Zeitschriften: "Widerspruch" sucht nach Alternativen
Gisela Notz
Das schweizer Zeitschriftenprojekt "Widerspruch" gibt seit 1981 jährlich zwei Themenhefte mit Beiträgen aus dem kritischen Wissenschafts- und Kulturbereich, aus Linksparteien und Gewerkschaften, aus Ökologie-, Friedens- und Frauenbewegungen heraus. Die neue Ausgabe, das Jubiläumsheft zu 25 Jahren Widerspruch*, versteht sich als Antwort auf die Leitparole neoliberaler Politik "There is no alternative" (Margret Thatcher).
24.04.2007
Nach den von Elmar Altvater skizzierten Umrissen einer solidarischen
Ökonomie entwickelt Luise Gubitzer ("Wirtschaft ist mehr!") ein
Sektorenmodell der Gesamtwirtschaft als theoretische Grundlage für eine
Politik der Geschlechtergerechtigkeit. Diane Elson und Jasmine Gideon
nehmen das Konzept der Frauenrechte als Menschenrechte unter die Lupe
und stellen fest, dass die weltweite Diskriminierung von Frauen durch
die unbezahlte Care-Ökonomie zunimmt. Daran ändern offensichtlich neue
Erfindungen, was die Bezeichnung der Gratis-Sorgearbeiten angeht,
nichts. Sie verweisen darauf, dass die meisten Menschenrechtsprinzipien
Frauen benachteiligen, weil sie vor allem in der öffentlichen Sphäre
wirksam sind und den Privatbereich ausklammern, in dem viele
Verletzungen von Frauenrechten geschehen. Ihre Hoffnung setzen sie auf
die politische Mobilisierung von Frauen auf der lokalen Ebene und
verweisen auf Ansätze und Kampagnen in verschiedenen Ländern der Welt.
Und nachdem Walter Schöni, Paul Oehlke und Alex Demirovic einen nun
schon historischen Diskurs, nämlich die bundesrepublikanische und
schweizer Debatte der 70er und 80er Jahre um die "Humanisierung der
Arbeit" und die Fragen der Wirtschaftsdemokratie wieder aufgenommen
haben, stellt Frigga Haug in ihrem Artikel "Links und feministisch"
fest, dass sich in fast 40 Jahren linker feministischer Politik kaum
etwas verändert habe.
Sie schlägt deshalb vor, was sie schon früher vorgeschlagen hat und was
letztlich auch Helke Sander in ihrer berühmt gewordenen "Tomatenrede"
auf der SDS-Konferenz im September 1968 artikulierte: auch in der
Linken den Geschlechtervertrag einzubringen, damit der zwischen
"Ernährermann und Hausfrau" endlich verschwinde. Ein ebenso altes Thema
nimmt Claudia von Werlhof von Seiten der "feministischen" Frauen auf:
"Die Linke" strebt, solange sie die Patriarchatskritik vernachlässigt,
nicht wirklich eine Alternative zum herrschenden System an. Sie geht
dabei so weit, zu behaupten, dass das "kapitalistische Patriarchat" die
Utopie "der Linken" sei und dass es deshalb keinen Weg in eine
Alternative gäbe. Mit dem Verweis auf die "mütterliche Ordnung," die im
historischen "Matriarchat" sichtbar werde und noch sichtbar ist,
verabschiedet sie sich von der Hoffnung, mit "der Linken auf dem Weg in
die Zukunft noch irgendetwas anfangen zu können".
Nach derartig vernichtendem Urteil erscheint der Diskussionsteil über
die Neuformierung der Linken in der Schweiz und in Deutschland
eigentlich überflüssig. Tatsächlich lassen die "Grundlinien der
Alternative" von Willi Eberle und Hans Schäppi keinerlei Begehren nach
einer Aufhebung der geschlechterspezifischen Ungleichheiten erkennen.
Nützlicher erscheint Uli Brands Idee eines sozialen Europa. Er plädiert
für eine radikale Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, die die
Veränderung patriarchaler Geschlechterverhältnisse einschließt und
setzt auf "rebellisch- globalisierungskritische Orientierungen".
"So viel ist heute sicher, dass es keinen Feminismus ohne Sozialismus
geben kann und keinen Sozialismus ohne Feminismus", das betonte die
Gruppe "Brot und Rosen" bereits 1972 in ihrem Frauenhandbuch I. Der
linke Frauenaufbruch, den Christiane Reymann in ihrem Artikel
darstellt, formuliert die These neu: "Die neue Linke wird feministisch
oder sie wird nicht links." Davon ist die neue Linke allerdings weit
entfernt. Das wird aus der Entstehungsgeschichte und der Darstellung
der Programmdebatte, die Joachim Bischoff und Christoph Lieber
vornehmen, deutlich.
Insgesamt ein lesenswertes Themenheft, auch wenn die Darstellung
praktisch gelebter Beispiele aus dem Bereich der alternativen Ökonomie,
Genossenschaften und kommunitären Arbeits- und Lebensgemeinschaften,
als Fenster zu einer wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen
Gesellschaft (noch) unterbleibt.
Widerspruch (Zürich), Nr.50, 2006, 228 Seiten, 17 Euro