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Die europäischen Attacs sagen "Nein" zum EU-Reformvertrag

Für SP-Kanzler Gusenbauer ist der EU-Reformvertrag ein großer Fortschritt und unverzichtbar, für die KritikerInnen hingegen "von A bis Z von Neoliberalismus gekennzeichnet." So begründen auch die europäischen Attacs ihre Ablehnung des Vertrages.

09.11.2007


Die europäischen Attac-Sektionen haben eine gemeinsame Erklärung zum so genannten EU-Reformvertrag verfasst, den die Staats- und Regierungschefs  der EU-Mitgliedstaaten bei ihrem Gipfeltreffen in Lissabon angenommen haben. Die Stellungnahme ist bis zur Stunde von Attac Dänemark, Attac Deutschland, Attac Flandern, Attac Frankreich, Attac Griechenland, Attac Holland, Attac Italien, Attac Luxemburg, Attac Polen, Attac Portugal, Attac Österreich, Attac Spanien und Attac Ungarn unterzeichnet worden.

Die europäischen Attacs sagen "Nein" zum EU-Reformvertrag

Bereits am 11. März 2007 haben 17 Europäische Attacs ihre "Zehn Prinzipien für einen demokratischen Vertrag" vorgelegt, die zu einer Neubegründung der Europäischen Union (EU) beitragen sollen. Die aufmerksame Lektüre des Reformvertrags, der von den Mitgliedstaaten der EU anlässlich des Europäischen Rats vom 18. und 19. Oktober angenommen wurde, zeigt, dass er keines der zehn Prinzipien respektiert. Mehr noch, er ist eine getarnte Neuauflage des Europäischen Verfassungsvertrages, den die französischen und niederländischen Wählerinnen und Wähler im Jahr 2005 abgelehnt haben. Dieser Text ist inakzeptabel, sowohl was sein Zustandekommen als auch was seinen Inhalt betrifft.

1. Institutionelles Demokratiedefizit bleibt bestehen: Die europäischen Attacs haben vorgeschlagen, einen demokratischen Prozess zur Ausarbeitung und Annahme des gesamten neuen Vertrags zu starten. Allem voran muss eine von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte Versammlung eingesetzt werden. Die nationalen Parlamente müssen wirksam am Prozess beteiligt werden. Alle Mitgliedsstaaten müssen bei der Ratifizierung ein bindendes Referendum durchführen. Wir wollen einen kurzen Vertrag, der für sich alleine steht und von allen Bürgerinnen und Bürgern verstanden werden kann. Demgegenüber wird uns wiederum ein langer und unlesbarer Text vorgelegt, der zudem hinter verschlossenen Türen abgefasst wurde. Er soll nun in der Mehrzahl der Mitgliedsländer von den Parlamenten ohne Änderungen abgesegnet werden. Und dies so schnell wie möglich, um so jede wirkliche öffentliche Debatte zu unterbinden.

2. Verschlossene Institutionen der Union: Mit der Ausnahme einiger Veränderungen von geringer Tragweite bleibt es bei der bestehenden Funktionsweise der EU, die durch eine Verletzung der Gewaltenteilung gekennzeichnet ist. Das Europäische Parlament bleibt von weiten Entscheidungsbereichen ausgeschlossen, die wichtige Zuständigkeiten der Union betreffen. Insbesondere ist dem Parlament jegliche legislative Initiative versagt. Die nationalen Parlamente können sich nicht zur Grundlage von Rechtsinitiativen äußern, selbst wenn sie in einem Teil der Zuständigkeitsbereiche am Gesetzgebungsprozess beteiligt sind. Die Kommission, eigentlich exekutives Organ der Union, ist auch mit legislativer und judikativer Gewalt ausgestattet. Dagegen behält der Rat seine Rolle als gesetzgeberisches Organ, obwohl e  eigentlich nur das Treffen der nationalen Regierungen ist. Die Lobbys werden weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. Die Mitglieder der Kommission können von den ParlamentarierInnen weder gewählt noch abgesetzt werden. Das Initiativrecht der BürgerInnen reduziert sich auf fromme Absichtserklärungen. Die Europäische Zentralbank (EZB) entgeht jeder demokratischen Kontrolle und behält als ihr einziges Ziel die Preisstabilität, die zu einem der Hauptziele der Union erklärt wird.

3. Keine Alternative zum Neoliberalismus: In der öffentlichen Diskussion wurde übertrieben betont, dass der "freie und unverfälschte" Wettbewerb nicht länger als eines der Hauptziele der Union erwähnt wird. Dies sei, so sagt man uns, der Beweis, dass der Verfassungsvertrag wirklich aufgegeben wurde. Aber man merkt bei der Lektüre des Dickichts der Paragraphen, Protokolle undErklärungen, dass dieser Wettbewerb allgegenwärtig bleibt. Er macht es unmöglich, dem neoliberalen Modell zu entrinnen. Genau dieser Wettbewerb bestimmt das Funktionieren der Dienstleistungen im Allgemeinen Wirtschaftlichen Interesse (DAWIs). Und er könnte auf sämtliche anderen öffentlichen Dienste ebenfalls ausgedehnt werden. Der Wettbewerb dient auch als Ausrede für die Weigerung, die sozialen und steuerlichen Regeln nach oben anzugleichen. Der Vertrag, so wie er sich darstellt, mach es den Staaten unmöglich, sich für etwas anderes als den entfesselten wirtschaftlichen  Liberalismus zu entscheiden.

4. Immer noch stark eingeschränkte Grundrechte: Die Charta der Grundrechte hat "verpflichtenden Charakter", aber die Rechte sind im Allgemeinen von sehr geringer Reichweite. Zudem wird bei der Anwendung der Rechte auf "einzelstaatliche Gesetzgebung und Regelungen" verwiesen. Somit schafft die Charta keinerlei europäisches Sozialrecht und beschränkt sich auf vage Formulierungen, die zu nichts verpflichten. Großbritannien und Polen erhalten gar Ausnahmeklauseln bei der Anwendung der Grundrechte.

5. Militaristischer und auf die NATO orientierter Vertrag: Die gemeinsame Verteidigung der Union ist nur im Rahmen der NATO vorgesehen. Der Militarismus wird offiziell befördert: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern." Im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus wird zu militärischen Interventionen im Ausland sogar ermuntert. All dies erscheint schon im Entwurf des Verfassungsvertrags und ist Wort für Wort in den neuen Vertrag übernommen worden.

Dieser Reformvertrag ist von A bis Z vom Neoliberalismus gekennzeichnet, sowohl in den Prinzipien, die er fördert, als auch den Politiken, mit denen er operiert. Die wenigen positiven Punkte stellen die augenblickliche  Arbeitsweise der Union und ihr erschütterndes Demokratiedefizit nicht in Frage. Darum werden sich die europäischen Attacs nicht damit abfinden. Die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedsstaaten sollen über ihre Zukunft entscheiden dürfen. Daher streiten wir für bindende Volksabstimmungen über den Vertrag bei der Ratifizierung in jedem einzelnen Mitgliedstaat.