Die radikale Linke in Europa: Der Linksblock in Portugal
Am 2. und 3.Juni fand in Lissabon der fünfte Nationale Kongress des portugiesischen Bloco de Esquerda (Linksblock) statt. Seit der Gründung 1999 hat sich diese Einheitsorganisation der antikapitalistischen Linken in Portugal gefestigt und im Land verankert; sie ist heute mit 4.200 Mitgliedern, einer aktiven Präsenz in Kämpfen und sozialen Bewegungen, 350 KommunalrätInnen und acht Parlamentsabgeordneten eine bedeutende Kraft. Interview mit Francisco Louçã
07.10.2007
Der Linksblock versteht sich als eine pluralistische und sozialistische Partei. Wie geht ihr in eurem Programm an die Schlüsselfrage des Eigentums an den großen Produktionsmitteln heran? Ist es möglich, eine antikapitalistische Linke zu begründen, ohne eine klare Position zu dieser Frage einzunehmen?
Francisco Louçã: Als der Linksblock vor acht Jahren gebildet wurde, trafen wir eine politische Entscheidung, die ich immer noch für richtig halte: Die Grundlage der Partei bilden die gesellschaftspolitischen Konflikte; sie bestimmen unsere Intervention, nicht ein a priori festgelegter ideologischer Zusammenhalt. Wir haben auf diese Weise sehr unterschiedliche Strömungen zusammengebracht — aus der KP, aus der maoistischen und aus der trotzkistischen Tradition sowie aus unabhängigen sozialen Bewegungen. Wir waren damals in einer sehr defensiven Situation, und dieses Herangehen hat uns in die Lage versetzt, politische Initiativen zu ergreifen und einen Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben.
Als Sozialisten haben wir uns erst nach unserer Gründung definiert; dabei haben wir uns sowohl vom "realen Sozialismus" (dem Stalinismus) als auch von der Sozialdemokratie einschließlich ihrer aktuellen sozialliberalen Variante abgegrenzt. Wir führen einen antikapitalistischen Kampf — in diesem Sinne verteidigen wir die Idee des kollektiven Eigentums.
Was dabei wirklich wichtig ist, insbesondere für Organisationen, die früher kleine Minderheitengruppen waren, ist dass wir um Einfluss auf die Massen ringen und dafür nach geeigneten Instrumenten suchen. Wir haben unsere sozialistischen Ideen in konkrete Vorschläge übersetzt, die in den Besonderheiten des politischen Lebens in Portugal wurzeln. So haben wir kürzlich die Vergesellschaftung der Wasser- und Energieversorgung vorgeschlagen. Eine unserer Hauptkampagnen in diesem Jahr dreht sich um die Verteidigung, Modernisierung und Reform des öffentlichen Gesundheitssystems. Damit konkretisieren wir unsere Perspektive der Vergesellschaftung auf der Grundlage der sozialen Bedürfnisse und konkreten Kämpfe.
Ihr geht die soziale Frage deutlich anders an als die Umweltfrage. Zu ersterer stellt ihr defensive Forderungen auf — gegen Privatisierung, Verteidigung der sozialen Sicherheitssysteme —, also ein antiliberales Programm, das mit einer linkskeynesianischen Perspektive vereinbar ist. Zur Umweltfrage dagegen sagt ihr: Ein so gravierendes Problem wie der Klimawandel erfordert die Infragestellung der kapitalistischen Logik selbst.
Der Bruch mit dem Kapitalismus ist in jedem Fall die einzige kohärente Strategie. Wir teilen nicht die linkskeynesianische Perspektive, weil sie eine Perspektive des Marktes ist, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine materielle Basis hatte, aber heute nicht mehr möglich ist. Wir sind allerdings auch der Auffassung, dass die Linke sich nicht darauf beschränken kann, Propaganda für den Sozialismus zu machen. In einem Teil der Linken ist die Vorstellung verbreitet, die einzig mögliche Antwort auf die Tagesprobleme sei: Sozialismus sofort, wir fordern alles. Zugleich sieht sie, dass das nicht möglich ist. So läuft sie einem Trugbild hinterher, das man zerreißen muss.
Wenn die portugiesische Bourgeoisie, wie auch ihre europäischen Nachbarn, den Soziallohn drastisch kürzen wollen ist, müssen wir darauf mit der Verteidigung der öffentlichen Dienste antworten und die Mehrheit der Bevölkerung für ein solches Ziel gewinnen. Dieser Kampf ist nicht defensiv, er präsentiert konkrete und somit mögliche Antworten, die die Leute als machbar wahrnehmen können. Wir waren die einzige Partei, die zur Finanzierung des Sozialstaats eine konkrete Alternative vorgelegt hat. Dies hat uns einen bedeutenden Einfluss verschafft, weil jeder verstehen kann, dass das einzige Argument der Befürworter des Sozialabbaus — dass er alternativlos sei — falsch ist.
Für einen anhaltenden Widerstand reicht es nicht, die soziale Bewegung um antiliberale Ziele herum zu sammeln, sie braucht auch eine andere Zielvorstellung, nämlich die einer radikalen sozialen Veränderung.
Die Linke hat keine umfassende Antwort auf dieses Problem, denn die einzig mögliche Antwort darauf kann sich nur auf die gesellschaftliche Erfahrung, auf die Schaffung neuer Traditionen des Kampfes stützen. Aber ich glaube, dass es zwei Elemente einer Antwort gibt. Das erste ist die Fähigkeit zur politischen Initiative, das zweite die Organisation neuer sozialer Netzwerke, neuer Formen gesellschaftlicher Intervention. Der Schlüssel zur Strategie der sozialistischen Linken liegt darin, wo es möglich ist, die Initiative zu ergreifen. Ich respektiere sehr die Tradition der europäischen radikalen Linken, aber ich glaube, wenn eine Partei nicht fähig ist, sich als ein Kontrahent in die nationalen politischen Debatten einzuschalten, besonders durch ihre Fähigkeit zur Initiative, wird sie scheitern.
Ich gebe ein Beispiel aus unserer Geschichte. Der Linksblock bildete sich 1999 zu einem Zeitpunkt, wo trotz des Aufstiegs des Liberalismus und Individualismus Portugal eine einzigartige Bewegung der Solidarität mit dem Volk von Osttimor erlebte, das damals noch nicht unabhängig war: Es gab einen landesweiten Streik und über mehrere Tage Demonstrationen, also eine Mobilisierung, der keine materielle Interessen zugrunde lagen. Wie war das möglich in einem vorwiegend defensiven Klima? Die Antwort ist politisch: Unter bestimmten Umständen lassen sich wichtige Initiativen zu konkreten Themen ergreifen.
Die soziale Bewegung des 21.Jahrhunderts steht vor einer umfassenden Reorganisierung. Die Gewerkschaften tun sich sehr schwer, die Prekarisierten zu organisieren. Man muss andere Formen von Netzwerken und gesellschaftlichen Organisationen schaffen. Die Erwerbslosigkeit in Portugal beträgt etwa 10%, und die Beschäftigten sehen keine Alternative. Dennoch konnten wir in einigen Fällen wichtige Erfolge erringen. In einer der wichtigsten Fabriken des Landes mit mehreren tausend Beschäftigten, Volkswagen im Süden von Lissabon, führen Mitglieder des Linksblocks die Belegschaftsvertretung an. Hier haben die Beschäftigten auf Lohnerhöhungen verzichtet, damit einige hundert Prekarisierte unter ihnen einen festen Arbeitsvertrag bekommen. Dies hat das Vertrauen in solidarische Lösungen gestärkt, und das unter extrem defensiven Bedingungen.
Der Linksblock ist eine Sammlung von antiliberalen sozialistischen Linken, aber ohne die Portugiesische Kommunistische Partei (PCP). Auf europäischer Ebene aber ist der Linksblock Teil der Europäischen Linkspartei (ELP), die von Kräften dominiert wird, die aus der "kommunistischen Bewegung" kommen...
Der Linksblock hat sich in Opposition zur liberalen Politik, also zur sozialdemokratischen Sozialistischen Partei (PS), aber auch zur PCP aufgebaut. Wir repräsentieren eine dritte Kraft, eine Alternative nach Programm und Fähigkeit zur Initiative. Unser strategisches Ziel ist es, das Kräfteverhältnis in der Linken und in der Gesellschaft insgesamt zu verändern. Die PCP stellt eine Organisationsform in der stalinistischen Tradition dar: die Partei führt die Gewerkschaft, sie organisiert die Bewegung der Frauen, der Jugend usw. In ihrer gesamten Geschichte war die PCP die Partei der Sowjetunion; jetzt ist sie die Partei der KP Chinas.
Die ELP vertritt ein offenes, nichtstalinistisches Konzept. Keiner ihrer Beschlüsse ist für uns verbindlich. Es handelt sich um ein Netzwerk, das vom Willen der nationalen Parteien abhängig ist. Die Rot-Grüne Allianz aus Dänemark und Respect aus England sind assoziierte Mitglieder. Die in der ELP vertretenen KPs haben sich mehr oder weniger gewandelt, während die PCP versucht, ein paralleles Netzwerk aufzubauen.
Wie geht ihr das Problem der Kaderbildung an, also der Vermittlung von Analyse und einer soliden theoretischen Ausbildung?
Die theoretische Debatte und die historischen Kenntnisse unserer Generation sind eine immense Errungenschaft. Nichts wäre möglich ohne diesen kritischen Blick auf die Geschichte der Arbeiterbewegung, ohne dieses Bemühen, einen lebendigen Marxismus zu schaffen. Unser letzter Kongress hat beschlossen, ein Schulungszentrum zu schaffen, das sich vor allem an Aktive der sozialen Bewegungen richtet. Die ersten Kurse beginnen jetzt und behandeln die Geschichte der Revolutionen des vergangenen Jahrhunderts — die Oktoberrevolution, den Bürgerkrieg in Spanien, die Revolutionen in China, Kuba, Vietnam, Mai 68, die portugiesische Revolution. Es sollen die strategischen Fragen reflektiert werden, die sie aufgeworfen haben. Wir fangen auch an, eine theoretische Zeitschrift zu publizieren.
Wir wollen auch neue Kommunikationsmittel entwickeln. Unsere Internetseite hat sich spektakulär entwickelt, mit täglich Tausenden von Zugriffen. Wir publizieren dort ein wöchentliches Dossier über politische und historische Fragen, das auf ein breiteres Publikum zielt. Schließlich wollen wir eine audiovisuelle Produktion entwickeln — vom Clip bis zum Dokumentarfilm —, die als Basis für Bildung und Diskussion, aber auch für Kampagnen des Linksblocks dienen soll.
Danke für das Gespräch.
Jean Batou von der linken Schweizer Zeitung "SolidaritéS" sprach mit Francisco Louçã, dem Kandidaten des Linksblocks bei den
Präsidentschaftswahlen im Januar 2005 (5,3% der Stimmen). Gekürzt aus: SolidaritéS (Genf), 22.8.2007, Übersetzung: Hans-Günter Mull).