8 Vorschläge für ein "anderes Europa"
Die Krise erschüttert die Europäische Union bis in die Grundfesten. Für einige Länder hat sich die Schlinge der öffentlichen Verschuldung zugezogen, und durch die Finanzmärkte stecken sie in einer finanziellen Klemme. Mit aktiver Unterstützung der aktuellen Regierungen, der EU Kommission, der europäischen Zentralbank und des IWF bereichern sich die Geldinstitute, die die Krise hervorgerufen haben und spekulieren mit den Staatsschulden. Die Unternehmer profitieren von der Situation und haben eine brutale Offensive gegen eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialgrundrechten weiter Teile der Bevölkerung gestartet. Dagegen stellt der Historiker, Politikwissenschafter und politische Aktivist Eric Toussaint "8 Vorschläge für ein anderes Europa" vor, Forderungen, die die tatsächlichen Ursachen der kapitalistischen Krise betreffen.
29.04.2011
Die Krise erschüttert die Europäische Union bis in die Grundfesten. Für einige Länder hat sich die Schlinge der öffentlichen Verschuldung zugezogen, und durch die Finanzmärkte stecken sie in einer finanziellen Klemme. Mit aktiver Unterstützung der aktuellen Regierungen, der EU Kommission, der europäischen Zentralbank und des IWF bereichern sich die Geldinstitute, die die Krise hervorgerufen haben und spekulieren mit den Staatsschulden. Die Unternehmer profitieren von der Situation und haben eine brutale Offensive gegen eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialgrundrechten weiter Teile der Bevölkerung gestartet.
Die Defizite des öffentlichen Haushalts müssen reduziert werden, und zwar nicht durch die Verringerung der öffentlichen Sozialausgaben, sondern durch erhöhte Steuereinnahmen, indem man Steuerbetrug im großen Stil bekämpft und indem Kapitalbesitz, Finanztransaktionen, Vermögen und Einkommen reicher Haushalte höher besteuert werden. Um dieses Defizit zu reduzieren müssen ebenfalls die Rüstungsausgaben radikal verringert werden, sowie andere Ausgaben, die sozial vollkommen unnütz sind und der Umwelt schaden. Im Gegenzug ist es unabdingbar, die Sozialausgaben zu erhöhen, besonders um die Auswirkungen der wirtschaftlichen Depression auszugleichen. Aber darüber hinaus muss diese Krise als Möglichkeit gesehen werden, mit der kapitalistischen Logik zu brechen und eine radikale Veränderung der Gesellschaft durchzuführen. Die neu zu erschaffende Logik muss den Produktivismus beenden, die ökologische Gesamtlage beinhalten, die verschiedenen Formen der Unterdrückung (Rasse, Patriarchat usw.) auslöschen und das Gemeinwohl fördern.
Dafür muss eine Anti-Krisenfront gebildet werden, sowohl auf europäischer Ebene als auch lokal, zur Bündelung der Energie, mit der ein vorteilhaftes Kräfteverhältnis geschaffen werden kann, das schließlich dazu führt, dass radikale, auf soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz ausgerichtete Lösungen umgesetzt werden können. Seit August 2010 hat das Komitee zur Abschaffung der Schulden in der Dritten Welt (CADTM) acht Vorschläge formuliert, die die aktuelle Krise in Europa betreffen[1]. Das Grundelement ist die Notwendigkeit, den ungerechtfertigten Teil der öffentlichen Schulden zu löschen. Zu diesem Zweck empfiehlt das CADTM die Durchführung eines Audits über die öffentliche Verschuldung, unter Aufsicht der Bevölkerung. Dieses Audit muss, unter gewissen Umständen, mit einer einseitigen und souveränen Aufhebung der Rückzahlung der öffentlichen Verschuldung einhergehen. Das Ziel dieses Audits ist es, zur Auflösung / Abschaffung des ungerechtfertigten Teils der öffentlichen Verschuldung zu führen und die Restschuld stark zu reduzieren.
Die Verringerung der öffentlichen Verschuldung ist eine notwendige Bedingung, reicht aber nicht aus, um die Länder der EU aus der Krise zu führen. Sie muss von einer Reihe von Maßnahmen großen Ausmaßes in verschiedenen Bereichen begleitet werden.
1. Durchführung eines Audits der öffentlichen Verschuldung um den ungerechtfertigten Teil zu streichen.
Ein Großteil der öffentlichen Verschuldung der EU Länder ist nicht gerechtfertigt, da er durch eine mutwillige Politik von Regierungen entstanden ist, die beschlossen haben, systematisch eine soziale Schicht zu privilegieren, nämlich die Geldgeber und andere favorisierte Schichten, zum Nachteil der restlichen Gesellschaft. Die Senkung der Besteuerung hoher Einkommen, der Vermögenssteuer, der Gewinnabgaben für Privatgesellschaften hat dazu geführt, dass die öffentliche Hand die Verschuldung erhöhen musste, um das Loch zu stopfen, das durch diese Senkung gerissen wurde. Dadurch wurde auch die Steuerlast für kleinere Haushalte, die die Mehrheit der Bevölkerung darstellen, erheblich erhöht. Dazu kam seit 2007-2008 die Rettung privater Kreditinstitute, die für die Krise verantwortlich waren, die die öffentlichen Finanzen teuer zu stehen kam und die öffentliche Verschuldung explodieren ließ. Die geringeren Einnahmen durch die von den privaten Kreditinstituten verursachte Krise mussten wiederum durch massive Kredite ausgeglichen werden. Dieser generelle Rahmen belegt ganz klar einen großen Teil der öffentlichen Verschuldung mit dem Titel der Illegitimität. Hinzu kommen in vielen Ländern, die durch die Finanzmärkte erpresst werden, andere offensichtliche Gründe für eine solche Illegitimität. Die nach 2008 neu vereinbarten Schulden wurden in einem Kontext beschlossen, in dem die Banken (und andere private Geldinstitute) Geld nutzten, das zu geringen Zinssätzen von den Zentralbanken bereitgestellt wurde, um Spekulationen zu tätigen und die öffentliche Hand zu zwingen, die ausgeschütteten Bezüge zu erhöhen. Außerdem wurden in Ländern wie Griechenland, Ungarn, Lettland, Rumänien oder Irland die Darlehen des IWF mit Bedingungen versehen, die eine Verletzung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Bevölkerung darstellen. Noch schlimmer, diese Bedingungen bevorteilen einmal mehr die Banken und andere Kreditinstitute. Auch deshalb sind sie als ungerechtfertigt bezeichnet worden. Und in einigen Fällen schließlich wird die öffentliche Meinung mit Füßen getreten : nachdem zum Beispiel im Februar 2011 die Iren mit großer Mehrheit gegen die Parteien abgestimmt haben, die den Banken Geschenke machten, und die die Bedingungen der Europäischen Kommission und des IWF akzeptiert haben, verfolgt nun die neue Regierungskoalition im großen Stil die gleiche Politik wie ihre Vorgänger. Allgemeiner gesagt, beobachtet man in einigen Ländern eine Ausgrenzung der Legislative zugunsten einer Politik der vollendeten Tatsachen, die von der Exekutive auferlegt wird, die wiederum Vereinbarungen mit der EU Kommission und dem IWF trifft. Die Exekutive präsentiert diese Vereinbarung dann dem Parlament, das ihr zustimmen oder sie ablehnen kann. Es passiert sogar, dass eine Debatte ohne Abstimmung bezüglich höchst wichtiger Themen organisiert wird. Die Tendenz der Exekutive, die Legislative in eine Abfertigungshalle zu verwandeln, verstärkt sich.
In diesem äußerst beunruhigenden Zusammenhang und mit dem Wissen, dass eine Reihe von Ländern früher oder später mit dem konkreten Risiko der Zahlungsunfähigkeit durch fehlende Liquidität zu kämpfen haben werden, und dass die Rückzahlung einer ungerechtfertigten Verschuldung prinzipiell nicht akzeptabel ist, ist es angebracht, sich deutlich für eine Aufhebung der illegitimen Verschuldung auszusprechen. Die Kosten für diese Aufhebung müssen von denjenigen getragen werden, die an der Krise Schuld sind, also den privaten Geldinstituten.
Für Länder wie Griechenland, Irland, Portugal oder osteuropäische Länder (und außerhalb der EU, wie Island) d. h. Länder, die von Spekulanten, dem IWF und anderen Organisationen wie der EU Kommission erpresst werden, ist es angebracht, auf einen einseitigen Zahlungsaufschub für ihre öffentliche Verschuldung zurückzugreifen. In den Ländern, die am stärksten von der Krise betroffen sind, wird dieser Vorschlag immer beliebter. Ende November 2010 haben sich in Dublin in einer mit 500 Personen durchgeführten telefonischen Meinungsumfrage 57 % der befragten Iren dafür ausgesprochen, lieber die Rückzahlung der Schulden auszusetzen (default in englisch) als um Nothilfe beim IWF und in Brüssel zu bitten. « Default! say the people » (das Volk sagt Aussetzen) titelte der Sunday Independent, meistgelesene Tageszeitung der Insel. Laut CADTM muss ein solcher einseitiger Zahlungsaufschub mit einem Audit der öffentlichen Verschuldung kombiniert werden (unter Beteiligung von Bürgervertretern). Das Audit soll es ermöglichen, der Regierung und der öffentlichen Meinung, Beweise und Argumente vorzulegen, die zur Streichung / Abschaffung des Teils der Verschuldung notwendig sind, der als ungerechtfertigt eingestuft wird. Internationales und nationales Recht der Länder bieten eine legale Basis für eine solche souveräne einseitige Vorgehensweise der Schuldenstreichung.
Alle Länder, die eine Aussetzung der Rückzahlung anstreben, werden vom CADTM (mit seiner Erfahrung bei der Verschuldung auf der südlichen Halbkugel) vor einer ungenügenden Maßnahme gewarnt, wie zum Beispiel die schlichte Aufhebung der Schuldenrückzahlung, die sich als kontraproduktiv erweisen könnte. Notwendig ist ein Zahlungsaufschub ohne zusätzliche Stundungszinsen auf die nicht zurückgezahlten Summen.
In anderen Ländern, wie Frankreich, Großbritannien oder Deutschland ist es nicht unbedingt notwendig, während des Audits einen einseitigen Zahlungsaufschub zu verhängen. Das Audit kann auch abgehalten werden, um das Ausmaß der vorzunehmenden Streichung / Abschaffung zu bestimmen. Wenn die internationale Konjunktur sich verschlechtert, kann die Aussetzung der Schuldenrückzahlung sogar für Länder aktuell werden, die sich vor der Erpressung der privaten Kreditgeber sicher glaubten.
Die Beteiligung von Bürgervertretern ist eine unabdingbare Bedingung, um die Objektivität und die Transparenz des Audits zu gewährleisten. Diese Auditoren müssen von Vertretern verschiedener betroffener Staatsorgane gestellt werden, sowie von Spezialisten auf dem Gebiet von Finanzaudits, von Wirtschaftswissenschaftlern, Juristen, Verfassungsexperten, Vertretern sozialer Bewegungen... Dadurch werden die verschiedenen Verantwortlichkeiten während des Verschuldungsprozesses bestimmt und die nationalen wie internationalen Verantwortlichen dazu gezwungen, sich vor der Justiz zu erklären. Falls die bestehende Regierung sich diesem Audit gegenüber unzugänglich zeigt, muss das Audit von einer reinen Bürgerkommission ohne Mitwirkung der Regierung durchgeführt werden.
Es ist auf jeden Fall legitim, dass private Institutionen und Personen mit hohem Einkommen, die Anteile an der Staatsverschuldung besitzen, auch die Last der Streichung dieser unrechtmäßigen Verschuldung übernehmen, da sie zu einem großen Teil die Verantwortung für die Krise tragen, von der sie zudem noch profitiert haben. Die Tatsache, dass sie die Kosten der Schuldenstreichung tragen müssen, ist nur eine gerechte Rückkehr zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Es muss ein Register über die Anteilseigner der Staatsverschuldung geführt werden, damit die Bürger mit schwachem und mittlerem Einkommen unter ihnen entschädigt werden können.
Falls das Audit das Vorliegen von Straftaten aufzeigt, die mit der ungerechtfertigten Verschuldung zusammenhängen, so müssen die Täter streng bestraft werden und Entschädigungszahlungen leisten und aufgrund der Schwere ihres Vergehens dürfen sie einer Gefängnisstrafe nicht entgehen. Die Behörden, die ungerechtfertigte Darlehen vergeben haben, müssen vor Gericht Rechenschaft ablegen.
Bezüglich der Verschuldung, die nicht ungerechtfertigt entstanden ist, wird es angemessen sein, von den Gläubigern ein Entgegenkommen zu erwarten, was die Höhe der Verschuldung und den Zinssatz angeht sowie durch eine Verlängerung der Rückzahlungsfrist. Auch hier ist es angebracht, Inhaber kleinerer Staatsanleihen zu bevorzugen, indem sie normal ausgezahlt werden sollten. Darüber hinaus sollte die Höhe des Teils des Staatsbudgets, der zur Rückzahlung der Schulden vorgesehen ist, nach oben hin begrenzt werden, in Abhängigkeit von der Wirtschaftslage, von der Möglichkeit der öffentlichen Hand, diese Rückzahlungen zu leisten und von der Höhe der nicht reduzierbaren Sozialausgaben. Was in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg gemacht wurde, sollte hier als Inspiration dienen. Der Londoner Vertrag von 1953 über die deutsche Verschuldung bestand vor allem darin, die Höhe der Verschuldung um 62 % zu reduzieren und sah vor, dass das Verhältnis zwischen Abtrag der Schulden und Exporteinnahmen nicht über die 5 % Grenze steigen dürfte.[2]. Man könnte eine solche Ratio definieren : die Rückzahlung der Schulden darf 5 % der Staatseinnahmen nicht überschreiten. Es muss auch ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, um eine Wiederholung der Krise zu vermeiden, die zwischen 2007 und 2008 begonnen hat : ein Verbot, private Schulden zu verstaatlichen, die Verpflichtung, die Politik der öffentlichen Verschuldung permanent zu auditieren unter Mitwirkung von Zivilpersonen, Unverjährbarkeit von Straftaten im Zusammenhang mit ungerechtfertigter Verschuldung, Nichtigkeit der illegitimen Verschuldung…
2. Die Sparpläne anhalten, sie sind ungerecht und vertiefen die Krise.
Übereinstimmend mit den Forderungen des IWF haben die Regierungen der europäischen Länder sich dafür entschieden, ihre Bevölkerung mit einer strengen Sparpolitik zu belegen, mit starken Einschnitten bei öffentlichen Ausgaben : Entlassungen im öffentlichen Dienst, Einfrieren oder sogar Reduzieren der Beamtengehälter, reduzierter Zugang zu einigen lebenswichtigen und sozialen öffentlichen Diensten, Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittalters. Hingegen fordern – und erhalten- Staatsunternehmen eine Tariferhöhung, während Kosten für Gesundheit und Bildung ebenfalls einer Steigerung unterliegen. Der Rückgriff auf besonders ungerechte Erhöhungen der indirekten Besteuerung – besonders der MWSt – wird häufiger. Staatsunternehmen des Konkurrenzssektors werden massiv privatisiert. Die jetzt angewandte Härtepolitik wird auf einen Level gehoben, der seit dem zweiten Weltkrieg nicht erreicht wurde. Die Auswirkungen der Krise werden durch angebliche Abhilfemaßnahmen gewaltig ansteigen, die vor allem die Interessen der Anleger schützen sollen. Kurz gesagt, die Banker trinken, das Volk muss die Zeche zahlen!
Aber die Bevölkerung nimmt die Ungerechtigkeit dieser Reformen, die von umfassenden sozialen Rückschritten gekennzeichnet werden, immer weniger in Kauf. Relativ gesehen sind es die Angestellten, die Arbeitslosen und die geringverdienenden Haushalte, die den größten Beitrag leisten müssen, damit die Staaten auch weiterhin ihre Gläubiger mästen können. Unter den am meisten Betroffenen nehmen die Frauen die erste Stelle ein, denn die jetzige Organisation der Wirtschaft und der patriarchalen Gesellschaft lässt sie besonders deutlich die vernichtenden Auswirkungen der sozialen Unsicherheit, Teilzeitarbeit oder Unterbezahlung spüren. Sie werden direkt betroffen vom Abbau öffentlicher Sozialleistungen und zahlen einen hohen Preis. Der Kampf für die Einführung einer anderen Handlungslogik ist nicht zu trennen vom Kampf für die absolute Einhaltung der Frauenrechte.
3. Eine wirkliche europäische Steuerjustiz und eine gerechte Verteilung des Reichtums einführen. Verbot von Transaktionen über Justiz- und Steuerparadiesen. Den massiven Steuerbetrug der großen Unternehmen und der Superreichen bekämpfen.
Seit 1980 sind die direkten Steuern auf die höchsten Einkommen und die großen Unternehmen ständig gesunken. So sind in der Europäischen Union von 2000 bis 2008 die Einkommenssteuersätze um 7 beziehungsweise 8,5 Punkte gesunken. Diese hunderte Milliarden Euros an Steuergeschenken wurden hauptsächlich in die Spekulation und Anhäufung von Reichtümern der Reichsten geleitet.
Man muss eine umfassende Reform des Steuersystems mit dem Ziel sozialer Gerechtigkeit (Reduktion der Einkommen und des Vermögens der Reichsten, um die der Mehrheit der Bevölkerung zu erhöhen) mit seiner Harmonisierung auf europäischer Ebene kombinieren, um Steuerdumping zu verhindern.3 Das Ziel ist eine Erhöhung der öffentlichen Einnahmen, insbesondere über eine progressive Einkommenssteuer für die Reichsten (der Randzinssatz auf die höchste Einkommensstufe muss bis auf 90% ansteigen4), eine Vermögenssteuer ab einem bestimmten Vermögens und eine Unternehmenssteuer. Diese Erhöhung der Einnahmen muss mit einer schnellen Senkung der Preise für lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen einhergehen (Grundnahrungsmittel, Wasser, Elektrizität, Heizung, öffentlicher Nahverkehr, Schulmaterial ...), besonders durch eine starke und gezielte Senkung der Mehrwertsteuer auf diese lebensnotwendigen Güter und Dienstleistungen. Es muss auch eine Steuerpolitik verfolgt werden, die den Umweltschutz bevorzugt, indem sie umweltbelastende Industrien abschreckend besteuert. Die EU muss eine Finanztransaktionssteuer einführen, insbesondere auf den Devisenmärkten, um die öffentlichen Einnahmen zu erhöhen.
Entgegen ihrer Absichterklärungen haben die verschiedenen Länder der G 20 es abgelehnt, Justiz- und Steuerparadiese zu schließen. Eine einfache Maßnahme im Kampf gegen die Steuerparadiese (die jedes Jahr den Ländern des Nordens, aber auch des Südens Ressourcen entziehen, die für die Entwicklung ihrer Bevölkerung lebensnotwendig sind) besteht für ein Parlament darin, allen Personen und Unternehmen auf seinem Territorium zu untersagen, Transaktionen vorzunehmen, die über ein Steuerparadies laufen, bei einer Strafe in Höhe der betreffenden Summe. Darüber hinaus sind jene schwarzen Löcher der Finanzwelt, der kriminellen Transaktionen, der Korruption und der Weiße-Kragen -Delinquenz völlig abzuschaffen.
Der Steuerbetrug entzieht der Gesellschaft erhebliche Mittel und wirkt sich negativ auf die Arbeitsplätze aus. Den Finanzämtern müssen maßgebliche öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, um diesen Betrug effizient zu bekämpfen. Die Ergebnisse müssen öffentlich bekannt gegeben und die Schuldigen schwer bestraft werden.
4. Die Finanzmärkte zur Ordnung rufen, insbesondere durch die Erstellung eines Registers der Eigentümer von Wertpapieren, sowie das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen und von Spekulation in zahlreichen Bereichen. Eine europäische Rating-Agentur ist ins Leben zu rufen.
Die Spekulation stellt weltweit ein Mehrfaches des gesamten produzierten Reichtums dar. Die ausgeklügelte Architektur der Finanzmechanik macht diese völlig unkontrollierbar. Sie erzeugt nämlich ein Räderwerk, das die Realwirtschaft ihrer Funktionsfähigkeit beraubt. Die Undurchsichtigkeit der Finanztransaktionen ist die Regel. Um die Gläubiger an der Quelle zu besteuern, muss man sie identifizieren. Es muss Schluss gemacht werden mit der Diktatur der Finanzmärkte. Die Spekulation muss in zahlreichen Bereichen untersagt werden. Ein Spekulationsverbot sollte für Staatsanleihen, Währungen, Lebensmittel5 gelten. Ungedeckte Leerverkäufe müssen ebenfalls verboten 6 und die Credit Default Swaps streng reguliert werden. Man muss die Freihandmärkte für Derivate schließen; das sind echte schwarze Löcher, da sie sich jeder Regulierung und Überwachung entziehen.
Der Sektor der Rating-Agenturen muss ebenfalls stark reformiert und eingeschränkt werden. Sie taugen keinesfalls zu irgendwelcher wissenschaftlich objektiven Messung, sondern sind strukturelle Werkzeuge der neoliberalen Globalisierung und haben wiederholt soziale Katastrophen ausgelöst. In der Tat führt die Abstufung der Note eines Landes zum Zinsanstieg der gewährten Kredite. Aus diesem Grund verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation des Landes noch mehr. Durch das Herdentierverhalten des Spekulanten werden die schon vorhandenen Schwierigkeiten um ein Mehrfaches erhöht und belasten die Bevölkerung noch stärker. Da jene Agenturen stark unter dem Einfluss der nordamerikanischen Finanzwelt stehen, spielen sie weltweit eine führende Rolle, deren Verantwortung bei der Auslösung und Entwicklung der Krisen von den Medien nicht hinreichend ins Licht gerückt wird. Die wirtschaftliche Stabilität der europäischen Staaten wurde in die Hände dieser Rating-Agenturen gelegt, ohne Schutzmechanismen, ohne ernsthafte Kontrollmöglichkeiten von Seiten der öffentlichen Gewalt. Die Schaffung einer öffentlichen Rating-Agentur ist unumgänglich, um dieser Sackgasse zu entkommen.
1. Die Banken unter Kontrolle der Bürger
Nach Jahrzehnten des finanziellen Abdriftens und der Privatisierungen ist es höchste Zeit, den Kreditsektor in die öffentliche Hand zu überführen. Die Staaten müssen ihre Kontroll- und Richtungsweisungsfähigkeit der wirtschaftlichen und finanziellen Tätigkeit zurückerhalten. Sie müssen ebenfalls über Instrumente verfügen, die Investitionen sowie die Finanzierung der Staatsausgaben mit einem minimalen Rückgriff auf Anleihen bei privaten oder ausländischen Institutionen ermöglichen. Die Banken sind ohne Entschädigung zu enteignen und in die öffentliche Hand unter Kontrolle der Bürger zu überführen.
In gewissen Fällen kann die Enteignung von Privatbanken zu Kosten für den Staat führen infolge der Schulden, die jene angehäuft haben können. Diese Kosten müssen über das Vermögen der großen Aktionäre zurückgewonnen werden. In der Tat sind private Gesellschaften Bankaktionäre und haben die Banken an den Abgrund geführt, wobei sie selber saftige Profite machten; sie halten ein Teil ihrer Vermögen in anderen Wirtschaftsbereichen. Man muss also auf das Gesamtvermögen der Aktionäre zurückgreifen. Es geht darum, die Vergesellschaftung der Verluste zu vermeiden. Das Beispiel Irlands ist typisch, die Art und Weise, wie die irische Allied Bank verstaatlicht wurde, ist nicht annehmbar. Man muss die Lehren daraus ziehen.
6. Vergesellschaftung zahlreicher Unternehmen und der seit 1980 privatisierten Dienste.
Charakteristisch für die vergangenen 30 Jahre war die Privatisierung zahlreicher Unternehmen und öffentlicher Dienstleistungen. Von Banken bis zur Industrie über Post, Telekommunikation, Energie und Transport haben die Regierungen ganze Teile der Volkswirtschaft der Privatwirtschaft überlassen und hiermit jede Möglichkeit eingebüßt, die Wirtschaft zu regulieren. Jene öffentlichen Güter, durch gemeinsame Arbeit erzeugt, müssen in den öffentlichen Bereich zurückgehen. Es geht darum, neue Staatsunternehmen zu schaffen, und die öffentlichen Dienstleistungen nach den Bedürfnissen der Bevölkerung auszurichten, um insbesondere auf die Probleme des Klimawandels zu antworten, z. B. mit der Schaffung eines öffentlichen Dienstes zur Isolierung von Wohnungen.
7. Die Arbeitszeit radikal verkürzen, um Arbeitsplätze zu schaffen bei gleichzeitiger Anhebung der Löhne und Renten.
Den Reichtum anders zu verteilen ist die beste Antwort auf die Krise. Der Anteil der Löhne am erzeugten Reichtum ist seit mehreren Jahrzehnten deutlich zurückgegangen, während Gläubiger sowie Unternehmen ihre Profite gesteigert haben, mit denen sie dann spekuliert haben. Durch Anhebung der Löhne ermöglicht man nicht nur der Bevölkerung, in Würde zu leben, sondern man steigert auch die Mittel, die zur Finanzierung des Sozialsystems und der Rentensysteme dienen.
Durch die Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnkürzung und durch die Schaffung von Arbeitsplätzen verbessert man die Lebensqualität der Arbeitenden und schafft Arbeitsplätze für die Arbeitssuchenden. Eine radikale Arbeitszeitverkürzung bietet auch die Möglichkeit, in einen anderen Rhythmus zu wechseln, eine andere Art des gesellschaftlichen Lebens zu führen und vom Konsumrausch Abstand zu nehmen. Die für die Freizeit gewonnene Zeit sollte den Menschen ermöglich, sich aktiver am politischen Leben zu beteiligen, die Solidarität zu stärken und ehrenamtliche Tätigkeiten sowie kulturelle Aktivitäten zu fördern.
8. Eine andere, auf Solidarität basierende Europäische Union demokratisch neu gründen.
In den Abkommen, die derzeit die EU, die Eurozone und die EZB organisieren, müssen mehrere Bestimmungen abgeschafft werden. Zum Beispiel müssen die Artikel 63 und 125 des Vertrags vpn Lissabon, die jegliche Kontrolle von Kapitalbewegungen und jede Hilfe für einen Staat in Not untersagen, gestrichen werden. Auch muss der Stabilitäts- und Wachstumspakt aufgegeben werden. Darüber hinaus müssen die aktuellen Verträge im Rahmen eines wirklich demokratischen verfassungsgebenden Verfahren Abkommen durch neue ersetzt werden, und schlussendlich ein Solidaritätspakt der Völker für Arbeitsplätze und Ökologie erstellt werden.
Die Währungspolitik sowie das Statut und die Praxis der Europäischen Zentralbank (EZB) müssen von Grund auf umgedacht werden. Die Unfähigkeit der politischen Macht, die EZB zur Geldschöpfung zu zwingen ist ein schweres Hindernis. Mit der Schaffung jener EZB, die über den Regierungen und somit den Völkern steht, hat die Europäische Union eine katastrophale Wahl getroffen: hiermit wurden die Menschen dem Geld untergeordnet, und nicht umgekehrt.
Während viele Sozialbewegungen das zu rigide und zutiefst unangepasste Status der EZB anprangerten, wurde jene gezwungen, als die Krise ihren Höhepunkt erreichte, ihre Richtung zu ändern und modifizierte in aller Eile die Rolle, die ihr zugedacht worden war. Unglücklicherweise tat sie das aus falschen Gründen: Nicht um die Interessen der Völker zu berücksichtigen, sondern um die der Gläubiger zu schützen. Das ist der Beweis, dass die Karten neu gemischt und verteilt werden müssen. Die EZB muss die Staaten direkt finanzieren können, die sich für soziale und Umweltziele einsetzen, die den Grundbedürfnissen der Bevölkerung vollkommen entsprechen.
Derzeit werden sehr unterschiedliche wirtschaftliche Aktivitäten wie Investitionen in den Bau eines Krankenhauses oder eines rein spekulativen Projektes auf ähnliche Weise finanziert. Die Staatsmacht muss mindestens versuchen, unterschiedliche Zinssätze je nach Projekt einzuführen: Niedrige Zinssätze sollen sozial gerechten und umweltverträglichen Investitionen vorbehalten bleiben, und bei spekulativen Operationen müssen sehr hohe, nötigenfalls ja sogar unerschwingliche, auferlegt werden; auch ist es ebenfalls wünschenswert, solche in gewissen Bereichen einfach zu verbieten (siehe oben).
Ein Europa, auf Solidarität und Kooperation gegründet, soll es ermöglichen, sich von der Konkurrenz und dem Wettbewerb abzuwenden, da jene die Bevölkerung "nach unten" ziehen. Die neoliberale Logik hat zu einer Krise geführt und ihr Scheitern offenbart. Sie hat die Sozialindikatoren heruntergefahren: weniger sozialen Vorsorge, weniger Arbeitsplätze, weniger öffentliche Dienstleistungen. Die Wenigen, die von dieser Krise profitiert haben, haben dabei die Rechte der Mehrheit mit Füßen getreten. Die Schuldigen haben gewonnen, die Opfer zahlen. Diese Logik, die allen Gründungstexten der Europäischen Union zugrunde liegt, Stabilitäts- und Wachstumspakt in erster Linie, muss heftig angegriffen werden, sie ist nicht mehr vertretbar. Ein anderes Europa, dessen Grundlage Kooperation zwischen den Staaten und Solidarität zwischen den Völkern ist, muss vorrangiges Ziel werden. Deshalb dürfen Haushalt- und Steuerpolitik nicht mehrüberall gleich sein, weil die europäischen Ökonomien starke Unterschiede aufweisen, sondern muss koordiniert werden, damit sich endlich eine Lösung des Aufstiegs abzeichnet. Globale Politik auf europäischer Ebene, mit massiven öffentlichen Investitionen zur Schaffung öffentlicher Arbeitsplätze in den wichtigsten Bereichen (von lokalen Dienstleistungen bis zu erneuerbaren Energien, vom Kampf gegen Klimawandel bis zu grundlegenden Sozialbereichen) sind unbedingt erforderlich.
Für das CADTM muss dieses andere demokratische Europa sich für unabdingbare Prinzipien einsetzen: Verstärkung der Steuer- und Sozialjustiz mit dem Ziel derAnhebung von Lebensstandard und -qualität seiner Einwohner, Entwaffnung und radikale Kürzung der Militärausgaben (eingeschlossen der Rückzug europäischer Truppen aus Afghanistan und der Abzug der NATO), Wahl nachhaltiger Energien ohne Rückgriff auf Atomkraft, Ablehnung von GMO. Sie muss auch die Politik der „Festung Europa“ gegenüber den MigrantInnen entschieden aufgeben, und eine wirklich faire und solidarische Partnerschaft mit den Völkern der Südhalbkugel entwickeln.
[1] siehe auch http://www.cadtm.org/Juntos-para-imponer-otra-logica Wir übernehmen diese acht Vorschläge hier und aktualisieren sie ständig und erläutern sie.
[2] Voir Éric Toussaint, Banque mondiale : le Coup d’État permanent, CADTM-Syllepse-Cetim, 2006, chapitre 4.
3 Denken wir an Irland, das eine Rate von nur 12,5% auf die Gewinne der Gesellschaften praktiziert.
4 Ein Steuerzinssatz von 90% wurde in den Vereinigten Staaten den Reichen seit der Präsidentschaft von Franklin Roosevelt in den 1930 er Jahren auferlegt.
5 Vgl. Damien Millet und Eric Toussaint, La crise, quelles crises? Aden-CADTM-Cetim, 2010, Kapitel 6
6 Ungedeckte Leerverkäufe ermöglichen die Spekulation auf das Fallen des Wertes eines Papiers beim Verkauf zu Ende der Laufzeit, obwohl man das Papier gar nicht besitzt. Die deutschen Behörden haben den ungedeckten Verkauf verboten, wohingegen die französischen Behörden und die anderen Länder gegen diese Maßnahme waren.
Eric Toussaint
Der Autor ist Vorsitzender des "Komitees zur Annulierung der Schulden der Dritten Welt - CADTM", Mitglied des wissenschaftlichen Berates von Attac-Frankreich und führendes Mitglied der 4. Internationale
Quelle: http://www.cadtm.org/Huit-propositions-urgentes-pour