Bilderstürmereien
Monika Mokre
Kunst, Meinungsfreiheit und Macht
24.04.2007
Österreich hatte sein Skandälchen im Dezember des Vorjahres, als im
Rahmen eines Projektes zur EU-Ratspräsidentschaft zwei Bilder gezeigt
wurden, die zuerst von der veröffentlichten Meinung und dann von der
Volksmeinung als pornographisch bezeichnet wurden.
Österreich erlitt eine schwere narzisstische Kränkung, als sich im
Jänner dieses Jahres herausstellte, dass die Republik tatsächlich die
einstmals enteigneten Klimt-Bilder ihren BesitzerInnen zurückgeben muss.
Diese kleinen nationalen Aufreger verblassen allerdings vor dem
weltweiten Sturm, den eine Serie geschmackloser Karikaturen des
Propheten Mohammed in einer dänischen Zeitung ausgelöst hat.
Drei Vorfälle mit einigen Parallelen. Z. B. dass sich in jedem Fall
einige ganz einfache Antworten zur Konfliktfrage finden, die mit Verve
vorgetragen werden:
Die Kunst ist frei.
Die Meinung ist frei.
Die Freiheit der Kunst endet dort, wo Gefühle und Wertvorstellungen anderer verletzt werden.
Kunst sollte öffentlich zugänglich sein.
Nationalsozialistische Enteignungen sind rückgängig zu machen.
Alle diese Aussagen sind richtig im Sinne dessen, dass sie
Wertvorstellungen unserer Gesellschaft entsprechen. Und aufgrund dessen
helfen sie wenig weiter, wenn konkrete Situationen beurteilt werden
sollen: Dort, wo sie einander widersprechen, lässt sich kein allgemein
gültiges Urteil treffen, verschiedene Werte müssen gegeneinander
abgewogen werden. Manchmal ist das ziemlich einfach: Die Rechte der
Opfer des Nationalsozialismus wiegen schwerer als die ihrer
EnteignerInnen. Manchmal ist das eher schwierig: Geht die Freiheit der
öffentlichen Meinung so weit, dass die Gefühle einer in diesem Land
unterdrückten Minderheit verletzt werden dürfen?
Debatten über moralische Urteile sind schwierig und letztendlich
unlösbar - und deshalb werden sie wohl im Allgemeinen auch nicht
geführt. Oder genauer: Sie werden scheinbar geführt und Positionen
werden angeblich moralisch begründet, während es in Wirklichkeit um
Machtansprüche geht. Die Rechte enteigneter jüdischer Familien haben
die Republik Österreich vor dem verlorenen Prozess um die Klimt-Bilder
in keiner Weise interessiert. Und die religiösen Gefühle der in
Dänemark lebenden Moslems sind erst interessant geworden, seit Moslems
auf der ganzen Welt sich mit ihnen identifiziert haben und dieser
Konflikt massive wirtschaftliche und politische Folgen nach sich zu
ziehen droht.
Macht äußert sich im Spätkapitalismus bekanntlich nur selten als
offensichtliche Repression; im allgemeinen und viel effektiver ist sie
internalisiert, erscheint als Teil der persönlichen Anliegen und
Bedürfnisse der Individuen. Z. B. der Mehrheit der österreichischen
Bevölkerung, die KronenzeitungsleserInnen sind und die Empörung dieser
Zeitung über zwei Plakate, die sie vermutlich selbst nie gesehen haben
(da es davon nur eine sehr geringe Auflage gab), umgehend als ihre
eigene übernehmen. Z. B. von Moslems auf der ganzen Welt, die ihren
islamistischen Führern glauben, dass eine Zeitungsveröffentlichung in
einem kleinen europäischen Land eine Beleidigung für sie alle darstellt.
Macht beruht im Kapitalismus bekanntlich auf ökonomischen Grundlagen.
Dies wird seit Beginn des Kapitalismus immer wieder versucht zu
verschleiern. Die Freiheit der Kunst, ihre angebliche Abgelöstheit aus
ökonomischen Zusammenhängen, war eine wichtige Form dieser
Verschleierung. Der Spätkapitalismus ist immer weniger auf solche
Verschleierungen angewiesen, da ohnehin allgemein anerkannt ist, dass
wirtschaftlicher Erfolg das einzige ist, was zählt. Sodass - wie von
Adorno und Horkheimer schon in den 1940ern dargestellt - die
Kulturindustrie die ökonomische Verwertbarkeit von Kunst konsequent und
erfolgreich vorantreibt. Auf diese Art wird der Skandal um zwei
Kunstwerke im öffentlichen Raum zu einem enormen Publicityerfolg, der
von den Kuratoren der Reihe auch enthusiastisch gefeiert wird. Dass es
in diesem Skandal in keiner Weise um das geht, was die beiden
KünstlerInnen aussagen wollten, spielt in diesem Kalkül keine Rolle:
Das Bild einer nur mit einem Slip in den Farben der EU-Flagge
bekleideten Frau ist ein Werk der radikal-feministischen serbischen
Künstlerin Tanja Ostojic, die sich in allen ihren Arbeiten mit
Frauenunterdrückung beschäftigt und mit den neuen Facetten, die diese
durch die Schengen-Grenzen erhalten hat. Es wurde im Rahmen von
Ausstellungen bereits mehrfach gezeigt und ist in diesem Kontext auch
gut verständlich: Die Verfremdung eines Bildes von Gustave Courbet zu
einem Frauenkörper, der - in Anspielung auf sexistische Werbeplakate -
völlig geglättet ist, in Kombination mit der Flagge jener politischen
Einheit, die Frauen aus Nicht-EU-Ländern mit ihrer Gesetzgebung dazu
bringt, sich in Scheinehen oder anderen Formen sexueller Ausbeutung
männlichen EU-Bürgern auszuliefern. Ohne Kontext und ohne Wissen um die
Künstlerin ist das Bild völlig unverständlich und geht zwischen
durchaus ähnlichen Darstellungen etwa der Werbung für weibliche Dessous
unter. (Dass es im Unterschied zur Unterwäschenwerbung und zur
täglichen Nackten in der Kronenzeitung als pornographisch bezeichnet
wird, ist allerdings einigermaßen erstaunlich.)
Wenn PolitikerInnen aus der ganzen EU sich jetzt beflissen fühlen, die
religiösen Gefühle von Moslems zu verteidigen, liegt das daran, dass -
sehr zum Unbehagen der Ersten Welt - mittlerweile die ehemaligen
Kolonien ein erhebliches Maß an ökonomischer und politischer Macht
haben und diese auch einsetzen. Nicht nur Attentate radikaler
IslamistInnen fürchtet die EU, sondern auch den Wirtschaftsboykott
durch Moslems, der den EU-Staaten erheblichen wirtschaftlichen Schaden
zufügen könnte. Der Kniefall vor den religiösen Gefühlen von Moslems
hat nichts mit religiöser Toleranz zu tun (und schon gar nicht mit
Toleranz gegenüber den Minderheiten im eigenen Land, die z. B. gerade
durch Debatten über verpflichtende Deutschsprachigkeit auf deutschen
Schulhöfen einen neuen Tiefpunkt erreicht), sondern ist klares
polit-ökonomisches Kalkül.
Was daraus für die konkreten Konfliktfälle zu lernen ist? Nicht viel,
außer dass wir uns nicht von Debatten über Kunst, Meinungsfreiheit und
moralische Werte verwirren lassen sollten, wenn es in Wirklichkeit um
wirtschaftliche Vorherrschaft und politische Macht geht.
04-02-2006, 18:22:00 |Monika Mokre