Grundeinkommen jetzt. Eine Definition und vier Gründe für das bedingungslose, garantierte Grundeinkommen
Karl Reitter
Definition: Was ist das garantierte Grundeinkommen? Das Grundeinkommen soll bedingungslos, universell, personenbezogen und existenzsichernd monatlich an alle ausbezahlt werden. Weder Einkommen noch Geschlecht, weder Staatsbürgerschaft noch Erwerbstätigkeit sind dabei zu berücksichtigen. Armutsbekämpfung und Verbesserung der Sozialtransfers sind dabei nur ein Nebenaspekt. Es geht um die Verwirklichung jenes Prinzips, das auch als Motte des großen Kongresses zum Grundeinkommen im Herbst 2005 in Wien diente: „In Freiheit tätig sein!“
24.04.2007
1. Grund: Arbeit ist mehr als Erwerbsarbeit
Jede Arbeit ist anzuerkennen. Würden wir jede unbezahlte Tätigkeit
einstellen, würden wir nur jene Arbeit verrichten, die direkt entlohnt
ist, die Gesellschaft würde binnen weniger Wochen, ja Tage, verarmen
und zusammenbrechen. Gesellschaftlich anerkannt, ja überhaupt
wahrgenommen wird (zumeist) nur die offizielle, entlohne Arbeit. Jede
andere Tätigkeit, von der Hausarbeit bis zu künstlerischen, sozialen,
politischen und sonstigen kreativen Tätigkeiten gilt und zählt nicht.
Aber die Produktion von Reichtum und Wissen ist immer schwieriger zu
lokalisieren. Die Auffassung, alle wichtigen und sinnvollen Dinge
würden ausschließlich im offiziellen ökonomischen Sektor produziert,
ist schon längst nicht mehr aufrecht zu erhalten. Das Grundeinkommen
anerkennt hingegen jede Art von Tätigkeit, ob wir sie nun als Arbeit
bezeichnen wollen oder nicht; egal ob sie entlohnt, teilweise entlohnt
oder vielleicht in Zukunft entlohnt wird. Die Gesellschaft ist
insgesamt ein großer produktiver Zusammenhang und wir alle nehmen daran
gleichberechtigt teil. Das Grundeinkommen anerkennt diese Tatsache auf
praktische Weise, indem sie allen die finanziell Existenzgrundlage
sichert.
2. Grund: Wir benötigen eine klare Antwort auf die aktuelle Entwicklung
Arbeit und Freizeit, Fabrik und Gesellschaft; die starren und klaren
Grenzen zwischen diesen Bereichen sind schon lange aufgeweicht. Die
geregelte, durch den Kollektivvertrag abgesicherte Erwerbsarbeit wird
immer öfter durch neue prekäre Arbeitsformen ersetzt: Leiharbeit,
Teilzeitarbeit, freie Dienstverträge und nicht zuletzt die
Scheinselbständigkeit nehmen zu. Das bedeutet geringere oder überhaupt
keine soziale Absicherungen. Die Perspektive der Lebensplanung
schrumpft auf bis zum Augenblick. Immer mehr Menschen schätzen ihre
momentane Tätigkeit als „vorläufig“ ein, denn eigentlich wollen sie
etwas ganz Anderes machen.
Diese politisch bewusst geförderte Entwicklung scheint für Kapital und
Herrschaft ein Vorteil zu sein. Wenn die Stammbelegschaften schrumpfen,
sinkt der gewerkschaftliche Organisierungsgrad fast automatisch. Neue
Arbeitsformen bedeuten unterm Strich geringere Einkommen. Diese
Tendenzen schlagen sich bereits in den Statistiken nieder, die Reichen
werden reicher, die Armen ärmer. Zudem wirkt die hohe Arbeitslosigkeit
als permanente Drohung, die Arbeitszeiten steigen, die Einkommen
stagnieren auch in traditionellen Sektoren der Wirtschaft. Angesichts
dieser Entwicklung bedeutet die Forderung nach dem Grundeinkommen, in
die Offensive zu gehen. Anstatt tausend und eine neue Regelungen oder
die hundertste Novelle der Sozialversicherungsgesetze zu fordern,
verwirklicht das Grundeinkommen eine Situation, die weder durch neue
Arbeitsformen noch durch die Drohung mit der Arbeitslosigkeit
unterlaufen werden kann. Sie ermöglicht auch Personen, die als
EinzelkämpferInnen um ihr Einkommen ringen müssen, jederzeit NEIN zu
sagen.
3. Das Grundeinkommen stellt niemanden einen Blankoscheck aus
Politische Forderungen wie etwa jene nach der Schaffung von
Arbeitsplätzen leiden an einem großen Manko. Eine Partei, eine
Regierung, eine einflussreiche Lobby usw. wird aufgefordert – oder
verspricht es von sich aus – eine bestimmte Politik durchzusetzen. Wir,
so sagen sie, werden dies oder das erreichen und durchsetzen. Aber das
Ziel bleibt immer ebenso vage wie die Methoden der Durchsetzung.
Bleiben wir beim Beispiel Arbeitsplätze. Was soll denn nicht alles
Arbeitsplätze sichern und vermehren: Steuersenkung ebenso wie
Steuererhöhungen, Öffnung der Märkte ebenso wie ihre strikte Regelung,
Freizügigkeit des Kapitalverkehrs ebenso wie ihre Kontrolle,
Lohnerhöhungen ebenso wie Lohnsenkung… Zudem ist Arbeitsplatz ist nicht
Arbeitsplatz, bekanntlich gibt es miese wie privilegierte, bestbezahlte
und welche mit Hungerlöhnen. Die Forderung nach Arbeitsplätzen lässt
alles offen: sie gibt den politischen Akteuren jede Definitionsmacht.
Das Konzept des Garantierten Grundeinkommens fordert nun niemand zu
einer bestimmten Politik auf, keine Partei oder Gruppe bekommt einen
Blankoscheck in die Hand. Ein existenzsicherndes, bedingungsloses
Grundeinkommen für alle: da gibt es keinen Spielraum für
Interpretationen, das wird kein Einkommen, kein Besitz, keine
fremddefinierte Arbeitswilligkeit, keine Staatsbürgerschaft erhoben,
geprüft oder bewertet. Die Forderung nach dem Grundeinkommen ist klar
und schnörkellos. Kein Wunder, dass die Mächtigen, oder solche, die
danach streben es zu werden, diese Forderung nicht besonders schätzen…
14-04-2006, 18:16:00 |Karl Reitter