die Linke

Menüpfad zur ausgedruckten Seite: Home Artikel Bücher Wieder Sehen
Adresse: https://dielinke.at/artikel/bucher/wieder-sehen/

Wieder Sehen

Kurt Hofmann

El Awadalla: Dort und Da – Oder: Wie klein die Welt ist | Sisyphus Verlag

17.12.2011

Was ist pervers? Wenn mitten in Dakar, der Hauptstadt des Senegal, eine Tafel auf eine Sauna verweist. Gewiß, es ist das Geschäftsviertel und die Businessmen und -women leben in von Klimaanlagen vor dem „realen“ Wetter geschützten Reservaten. Wohnung, Auto, Büro und das Touristenrestaurant, das sie besuchen, erleichtern ihnen, zu simulieren, sie wären nicht in Afrika.

Dabei ist Afrika überall, lernen wir durch El Awadallas neues Buch „Dort und Da – Oder: Wie klein die Welt ist“. Da entdeckt die Ich-Erzählerin auf ihrer Reise durch den Senegal „eine Markthalle, dreifach eingekreist von Standeln“, findet einen Frühstücksraum „im Hinterhof einer Greißlerei“ und kauft „dieselbe Packerlsuppe wie daheim im Supermarkt“, nur teurer. Doch ebenso wie die Afrika-Klischees der EuropäerInnen spätestens nach dem Eintreffen der Reisenden im jeweiligen afrikanischen Land nicht mit der Realität mithalten können und sich als postkoloniale Phantasien entpuppen, erstaunt auch die Ich-Erzählerin ihren senegalesischen Kontaktmann mit der Eröffnung, sie besuche in Wien das Tröpferlbad und zerstört damit dessen Phantasien von einem perfekten Europa... Egon Fridell hatte 1913 nach einer Afrika-Reise in einem Feuilleton noch voller Ironie seine Enttäuschung geschildert, wie sehr sich das reale Ägypten von seiner „Aida“-Phantasie über das gleichnamige Lied unterscheide und mit Verdis Bühnenzauber nie und nimmer mithalten könne...

Derlei ficht El Awadalla in „Dort und Da – Oder:Wie klein die Welt ist“ nicht an. Sie erinnert an das Staunen der BurgenländerInnen in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts über die asphaltierten Straßen in Wien. Sie  waren, was heute längst in Vergessenheit geraten ist, die ersten „GastarbeiterInnen“ in der Metropole, denen viele Jahre später auch jene aus den fernen Ländern und fremden Kontinenten folgten, bis sie in Zeiten der Abschottung und Grenzziehungen nicht mehr erwünscht waren. Die Ich-Erzählerin des Romans erlebt nach ihrer Landung im Senegal ein Wiedersehen mit Vertrautem, ein Deja- vu folgt dem anderen, ermöglicht ihr wieder, zu sehen. Dass die Welt klein sei, ist eine ebenso banale wie erleuchtende Erkenntnis. Freilich sei es nicht die kleine Welt, in der die große ihre Probe hält, vielmehr verhalte es sich, frei nach El Awadalla, offenbar umgekehrt. Dörfer, wohin man/frau blickt. Der von einer Autobatterie betriebene Fernseher mitten in der Wiese, flankiert von Kühen, welche sich, anders als die im Gras liegenden ZuseherInnen, jedoch offenbar nicht für das Finale des Afrika-Cups im Fußball interessieren, scheint immerhin den vermißten exotischen Touch zu liefern, doch schon beim Touristennepp in Dakar fühlt sich die Ich-Erzählerin an den Neusiedlersee erinnert...

Long time ago: Nicht nur die mit „Zwanzig Jahre später“ benannten Passagen, als Korrekturtexte zu lesen, vermeiden das Versinken im Menschlichen, Allzumenschlichen. Sie benennen, wie sehr das „Globale“ unserer Tage nach Anpassung verlangt. Eine Welt, das heißt allerdings auch ein System, angeblich „alternativlos“ (A.Merkel), das wiederum bedeutet übersetzt in den Klartext: die Ressourcen sind nicht für alle da, was früher Kolonie hieß, wird nun als Billiglohnland bezeichnet. Und wieder ein Deja vu...

Als sie auszog, afrikanische Lebensweisen zu entdecken, war die Ich-Erzählerin Studentin der Afrikanistik. Theoretisch wußte sie alles über diesen Kontinent. Und hatte einen Film gesehen, von einem anderen aus ihrem Land, der Afrika aus der Ferne bewunderte und ihr all das Edle und Schöne zeigte, das sie zu finden hoffte. „Kanga Mussa“ hieß dieses heute weitgehend vergessene Werk von Götz Hagmüller. Als sie ankam, lernte sie das Staunen und entdeckte vergnügt die Gemeinsamkeiten. Nun, da jede/r zu wissen vermeint, was sie einst entdeckte und als Zeugen ihren/seinen Computer hochhält, der das globale Dorf im Internet repräsentiert, traut sie derartigen Aussagen nicht mehr. Was ist das für ein Dorf, dass BewohnerInnen verstößt und in die Flucht jagt, statt ihnen ein sicheres Dach anzubieten? Ja, die Welt ist klein, doch was da keiner Frage bedarf, erhält dort längst keine Antwort mehr.