zu illegalisieren sei daher "kontraproduktiv und birgt Fallen für BürgerInnen in der Ausübung grundlegender Menschenrechte".
Speziell aber die Tatsache, dass nirgendwo definiert ist, was denn eigentlich eine "Besetzung" sei, und die Gültigkeit auch für Einzelpersonen erscheint problematisch. So sieht zum einen auch hier wieder der OeJC speziell seine Mitglieder gefährdet, die nun auch noch viel einfacher weggewiesen werden können - Pressefreiheit im Sinne von Recherchierfreiheit gilt in Österreich ja sowieso nur für ausgewählte Medien. Auf einen anderen Aspekt weist die Stellungnahme von Greenpeace hin: "Der Entwurf definiert nicht, wann ein Grundstück durch eine einzige Person ,besetzt' gilt. Diese Bestimmung scheint die Wiedereinführung der ,Vagabundengesetze' im Auge zu haben, ermöglicht aber auch ein Vorgehen gegen einzelne Bürger, die etwa der Behörde oder einem Unternehmer lästig sind."
Heimatschutz
In §53/1 heisst es auch bisher schon: "Die Sicherheitsbehörden dürfen personenbezogene Daten ermitteln und weiterverarbeiten..." Hernach folgt eine taxative Aufzählung. Hinzugefügt werden soll nun der Punkt 7: "für die Analyse und Bewertung des Bestehens einer Gefährdung der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit durch die Verwirklichung eines Tatbestandes nach dem vierzehnten und fünfzehnten Abschnitt des Strafgesetzbuches." Das betrifft Delikte wie Hochverrat oder Spionage, aber auch die "Bildung staatsfeindlicher Verbindungen" und den nicht gerade sehr demokratischen §248, "Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole". Damit ist jeder Mensch in Österreich, dessen Liebe zu diesem Staat nicht 150%ig ist, ein Fall für die polizeiliche Datenbank.
Ruf doch mal an!
In §53/3b soll einfach nur eine kurze einschränkende Wortfolge entfallen. Der Abschnitt behandelt die Handyortung in Gefährdungssituationen. Den Hintergrund der geplanten Streichung erfährt man aus den ministeriellen Erläuterungen: "Mit der vorgeschlagenen Regelung soll verhindert werden, dass die Beauskunftung von Standortdaten zur Hilfeleistung oder Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben und damit die Erfüllung der Aufgabe nur deshalb nicht erfolgen kann, weil diese Gefahr nicht dem Telefoninhaber, sondern einer anderen Person droht."
Mit einer phantasievollen Auslegung kann damit so ziemlich jede Ortung legitimiert werden. Aus der Stellungnahme der ÖH: "Die Bestimmung führt im Ergebnis dazu, dass von jeder Person, die mit einer akuten Gefahr in Zusammenhang gebracht werden kann, Handystandortdaten ohne gerichtliche Kontrolle ermittelt werden können. Unkontrollierte Eingriffe in das Fernmeldegeheimnisses und Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Sicherheitsbehörden wären die Folge. Die Strafprozessordnung sieht jedoch zu Recht derartige Eingriffe in Grundrechte nur in besonderen Faellen und mit Kontrolle durch unabhängige Gerichte vor. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass von Begleitpersonen, die ebenfalls gefährdete Personen sind, schon nach derzeitige Rechtslage deren Handystandort durch die Sicherheitsbehörden ermittelt werden kann. Handelt es sich bei der Begleitperson um keine gefährdete Person, wird diese im Wege eines normalen Anrufs erreichbar sein."
"Technische Mittel"
Ein ähnlich verwaschene Formulierung bietet der geplante: §54/2a: "Zur Unterstützung der Observation ist der Einsatz technischer Mittel zur Feststellung des räumlichen Bereichs, in dem sich die beobachtete Person oder der beobachtete Gegenstand befindet, zulässig, wenn die Observation sonst aussichtslos oder erheblich erschwert wäre."
In den Erläuterungen wird ein Anwendungszweck für diese neue Passage geschildert. Der Einsatz "technischer Mittel (wie eines Peilsenders) als 'verlängertes Auge' des Observanten" sei etwa bei Observationen in dichtem Stadtverkehr erforderlich, weil hier die "Gefahr des Verlierens naturgemäss gegeben" sei.
Die ÖH dazu: "Der Einsatz technischer Mittel sollte den Strafverfolgungsbehörden vorbehalten sein." Ausserdem sei der Begriff der technischen Mitteln "zu weit gefasst". Wie weit das gehen könnte und dass Peilsender noch relativ harmlose Mittel wären, darauf verweist der Computerexperte Erich Moechel am FM4-Blog: "Um zum Beispiel feststellen zu können, ob sich der Verdächtige vor seinem Computer befindet, kann die Kamera des Rechners als 'verlängertes Auge' von ferne freigeschaltet werden. Ebenso können Screenshots angefertigt oder Tastaturanschläge mitgeschrieben werden. Dazu bedarf es allerdings eines Trojaners, einer Schadsoftware, wie sie von Kriminellen benutzt wird, um die Rechner ihrer Opfer fernzusteuern oder Passwörter auszuspionieren. Wegen zweier exakt so gelagerter Fälle ist Österreichs Polizei in den vergangenen Tagen ins Schussfeld geraten, seit die Hacker des Chaos Computer Clubs den Quellcode des deutschen 'Staatstrojaners' veröffentlicht hatten. Der Hersteller, Polizei- und Geheimdienstausrüster DigiTask, hatte in Folge angegeben, diese Software auch an Österreichs Behörden geliefert zu haben. [...] In der Verkaufspräsentation der Firma DigiTask wird das Verfolgen 'nomadischer Ziele' denn auch als wichtige Funktion ihrer 'Remote Forensic Software' beschrieben". Die Bestimmung über die "technischen Mittel" wäre also bereits ein rechtliches Hintertürl für eine rudimentäre "Online-Durchsuchung" - ohne richterliche Kontrolle, versteht sich.
Kottan, übernehmen Sie!
Und besonders schoen ist natürlich der brandneue §83b. Dort heißt es: "Wer unbefugt eine [Anm.: auf dem Verordnungsweg so definierte] grafische Darstellung der Sicherheitsbehörden oder Polizeikommanden in einer Weise verwendet, die geeignet ist, eine öffentliche Berechtigung vorzutäuschen oder das Ansehen der Sicherheitsexekutive zu beeinträchtigen, begeht eine Verwaltungsübertretung [...]"
Amtsanmaßung war schon bisher strafbar. Also was soll diese Bestimmung? VIRUS sieht darin ein "Kottanverbot". Denn genau das passierte bei Kottan - unter anderem mittels Polizeischriftzug wurde die Polizei lächerlich gemacht. Die Bestimmung komme einer Art "Karikaturenverbot gleich, so die Umweltgruppe: Dies stelle "einen potenziellen Eingriff in die Freiheit der Kunst, der Medien und das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung dar". Und das wäre wohl erst der Anfang: "In Trendfortschreibung würde im nächsten Gesetztesentwurf dann im Interesse des Ansehens der Sicherheitsexekutive das Witzemachen oder Lachen über die Polizei verboten werden".
Und das ist wahrscheinlich der Punkt: All diese "Anpassungen", all diese "Schließungen von Gesetzeslücken", all diese
"Harmonisierungen" oder wie das Wording auch immer lauten mag, sind für sich betrachtet zwar ungut, aber nicht der Riesenskandal. Schon deswegen nicht, weil die Polizei schon heute mehr macht, als ihr erlaubt ist. Doch die Parallelität in der Salamitaktik zum Beispiel in Sachen des Fremdenrechts ist deutlich erkennbar. Wie sich der Staat in seiner Gier nach neuen Polizeibefugnissen weiterentwickeln wird, bleibt daher nicht abzuwarten, sondern ist absehbar, wenn da nicht massiv von der Zivilgesellschaft Widerstand geleistet wird.
Bernhard Redl
(aus: akin, Quellen u.a.: Gesetzesentwurf, Erläuterungen und Stellungnahmen: http://www.parlinkom.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/ME/ME_00313/index.shtml; Erich Moechel am FM4-Blog)