Ukraine: Weder russische Truppen noch Faschismus noch NATO
Catherine Samary
(2. März 2014) Der Sturz von Janukowitsch war kein faschistischer „Staatsstreich“; aber Zusammensetzung und politische Orientierungen der „Regierung der nationalen Einheit“, die auf die Unterstützung der Westmächte bauen kann, sind dabei, die Ukraine explodieren zu lassen. Die bunt zusammengestückelten und polarisierten Darstellungen verschleiern, was sozial und für die Demokratie auf dem Spiel steht, indem sie sich auf Teilwahrheiten stützen…
30.04.2014
Der Sturz von Janukowitsch war kein faschistischer „Staatsstreich“; aber Zusammensetzung und politische Orientierungen der „Regierung der nationalen Einheit“, die auf die Unterstützung der Westmächte bauen kann, sind dabei, die Ukraine explodieren zu lassen. Die bunt zusammengestückelten und polarisierten Darstellungen verschleiern, was sozial und für die Demokratie auf dem Spiel steht, indem sie sich auf Teilwahrheiten stützen.
Der Maidan: Es handelt sich um eine Volksbewegung, die – misstrauisch gegenüber allen Parteien – Janukowitsch wegen der von ihm selbst angewandten Methoden zu Fall gebracht hat. Mehr als nur auf Europa ausgerichtet zu sein, zielten die Mobilisierungen des Maidan auf die herrschende, oligarchische „Familie“ und den zunehmend repressiven und an persönlichen Interessen orientierten Kurs des Regimes. Die Menschen fürchteten, eine Integration in Putins Projekte würde diese abwegige Entwicklung nur verschlimmern.
Dadurch aber hat „Swoboda“ [Freiheit] an Gewicht zugenommen – eine Partei, die permanent die SS-Bataillone verherrlicht und im Moment eine Aufwertung der „europäischen Ukraine“ gegen Russland betreibt. In gleicher Weise genossen die AktivistInnen des „Prawyi Sektor“ [Rechter Sektor], die ihre Xenophobie als „Systemgegnerschaft“ zu tarnen verstanden, eine gewisse Popularität. Diese aktive Präsenz von rechts-außen – als volksnah verstanden von einer Bewegung, die ideologisch konfus und vom Typ her eine Bewegung von „Empörten“ war – hat die Kräfte der Linken gespalten und geschwächt.
Aber der Übergang einer sozialen Bewegung der Straße zu einer „Regierung der [nationalen] Einheit“ verändert die Sachlage: Durch ihn erhalten die Parteien ein großes Gewicht, die en bloc von Seiten der EU, die höchst zufrieden ihr ultraliberales Projekt der „östlichen Partnerschaft“ wieder aufs Tapet bringen konnte, eine Aufwertung erfahren haben. Doch dieses von der EU präsentierte Projekt, das im Widerspruch zu den russischen Projekten steht, zerstört die Ukraine in ihrem sozialen und nationalen Bestand.
Die russische Seite – und die russische Sprache
Unabhängig von den jüngsten Ereignissen beabsichtigte Putin, den Vertrag mit der Ukraine dahingehend abzuändern, dass die Aufrechterhaltung der russischen Militärbasis in Sewastopol (das innerhalb der mit einem Sonderstatus ausgestatteten Krim einen Autonomiestatus besitzt) gegen das Angebot niedriger Tarife für russisches Erdgas verlängert würde. Jetzt versucht er – begründet mit dem Schutz der lokalen Bevölkerungen (zu 60 % russischsprachig) – zu bekommen, was er seit 2010 mit Janukowitsch unter Anwendung von Machtmitteln ausgehandelt hat: Die Truppen sollen ihre Basis verlassen, um die Krim zu kontrollieren und antirussischen Bestrebungen entgegen zu treten, auch auf die Gefahr eines Krieges hin.
Aber die Ängste, die Mobilisierung und der Ruf nach Hilfe für die lokalen Bevölkerungen sind durchaus keine bloßen Einflüsterungen aus Moskau: Als erste Amtshandlung stellte die „Regierung der Einheit“ nach dem Sturz von Janukowitsch den Status des Russischen als offizielle Sprache in den russischsprachigen Gebieten zur Disposition. Diese Maßnahme führte unmittelbar zu einem Anstieg der Spannungen, ebenso wie der Eintritt der Minister der Swoboda in die „Regierung der Einheit“. Das Niederreißen von Leninstatuen und das Verbot der „Partei der Regionen“ (Partei Janukowitschs)und der Kommunistischen Partei dort, wo Swoboda und Prawyi Sektor dominieren, tragen zu der Konfusion bezüglich des gemeinsamen Erbes, der gemeinsamen kulturellen Prägungen und der Erinnerungen an die vergangene Geschichte bei. Das ist verständlich, aber nicht akzeptabel.
Gegen die Pseudo-Ausweglosigkeiten die soziale und demokratische Neuorientierung:
Gegen begangene Verbrechen bedarf es keiner Parteiverbote, sondern einer von den Parteien unabhängigen Justiz. Es kommt darauf an, rassistische Ideologien und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen: Die muslimischen Tataren der Krim, unter Stalin deportiert und zurück in ihrer Heimat seit 1991, sind – obwohl pro-Maidan aus Furcht vor der großrussischen Herrschaft – ebenso sehr durch die Ideologie der in Kiew herrschenden Swoboda wie durch den Prawyi Sektor, der das „Christentum“ gegen die „Burkas“ verteidigt, bedroht.
Wir müssen in den Vordergrund stellen, was die Bevölkerungen der ganzen Ukraine einander näher bringt – die Bejahung der Unabhängigkeit des Ukrainischen als Nationalsprache, aber verbunden mit den kulturellen und sprachlichen Rechten der KrimtatarInnen und der russischsprachigen UkrainerInnen – und die sozialen und grundlegenden Fragen. Das Streben nach Demokratie muss den Argwohn gegenüber dem „System“ wie in Bosnien in Versammlungen von BürgerInnen überleiten, die die Privatisierungen offen legen, denen die sozialen Rechte zum Opfer gefallen sind. Und gegen die Austeritätspläne des Internationalen Währungsfonds (IWF) müssen die Schulden als illegitim angeprangert werden.
Die Autonomie und bald darauf die Demilitarisierung der Krim setzen eine militärische Neutralität der Ukraine voraus. Die Einheit der Krim und die des ganzen Landes gehen einher mit der Verteidigung der sozialen und kulturellen Rechte für alle – gegen den Faschismus, die großrussische Herrschaft so wie die Herrschaft der euro-atlantischen Institutionen.
(2. März 2014)