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Hat die Autoindustrie noch eine Zukunft?

Das Massenprodukt Auto hat große Probleme. Der Markt ist übersättigt, die Einkommen schrumpfen, und das Produkt ist ein Klimakiller ersten Ranges. In der Autoindustrie stehen weltweit Kurzarbeit und Massenentlassungen an. Die AutomobilarbeiterInnen kommen um eine Diskussion über die Zukunft des Autos nicht mehr herum.

26.12.2008

Lars Henriksson arbeitet bei Volvo in Göteborg. Er ist zugleich, was sehr selten ist, aktiv in der Bewegung zur Rettung des Klimas.
Die Krise hat die Automobilindustrie schwer getroffen; im Juni kündigte Volvo Auto, das seit 1999 zu Ford gehört, 1200 Entlassungen in Schweden an, 600 davon sind Arbeiter aus dem Werk Torslanda in Göteborg. Im September erklärte die Geschäftsleitung, es müssten mindestens noch 900 zusätzlich entlassen werden. Auch in der Lkw-Produktion von Volvo wurde Stellenabbau angekündigt.
Lars Henriksson hat daraufhin eine ungewöhnliche Initiative ergriffen: Er will Klimaaktivisten und Automobilarbeiter an einen Tisch bringen. Seine Idee: Die Jobs könnten gerettet werden, wenn statt umweltzerstörender Autos, die sich nicht einmal verkaufen lassen, andere, umweltverträgliche Produkte hergestellt würden. Lars Henriksson hat diese Idee auch unter seinen eigenen Kollegen propagiert.

Aus der Betriebszeitung

In einem Beitrag für die Betriebszeitung Kvasten (Der Besen) schreibt er:
"Die zusätzlichen Entlassungen, mit denen die Geschäftsleitung kürzlich rausrückte, 900 mehr als bisher angekündigt, haben die Stimmung im Betrieb noch weiter gedrückt. Weniges ist so niederdrückend wie wenn man in einer schwierigen Situation nicht in der Lage ist was zu tun. Die Frage ist: Können wir mehr tun als nur das Beste hoffen?
Grundsätzlich haben wir zwei Möglichkeiten: Wir können nichts tun und die Geschäftsleitung weiter machen lassen wie bisher. Wir können die Arme verschränken in der Hoffnung, dass der Sturm vorübergeht und wir heil herauskommen. Wenn wir überlegen, wie die Bosse das Unternehmen bisher geführt haben, und wie es aussieht in der Welt mit dem Bankenkrach, der Klimaerwärmung und dem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang, ist das wahrscheinlich keine gute Idee. Niemand von uns wird unbeschadet davon kommen — weder die, die entlassen werden, noch die, die meinen, diesmal sind sie noch davon gekommen. Was können wir dann tun? Die Probleme sind enorm und die Antworten liegen alles andere als auf der Hand, aber aufgeben wäre die schlechteste Antwort. Wir sollten zumindest anfangen, gemeinsam über unsere Zukunft zu reden.
Eine vernünftige Maßnahme wäre, die Arbeitswoche zu verkürzen ohne den Lohn zu kürzen. Es ist verrückt, dass einige länger und härter arbeiten sollen, während andere zur Muße verdammt werden. Statt den Leuten Arbeitslosengeld zu bezahlen, damit sie nicht arbeiten, könnte man das Geld dafür verwenden, dass alle von uns weiter arbeiten, aber weniger Stunden. (Die hohen Gehälter der Manager könnten dafür leicht ein wenig reduziert werden, ohne dass sie deswegen gleich ins Pfandhaus müssen...)
Das kriegen wir nicht in einer Kaffeepause geregelt und erfordert wahrscheinlich politische Entscheidungen; aber irgendwo müssen wir ja anfangen. Der große Vorteil ist, dass eine solche Entscheidung, ist sie einmal gefällt, leicht umzusetzen ist. Keine umfängliche Konversion ist nötig und hätte sicher sogar noch positive Effekte, weil es weniger Krankheitstage gäbe. Die Forderung ist auch nicht so abwegig. Die schwedischen Gewerkschaften sind mal mit der Forderung nach einer kürzeren Arbeitswoche groß geworden, und viele Gewerkschaften in Europa haben später dafür gekämpft — und gewonnen.

Zukunft ohne Auto

Eine größere Frage ist, ob es langfristig möglich sein wird, auf die Herstellung von Autos noch eine Lebensperspektive aufzubauen. Mit immer weniger Öl und immer größeren Klimaproblemen wird es in nicht allzu weit entfernter Zukunft nicht länger tragbar sein, Autos zu bauen, gleichgültig wie gut, billig oder ‘umweltfreundlich‘ sie sein werden. Das ist keine Frage, auf die sich eine schnelle und leichte Antwort geben lässt. Aber wenn wir nur rumsitzen und darauf hoffen, dass sich irgendjemand darum kümmert, sind die Chancen groß, dass wir bald alle ohne Arbeit dastehen. Die Produktion zu ändern, mag uns allen unmöglich erscheinen, weil wir auf der niedrigsten Ebene des Unternehmens arbeiten. Aber die Wahrheit ist eher, dass wir die einzigen sind, die das tun können.
Von den Managern können wir keine Hilfe erwarten. Deren Loyalität zum Unternehmen oder dem Werk reicht nicht weiter als das nächste besser bezahlte Jobangebot.
Was uns ein bisschen Hoffnung machen kann, ist dass wir eine Organisation haben, unsere Gewerkschaft. (Selbst wenn viele von uns sich fragen, wo sie in diesen Tagen bleibt...) Unter anderem für so große Fragen haben wir unsere Gewerkschaft. Und da wir jetzt vor einer ernsten Gefährdung unserer Zukunft stehen, ist es die Pflicht der Gewerkschaft zu handeln. Nicht so, dass sie die Regierung um mehr Unterstützung für eine Produktion bittet, die sich überlebt hat. Die IF Metall, die schwedische Organisation der Automobilarbeiter, sollte stattdessen in Diskussion mit Verkehrsexperten und anderen treten, die besser Vorschläge für eine künftige Produktion haben, als Luxusautos für die Reichen und Mächtigen der Welt zu bauen.
Aber auch hier können wir nicht darauf zählen, dass jemand unsere Arbeit tut. Die Diskussion muss von uns geführt werden, von den Mitgliedern. Wenn sie bei den Funktionsträgern und Hauptamtlichen stecken bleibt, wird sich nicht viel bewegen.
Sicher haben wir Werktätigen noch viele andere Anregungen. Damit sie ins Gewicht fallen, muss die Gewerkschaft anfangen, wie eine Gewerkschaft zu handeln. Informieren über das, was passiert, aber vor allem zuhören und eine Diskussion in Gang bringen, was wir tun sollen. Fordern, dass wir eine Extrastunde Mittagspause kriegen und Treffen in der Kantine organisieren. (Das dürfte nicht zu schwer sein, jetzt wo das Werk mehrere Tage stillsteht.) Wenn die Volvo-Gewerkschaftsgruppe das nicht tun will, können es Unterabteilungen von ihr tun. Wenn auch sie dagegen sind, können wir Versammlungen in den Pausen in verschiedenen Abteilungen organisieren und verlangen, dass unsere Vertreter zu uns kommen."
Soweit die Betriebszeitung. Am 5. November moderierte Lars Henriksson eine Veranstaltung mit UmweltaktivistInnen und Verkehrsexperten in Göteborg zum Thema „Rettet die Jobs — rettet den Planeten” Im Flugblatt dazu schreibt er: „Jetzt haben wir die große Chance, die Produktion zu konvertieren, in Produkte, die für die Gesellschaft nützlich und dauerhaft umweltverträglich sind. Und Arbeitsplätze schaffen! Es ist nicht länger möglich zu sagen: Wir bauen mehr Autos."

Quelle: SOZ, Dezember 2008