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Griechenland: "Das Schuldendiktat ist eine Form der Kriegführung"

Der Mitarbeiter der Fraktion der Europäischen Linkspartei im Europaparlament, Klaus Dräger, im Gespräch über Eurobonds, das deutsche Europa und die Erpressung der Schuldner. Er beschreibt den autoritären Weg, den die EU unter deutscher Führung mit der europäischen Wirtschaftsunion einschlägt, die an die Rettungspakete gekoppelt ist

10.11.2011

Die Euro-Rettungspakete reichen nicht aus, um Griechenland oder ein anderes der südeuropäischen Länder in die Lage zu versetzen, seine Schulden zurückzuzahlen. Das wissen auch die Akteure auf den Finanzmärkten. Wenn sie trotzdem auf der Rückzahlung der Schulden bestehen, dann deshalb, weil ihnen das einen Hebel an die Hand gibt, in großem Stil Raubbau am öffentlichen Eigentum, an Löhnen und gewerkschaftlichen Standards zu treiben. Für das deutsche Kapital geht es überdies um die Veränderung der Wertschöpfungsketten in Europa.

Frage: Trotz milliardenschwerer Rettungspakete gelingt es der EU nicht, die Staatsschulden der Eurozone in den Griff zu bekommen und die Finanzmärkte zu beruhigen. Warum eigentlich nicht?

Klaus Dräger: Weil die gar nicht so anonymen Finanzinvestoren – Banken, Investmentfonds, Hedgefonds, auch Industrieunternehmen – sehen, dass trotz drastischer Sparprogramme wie in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien usw. diese Länder aus der Rezession nicht herauskommen. Deshalb ist es aus ihrer Sicht auch nicht sehr wahrscheinlich, dass sie die Hilfskredite von EU und IWF am Ende bedienen können werden.

Die einen verdienen kurzfristig mit Wetten, dass das alles nicht funktioniert, treiben die Risikoaufschläge für neue Anleihen hoch usw. Aber am Ende wollen alle ihr Geld mit Rendite zurück, und das soll die öffentliche Hand ihnen garantieren, was sie bislang ja auch folgsam tut.

Die «Märkte» nehmen jetzt auch Länder wie Spanien, Italien, Belgien und zunehmend Frankreich ins Visier. Sie sind aber realistisch genug, um zu wissen, dass selbst eine Verdreifachung der EU-Rettungsschirme nicht ausreichen dürfte und auch das reiche Deutschland die Rettung ihrer Ansprüche nicht mehr stemmen kann. Also bleibt man bei dieser Mischung von kurzfristiger Spekulationsmitnahme und langfristigem Pessimismus.

Jetzt sind Eurobonds im Gespräch. Was ist das und was bedeuten sie?

Eurobonds oder Euroanleihen gibt es ja bereits. Die Europäische Investitionsbank zum Beispiel legt solche Anleihen auf, um ihre Förderprogramme zu finanzieren. Auch die Anleihen mit AAA-Rating, die der EFSF auflegt, sind Eurobonds. Was in der aktuellen Debatte zu Eurobonds diskutiert wird, ist die Auflage von «Gemeinschaftsanleihen», für die entweder die EU insgesamt oder die Staaten der Eurozone haften. Die meisten Vorschläge sehen vor, dass Mitgliedstaaten bis zu einer Grenze von 60% ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts Zugang zu solchen Eurobonds haben sollen.

Du hast einmal gesagt, die Einführung von Eurobonds käme unter den gegebenen Bedingungen einem EU-geführten Staatsstreich gleich. Wie meinst du das?

Das habe ich nicht gesagt. Die polemisch zugespitzte Formel vom EU-geführten Staatsstreich bezieht sich auf den Vorschlag des EZB-Präsidenten Jean Claude Trichet. Er plädiert für ein EU-Finanzministerium mit erweiterten Kompetenzen – ganz ohne demokratische Kontrolle. Er verlangt, dass der Europäische Rat auf Vorschlag der Kommission und in Abstimmung mit der EZB Entscheidungen nationaler Parlamente über haushaltspolitische Ausgaben und alle für ihre Wettbewerbsfähigkeit wichtigen Politikbereiche aufheben und selbst die von der EU-Ebene in diesem Land als vordringlich angesehenen Entscheidungen durchsetzen kann.

Eine Reihe von EU-Politikern und Kommentatoren koppeln diese Idee von Trichet mit der Einführung von Eurobonds. Das Problem sind nicht die Eurobonds an sich, sondern wie ihre Einführung hier mit einem autoritären und die Demokratie zerstörenden Europa-Konzept verknüpft wird.

Auch Eurobonds würden wahrscheinlich nichts daran ändern, dass Griechenland niemals in der Lage sein kann, Schulden zurückzuzahlen, wenn gleichzeitig sein Haushalt kaputtgespart wird?

Ja, das sehe ich auch so, auch für Portugal oder Irland. Zudem zielen die gängigen Vorschläge zur Einführung von Eurobonds – wie z.B. die vom Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Junker, und dem italienischen Finanzminister Tremonti – darauf ab, den Zugang der Mitgliedstaaten zu Eurobonds an die auf EU-Ebene vereinbarten «Konsolidierungsmaßnahmen» zu binden. Es geht also um Eurobonds gegen drastische Sparpolitik und neoliberale Strukturreformen. Nichts würde sich damit verbessern für die große Mehrheit der Bevölkerung.

Es gibt auch andere Vorschläge zu Eurobonds, die diese als Finanzierungsinstrument für ökosoziale Zukunftsinvestitionen und Beschäftigung einsetzen wollen, z.B. vom Europäischen Gewerkschaftsbund, Euromemo oder Stuart Holland. Das wäre eine vernünftige Strategie, aber die rechte Mehrheit in allen EU-Gremien lehnt dies rigoros ab. Auch die Sozialdemokratie folgt eher dem Kurs von Juncker.

Warum verlangt die Bundesregierung, getrieben von den Banken, von Griechenland so etwas offenkundig Unsinniges? Geht es um einen Vorwand, um sich in räuberischer Art das Staatseigentum der Griechen unter den Nagel zu reißen?

Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung hierbei in erster Linie von den Banken getrieben ist – die wollen vor allem ihr Geld mit Rendite zurück, egal wie. Aus meiner Sicht steht die Fortsetzung und Vertiefung des deutschen «Exportweltmeistermodells» im Mittelpunkt – die Macht der griechischen Gewerkschaften muss gebrochen, die Löhne gesenkt, die Arbeitsmärkte flexibilisiert werden usw. Das macht es für das deutsche Kapital attraktiver, Länder ähnlich wie die osteuropäischen EU-Staaten als «Hinterland» stärker in seine Wertschöpfungsketten zu integrieren und die Marktanteile deutscher Unternehmen auszubauen – global und auch weiter in Griechenland. Die Ausweitung der Privatisierung öffentlichen Eigentums spielt dabei klar eine Rolle. Und das wird nicht nur von Griechenland gefordert, sondern auch von Irland und Portugal, sowie jedem weiteren EU-Land, das unter die Kontrolle der Troika EU-Kommission/EZB/IWF kommt.

Ist das das «deutsche Europa»? Und wie stehen die anderen Länder der EU dazu?

Ja. Es geht im Kern um eine immer autoritärer und hierarchischer gegliederte Europäische Union, in der Deutschland in Bezug auf die wirtschaftspolitische Steuerung des Ensembles die Feder führt. Wer im Ernstfall zahlen soll, bestimmt die Richtung.

Die rechten Regierungen der meisten osteuropäischen Länder unterstützen dies, weil ihre Ökonomien verlängerte Werkbänke für die deutsche Exportindustrie sind und sie von deren Wohlergehen abhängen. Die Beneluxländer, Österreich, Irland und einige skandinavische Länder sind dafür, weil sie ebenfalls eine aggressive Exportorientierung verfolgen, die zur deutschen komplementär ist. Italien, Spanien, Portugal, Griechenland akzeptieren die deutsche Dominanz zähneknirschend, weil sie fürchten, sonst völlig zum Abschuss freigegeben zu werden. Und die französische Regierung hat ihre frühere Kritik am deutschen Lohnstückkostendumping eingestellt, weil sie meint, Deutschlands Unterstützung zu brauchen, wenn ihre Banken in Schwierigkeiten geraten sollten.

Wenn ich hier von Ländern rede, meine ich die jeweiligen Kapitale und die politischen Eliten des etablierten bürgerlich-rechten und des Mitte-links Spektrums.

Was du schilderst, ist eine Art Kriegführung des deutschen Kapitals gegen Konkurrenten aus der EU, unter dem Deckmantel der Krisenbewältigung.

Um Konkurrenten aus der EU muss sich das deutsche Kapital wohl nicht so viel Sorgen machen bei seinen immer noch wachsenden Marktanteilen. Viele davon werden auch einfach kooptiert, wie z.B. Dienstleistungsunternehmen und Zulieferer aus Norditalien usw. Die Arena des deutschen Kapitals war und ist stets die globale Ebene.

2010 ist die deutsche Wirtschaft tatsächlich zunächst gestärkt aus der Krise hervorgegangen. Da jetzt aber das Wachstum der Schwellenländer stark abflaut – China, Brasilien, Indien, Südostasien, Russland, die reichen Ölstaaten im Nahen Osten –, auf die die deutsche Exportweltmeisterstrategie in den letzten Jahren zunehmend gesetzt hatte, verdunkelt sich der Horizont für die erfolgreiche Fortsetzung dieses Modells. Dies und die Krise in der EU wird auf Deutschland zurückschlagen.

Du hast die Lage der südeuropäischen Länder mit dem Versailles Vertrag verglichen. Wie ist das zu verstehen?

Der Vergleich stammt vom damaligen Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds, John Monks. Im Januar 2010 wandte er sich gegen die von EU und IWF aufgezwungene Austeritätspolitik und die Einschränkung gewerkschaftspolitischer Handlungsspielräume in Griechenland, Irland usw. Diese Länder würden auf einen «quasikolonialen» Status herabgewürdigt, mit einer Bestrafungspolitik ganz ähnlich wie die Deutschland auferlegten horrenden Reparationszahlung beim Vertrag von Versailles nach dem Ersten Weltkrieg. John Maynard Keynes hatte diese Politik damals bekanntermaßen scharf kritisiert. Den Kriegsverlierer Deutschland wie eine Zitrone auszuquetschen, wie es populistische Kampagnen in England nach dem Krieg forderten, sei völlig kontraproduktiv und gefährde den erst geschlossenen Frieden. Vielmehr müsse man Deutschland genügend Spielraum lassen, seine Wirtschaft auf die Füße zu stellen und neuen Wohlstand aufzubauen. Reparationsforderungen sollten auf eine Größenordnung beschränkt werden, die Deutschland auch leisten könne.

Man braucht nur «Reparationen» durch «Schuldenzahlungen» zu ersetzen und landet bei der heutigen Eurokrise. «Verkauft doch eure Inseln und die Akropolis gleich mit!», hetzte die Bild-Zeitung gegen Griechenland. Griechenland muss bis zum letzten Hosenknopf Tributzahlungen für unsere generösen Rettungskredite leisten, so diese Logik. Schuldenforderungen über die EU-Rettungsschirme mit ihren Sparauflagen sind somit eine Form der Kriegführung, ohne Militär einsetzen zu müssen. Es ist vor allem aber auch ein Klassenkrieg gegen die lohnabhängige Bevölkerung der Geber- wie der Nehmerstaaten. Deren Einkommen, soziale Sicherung, öffentliche Güter usw. werden beschnitten, um die Ansprüche der Banken, Finanzinvestoren und Unternehmen zu bedienen. Nach dem Versailler Vertrag kamen die 30er Jahre mit ihrer Deflationspolitik so wie jetzt, und wir wissen, wo das endete.

Quelle: SOZ, Oktober 2011