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Europäische Gewerkschaftsbewegung heute – ein kurzer Überblick

Thadeus Pato

Die neoliberal geprägte Wirtschaftspolitik der letzten zwanzig Jahre hatte schwerwiegende Konsequenzen für die Gewerkschaftsbewegung. Dabei muss man unterscheiden zwischen den objektiven, sozusagen bewusstlosen Auswirkungen dieser Politik auf die Gewerkschaftsbewegung durch die Veränderung von Arbeitswelt und Beschäftigungsstrukturen und den Maßnahmen, die von der herrschenden Klasse und ihren Sachwaltern in den Parlamenten durch Veränderung der Gesetzgebung gezielt gegen die Gewerkschaften selbst gerichtet wurden.

24.04.2007

1. Vorbemerkung

Wir werden im Folgenden die Modebegriffe „neoliberale Politik“ und „Globalisierung“ vermeiden. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Erstens sind sie irreführend, weil sie suggerieren, es handle sich bei der derzeitigen Phase der kapitalistischen Entwicklung um einen neuen historischen Abschnitt. Das ist nicht der Fall. Wir befinden uns immer noch in der Phase, die Ernest Mandel als „Spätkapitalismus“ bezeichnet hat, und alle von ihm benannten Wesensmerkmale dieser Epoche treffen auf die derzeitigen Entwicklungslinien kapitalistischer Politik zu. Was sich verändert hat, ist lediglich die Geschwindigkeit, mit der die Durchkapitalisierung der Welt abläuft – d.h., wir haben es seit dem Fall des Ostblocks mit einer enormen Beschleunigung dieses Prozesses zu tun.
Zweitens ist das Wort „Globalisierung“ lediglich eine andere Bezeichnung für die dem Kapitalismus inhärente Tendenz zur weltweiten Ausbreitung; auch hier ist keine qualitative Veränderung zu beobachten.
Drittens ist der Begriff „Neoliberalismus“ wissenschaftlich gesehen unscharf, da es verschiedene „Schulen“ des Neoliberalismus gibt, die zum Teil mit der heute betriebenen liberalen, angebotsorientierten Wirtschaftspolitik nichts zu tun haben. (So trat der klassische deutsche Neoliberalismus der Schule um Eucken, Röpke etc. durchaus für staatsinterventionistisches Handeln im Wirtschaftsleben ein.)
Und viertens werden beide Begriffe häufig in dem Sinne benutzt, dass es einen „anderen“ Kapitalismus gäbe – in diesem Zusammenhang tauchen dann zoologische Klassifizierungen wie „Raubtierkapitalismus“ oder ähnliche auf. Dem muss explizit entgegengehalten werden, dass wir es heute wie gestern mit dem ganz gewöhnlichen Kapitalismus zu tun haben und dass die Frage, wie „räuberisch“ sich dieser gerieren kann, schlicht von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen abhängt.
Und da wären wir beim Thema, denn entscheidend für die Beurteilung dieser Kräfteverhältnisse ist der Zustand der Organisationen der Lohnabhängigen.

2. Liberale Wirtschaftspolitik und ihre Konsequenzen für die Gewerkschaftsbewegung

Auf Welt- und europäischer Ebene befinden wir uns immer noch in der Phase der langen Welle mit depressivem Grundton. Das Ziel der herrschenden Klasse in den letzten zwanzig Jahren war es, einen Weg aus der lang andauernden ökonomischen Krise, sprich: aus der Krise der Profitraten, zu finden, indem durch ein Bündel von Maßnahmen die Profitraten angehoben werden sollten. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die folgenden Punkte:

  • Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Wie wir am Beispiel von Deutschland sehen werden, hat sich eine dramatische Reduktion der so genannten „Normalarbeitsverhältnisse“, d.h. unbefristeter Vollzeitstellen, vollzogen.
  • Versuch des Imports von Billigarbeitskräften. Hier sollte unter anderem die Bolkestein-Richtlinie einen entscheidenden Schritt vorwärts für das Kapital bringen.
  • Kostenreduktion im Bereich der Sozialsysteme (Renten, Gesundheitsversorgung etc.) und zwar hauptsächlich durch die Mittel der Privatisierung und des Abbaus von Subventionen.
  • Internationalisierung der Produktion (innerhalb und außerhalb Europas), also das, was heute „Globalisierung“ genannt wird (was auf der qualitativen Ebene ebenfalls nicht neu ist). Der Unterschied ist der, dass sich die Geschwindigkeit dieses Prozesses heute wesentlich beschleunigt hat und dass durch die Effekte der technologischen Revolution die Verlegung von ganzen Produktionsstätten von einem Ort zum anderen schneller und leichter als jemals in der Geschichte vonstatten gehen kann, was bedeutet, mit der Produktion dahin zu gehen, wo die Kosten, natürlich an erster Stelle die Lohnkosten, am geringsten sind.
  • Absenkung der Steuern für die Besitzenden.
  • Weitestmögliche Nutzung der Möglichkeiten der technologischen Revolution. Rationalisierung, Automatisierung, „just-in-time“-Produktion.
Alle diese Maßnahmen wurden mehr oder weniger in allen europäischen Ländern angewandt, aber nicht jede einzelne in jedem Staat und nicht alle von ihnen zur selben Zeit und im selben Ausmaß. Das erklärt teilweise die unterschiedliche Entwicklung der jeweiligen Nationalökonomien innerhalb der Europäischen Union.
In diesem Prozess wurde ein Teil der genannten Maßnahmen, insbesondere die Internationalisierung der Produktion, als Drohinstrument gegen die jeweilige nationale Arbeiterklasse und ihre Organisationen eingesetzt. Mit dieser gesamten Politik verfolgt die herrschende Klasse zwei wesentliche Ziele:
  • Die Europäische Union zum stärksten und dynamischsten kapitalistischen Block weltweit zu machen ist das Ziel des so genannten Lissabonprozesses.
  • Die Krise der Profitraten zu überwinden ist ein weiteres Ziel davon.

3. Eine direkt gegen die Gewerkschaftsbewegung gerichtete Politik

Hierbei müssen wir berücksichtigen, dass die Strategien von Land zu Land variieren. Das liegt daran, dass in den einzelnen Staaten unterschiedliche Rechtsgrundlagen bestehen, was die Gewerkschaften und ihre Rechte betrifft. Daher ist die Notwendigkeit, offen gegen die Gewerkschaften vorzugehen, um die Durchsetzungsbedingungen für die unter Punkt 2 skizzierte Politik zu schaffen, für die jeweiligen nationalen Regierungen nicht in gleichen Ausmaß gegeben.
In Deutschland beispielsweise sind die Rechte der Gewerkschaften, insbesondere das Streikrecht, von jeher sehr eingeschränkt. Zu streiken ist gesetzlich nur im Fall von Lohn- bzw. Vertragsverhandlungen erlaubt, politische Streiks sind generell illegal, und es gibt gewisse Regeln, die die entsprechenden Aktivitäten der Gewerkschaften einschränken. Außerdem hat es in Deutschland schon immer einen starken direkten Einfluss der Sozialdemokratie auf den DGB (den Gewerkschaftsdachverband) gegeben, der de facto der einzig bedeutende im ganzen Land ist. Daher gab es bisher – die Gewerkschaften in Deutschland betreffend – keinen größeren Bedarf die Gesetze zu ändern, auch wenn auf dem Wege einiger Gerichtsurteile gewisse Einschränkungen durchgesetzt wurden.
In den meisten anderen EU-Ländern gibt es mehrere Gewerkschaftsverbände, die mit unterschiedlichen politischen Strömungen oder Parteien verbunden sind, hauptsächlich aber mit den Parteien, die den ökonomischen und politischen Mainstream vertreten oder stützen (eine gewisse Ausnahme ist dabei Spanien).
Das Land, in dem es die wahrscheinlich härtesten Angriffe gegen die Rechte der Gewerkschaften gab, ist Großbritannien, wo in den 80er Jahren während der Regierung Thatcher die Gewerkschaften durch entsprechende Gesetzesänderungen massiv an Bedeutung und Einfluss verloren hatten.
Aber was die Situation der Gewerkschaftsbewegung unserer Meinung nach am meisten beeinflusst hat, waren nicht die direkten Maßnahmen (durch gesetzgeberische Aktivitäten) gegen die Gewerkschaftsbewegung. Die wesentliche Rolle hat die marktliberale Offensive der letzten 25 Jahre gespielt, und die Gewerkschaftsführungen haben auf ganzer Front ihr gegenüber kapituliert, indem sie sich auf die Logik der liberalen Wirtschaftspolitik eingelassen haben.

4. Die Auswirkungen der liberalen Wirtschaftspolitik im Einzelnen

In der Folge werden wir an Hand einiger Zahlen und Statistiken versuchen, einzelne Elemente dieser Entwicklung und ihre Hintergründe zu skizzieren. Diese Darstellung kann nicht vollständig sein, aber sie trägt dazu bei, die Ähnlichkeiten, aber auch die Unterschiede in der Entwicklung der Gewerkschaftsbewegungen zwischen den verschiedenen europäischen Ländern zu verstehen.

4.1. Die Veränderungen des Arbeitsmarktes

In den letzten zwanzig Jahren hat sich ein dramatischer Wandel der Art der Beschäftigungsverhältnisse bei den abhängig Beschäftigten vollzogen. So waren im Jahr 1980 in Deutschland noch 80% so genannte Normalarbeitsverhältnisse, d.h. unbefristete Vollzeitstellen, während alle anderen Arbeitsverhältnisse, wie Teilzeitarbeit, geringfügige und befristete Beschäftigungen eine relativ geringe Rolle spielten und die Leiharbeit so gut wie nicht vorhanden war. Inzwischen ist die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse unter 50% gesunken mit weiter sinkender Tendenz, den größten Zuwachs verzeichneten die Teilzeitbeschäftigten, die geringfügig und befristet Beschäftigten. Auch die Leiharbeit hat exponenziell zugenommen. Besonders interessant ist die deutliche Zunahme der so genannten abhängigen Selbständigen, die vorher die gleiche Arbeit, die sie als abhängige Beschäftigte verrichtet haben, nunmehr als Selbständige tun. In der Regel arbeiten sie nach wie vor für die gleiche Firma, aber auf eigenes Risiko, häufig mit erheblich geringerem Einkommen. Dies hat natürlich drastische Rückwirkungen auf die Kampfkraft der Gewerkschaften in manchen Branchen, da die so genannten Scheinselbständigen von den Gewerkschaften nicht mehr erfasst, geschweige denn mobilisiert werden können.
Ähnliches gilt für die in befristeten Arbeitsverhältnissen und die prekär (d.h. minimal oder in Leiharbeit) Beschäftigten. Auch diese sind aus naheliegenden Gründen nur schwer in gewerkschaftliche Aktionen einzubeziehen.
Es wäre natürlich falsch, diese Entwicklung als eine bewusste Maßnahme gegen die Arbeiterbewegung im Sinne einer Verschwörungstheorie zu klassifizieren. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um eine Folge der eingangs skizzierten kapitalistischen Strategie zur Sanierung der Profitraten, denn die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse hat für die kapitalistische Produktion erhebliche Kostenvorteile. Dass durch die Änderung der Beschäftigungsstruktur gleichzeitig die Widerstandsmöglichkeiten der ArbeiterInnenklasse über ihre Organisationen, die Gewerkschaften, erschwert und bis in einzelne Branchen hinein verunmöglicht werden, ist die logische Folge und für das Kapital ein positiver Nebeneffekt. Die Auswirkungen dieser Veränderungen der Arbeitswelt auf die Beschäftigten, vor allem die zunehmende Individualisierung, besonders im Bereich der Scheinselbständigen, und der damit verbundene Verlust an gewerkschaftlichem Bewusstsein, können nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Jedenfalls wurden durch die dramatische Veränderung der Beschäftigungsstruktur die Kampfmöglichkeiten der Gewerkschaftsorganisationen erheblich eingeschränkt und das gewerkschaftliche Bewusstsein bei einem großen Teil der Beschäftigten beeinträchtigt.

4.2. Die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften

Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften in Kontinentaleuropa, d.h. in Österreich, Italien, Deutschland, den Niederlanden und Frankreich, aber auch in Irland und Großbritannien sind spätestens seit 1980 kontinuierlich rückläufig. Auch in den industriellen Zentren außerhalb Europas (etwa in Japan und in den USA) ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Rahmen der wirtschaftsliberalen Offensive der letzten 25 Jahre dramatisch gesunken. Eine der wesentlichen Ursachen hierfür ist zweifellos die bereits erwähnte Änderung der Beschäftigungsverhältnisse. Hingegen konnten die skandinavischen Länder und Belgien zumindest bis in die Mitte der 90er Jahre einen kontinuierlichen Mitgliederzuwachs oder zumindest eine stabile Mitgliedschaft verzeichnen.

4.3. Die Entwicklung der Arbeitskämpfe

Wenn man sich die Entwicklung der Zahl und der Dauer von Streiks in den letzten 15 Jahren ansieht, fallen zwei Aspekte auf: Zum einen gibt es offensichtlich keine automatische Korrelation zwischen dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und dem Ausmaß der Streikaktivitäten. Zwar ist in einer Reihe von Ländern, besonders in Deutschland, die Zahl der durch Streiks verloren gegangenen Arbeitstage je 1.000 abhängig Beschäftigte parallel zum Absinken des gewerkschaftlichen Organisationsgrades kontinuierlich zurückgegangen, in anderen Staaten wiederum, etwa in Frankreich, hatten die Streikaktivitäten ein relativ hohes Niveau trotz eines sehr niedrigen und weiter sinkenden gewerkschaftlichen Organisationsgrades.
Zum Teil ist dieses Phänomen darauf zurückzuführen, dass die nationale Gesetzgebung bezüglich des Streikrechts sehr unterschiedlich ist. So ist beispielsweise in Deutschland das Streikrecht sehr restriktiv. Politische Streiks sind generell verboten und Solidaritätsstreiks sind nur in sehr begrenztem Umfang erlaubt. Aber sieht man sich die Durchschnittszahlen für die Europäische Union und für die Eurozone an, so lässt sich feststellen, dass es im Schnitt seit 1990 einen kontinuierlichen Rückgang der Streikaktivitäten  auf breiter Front gegeben hat.
Sieht man sich die durchschnittlichen jährlichen Streiktage pro 1.000 ArbeitnehmerInnen im Zeitraum zwischen 1995 und 2003 an, fallen zwei Punkte auf. Zum einen sind die Länder mit den geringsten Streikaktivitäten eindeutig die osteuropäischen Länder, die nach der Auflösung des RGW einen dramatischen Deindustrialisierungsprozess durchmachen und entsprechend „die schweren Bataillone“ der Gewerkschaftsbewegung verloren haben. Interessant ist, dass Deutschland im genannten Zeitraum eine gleich niedrige Streikaktivität aufzuweisen hat. Das liegt zum einen daran, dass Ostdeutschland nach dem Fall der Mauer ebenfalls einen Deindustrialisierungsprozess erlebte – mit den entsprechenden Folgen wie hohe Arbeitslosigkeit und Verlust von Normalarbeitsplätzen – und zum anderen, dass die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland seit 1990 weit hinter denen der anderen westlichen EU-Staaten hinterherhinkt.
Zum anderen entspricht das Ausmaß der Streikaktivitäten mit leichten Einschränkungen der Wirtschaftsentwicklung in den einzelnen Ländern. So hat Dänemark im Durchschnitt die weitaus meisten Streiktage – Dänemark erlebt seit den 90er Jahren einen regelrechten Wirtschaftsboom. Finnland ist ein ähnliches Beispiel.
Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass hier auch historische Faktoren eine Rolle spielen: Die Kampfbereitschaft in Ländern wie Spanien, Frankreich oder Italien war unabhängig vom Organisationsgrad in den Gewerkschaften traditionell höher.

4.4. Organisationsgrad und Tarifvertragssystem

Ein bürgerlicher Wirtschaftswissenschaftler hat im Jahr 2002 versucht, den Zusammenhang zwischen dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und der Art und Weise, in der das Tarifvertragssystem in den einzelnen Ländern geregelt ist, darzustellen. Dabei berücksichtigt er den prozentualen Anteil der organisierten Beschäftigten und den Ausdehnungsgrad der Tarifverträge, d.h. in welchem Umfang die von den Gewerkschaften ausgehandelten Tarifverträge auf alle Beschäftigten anzuwenden sind. Der Autor unterscheidet im Wesentlichen drei Typen, nämlich die dezentralisierte und deregulierte Wirtschaft, die er liberale Marktwirtschaft nennt; dann den so genannten rheinischen Kapitalismus, bei dem es eine geliehene Regulierungsmacht der Gewerkschaften mit staatlicher Intervention und starken Arbeitgeberverbänden gibt; und schließlich den Kooperativismus mit starken zentralisierten Gewerkschaften, die eine eigene Regulierungsfähigkeit haben.
So haben die skandinavischen Gewerkschaften, insbesondere Schweden, einen Organisationsgrad von über 80%, während das Ausmaß der Arbeitskämpfe der hohen Organisationsdichte nicht entspricht. Das hat damit zu tun, dass im kooperativistischen System die Gewerkschaften einen Teil der Aufgaben (Arbeitslosenunterstützung etc.) übernehmen, die in anderen Systemen vom Staat wahrgenommen werden. Damit ist die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft  für die soziale Absicherung zwingend.
Generell läßt sich sagen, dass im kooperativistischen System der Organisationsgrad am höchsten ist, während im System des so genannten rheinischen Kapitalismus bei ähnlichem und teilweise höherem Ausdehnungsgrad der Tarifverträge der Organisationsgrad eher niedrig ist. Die dezentralisierte und deregulierte, also klassische liberale Marktwirtschaft wiederum weist bei mittleren Organisationsraten einen niedrigen Ausdehnungsgrad der Tarifverträge auf.
Im Großen und Ganzen ist in den am liberalsten verfassten Wirtschaftssystemen im Schnitt auch die geringste Streikaktivität zu verzeichnen.

4.5. Frauen in den Gewerkschaften

Die Mitgliedschaft von Frauen in den Gewerkschaften ist in den letzten 30 Jahren deutlich gestiegen. Dies hat seine Ursachen nicht nur in der Beschäftigungsexpansion im Frauenbereich, sondern auch im Mitgliederschwund bei den Männern. Festzustellen ist allerdings, dass sich diese dramatisch veränderte Mitgliederstruktur in den Funktionärsetagen der Gewerkschaften in den meisten Ländern nicht wesentlich niedergeschlagen hat.

5. Schlussthesen

Wir hatten in den letzten 25 Jahren eine Situation
  • der ökonomischen Krise,
  • des Rückgangs der Klassenaktivität mit entsprechenden Niederlagen der Arbeiterklasse (etwa der Bergarbeiter in Großbritannien in den 80er Jahren),
  • der Politik der Anpassung und der Kapitulation der wesentlichen Gewerkschaftsdachverbände in den europäischen kapitalistischen Staaten angesichts der liberalen Offensive des Kapitals,
  • des allgemeinen Rückgangs des Organisationsgrades in den Gewerkschaften.
In den letzten drei Jahren scheint sich eine Wende abzuzeichnen: Die Anzahl der Streiktage (und stellenweise auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad) geht wieder nach oben und eine Reihe harter ökonomischer und politischer gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen wurde geführt, aber:
  • Fast alle dieser Kämpfe (und ihre Zahl wächst) sind defensiver Natur. Sie richten sich beispielsweise in Deutschland gegen den Versuch, die Arbeitszeiten zu verlängern, den Lohn zu kürzen und die Arbeitsbedingungen zu verschärfen.
  • Gegenüber dem inzwischen in weiten Bereichen europäisierten Kapital, das eine gemeinsame Strategie gegenüber der Arbeiterklasse entwickelt hat, gibt es keine sichtbare gemeinsame Strategie der Gewerkschaftsdachverbände (mit Ausnahme der Transportarbeiterföderation, deren gemeinsame europaweiten Aktionen gegen die Transportrichtlinie der EU erfolgreich waren) und kaum gemeinsame Aktivitäten.
  • Die Gewerkschaften sind immer noch hauptsächlich national ausgerichtet und fixiert.
  • Ein großer Teil der Führungen der großen Gewerkschaften sind eng mit Parteien verbunden, die explizit marktliberale Politikansätze vertreten und/oder ist schlicht korrupt.
Die wesentliche Aufgabe der europäischen Gewerkschaftsbewegung in den nächsten Jahren muss es sein, der europäischen Strategie des Kapitals, eine europäische Strategie der Gewerkschaftspolitik entgegenzusetzen und zu gemeinsamer grenzüberschreitender, internationaler gewerkschaftlicher Organisierung und Aktion über die derzeitigen rein bürokratischen Zusammenschlüsse hinaus zu kommen.


Anmerkung:
Der folgende Beitrag diente als Einleitungsreferat zur europäischen GewerkschafterInnentagung der IV. Internationale, die im Juni 2006 stattfand.
Der Beitrag erscheint mit erklärenden Grafiken auch im Inprekorr September/Oktober


05-09-2006, 19:08:00 |Thadeus Pato