Bolkestein III
Redaktion
Das Mekka der Lobbyisten
24.04.2007
Am 14. Dezember wurde in Brüssel erstmals der Preis für die
„irreführendste und problematischste Lobbyorganisation“ in der EU, der
Worst EU Lobbying Award, vergeben. Mehr als 8.000 Bürgerinnen und
Bürger der EU hatten sich an der Online-Abstimmung im Internet
beteiligt.
IHREN URSPRUNG IN BRÜSSEL haben deutlich mehr als die Hälfte der
nationalen Gesetzgebungen in den EU-Mitgliedstaaten. Richtlinien,
Verordnungen, Gesetze und Weißbücher bestimmen viele Politikbereiche
der Mitgliedstaaten: Wirtschaft, Verbraucherschutz und internationale
Handelspolitik. Brüssel ist mit seiner EU-Kommission und dem
Ministerrat, den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und den
ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten zum europäischen Mekka der
Lobbyisten geworden: Knapp 15.000 sind es nach Expertenschätzungen.
Die Dunkelziffer ist hoch, denn es gibt Anwaltskanzleien, die von
großen Konzernen beauftragt werden und sich gar nicht offiziell als
Lobby bezeichnen. Es gibt wissenschaftliche Vereinigungen, die sich den
Anstrich der Neutralität geben, obwohl sie von einer einzigen
Geldquelle abhängig sind, meistens von einem großen Unternehmen. Mit
Seminaren, in vertraulichen Gesprächen, fertigen Gesetzesentwürfen,
kleinen Gefälligkeiten und manchmal auch mit Drohungen versuchen diese
Lobbyisten, die Interessen ihrer Auftraggeber durchzusetzen.
Zahlreiche Ereignisse der vergangenen Jahre haben in der Öffentlichkeit
das Misstrauen gegen den Berufszweig der Lobbyisten geweckt. Zuletzt
bei der Chemierichtlinie REACH, deren Vorlage so verwässert wurde, dass
sie kaum noch als Schutz vor gefährlichen Chemikalien wirksam werden
dürfte. Die 140 Beschäftigten des Dachverbands der europäischen
Chemieindustrie haben erfolgreich gearbeitet. Schon die
Zahlenverhältnisse machen klar, wer in Brüssel das Sagen hat. Bei
Greenpeace etwa sind es gerade einmal zwei Personen, die sich mit
Chemiefragen beschäftigen. Die Interessen der Umwelt- und
Verbraucherschutzverbände sind denen der Wirtschaft also abgrundtief
unterlegen.
Einige NGOs, darunter Corporate Europe Observatory aus Amsterdam und
die Kölner Organisation LobbyControl, haben nun erstmals einen Worst EU
Lobbying Award, einen Preis für das schlimmste Lobbying in der EU,
ausgelobt. Zehn Organisationen und Konzerne waren nominiert, u.a. der
europäische Dachverband der Chemieindustrie und die Europäische
Partnerschaft für Energie und Umwelt (EPEE).
Hinter dieser Lobbyorganisation, die ihrem Namen nach den Eindruck
erweckt, als trete sie für eine umweltfreundliche Energiepolitik ein,
stecken nach Angaben der Preisverleiher die Großen im Geschäft mit den
F-Gasen. F-Gase sind die Nachfolger der FCKW-Kühlmittel, die Anfang der
90er Jahre wegen der Schädigung der Ozonschicht aus dem Verkehr gezogen
wurden.
Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments plädierte für einen
schnellen Gesamtausstieg, weil sich alle F-Gase als klimaschädigend
erwiesen haben. Der Ausschuss legte einen ehrgeizigen Gesetzesentwurf
vor. Doch die Rechnung wurde ohne die Industrielobby gemacht. Ende
Oktober stimmte die Mehrheit des Parlaments gegen diese Vorlage.
„Sechs Monate gab es massives Lobbying, mit E-Mails, Schreiben, Anrufen
und Faxen, ohne Unterbrechung“, berichtete die Irin Avril Doyle,
Vorstandsmitglied der konservativen EVP-Fraktion und des
Umweltausschusses, gegenüber der BBC. Einige ihrer KollegInnen seien
sogar von Industrieunternehmen in ihren Wahlkreisen angeschrieben
worden, man habe mit massiven Jobverlusten gedroht. Bei der Abstimmung
über die F-Gase seien die Abgeordneten dann reihenweise umgekippt.
„Diese Gesetzgebung war stark von Lobbyisten beeinflusst und
gesteuert“, so Doyle.
Seitdem die Öffentlichkeit sensibilisiert ist, bemüht sich die
EU-Kommission um Schadensbegrenzung. EU-Kommissar Siim Kallas hat im
März eine Transparenzinitiative aufgelegt und übt Kritik am
ungezügelten Industrielobbyismus. Damit dieser Kritik keine Taten
folgen, gibt es die Society of European Affairs Professionals, eine
Lobbyorganisation für Lobbyisten. Sie plusterte sich mit einer
freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung auf.
Auch Kommissar Siim Kallas schlägt vor, „etwas auf freiwilliger Basis
einzuführen“ und lediglich einen allgemeinen „Verhaltenskodex“ und ein
öffentliches Register der Lobbys anzulegen, die in Brüssel arbeiten.
Eine bindende Gesetzgebung will er nicht. „Die Kommission hat ja die
allgemein gültige Devise, möglichst wenige neue Regeln einzuführen“, so
Kallas im Deutschlandfunk. Für die KritikerInnen des intransparenten
EU-Lobbyismus eine klare Sache: Auch diese Organisation gehört auf der
Liste für den Worst EU Lobbying Award.
Aber keine der bisher genannten Organisationen hat es auf Platz Eins
geschafft. Bei der Online-Abstimmung lag eine ganz spezielle
Lobbyorganisation vorn. Sie behaupte, so die OrganisatorInnen der
Abstimmung, „dass sie die Interessen von Künstlern, Musikern, Designern
und Softwareentwicklern vertritt“. Dabei werde die Campaign for
Creativity, die Kampagne für Kreativität, von den Softwareriesen
Microsoft und SAP finanziert. Deren Interesse ist es, die freie Nutzung
von Software einzuschränken. Deshalb fordern sie die EU-Gremien auf,
sich für einen stärkeren Patentschutz für ihre Produkte einzusetzen.
Grund genug für viele Freunde der kreativen Freiheit und frei
zugänglicher Software, im Internet ihre Stimme für den Sieger im Worst
EU Lobbying Award abzugeben: das trojanische Pferd der Softwareriesen,
die Campaign for Creativity. Sie erhielt mehr als 7.000 Stimmen.
GERHARD KLAS
26-01-2006, 19:22:00 |